In nuce

Donnerstag, 31. Januar 2008

"Wie geht jemand vor, der ein Land in Besitz nehmen will? Am Anfang besetzt er die Medien, um sie gleichzuschalten. Dann kann er sicher sein, dass nur Nachrichten in seinem Sinn verbreitet werden. Die fünf Presseagenturen Agence France Press (AFP), Reuters (GB), Associated Press (USA), Novosti (RUS) und Xinghua (China) haben diese Aufgabe." - Über den fehlenden Pluralismus in der medialen Berichterstattung.

Die Januar-Ausgabe von Cicero beehrte uns mit einigen Zeilen Wolfgang Clements. "Es geht hier nicht um Clements Meinung, sondern das journalistische Defizit von Cicero: in der Personenbeschreibung wird zwar Clements Tätigkeit für das Adecco Institute (der gleichnamigen Zeitarbeitsfirma) genannt, aber die Verbindung von Clement zu RWE wird verschwiegen. Die Interessen hinter der Forderung nach staatlichen Subventionen statt Reduktionsverpflichten bleiben damit auf ersten Blick verborgen." - Soweit LobbyControl. Das ehemalige Amt erweckt den Eindruck, hier spräche die Vernunft. Wenn Journalisten dann zudem vergessen, auf Zusammenhänge hinzuweisen, darf man dies als grob fahrlässige Propaganda verstehen.

Haider ruft zur Denunziation auf. Die Bevölkerung soll "über gewalttätige Asylwerber umgehend informieren, damit ich deren sofortige Abschiebung veranlassen kann". So direkt wollte es Koch wohl nicht formulieren. Dabei hätte die Denunziation in diesem Land eine blühende Tradition. Dass indes Kochs Wahlkampf kein Ausrutscher war, sondern System hatte und - wohl weiterhin - hat, läßt sich an dem Märchen der "nützlichen" und "nutzlosen" Emigration ablesen, welches die Union seit Jahren erzählt.

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Alte Phänomene, neu belebt

Mittwoch, 30. Januar 2008

Globalisierung. Mit diesem oft bemühten "neuen Phänomen" entschuldigen und rechtfertigen sich die Reformer gleichermaßen. Zwar strebe man soziale Gerechtigkeit selbstverständlich an, doch die Zeiten des globalen Wettbewerbs erlauben allzuviel Sentimentalität nicht - "Sozialnostalgie" tituliert man verächtlich. Die Globalisierung diktiert uns die Lockerung des Arbeitnehmerschutzes, Senkung (oder gar Abschaffung) von Unternehmenssteuern, Beseitigung von (angeblich zu hohen) Tariflöhnen und dergleichen mehr auf. Selbst unliebsame Wahlresultate lassen sich mit dieser "Allzweckwaffe" abkanzeln. Wenn nicht im Sinne eines entfesselten Wirtschaftsliberalismus gewählt wird - wobei die SPD und Grünen sicher nicht für linksorientierte Politik stehen -, dann hat der Bürger die Globalisierung nur als "bösen Traum" begriffen.

In dieser Weise wird die Globalisierung zum Grund und Übel für den Abbau des Sozialstaates erklärt. Konservative und Linke beten dieses Gleichnis unisono herunter. Gleich einem Axiom steht die These im Raum; sie ist das Fundament, auf dem Rechtfertigungen, Entschuldigungen und weitere Thesen (keine Synthesen, denn die Alternativlosigkeit des totalitären Marktes bietet keine notwendige Antithese an) aufgebaut werden. Diese steinernen These wird nur selten hinterfragt. Ist die Globalisierung - der globale Wettbewerb - eine neue Erscheinung? Entspricht es der Wahrheit, daß sich niemals zuvor Arbeitnehmer aus Deutschland und China in einen Wettbewerb geworfen sahen?

"Heutzutage wird viel gesprochen über - demonstriert gegen - Chancen und Gefahren der Globalisierung. In diesem Kontext betrachten anscheinend viele Menschen die Globalisierung als neues Phänomen, wie auch immer sie ihren Einfluss insgesamt einschätzen - ob als vorteilhaft oder schädlich." - So eröffnet Robert B. Marks - Professor für Geschichte am Whittier College, Philadelphia - sein Buch "Die Ursprünge der modernen Welt - Eine globale Weltgeschichte", in dem er versucht ist, die Geschichte von 1400 bis 1900 (die Phase des Ursprungs der modernen Welt) fern des üblichen Eurozentrismus zu betrachten. Diese Universalität ist sein zentrales Anliegen; der Globalisierungs-Mythos wird nebenher entlarvt: "Ich hoffe jedoch, dass der Leser mindestens einen Erkenntnisgewinn aus diesem Buch ziehen wird, dass nämlich die Globalisierung keinesfalls eine neue Erscheinung ist."

Marks führt auf, daß die Weltgesellschaften bereits im 15. Jahrhundert - mit Ausnahme Amerikas, des südlichsten Afrikas und den größten Teils Ozeaniens - im vom Fernhandel bestimmter Wechselwirkung und Verbindung standen. Drei Faktoren ermöglichten dieses frühneuzeitliche System:
  • Technologischer Vorsprung. Industrielle Erzeugnisse konnten billiger und besser hergestellt werden als im Rest der Welt. (Seide und Porzellan aus China, Baumwollstoffe aus Indien)
  • Klimatische und geographische Zwänge. Einige Naturprodukte waren auf einige wenige Orte der Erde beschränkt. (Gewürze aus Indonesien, Elfenbein und Gold aus Afrika, Duftstoffe aus dem Orient, Silber aus Japan)
  • Verbrauchergeschmack und soziale Konventionen. Die Nachfrage nach Luxus- und Massenartikeln rekrutierte sich aus dieser gesellschaftlichen Komponente. (Vorlieben für Seide, Edelsteine, Perlen; Wertmetalle als Basis für Währungssysteme, wie z.B. Silber in China)
"Die meisten Gesellschaften konnten an diesem Weltsystem teilhaben, indem sie das, was die anderen brauchten, herstellten und verkauften. Die Europäer waren besonders benachteiligt, weil sie den Rest der Welt wenig zu verkaufen hatten, mit der möglichen Ausnahme von Wolle und, im Falle Afrikas, Waffen." - An diesem Punkt entkleidet Marks einen weiteren Teil der neoliberalen Reformesdialektik, die sich hartnäckig in den Köpfen festsetzt: Europa verlöre die Wirtschaftsdominanz von "Gottes Gnaden", um sie an China - das nun endlich an der Reihe sei - weiterzugeben. Der "neue Riese China" erlebte aber bis etwa 1800 eine Phase des Wohlstands und dominierte den Welthandel. Erst danach, durch die Industrielle Revolution, konnten die Europäer China ablösen.

Auch nach 1500 flaute der Welthandel nicht ab, ganz im Gegenteil, denn es erschlossen sich neue Handelspotenziale: "Die Eroberung Amerikas führte zu einem globalen Austausch von Naturprodukten und Nahrungsmitteln, besonders zu einer Bewegung von Nahrungsmitteln aus der Neuen Welt in Richtung der Agrarwirtschaft der Alten Welt. Mais, Kartoffeln, Tomaten, Chili und andere Nahrungsmittel verbreiteten sich rasch über ganz Eurasien und bereicherten gleichermaßen den Speisezettel von Bürgern und Eliten. Süßkartoffeln erreichten zum Beispiel Mitte des 16. Jahrhunderts China und ermöglichten es den dortigen Bauern, ihren Reis zu verkaufen, statt ihn zu verzehren. Die Verbreitung der amerikanischen Getreidesorten in der Alten Welt gestattete es fraglos den dortigen Bevölkerungen, rascher anzuwachsen, als wenn sie bei der alten Ernährungsweise geblieben wären." - Die Handelsrouten zogen sich also um den gesamten Globus. Und nicht nur über den Atlantik, sondern ebenso über den Pazifik - zwischen Amerika und Asien also - führten Handelswege. So wurde das noch heute als "Nationalkostüm" geltende China poblana der mexikanischen Frauen nur aus chinesischer Seide gefertigt, da diese billiger und qualitativ besser war. Schon damals standen demnach Stoffproduzenten aus Europa oder Amerika im Wettbewerb mit China und Indien, welche qualitativ hochwertige und billige Stoffe zum Verkauf anbieten konnten.

Marks liefert weitere Fakten, die den Globalhandel vergangener Tage belegen. Angefangen beim Sklavenhandel - den man aus der damaligen Zeit heraus als Warenhandel begreifen muß -; endend beim aufblühenden Silberhandel, der von Potosi (im heutigen Bolivien) aus die Welt eroberte. Der Historiker zieht als Fazit, daß die angebliche Neuheit der Globalisierung nicht gegeben ist, sondern als Fehlinterpretation wahrgenommen werden muß. Sie - die Globalisierung - bürdet uns somit eigentlich keine neuen Sicht- und Handlungsweisen auf. Die Welt ist nicht erst seit gestern am Globalisieren, sondern vollzieht diesen Schritt bereits seit Jahrhunderten. Indem man den fiktiven Fakt vom "neuen Phänomen Globalisierung" stetig wiederholt, verdrängt man das Nach- und Hinterfragen und erhebt eine zweifelhafte These zur dogmatischen Wahrheit. Der "neueste Schrei" der Globalisierung ist - trotz aller Propaganda - ein alter, sich stetig wiederholender Schrei.

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Sit venia verbo

"Keine Partei, auch keine linke, besaß demokratische Strukturen wie die neue grüne Partei: Trennung von Amt und Mandat, Rotation, Abgabe von Diäten. Kein Vorsitzender, sondern gleichberechtigte SprecherInnen. Die Frauenquote. Das Verbot, Ämter anzuhäufen, Aufsichtsratsposten und Beraterverträge anzunehmen. Kreis- und Landesverbände hatten in vielen Fragen Autonomie. Alle Sitzungen waren öffentlich. Einfache Mitglieder konnten sich direkt in Programmdiskussionen einmischen. Es ist ein planvoll konstruierter Mythos, daß die basisdemokratischen Strukturen abgeschafft werden mußten, weil sie die politische Arbeit behinderten. Sie wurden beseitigt, weil sie wirkten und die KarrieristInnen behinderten.
Die Mehrheit der Gründungsmitglieder wird rund 20 Jahre später die Grünen verlassen haben. Unter dem gleichen Namen verbirgt sich heute ein völlig anderes Projekt."
- Jutta Ditfurth, "Das waren die Grünen" -

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De omnibus dubitandum

Dienstag, 29. Januar 2008

Bei der Landtagswahl in Hessen, wählten...
  • ... 35,7 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht.
  • ... 23,7 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU.
  • ... 23,6 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 6,1 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 4,8 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
  • ... 3,3 Prozent aller Wahlberechtigten die LINKE.
  • ... 2,8 Prozent aller Wahlberechtigten eine andere Partei.
Selbst eine Große Koalition hätte damit einen Rückhalt in der Bevölkerung von 47,3 Prozent aller Wahlberechtigten. Nie war das Heer der hessischen Nichtwähler (in Prozent) größer. Der vermeintliche Wahlgewinner SPD hat sein zweitschlechtestes Ergebnis bei einer hessischen Landtagswahl erzielt.


Bei der Landtagswahl in Niedersachsen, wählten...
  • ... 43,0 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht.
  • ... 24,2 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU.
  • ... 17,3 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 4,7 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 4,6 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
  • ... 4,0 Prozent aller Wahlberechtigten die LINKE.
  • ... 2,2 Prozent aller Wahlberechtigten eine andere Partei.
Die CDU/FDP-Koalition hat damit einen Rückhalt in der Bevölkerung von 28,9 Prozent. Nie war die Wahlbeteiligung in Niedersachsen niedriger. Die SPD im freien Fall: Das schlechteste Wahlergebnis überhaupt bei einer Landtagswahl in Niedersachsen.

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Ein Gespenst geht um...

Was immer auch ein Links-Staat sein soll, die BILD-Zeitung stellt heute die Frage, ob wir zu einem solchen verkommen. Dazu werden "ausgewiesene Experten" zitiert, die schon aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung keinen Bezug zur LINKEN haben können. Und der obligatorische Wink, daß die LINKE die Nachfolgepartei der SED ist, darf selbstverständlich nicht fehlen. (Man liest selten - nie - etwas darüber, daß die Union Heere von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern aufnahm und einen dieser "Überläufer" sogar zum Kanzler machten.) Auch der Spiegel erweist sich in diesen Tagen erneut als Kampfblatt notwendigen Konservatismus' und sieht den "Standort Deutschland" in Gefahr, weil die LINKE die anderen Parteien dazu ermutigte, eine sozialere Politik zu betreiben, was durch die Globalisierung - der ewige Schlachtruf neoliberaler Reformen - natürlich ein Unding sei. Soziale Gerechtigkeit, so meint man, könne sich Deutschland nach den Jahren des Wirtschaftswachstums und der zunehmenden Beschäftigung (sic!), nicht leisten.

"Es geht nun, kurz gesagt, alles den Bach runter, weil nicht genug Menschen die CDU gewählt haben." (BILDblog) Oder anders formuliert, um den gesamten Aktionismus im Namen der Wirtschaft zu entlarven: Weil von knapp 10,5 Millionen Wahlberechtigten des letzten Sonntags, keine 400.000 Menschen die LINKE wählten - was in etwa einem Wert von 3,7 Prozent entspricht -, scheint in Deutschland der Sozialismus zu erblühen.

Gleichzeitig entschuldigen die Medien den Mißerfolg der hessischen CDU damit, daß Kochs - und seiner Schergen - rassistischer Auswurf ein taktischer Fehler war. "Notwendige Wahrheiten" könne man nicht im Wahlkampf verbreiten. Sicher muß man den horrenden Verlust der CDU auch damit erklären, daß die letzte Landtagswahl in Hessen unter anderen Vorzeichen stand. Wie damals üblich, wurde jede Landtagswahl dazu genutzt, die Sozialschweinereien der Bundes-SPD abzustrafen, wovon die Union meist profitierte. Und dennoch: Kaum ein Wort davon, daß die Politik neoliberaler Prägung - mit seinem Privatisierungs- und Laienlehrerwahn, seinem fremdenfeindlichen Unterton, seinen repressiven Charakter gegen jeden, der dieser Gesellschaft differenziert gegenübersteht - bei dieser Wahl gescheitert ist. Indem man Kochs Xenophobie zum Sündenbock erhebt, zum alleinigen Schuldigen, vertuscht man die wahre Absicht der Wähler, die entweder gleich der Wahlurne fernblieben oder meinten in der SPD oder LINKEN ihr Glück finden zu können.

Die Wähler der LINKEN, so kann man diesem dekadenten Selbstbeweihräuchern entnehmen, sind nur verirrte Schäfchen, die jetzt endlich begreifen müssen, daß die Zeiten sozialer Gerechtigkeit, Teilhabe jedes Einzelnen am Wohlstand, Absicherung in Notlagen als Anachronismen zu erkennen sind, welche uns die Globalisierung nicht mehr erlaubt. Die LINKE schmerzt den beiden Volksparteien derart, weil sie wissen, daß es ihr Kind ist, ihr eigen Fleisch und Blut. Ihre gescheiterte Politik, die Verachtung gegenüber den Bedürfnissen der Bevölkerung - die man nun auch am fehlenden Respekt gegenüber der gewählten LINKEN erkennen kann, also ein fehlender Respekt vor der Entscheidung von knapp 400.000 Wählern - ermöglichten erst eine Partei, die sich sozialer Gerechtigkeit widmet. Nun darf man von der LINKEN halten was man will - meine Meinung in dieser Frage dürfte spätestens seit meinem letzten Beitrag bekannt sein -, aber Sozialisten im eigentlichen Sinne sind in dieser Partei bestenfalls als kuriose Randerscheinung zu finden. Der Kommunismus, so wie es Springer und Spiegel zu sehen glauben, ist ferner denn je - auch weil es die LINKE und ihr sanft-soziales Herankuscheln an den Kapitalismus gibt.

"Der Feind ist permanent. Er existiert nicht in einer Notsituation, sondern im Normalzustand. [...] Er wird so ins System als eine Bindekraft eingebaut." (Herbert Marcuse) - Als solches Bindemittel dürfen wir die LINKE begreifen; als stumpfes Damoklesschwert, welches über der angeblichen "Politik der Vernunft" schwebt und zuweilen herabzufallen droht. Die LINKE und deren Gegner wissen sehr wohl, daß es weder Sozialismus, noch eine andere Form der Abkehr von der kapitalistischen Gesellschaft geben wird, sollte die LINKE in den Genuß von Posten und Einfluß - d.h. in eine Regierung - kommen. Linke Sozialreförmchen, die keine Abkehr vom herrschenden System bedeuten, sondern lediglich die "Humanisierung" des industriellen Totalitarismus - also eine Form der Erpressung der Bedürftigen, indem man sie bezahlt, damit sie dies System weitertragen -, werden mit dem Etikett "Sozialismus" versehen, damit auch die kleinste Form der Umverteilung zum Tabu stilisiert wird. Mit der LINKEN ist kein Staat zu machen, weil sie schon längst im Staat angekommen ist.

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In nuce

Sonntag, 27. Januar 2008

Kristina Köhler. Kennen Sie nicht? - In einem Panorama-Bericht äußerte sie sich - sie ist MdB, stammt aus Hessen - zum angeblichen Anstieg deutschfeindlicher Verbrechen. Einen Anstieg, den sie vehement ins Zentrum ihrer "politischen Arbeit" stellt. Dabei beruft sie sich auf Staatsanwälte, Richter und den Kriminologen Christian Pfeiffer, die diese These bestätigen würden. Doch dies verweigerten allesamt, weil es keinen Grund zur Panikmache in dieser Frage gäbe. Köhler stört sich daran nicht, denn die These - ob wahr oder erfunden - flankiert das angestrebte Ziel: Schnelle Abschiebung straffällig gewordener Mitbürger ausländischer Herkunft. In dieser Frage unterstützt sie ihren Parteikollegen Christean Wagner - den Mann, der einst für eine elektronische Fußfessel für Arbeitslose warb. Nun wissend, woher der Wind weht, verwundert es nicht, wenn diese "begabte" Jungpolitikerin als weitere Ziele ihres Wirkens auflistet: Mehr Druck auf Arbeitslose, Lockerung des Kündigungsschutzes, Aufgabe des Datenschutzes zugunsten sogenannter "Terrorbekämpfung", Installation einer kapitalgedeckten Altersvorsorge. Und während sie ausländische Mitmenschen rigoros ausweisen würde, fordert sie Integrationskurse für Rechtsextremisten. Zitat: "Der Paradigmenwechsel heißt weg von den rein "antifaschistischen" Strategien, hin zu pro-demokratischen Strategien. (...) Die einen sagen etwa, wir füttern den Rechtsextremismus durch die Diskussion bestimmter Themen, etwa über Migrantengewalt. Wir hingegen sagen, wir füttern ihn, indem wir dieselben Themen nicht diskutieren." - Soweit die selbsternannte "Fachpolitikerin für Islam, Integration und Extremismus". Kristina Köhler also. Kennen Sie nicht? - Gut so.

Die BILD-Zeitung erneut als Organ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Dabei beruft sie sich auf deren Berater Thomas Straubhaar (wobei natürlich nicht erwähnt wurde, daß er Lobbyist der INSM ist), der kundtat, daß die 40-Stunden-Woche "eine Rückkehr zur jahrzehntelanger Normalität" sei. In Deutschland wird also nicht ausreichend gearbeitet. Ein Blick bei Eurostat bringt aber Licht in den lobbyistischen Nebel: Vollzeitbeschäftigte arbeiteten in Deutschland - im Jahre 2006 - durchschnittlich 41,8 Stunden, was wiederum dem EU-Durchschnitt entspricht. Bezeichnend für die Niedertracht der INSM-Initiative zur Steigerung unbezahlter Mehrarbeit: In Ländern, die in Deutschland oft als Vorbild zitiert werden - weil sie z.B. weniger Kündigungsschutz kennen oder temporäre Arbeitsverträge ermöglichen -, arbeiten Vollzeitbeschäftigte weniger Stunden in der Woche. Das vielgelobte Dänemark weist einen Wert von 40,4 Stunden auf; die Niederlande 40,9 Stunden; das vermeintliche Wachstumswunder Irland 40,6 Stunden (im Jahr 2005); Finnland 40,3 Stunden und Schweden 41,0 Stunden. Man lobt nur die "Qualitäten", die der INSM und den anderen Arbeitgebergruppierungen genehm sind, niedrigere Wochenarbeitszeiten passen so gar nicht ins Konzept. Und damit die faden Thesen und Verdummungsversuche der INSM auch wirklich fruchten, bietet die BILD - in ihrer unnachahmlichen Großzügigkeit - Thomas Straubhaar nochmal ein Forum: Einen Gastkommentar. Dieser ist voller INSM-Propaganda. Angefangen damit, den Staat vor jeglichen Eingreifen in die Wirtschaft zu ermahnen (Selbstheilungskräfte des freien Marktes, "unsichtbare Hand"), über Deregulierung und Bürokratieabbau (womit vornehmlich "bürokratische" Undinge wie Kündigungsschutz und Umweltschutzgesetze gemeint sind), bis hin zur obligatorischen Forderung, Steuern und Abgaben zu senken. - Vasallentreue ist das Fundament des Lehnsherrn. Die INSM weiß was sie an ihrem treuen Lehnsmann hat.

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Ende eines kurzen Intermezzos

Vor etwas mehr als einem Jahr, trat ich der Partei DIE LINKE bei. Das Motiv meines Antriebs scheint mir indes schleierhaft. Vielleicht kann man es als "politisches Geborgenheitsbedürfnis" verstehen. Nach und nach erkannte ich die Kurzsichtigkeit, die mir diese Parteimitgliedschaft einhandelte. Vor einigen Tagen ließ ich der Partei meinen Parteiaustritt zukommen. Ein herber Verlust bin ich nicht, zumal ich nur passives Mitglied war. Meinen Standpunkt erläuterte ich trotzdem.
"Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit reiche ich gemäß § 3 (2), Bundessatzung der Partei DIE LINKE, meinen Parteiaustritt in schriftlicher Form ein.

Um Ihnen und mir Zeit zu ersparen, reiße ich grob an, weshalb ich mich zu diesem Schritt entschloss:

1.) In der Partei DIE LINKE - wie in jeder Partei generell - erkenne ich keinen Anti-Kapitalismus, sondern ein noch latentes Arrangement mit ebendiesem. Noch latent, weil ich es nur als Frage der Zeit einstufe, bis sich DIE LINKE auch öffentlich zum System bekennt. (In Berlin tut sie es faktisch, wie man an deren koalititionärer Vasallentreue abmessen kann.) Das System wird bereits jetzt lediglich dezent in Frage gestellt. Man spricht sich für sanft-soziale Veränderungen aus, klammert aber den Mißstand an der Verteilung der Produktionsverhältnisse größtenteils aus. Hier läßt sich meines Erachtens auch nicht mit der mangelnden Realisierbarkeit argumentieren, so wie dies viele Sozialisten/Linke tun, um sich eines schützenden Feigenblattes sicher zu sein. Wenn eine "sozialistische Bewegung" antritt, um das postulierte Ideal an die gegebenen Umstände hinzubiegen - wenn sie also Pragmatismus dem Idealismus vorzieht -, scheitert die gesamte Mission bereits im Ansatz und trägt damit im Keime den "Selbstzweck der Bewegung".

2.) Meine Sichtweise hat sich in der Art radikalisiert, daß ich in jeder Partei - eingeschlossen DIE LINKE - einen Überbau ökonomischer Verhältnisse erkennen muß. Es gilt das Parteiensystem zu überwinden, ihm gehört nicht die Ewigkeit und es wird und muß verschwinden, wenn Menschen zur Mündigkeit gelangen wollen. Mir ist bewußt, daß ich hier anarchistische Tendenzen offenlege, indem ich jegliche parteiimmanente Hierarchie der Kritik unterziehe, da ich in dieser lediglich ein Abbild gesamtgesellschaftlicher Hierarchien zu erkennen glaube. DIE LINKE trägt damit den Kern einer Gesellschaft in sich selbst, die sie eigentlich verändern will, von starren Strukturen hierarchischer Omnipotenzen lösen möchte. Als Parteimitglied - gleich welcher Partei - möchte ich zudem nicht dem Überbau wirtschaftlicher Mißverhältnisse angehören, der dem Ausbeutungsverhältnissen einen Anstrich von Legitimität zu geben scheint.

3.) Als Folge dieser Sichtweise, glaube ich nur in einer außerparlamentarischen Bewegung den Schlüssel zur Veränderung zu erkennen. Die vielgeschmähten 68er, die "Generation der Versager" (Joachim Fest) hat eben doch mehr verändert, als es dem Parteiwesen lieb sein kann. Nicht parteiliche Linientreue, sondern gemeinsames Zusammen- und Einstehen verändern die Gesellschaft. Hierbei sei auch an die Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King erinnert oder an die Zivilcourage der AKW-Gegner. Die Straße ist das wahre Forum des citoyen; das Parlament ist der verlängerte politische Arm der herrschenden Klassen.

4.) Zwar ist die Partei DIE LINKE - unter den großen Parteien des Landes - sicherlich am weitesten auf der linken Seite anzusiedeln, doch sagt dies nichts über die Stellung von DIE LINKE innerhalb aller politischen Parteien aus bzw. deutet an, wie es um die anderen Parteien bestellt sein muß. In einer Parteienlandschaft, die sich durchgehend an den rechten Rand herantastet, die konservative Politik betreibt (wenngleich oft unter anderem Namen, wie z.B. "Sozialdemokratie"), in der sogenannte linke Parteien unternehmerischen Interessen Folge leisten (die Grünen, die als Zwilling der FDP auftreten), ist selbst eine Partei der Mitte - als welche ich DIE LINKE bestenfalls sehe - links anzusiedeln. DIE LINKE versucht sich als neue Sozialdemokratie, nicht als "sozialistische Bewegung". Es ist daher eine Frage der Zeit, wann die zeitgenössischen "vaterlandslosen Gesellen" ihren "Kriegskrediten" zuzustimmen haben. Betrachtet man die politische "Arbeit" der Fraktion im Berliner Senat, mit all ihren Sparmaßnahmen zulasten sozial Schwacher, mit der Bejahung von Ein-Euro-Arbeitsgelegenheiten, so darf man festhalten, daß der Berliner Landesverband seinen "Kriegskrediten" schon längst zugestimmt hat.

5.) Sämtliche Beweggründe meines Austritts sind nicht persönlicher Natur, beziehen sich also nicht auf die Mitglieder der Ingolstädter Linken, sondern sind rein ideologischen Ursprungs.

Da ich zeit meiner Mitgliedschaft nicht aktiv am Parteileben teilgenommen habe, stillschweigendes Mitglied - also eher Sympathisant - war, dürfte mein Austritt nicht schwer ins Gewicht fallen.

Ich hoffe auf Verständnis und darauf, daß die Abhandlung meiner Beweggründe dazu führen wird, uns unnötigen Zeitaufwand zu ersparen. Bedenkzeit oder dergleichen sind nicht vonnöten.

Mit freundlichen Grüßen,
..."

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Sit venia verbo

Samstag, 26. Januar 2008

"Ein Universum der Sprache, worin die Kategorien der Freiheit mit ihrem Gegenteil austauschbar, ja identisch geworden sind, praktiziert nicht nur eine Orwellsche oder Äsopische Sprache, sondern verdrängt und vergißt die geschichtliche Realität, den Schrecken des Faschismus, die Idee des Sozialismus, die Vorbedingungen der Demokratie, den Inhalt der Freiheit. Wenn eine bürokratische Diktatur die kommunistische Gesellschaft beherrscht und bestimmt, wenn faschistische Regime als Partner der Freien Welt fungieren, wenn das Wohlfahrtsprogramm des aufgeklärten Kapitalismus erfolgreich vereitelt wird, indem man es mit dem Etikett "Sozialismus" versieht, wenn die Grundlagen der Demokratie reibungslos in der Demokratie abgeschafft werden, dann werden die alten geschichtlichen Begriffe durch hochmoderne operationelle Neubestimmungen außer Kraft gesetzt. Diese Neubestimmungen sind Verfälschungen, die dadurch, daß sie von den bestehenden und faktischen Mächten durchgesetzt werden, dazu dienen, das Falsche in Wahrheit zu verwandeln."
- Herbert Marcuse, "Der eindimensionale Mensch" -

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In nuce

Freitag, 25. Januar 2008

Eigentlich darf man sich bei dieser Partei nicht mehr wundern: "Die Grünen stimmen in den verbreiteten Konsens ein, dass früher und schneller gegen Jugendgewalt gehandelt werden muss, also Prävention und zeitnahe Bestrafung nötig sind. Außerdem fordern sie Investitionen in die "aufsuchende", an der Haustür klingelnde Sozialarbeit, und Kampagnen für gewaltfreie Erziehung zusammen mit den Migrantenverbänden." - So sind sie! Da wissen sie immer oppositionelle Haltung einzunehmen (zumindest tun sie so als ob) und dann bestätigen sie indirekt die Mär vom angeblichen Kuschelkurs des Jugendstrafgesetzes und erklären Jugendgewalt ganz nebenbei zum Ausländerproblem. Es reicht auch, wenn man oppositionell aussieht, man muß es ja nicht auch noch sein.

"Ich verstehen, dass manche Verfassungsrichter gerne Ratschläge geben würden. Dazu sind sie aber nicht demokratisch legitimiert." - Sagt der Mann, der das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach entführte Flugzeuge nicht einfach abgeschossen werden dürfen, einfach ignorieren würde. Daran wird er sich nicht stoßen, denn was demokratisch legitimiert ist, entscheidet - so scheint es - er.

Die Falken kreisen wieder und predigen von den guten, alten Zeiten des Kalten Krieges. In einem "Reform-Manifest" werden neue Ziele deutlich gemacht: Natürlich muß es Ziel der "aufgeklärten" Welt sein, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Wenn nötig auch mit dem Einsatz eigener Atomwaffen. - Ein Aufruf zum Völkermord!

"Er [der Wissenschaftler] soll nicht Anträge zur Förderungsantragsförderung schreiben, sondern Bücher; er soll Ideen haben, vor allem eigene. Er soll in Einsamkeit und Freiheit forschen dürfen, und zwar nicht im Dienste fremder Zwecke, sondern im Dienste der Wahrheit." - Eine Abkehr von der neoliberalen Universität?

Schön liest sich das. Man darf hoffen, daß die Nokia-Belegschaft Teamgeist entwickelt während einer Werksbesetzung; daß die Allgemeinheit jedem Einzelnen Respekt dafür zollt; daß man dieser Tat mit Fairness zur Seite steht; daß offene Kommunikation den Mißstand kapitalistischer Produktionsweise aufdeckt; damit am Ende wieder der Mensch im Mittelpunkt stehen kann.

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Der Arbeiter als verdinglichter Faktor der Produktion

In drastischer Konsequenz verdinglichter Wahrnehmung der Produktionsabläufe, bietet nun Nokia an, die Bochumer Arbeitnehmer mit nach Rumänien zu verlagern. Nur außerhalb des industriellen Produktionsablaufes, der sich totalitär in jede Nische der Gesellschaft drängt, kann diese Offerte als zynischer Anflug von Menschenverachtung begriffen werden. Den Gesetzen rationalen Produzierens aber - die von außerhalb betrachtet ebenso irrational wie zynisch sind - läuft dieser Vorschlag konform.

Das Wesen der kommunikativen Aufbereitung dieses Zynismus spricht Bände: Die Mitarbeiter sollen mit nach Rumänien wechseln. - Der Mitarbeiter, als Partner des Unternehmens, der auf gleicher Augenhöhe mit seinem Ausbeuter steht, der mit Vergnügen mitwechselt, wenn man in partnerschaftlicher Übereinkunft einen Standortwechsel beschlossen hat? - Dem Mitarbeiter bleibt nur das Mitleid. Sein Ausbeuter ließ ihn nicht mitarbeiten, sondern für ihn arbeiten und bald befiehlt er ihm - gar nicht partnerschaftlich -, nicht mehr für ihn mitzuarbeiten. Die freie Entscheidung oder wenigstens die Entscheidung, die nach gemeinsamer Absprache mit seinem Unternehmer getroffen wurde, ist dem Mitarbeiter nicht gegeben. Der "Mitwechsel" findet als euphemistisches Substantiv für "Erpressung mit ökonomischen Zwängen" Verwendung. Was bei kritischer Betrachtung zynisch anmutet, kann erneut nur auf den Totalitarismus der Produktionsabläufe zurückgeführt werden, der dieser Gesellschaft immanent ist.

"In den fortgeschrittensten Bereichen der funktionalen und manipulierten Kommunikation setzt die Sprache in wahrhaft schlagenden Konstruktionen die autoritäre Identifikation von Person und Funktion durch. [Der] Gebrauch des flektierten Genetivs läßt Individuen als bloße Anhängsel oder Eigenschaften ihres Ortes, ihrer Tätigkeit, ihres Arbeitgebers oder Unternehmens erscheinen." (Marcuse) - Der Begriff "Mitarbeiter" läßt keinen Zweifel. Er - der Mitarbeiter - arbeitet mit ihm - dem Unternehmer -, auch wenn er lediglich für ihn arbeitet; er ist mit dem Unternehmen vertraut und mit dem Unternehmer gemeinsam auf das Wohl - also den Profit - des Unternehmens gerichtet. Was aber dort als harmonisches Miteinander des Fertigungs- und Vertriebvorgangs verkauft wird, spiegelt sich nicht in den Produktionsverhältnissen wider. Hier ist unmißverständlich festgelegt, wer Herr und wer Knecht ist. Formal betrachtet ist der Mitarbeiter der Arbeiter des Unternehmers. Er ist der Besitzer, wenngleich ihn staatliche Gesetze davon abhalten, gänzlich Besitz von ihm zu ergreifen. Doch die ökonomischen Zwänge, die seine Arbeiter an ihn ketten, ermöglichen den faktischen Besitzanspruch, an denen, die für ihn Mehrwerte erarbeiten. So betrachtet ist das Angebot, welches Nokia in generöser Großzügigkeit seinen Mitarbeitern übermittelte, die konsequente Haltung innerhalb dieses Systems. Der Unternehmer stuft die Produzenten seines Wohlstandes direkt neben die Produktionsmittel. Hierbei ist es ihm gleichgültig, ob er es mit Menschen zu tun hat, die Wurzeln in ihrer Heimat geschlagen, die soziale Bindungen neben ihrem Produzentendasein haben. Das rationale Unternehmertum kennt keine Privatsphäre, sondern forciert den Totalitarismus seiner Belange in den Lebensentwürfen der Menschen. Wenn er seine Produktionsmittel verschicken kann, so kommt es ihm in kurzsichtiger Überheblichkeit in den Sinn, so müßte dies auch mit seinen Arbeitern verwirklicht werden. Der Arbeiter wird zum Ding, es zählt seine Funktion, sein tägliches Schaffen.

Nokia zu attestieren, nur brav die Regeln des freien Marktes zu beachten, weswegen eine Kritik an diesem Unternehmen nicht gerecht wäre, greift natürlich zu kurz. Aber zu kurz greift es ebenso, wenn man die Kritik nur am Verhalten Nokias festmachen will. Es ist die Gesamtheit des freien Marktes, der "Nokia-Schöpfungen" ermöglicht. Nokias nihilistischer Profitwahn, der zwar deutsche Kunden gewinnen und mit Produkten eindecken will, aber deutsche Arbeiter nicht mehr bezahlen, ist durchaus scharf zu kritisieren. Und dennoch sind die ein, zwei, vielen Nokias zu beachten, die sich aus den Mechanismen eines entfesselten Marktes rekrutieren. Man kann den einzelnen Unternehmer durchaus moralisch verurteilen, darf aber darüber hinaus nicht die Kritik am System vergessen. So gesehen ist der Boykott von Nokia-Produkten kein geeignetes Mittel, der wirkliche Loslösung von einem menschenverdinglichten System bedeutet. Eher bewirkt es eine Stärkung des kapitalistischen Wesens, indem gezielt andere Mobilfunkanbieter gefördert werden. Der Verlagerung von Nokia folgt so eine Verlagerung der Kritik am System.

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Charakterlosigkeiten

Donnerstag, 24. Januar 2008

Am Verhalten der SPD, läßt sich in diesen Tagen deren Profillosigkeit ermessen. Freilich läßt man Clements Worte nicht ohne Widerrede über sich ergehen und man schimpft ihn einen Lobbyisten und "Lohnschreiber bei Springer". Zudem läßt man ihn wissen, daß er innerhalb der Partei nichts mehr zu suchen hat. Trotz dieser Weise medial ausgespielter Selbstverteidigung, ergießt sich die SPD in hilfloser Formlosigkeit. Die Kritik am Auftreten Clements richtet sich nämlich vornehmlich an den fehlenden Kadergehorsam, der das Einigkeitsgefühl der Partei verletzt. (Geschlossen in der Profillosigkeit: Vielleicht das letzte Attribut der deutschen Sozialdemokratie.)

Schon seit Jahren sonnt Clement sein elitär-nihilistisches Weltbild in aller Öffentlichkeit. Als er im August 2005 - damals noch Wirtschafts- und Arbeitsminister - die Broschüre "Vorrang für die Anständigen - Gegen Mißbrauch, "Abzocke" und Selbstbedienung im Sozialstaat" absegnete, in der Begriffe wie "Schmarotzer" und "Parasiten" benutzt wurden, da nahmen sich zwar die Medien spärlich dieses Themas an, doch innerhalb der SPD hielt man sich bedeckt. Es schien nicht der Rede wert zu sein, wenn ein SPD-Minister einen Jargon in seinem Ministerium duldet, der aus der dunklesten Epoche deutscher Geschichte zu stammen scheint. Als er danach in einer Talkshow in felsenfester Überheblichkeit behauptete, er wisse aus eigener Erfahrung, daß 25 Prozent aller Bezieher von Arbeitslosengeld II keinen legitimen Anspruch hätten - das sie also "schmarotzen" -, erklärte er damit die Hatz auf gesellschaftlich Ausgestossene für eröffnet. Als staatlich erhobene Studien kurz danach belegten, daß der sogenannte "Mitnahmeeffekt" gering sei - im Rahmen normaler Mißbrauchswert, weit unter zehn Prozent -, da spielte dies kaum mehr eine Rolle. Clement hatte bereits die Ansicht gefestigt, daß in jedem Bezieher von Sozialleistungen ein potenzieller Parasit zu sehen sei. Er machte sich zum Vorreiter gesellschaftlicher Ächtung sozial Schwacher. Gleichzeitig betrieb er vehement eine Politik, die die Akzeptanz der Leih- und Zeitarbeit fördern sollte. (Eine Ausbeutungsform, die den Arbeitnehmer zum verschiebbaren Objekt auf den Arbeitsmarkt degradiert.) Nachdem er aus dem Amt ausschied, trat er in den Dienst eines großen Zeitarbeitgebers. Zwar regte sich an diesem Handeln Kritik innerhalb der Partei, aber kritisiert wurde auch hier nicht der menschenverachtende Wahnsinn der Zeitarbeit, den Clement hofiert hat, sondern lediglich seine schamlose und korrupte Offenheit, nun die Früchte seiner politischen Arbeit zu ernten, die der bekannte Leiharbeitgeber nur zu gerne dem einstigen Förderer zukommen ließ.

Nun, da er der hessischen SPD-Kandidatin in den Rücken fällt, besinnt sich die Partei und hält Clement nicht mehr für tragbar. Trotz menschenverachtenden, arroganten, zuweilen erdentrückten Benehmens war er aber jahrelang tragbar; trotz einer Politik, die die Position der Arbeitnehmerschaft schwächte, während zeitgleich die Arbeitgeberschaft zu mehr Repressionsmitteln greifen konnte, wurde Clement parteiintern, wenn schon nicht geschätzt, so doch großzügigst geduldet. Erst der fehlende Sinn für Parteitreue - den gerade der ehemalige Kanzler in die SPD hineingeprügelt hat - ließ die Genossen lautstark werden. Lautstark lediglich am Auftreten, nicht an den Inhalten. An diesem Verhalten zeigt sich die komplette Profil- und Charakterlosigkeit dieser Partei. Sie hat noch nicht einmal einen schlechten Charakter, nicht einmal dazu reicht es. Eine Gesellschaft, die selbsternannt frei von jeglicher Ideologie ist - die diese Ideologienlosigkeit aber wiederum wie eine eigene Ideologie betreibt -, prägt auch die Parteienlandschaft in ein Konzept fehlender Werte und Ideen. Die SPD darf als Anzeichen solcher Gesellschaft bewertet werden. Zwar steht sie sicher nicht alleine da in ihrem nebligen Pragmatismus, doch als Partei die ursprünglich eine gewisse Ideologie zur Grundlage ihrer Existenz machte, unterscheidet sie sich doch vom ewig-pragmatischen Handeln christlicher und konservativer Parteien.

Die "Affäre Clement" ist für die SPD nun eine Frage der Ehre. Der geforderte Parteiaustritt kann nur auf das Beleidigtsein der Partei zurückgeführt werden, solange man sich nicht auch am konservativ-menschenverachtenden Weltbild und an den sozialen Sauereien Clements stößt. Für ihn aber gibt es keinen Grund die SPD zu verlassen, denn als nihilistischer und elitärer Zeitgenosse, weiß er sich bestens aufgehoben in der deutschen Sozialdemokratie.

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Sit venia verbo

Dienstag, 22. Januar 2008

"Das eindimensionale Denken wird von den Technikern der Politik und ihren Lieferanten von Masseninformationen systematisch gefördert. Ihr sprachliches Universum ist voller Hypothesen, die sich selbst bestätigen und die, unaufhörlich und monopolistisch wiederholt, zu hypnotischen Definitionen oder Diktaten werden. [...] Ganz abgesehen von den politischen Fesseln, die der Status quo dem Menschen auferlegt, wird dieser an Leib und Seele gegen die Alternative organisiert, und dies umsomehr, je mehr die Technik imstande scheint, die Bedingungen für die Befriedung hervorzubringen."
- Herbert Marcuse, "Der eindimensionale Mensch" -

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In nuce

Montag, 21. Januar 2008

Im Rahmen der BILD-Volksverhetzung äußert sich auch Udo Jürgens. "Wenn ich zu Leuten in die Wohnung komme und fange dort an zu randalieren, dann darf ich mich nicht wundern, wenn ich rausgejagt werde. Das Land ist wie eine Wohnung." - Natürlich vergißt die BILD nicht, das Interview mit einem Hinweis auf Jürgens' neue CD einzuleiten. Schließlich will Jürgens sie hier verkaufen. Hier? - Davon spricht er mehrmals im Interview. Und: "Bei uns" hätten solche Menschen nichts zu suchen. Der Spießer könnte jetzt sagen: "Der Schlagersänger und Komponist, der als Österreicher geboren wurde und in Deutschland gelebt hat, musste unser Land im Jahre 1977 fluchtartig verlassen, ist in die Schweiz ausgewandert. Wegen angeblicher Kriminalität. Denn Herr Jürgens soll den deutschen Staat beschissen haben, indem er seine Steuern nicht so gezahlt hat wie er es hätte tun müssen."

Menschen verlieren ihren Erwerb - schlimm meint man. Um wieviel schlimmer es sein kann, wenn sich Zeitgenossen zu Opferanwälten erheben, die keinerlei Skrupel vor einem Arrangement mit dem Angeklagten haben, sieht man im Falle Nokias. Die Arbeitnehmer bieten an Kosten zu senken. Dies bedeutet natürlich Senkung der Löhne - wiederum schlimm genug, daß man auf diese Idee der Selbstgeißelung kommt. Rüttgers setzt aber einen drauf: So lasse sich das Lohnniveau Ungarns erreichen, womit eine neue Verhandlungsbasis geschaffen würde! 6,34 Euro betrug im Jahre 2006 der Stundenlohn in Ungarn. - Rüttgers geht es nicht um die Rettung von Arbeitsplätzen (wer hat das ernsthaft geglaubt?), sondern um Profilierung, die als Nebenprodukt den Niedriglohnsektor adelt und ihn als sinnvolles Konzept gegen Verlagerung erscheinen läßt. Am Ende danken sie ihm auch noch, weil er ihnen "ungarische Arbeitsplätze" ermöglicht hat.

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Was ist Rassismus?

In Zeiten aufkeimender Ausländerfeindlichkeit, in denen nicht alleine das Anderssein zu xenophoben Äußerungen verleitet, sondern die Fremdheit als wesentliches Merkmal menschlicher Schwächen und niederer Instinkte dienen muß, da ist der Vorwurf des Rassismus als Konsequenz zu erwarten. Was aber bedeutet es, wenn man jemanden vorwirft, rassistisch motiviert zu sein? Der französische Soziologe Albert Memmi definiert Rassismus folgendermaßen: "Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen." Der Rassismus erklärt sich also hier als Bewertung, die die Differenzen zwischen Ethnien - die man als minderwertig, unmoralisch, pervers, gesellschaftssprengend deutet - zur Grundlage eigener Vorteilnahme erklärt. Zudem kennt dieser Vorgang keinen Individualismus, sondern kollektiviert die angeblichen Minderwertigkeiten; generalverurteilt damit eine gesamte Gesellschaftsschicht anderer Herkunft und läßt keine individuellen Wesensmerkmale zu, um das wackelige Ressentimentgebäude nicht zum Einsturz zu bringen.

Ist dies zutreffend? Muß sich zur Differenzierung die moralische Wertung dazugesellen, um von Rassismus sprechen zu können? Ist alleine das Aufzählen von Unterschieden schon rassistisch? - Es ist unzureichend postuliert, schon beim Aufzählen von tatsächlichen oder fiktiven Unterschieden, des ersten Schrittes zum Rassismus bezichtigt zu werden. Aber erklärt man Neigungen und Handlungsweisen - die als Differenzen ausgelegt werden - als reine "Laune der Nation", also quasi im Blut liegend, gewissermaßen metaphysisch-anheimelnd, so wirft man das vermeintlich charakteristische So-sein, das durchaus nur in einer Gesellschaftsschicht zuhause sein kann, in den Abgrund rassischer Eigenartigkeiten. Natürlich lassen sich Unterschiede nicht verleugnen. Doch sind diese als Folge historischer und geographischer Besonderheiten, folglich ökonomisch zu deuten. So ist das soziologisch relevante Problem des russischen Alkoholismus nicht auf den minderwertigen russischen Charakter oder auf des Russen Hang zur Maßlosigkeit - welche man wiederum als spezielle Untugend der russischen Volksseele deutet - zurückzuführen, sondern auf das kalte Klima und die Trostlosigkeit inmitten isolierter Dorfgemeinschaften. Dieser geographischen Komponente wird eine historische angereichert: Da der Alkoholismus ein altbekannte Manier ist - bereits Zar Peter setzte sich damit auseinander -, scheint er einer Art Traditionalismus zu entstammen.

Mitnichten erlaubt uns diese materialistische Betrachtung, allen Russen eine genetische Nähe zum Wodka zu attestieren. Doch gerade in dieser Weise artikuliert sich die heutige Debatte, die sich mit einer sogenannten Ausländerkriminalität befassen will. Es hat den Anschein, als wolle man die kriminelle Energie nicht materialistisch begründen, nicht soziologisch kenntlich machen, sondern auf einen Minderwert an der jeweiligen Herkunft. Zudem gibt man sich nicht konsequent. Wäre es eine Form genetischer Veranlagung, könnte man dem ausländischen Gewalttäter keine Schuld zuweisen. Er wäre in diesem Sinne determiniert, vollkommen außerhalb jeglicher Schuldfähigkeit. Doch so weit will man nicht gehen. Die Schuld darf nicht in den ökonomischen Verhältnissen gefunden werden. Dies wollen die Rassisten tunlichst verhindern; diese Abkehr von der Aufklärung hat oberste Priorität. Um dies zu erreichen, beschuldigt man die Herkunft, sucht sich dies Surrogat zur Schuldverlagerung. "Die sind doch alle so", ist begreifbarer als "ein Paar sind so, weil..."

Rassismus, so wie ich ihn begreife, muß keine moralische Verurteilung beinhalten. Das Verwerfen ökonomischer Ursachen, die zu bestimmten Reaktionen und Neigungen innerhalb einer Gesellschaftsschicht bzw. einer Ethnie führen, um stattdessen eine Form von Rassen-Metaphysik zu betreiben, ist ausreichend, um sich in rassistische Argumentation zu verstricken. Argumentiert man, ganz ohne moralischen Zeigefinger, indem man sagt: "Die sind eben alle so, da kann man nichts machen", dann reduziert man gegebene Unterschiede auf die Herkunft und damit auf die Rasse - wenngleich dieser Begriff fehlerhaft ist. In dieser Weise versucht sich die Sozialdemokratie der derzeitigen Diskussion anzuschließen. Fehlende Integration - die in diesem Lande "Anpassung" bedeutet - sei maßgeblicher Indikator. Anders: Weil die Straftäter - dies bleiben sie ja trotz allem - nicht ans "deutsche Wesen" gewöhnt wurden, sind sie was sie sind. Die ökonomische Komponente spielt auch hier eine untergeordnete Rolle, soll unter den Tisch fallen. Ein klares Bekenntnis, wonach Kriminalität keine rassische Erscheinung ist, sondern herkunftsunabhängig materielle Gründe zur Grundlage hat, findet sich auch nicht in den Reihen der Sozialdemokratie. Sie versucht lediglich das rassistische Fundament konservativer Politik zu entschärfen; sie will, daß man den Rassismus nicht auf den ersten Blick erkennt.

Rassismus ist aber gegeben, gleichgültig ob man sich negativ - d.h. krisitierend - einer Gruppe bestimmter Menschen nähert, oder ob man positiv - d.h. zwar nicht kritisierend, aber auf "Rasse" beziehend - jener Gruppe begegnet. Maßgebend ist also nicht, wie Memmi definiert, der Nutzen des Anklägers und damit der Schaden seines Opfers, sondern die Art und Weise des Ableitens der Differenzen, die der "Ankläger" zu erkennen meint.

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In nuce

Samstag, 19. Januar 2008

Kanada erweitert die "Achse des Bösen". In einem Handbuch für kanadische Diplomaten reiht sich nun neben dem Iran, Afghanistan und Nordkorea, die USA und Israel ein. "Gezwungene Nacktheit, Isolierung und Schlafentzug" würden dort als Verhörmethoden verwendet. Sollte man ein Land, dessen Innenminister ernsthaft meint, es gäbe keine Alternative zu Guantanamo, nicht wenigstens als gefährdet einstufen, eine Tendenz zur "Achse des Bösen" zu haben?

Einst half der Protestantismus, im speziellen Calvins Auslegung der praedestinatio, dem Kapitalismus in die Kinderschuhe. Heute läßt er sich vom früheren "Zögling", der längst den Kinderschuhen entschlüpft ist, durchfüttern. Die Ökonomisierung der Kirchen zeichnet sich im übernommenen Jargon ab, ebenso wie im Übernehmen von Formeln, die aus dem Werberepertoire radikaler Marktjünger stammen.
Während der Papst sich immer wieder vom "Irrglauben" abgrenzt, der sich vor langer Zeit vom Katholizismus entfernt hat, schwindet doch der Antagonismus zwischen diesen beiden großen christlichen Konfessionen. Die katholische Ausrichtung des Christentums atmet immer mehr die protestantische Ethik ein, um den Geist des Kapitalismus fachgerecht ins Theologische zu pressen. Ein klares antikapitalistisches Bekenntnis, ist von Seiten Roms nicht zu erwarten.

Wenn es nach der BILD-Zeitung geht, dann sollte man jugendliche Straftäter nach Sibirien schicken. Und besser noch, so meldet das Blatt: In Hessen habe man bereits einen Jugendlichen hinter den Ural geschickt! Offenbar ergötzt man sich innerhalb der BILD-Redaktion an den stalinistischen Arbeitslagern, die man fernab der russischen Zivilisation, weit im Osten - in Sibirien eben - ansiedelte. Die Bolschewiki folgten hier der zaristischen Tradition, Oppositionelle weit weg von "den anständigen Untertanen des Zaren" zu halten, natürlich reicherten sie es um ein Mehr an Gewalt und Repression an. Am Ende ist die BILD-Zeitung gar ein Kampfblatt bolschewistischer Prägung? - Dass die Sibirienreise des Jugendlichen ein Wintermärchen für Roland Koch ist, zeigt BILDblog auf. Maßnahmen dieser Art funktionieren nur auf freiwilliger Basis. Noch kann Sibirien also nicht zwangsverordnet werden, auch wenn die BILD es gerne so hätte. Aber vielleicht ein Grund mehr, bald wieder nach Lebensraum im Osten zu gieren und das Volk der treuen BILD-Leser aufzustacheln. Immerhin brauchen wir Sibirien, damit wir die Volksgenossen vor kriminellen Subjekten schützen können, indem wir die Millionen von jugendlichen Straftätern in Arbeitslager - die weit aus unserem Blickfeld sind - unterbringen.

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Sit venia verbo

"Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinen Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechenden Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, daß es nicht risikiert, selbst auf die Gefahr des Galgens."
- T. J. Dunnings, von Karl Marx in "Das Kapital, Band 1" zitiert -

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Ségolène Royal griff Koch voraus

Freitag, 18. Januar 2008

An dieser Stelle soll an die ehemalige Präsidentschaftskandidatin der französischen Sozialisten erinnert werden: Ségolène Royal. Im Februar des vergangenen Jahres, als sie sich innerhalb des französischen Wahlkampfes inhaltlich positionieren wollte, präsentierte sie der Öffentlichkeit ein 100-Punkte-Programm. Darin zu finden: Die Aussicht auf mehr Basisdemokratie und soziale Reformen - Anhebung des Mindestlohnes auf 1.500 Euro, Erhöhung niedriger Renten um fünf Prozent, Beibehaltung der 35-Stunden-Woche. In kürzester Zeit avancierte Royal zur Heldin der europäischen Sozialisten, weil sie den Labourkurs, der sich quer durch die europäische Sozialdemokratie abzeichnete, nicht als den Weg ihrer möglichen Präsidentschaft wählen wollte.

Und doch gesellte sich zur Aussicht auf soziale Reformen ein repressiver Unterton, der in der Öffentlichkeit - gerade auch und vorallem in der linken Öffentlichkeit - zwar nicht verschwiegen, aber nur zu gerne verdrängt wurde: Straffällig gewordene Jugendliche sollten in Erziehungslager - "wenn nötig mit militärischer Betreuung" - interniert werden. Freilich ist Royals Forderung um den schändlichen Rassismus ärmer, mit dem Roland Koch seine Umerziehunsanstalten propagiert. Dennoch errichtete sie ihr Gedankenspiel auf dem gleichen negativen Menschenbild, auf das der noch amtierende hessische Ministerpräsident seine Eskapaden gründete. Ein negatives Menschenbild, genährt durch jahrhundertelangen christlichen Wertedualismus, fernab von den Wurzeln des siècle des Lumières, ohne pädagogische Weitsicht.

Wenn auch Koch seine Forderung dadurch bereichert, die Kriminalität zu einem Makel der nationalen - nicht-deutschen - Herkunft zu erklären, wenn er also rassistische Motive ausbrütet, so bleibt die Grundidee jene, die Royal vor einem Jahr darbot und die vorher ebenso schon Propagandisten fand. (Vor einigen Jahren wollte man in den Niederlanden Erziehungsheime für jugendliche Arbeitslose einführen, damit sie dort für den "freien Markt" zurechtgeschliffen werden.) Bedenklich erscheint es aber, wenn Menschen linker Gesinnung (zurecht) auf den aktuellen Propagandisten einschlagen, aber seinerzeit bei Royal betreten schwiegen. Schließlich wollte man die Hoffnung europäischer Sozialisten nicht diskreditieren! Mit dem Verweis auf Kochs Rassismus kann die damalige Verschlafenheit nicht erklärt werden, denn Erziehungslager verstoßen herkunftsunabhängig gegen die Menschenwürde. Nein, dahinter stand politisches Kalkül, um innerhalb Europas doch noch etwas zu bescheren, was nach Sozialismus riecht.

Als Teil einer linken Gegenöffentlichkeit - als der ich mich fühle - ist es notwendig, diese Art von Kritik zu üben. Das Verurteilen und Verwerfen politischer "Ideen" darf niemals als Ideologienfechterei begriffen werden. Eine unsittliche Idee aus dem Lager sogenannter Sozialisten - man darf am sozialistischen Verständnis der Royal zweifeln - bleibt immer noch eine unsittliche Idee, und ist daher zu verurteilen. Soziale Reformen und Basisdemokratie lassen Vorstellungen dieser menschenunwürdigen Art auch nicht besser erscheinen. Laut Marcuse ist die moderne Industriegesellschaft, die sich dem freien Markt unterworfen hat, als eine sich angleichende Gesellschaft zu begreifen. Klassenunterschiede verschwinden ebenso, wie der Unterschied zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften; gleichfalls passen sich die Freizeitinteressen - die durchdrungen sind vom industriellen Totalitarismus - klassenübergreifend an. In diesem Kontext muß man die Annäherung sehen, die sich am Beispiel Royals und Kochs abzeichnet. Hier die selbsternannte Sozialistin Royal, die Umerziehungsanstalten postuliert; dort der christliche Konservative Koch, der es ihr gleichtut. Es ist die Angleichung und die damit selbstauferlegte Alternativlosigkeit, an der diese Gesellschaft schmerzlich leidet.

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Sit venia verbo

Donnerstag, 17. Januar 2008

"Wenn auf Erden niemand mehr gezwungen wäre, mehr als vier Stunden täglich zu arbeiten, würde jeder Wißbegierige seinen wissenschaftlichen Neigungen nachgehen können und jeder Maler könnte malen, ohne dabei zu verhungern, und wenn seine Bilder noch so gut wären. Junge Schriftsteller brauchten nicht durch sensationelle Reißer auf sich aufmerksam zu machen, um wirtschaftlich so unabhängig zu werden, daß sie die monumentalen Werke schaffen können, für die sie heute, wenn sie endlich so weit gekommen sind, gar keinen Sinn und keine Kraft mehr haben. Menschen, die sich als Fachleute für eine besondere wirtschafts- oder staatspolitische Phase interessieren, werden ihre Ideen entwickeln können, ohne dabei im luftleeren akademischen Raum zu schweben, was der Arbeit der Volkswirtschaftler an den Universitäten so häufig einen wirklichkeitsfremden Anstrich gibt. Die Ärzte werden Zeit haben, sich mit den Fortschritten auf medizinischem Gebiet vertraut zu machen, die Lehrer werden sich nicht mehr erbittert bemühen müssen, mit routinemäßigen Methoden Dinge zu lehren, die sie in ihrer Jugend gelernt und die sich in der Zwischenzeit vielleicht als falsch erwiesen haben.
Vor allem aber wird es wieder Glück und Lebensfreude geben, statt der nervösen Gereiztheit, Übermüdung und schlechten Verdauung. Man wird genug arbeiten, um die Muße genießen zu können, und doch nicht bis zur Erschöpfung arbeiten müssen. Wenn die Menschen nicht mehr müde in ihre Freizeit hineingehen, dann wird es sich auch bald nicht mehr nach passiver und geistloser Unterhaltung verlangen. Mindestens ein Prozent wird sich wahrscheinlich in der Zeit, die nicht mit berufstätiger Arbeit ausgefüllt ist, Aufgaben von allgemeinem Interesse widmen, und da ihr Lebensunterhalt nicht von dieser Beschäftigung abhängt, werden sie dabei ungehindert eigene Wege beschreiten können und nicht gezwungen sein, sich nach den Maßstäben zu richten, die ältere Pseudowissenschaftler aufgestellt haben. Aber die Vorteile der Muße werden nicht nur an diesen Ausnahmefällen zu erkennen sein. Die normalen Männer und Frauen werden, da sie die Möglichkeit haben, ein glückliches Leben führen, gütiger und toleranter und anderen gegenüber weniger mißtrauisch sein. Die Lust am Kriegführen wird aussterben, teils aus diesem Grunde und teils, weil Krieg für alle langdauernde, harte Arbeit bedeuten würde. Guten Mutes zu sein, ist die sittliche Eigenschaft, deren die Welt vor allem und am meisten bedarf, und Gutmütigkeit ist das Ergebnis von Wohlbehagen und Sicherheit, nicht von anstrengendem Lebenskampf. Mit den modernen Produktionsmethoden ist die Möglichkeit gegeben, daß alle Menschen behaglich und sicher leben können; wir haben es statt dessen vorgezogen, daß sich manche überanstrengen und die anderen verhungern. Bisher sind wir noch immer so energiegeladen arbeitsam wie zur Zeit, da es noch keine Maschinen gab; das war sehr töricht von uns, aber sollten wir nicht auch irgendwann einmal gescheit werden?"
- Bertrand Russell, "Lob des Müßiggangs" -

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Künstliche Entrüstung

In regelmäßiger Unregelmäßigkeit "erschüttern" uns die Medien mit der immer gleichlautenden Hiobsbotschaft, wonach ein renommiertes Unternehmen schließt, Teile der Produktion verlagert oder sich der Automatisierung bedient. Arbeitsplätze, so heißt es dann, fallen weg oder werden rationalisiert. (Ratio: Vernunft also. So gibt man dieser unliebsamen Tat einen Anstrich vernünftigen Handelns.) Beileibe sind die Firmennamen, die solche Aufmacher zieren, Schall und Rauch; austausch- und ersetzbar - heute ist es Nokia -, lediglich die Größenordnung der wegfallenden Arbeitsplätze variiert. Gleichfalls ist das Verhalten, mit dem die Öffentlichkeit diesem Zirkus begegnet, eine ebenso regelmäßige Institution geworden: Man verurteilt, erhebt den moralischen Zeigefinger und ruft nach dem "Heilsbringer Politik".

Und da stampfen sie dann auf, die politischen Herrschaften, sprechen von Verantwortung - je nach Parteicoleur von nationaler oder gesellschaftlicher Verantwortung -, erdichten sich Trugbilder, wonach ein Unternehmen auch mal großzügig sein muß, und den Profit nicht zum alldominierenden Leitsatz der Firmenpolitik machen darf; ermahnen den "vaterlandslosen" Unternehmer, er solle sich an die Segnungen erinnern, die ihm der Bund, die Länder oder Kommunen haben zukommen lassen; und natürlich sollen auch die fleißigen Mitarbeiter nicht vergessen werden, die man jetzt so schimpflich im Stich läßt.

Freilich klingt dies vernünftig und für einen kurzen Moment könnte man an das edle Motiv solcher Zeitgenossen glauben, wenn sie versucht sind, den Erwerb so vieler Menschen zu retten. Und doch darf man nicht vergessen, daß es eben genau diese Herrschaften sind, die ihr unumstößliches Ja zum freien Markt geben, die sich gerne - dem Kapitalismus treu wie sie sind - um Reformen bemühen, die die Zügellosigkeiten der Arbeitsgeber beflügeln. Nein, konkrete Schuld läßt sich nicht zuschieben. Im aktuellen Falle - Nokia - ist die Ursache der Verlagerung nicht in der Reformiererei zugunsten eines radikal-freien Marktes zu suchen, aber zu geistigen Vätern, die die Unersättlichkeit der kapitalistischen Produktionsweise immer wieder bejahen, machten - und werden sich weiterhin machen - sich diese Zeitgenossen schon.

Es ist einfach zu kurz gedacht, in den Rüttgers' und Strucks die Retter der Arbeitnehmer zu sehen. Dem Wesen des Kapitalismus entsprechen die Aktionen und Reaktionen der Unternehmen, die uns mit Hiobsbotschaften traktieren. Der Profit ist das Maß und wenn man billiger, schneller und in höheren Stückzahlen fertigen kann, dann ist es systemgemäß, sich dahingehend unternehmerisch zu bewegen. So haben die Reformen - die den bedauernswerten Namen Hartz-Reformen tragen - erst ermöglicht, daß Unternehmen Hungerlöhne bezahlen, die dann von der Allgemeinheit aufgestockt werden. Und dann stellen sich die Befürworter dieser Gesetze vor die Werkshallen und predigen einen generösen, sanftmütigen, ja geradezu romantischen Kapitalismus. Erst füttern sie die Bestie - mal materiell mit Gesetzen, mal ideologisch mit der unumstößlichen Bejahung des freien Marktes - und dann wundern sie sich, wenn sie einem gefährlich wird.

Nein, hier vollziehe ich keine Abkehr von meinem Denken. All dies soll nicht den Kapitalismus rechtfertigen. Aber diese ethische Diskussion ist sinnlos, weil sie innerhalb des kapitalistischen Systems geführt wird. Da versucht man also, indem man die Romantik des freien Marktes anstachelt - den Unternehmer zu verantwortungsvoller Großzügigkeit und Standorttreue drängt -, an den Symptomen des Systems herumzumurksen. Dem System selbst begegnet man aber mit Nibelungentreue, daran ist keine Kritik festzumachen. Innerhalb des freien Marktes ist kein Platz für Ethik, daher ist auch jede ethische Diskussion seitens der Apologeten des Marktes nichts anderes als ein Ablenkungsversuch. Gerade so, als gäbe es innerhalb der "einzigen Alternative" - so sieht sich der Kapitalismus selbst - doch eine edle, reumütige, verantwortungsvolle Konzernleitung. Die künstliche Entrüstung will den Unternehmer in die Verantwortung nehmen, damit die globale Politik aus dem Schneider ist. Und wenn man nur oft genug wiederholt, daß der Unternehmer Verantwortung hat, dann wird er zwar nichts am seinem Verhalten ändern, aber die Menschen innerhalb des freien Marktes glauben weiterhin daran, daß es edlere Motive als den Profit und den Shareholder Value gibt.

Auch hieran läßt sich messen, wie weit sich sogenannte "sozialistische Parteien" hierzulande mit dem Kapitalismus arrangiert haben. Auch DIE LINKE äußert sich in diesem engen Rahmen eines "alternativlosen" Systems und träumt - so scheint es - von der Möglichkeit, einen romantischen Kapitalismus zu schaffen, den man dann den neosozialistischen Stempel aufdrücken kann. Alternativen zum System scheinen auch die "Sozialisten" nicht mehr zu kennen; sie wollen ein wenig an der Sache herummodeln, abändern. Aber wirkliche Veränderung, neue Strukturen: Davon wollen auch sie nichts wissen.

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In nuce

Mittwoch, 16. Januar 2008

"Der deutsche Steuerzahler blecht dafür, dass brutale Ausländer in Deutschland sicher leben können, muss aber damit rechnen, von ihnen verprügelt zu werden!" - Aus dem Stürmer? Oder der National Zeitung? Nein, das ist der geschliffene Stechschrittjargon, mit dem die BILD-Zeitung auf Stimmungsmache geht.

Sozialistische Hoffnung? Die Linke? - Wenn das Sozialismus ist, was uns diese Herrschaften verkaufen, dann kann man gleich alles beim Alten belassen und es sich im Kapitalismus "gut gehen" lassen. "Rot-roter" Senat beschneidet Mitbestimmungsrechte von Personalräten. Freie Bahn für Einsatz von Ein-Euro-Jobbern. - Es war bitter nötig, daß ich dieser Partei den Rücken kehrte bzw. schnellstmöglich kehren werde. Eine andere Partei, die sich selbst als sozialistisch betrachtet - immerhin trat kürzlich ein selbsternannter Finanzfachmann genau aus diesem Grunde aus - tut es indes den Dunkelroten gleich.

Der Mindestlohn wird von Unternehmern entdeckt: Wenn er nur niedrig genug ist, dann kann der Unternehmer billig produzieren oder dienstleisten und der Rest, der das Existenzminimum des Angestellten abdecken soll, wird von der Allgemeinheit bezahlt. Aufstocken - das Modell der Zukunft?

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Kein Affe profitiert von sieben Zwergen

Dienstag, 15. Januar 2008

Mich nochmals auf meinen gestrigen Beitrag stützend, möchte ich an das Interview des deutsch-österreichischen Regisseurs Hans Weingartner mit dem "St. Galler Tagblatt" erinnern. Weingartner spricht darin eine deutliche Sprache: "Das ist absurd und pervers, dass mit den TV-Gebühren Telenovelas, die nichts als verfilmte Schundhefte sind, und Shows produziert werden, die so unterirdisch schlecht sind, dass nicht mal Affen etwas davon profitieren könnten. Es ist ein Skandal, es ist ein Betrug an den Menschen, so etwas auszustrahlen. Und Günter Struve, der ARD-Programmdirektor, ist ein Verbrecher, er sollte sich schämen."

Dieses Interview wurde Ende November letzten Jahres geführt. Kurz danach stach mir ins Auge - beim zufälligen Durchforsten des abendlichen Programmes -, wie schamlos man Rundfunkgebühren für Niveaulosigkeiten aus dem Fenster wirft. Damals schrieb ich die NachDenkSeiten an, die mir zwar antworteten, aber meine Zeilen nicht erwähnten. Folgend werde ich diesen Brief zitieren:
"Liebes NDS-Team,

am Samstag verwiesen die NachDenkSeiten auf ein Interview mit dem deutsch-österreichischen Regisseur Weingartner, der auf unglaublich direkte und drastische Weise die Fernsehlandschaft angriff. Ich las dies mit Genugtuung, weil er aussprach, was sich viele Menschen in diesem Lande wohl auch denken.

Als ich heute Abend durch die "wunderbaren Fernsehwelten" zappte, da geschah es, daß ich bei RTL den Vorspann eines Filmes sah: "Sieben Zwerge"... schlimm genug, dachte ich mir, daß sowas im Abendprogramm läuft, doch als ich dann wahrnahm, daß dieser Film auch noch von der Filmstiftung NRW gefördert wurde, ärgerte ich mich doppelt. Filmstiftung NRW: Das heißt also, daß mit dem Land Nordrhein-Westfalen, dem WDR und dem ZDF (die Gesellschafter der Filmstiftung NRW sind - nebenbei noch "Private" wie RTL und die LfM) Institutionen involviert sind, die durch Steuergelder oder Gebühren finanziert werden.

Viel des Filmes sah ich nicht, eigentlich streifte ich ihn nur immer wieder, als ich quer durch die komplette Programmauswahl "wanderte". Was ich aber sah war ausreichend, um Weingartners Aussagen zu bestätigen, ja besser noch: zu unterstreichen. Holzhammer-Witzchen, Schaulaufen ausrangierter Komödianten, von den Möchtegern-Komödianten will ich gar nicht reden - wahrlich, als Herr Weingartner von Müll sprach, da muß er dergleichen gemeint haben. Und wenn er behauptet, daß diese Herrschaften genau wissen, was sie tun (nämlich die Menschen in den Gehirntod treiben), darf man das als Wahrheit anerkennen, gerade dann, wenn man bedenkt, daß solche Machwerke auch noch offiziell gefördert werden.

Weingartner war eigentlich noch viel zu freundlich.

Viele Grüße,
..."
Anzumerken sei noch, daß die Filmstiftung NRW solch zeitlose Klassiker wie "Der Schuh des Manitu" oder "Mein Führer - die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler" mitfinanzierte. Eine Gesellschaft, die mit 85 Prozent in öffentlicher Hand ist (die restlichen 15 Prozent gehören den beiden oben erwähnten - RTL und LfM), fördert Projekte, die sich durch Niveau- und Geschmacklosigkeit auszeichnen. Es läßt sich also mitnichten in "schlechtes Privatfernsehen" und "gute öffentlich-rechtliche Sendeanstalten" unterteilen. Letztere vollziehen dieselbe Verdummung - nur unter dem Anschein staatlicher Vernunft.

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In nuce

Montag, 14. Januar 2008

Objektive Berichterstattung existiert nicht, selbst wenn man sich darum bemüht. Der holländische Reporter Joris Luyendijk spricht über das unterlassene Bestreben, bestmögliche Objektivität walten zu lassen: "Für die wichtigsten Dinge gibt es keine unparteiischen Begriffe. Wenn etwa die Haltung des syrischen Präsidenten den Interessen des Westens widerspricht, dann sagt man, er sei "antiwestlich". Von einen US-Präsidenten heißt es dagegen nie, er sei "antiarabisch" oder "antiiranisch". "Anti" heißt: Er hasst uns. Wenn nicht, ist er gemäßigt. Ich bin kein Neonazi. Aber nennt man mich darum einen "gemäßigten Europäer"? Doch ein Muslim, der kein Dschihadist ist, wird als "gemäßigter Muslim" bezeichnet. Das impliziert, dass er als Extremist geboren wurde, aber diesen Extremismus hat er zum Glück gemildert."

Mit Bezug auf meinen heutigen Artikel: Stumpfes Prominenten-Schaulaufen, aufgebläht zu einer abendlichen Sendung. Privatfernsehen? - Das können die öffentlich-rechtlichen Sender mindestens genauso gut.

So sieht Roland Koch sich selbst: "Ich bin der akzeptierte Sprecher einer schweigenden Mehrheit von Deutschen." - Der sympathische Zeitgenosse rechts (man müßte ihn noch weiter rechts ansiedeln, was technisch hier aber nicht umsetzbar ist) ebenso. Da wird die Oeffinger Polemik doch noch Wirklichkeit.

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Sit venia verbo

"Der [Produktions]-Apparat erlegt der Arbeitszeit und der Freizeit, der materiellen und der geistigen Kultur die ökonomischen wie politischen Erfordernisse seiner Verteidigung und Expansion auf. Infolge der Art, wie sie ihre technische Basis organisiert hat, tendiert die gegenwärtige Industriegesellschaft zum Totalitären. Denn "totalitär" ist nicht nur eine terroristische politische Gleichschaltung der Gesellschaft, sondern auch eine nicht-terroristische ökonomisch-technische Gleichschaltung, die sich in der Manipulation von Bedürfnissen durch althergebrachte Interessen geltend macht. Sie beugt so dem Aufkommen einer wirksamen Opposition gegen das Ganze vor. Nicht nur eine besondere Regierungsform oder Parteiherrschaft bewirkt Totalitarismus, sondern auch ein besonderes Produktions- und Verteilungssystem, das sich mit einem "Pluralismus" von Parteien, Zeitungen, "ausgleichenden Mächten" etc. durchaus verträgt."
- Herbert Marcuse, "Der eindimensionale Mensch" -

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Nicht nur Privatfernsehen verblödet

Man kann auch unter falschen Vorzeichen das Richtige ansprechen. Wenn nun einige Politiker aus Reihen der Union, das Privatfernsehen kritisch unter die Lupe nehmen, dann steht diese Kritik unter einem dieser falschen Vorzeichen. Zu dieser kritischen Haltung an den Geistern, die man selbst rief - die Regierung Kohl setzte sich, trotz Vorwarnung diverser soziologischer Studien, für die Schaffung des Privatfernsehens ein -, gesellt sich eine besorgniserregende Kritiklosigkeit, wenn es um die öffentlich-rechtlichen Sender geht. Gerade so, als hielten sich viele Kritiker am Privatfernsehen - ähnlich wie die Werbefiguren auf den Plakaten einer öffentlichen Sendeanstalt - nicht nur ein Auge, sondern alle beide zu.

Nachdem sich letzte Woche Günter Oettinger (CDU) wider dem Privatfernsehen äußerte, zog am Wochenende Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) nach. "Der Werteverfall", so stellt sie fest, habe "ganz sicher auch mit dem Privatfernsehen zu tun". Hier soll nicht abgehandelt werden, was Christsoziale und -demokraten als Werte begreifen und ob diese Tugenden bayerischen Provinzialismus' mit denen vereinbar sind, denen sich Nichtchristen verschrieben haben. Zustimmen kann man aber, daß das Fernsehen (nicht alleine das Privatfernsehen) das Bewußtsein jugendlicher Menschen beeinflußt; stärker beeinflußt als das Bewußtsein Erwachsener.

Weiter führt Merk aus: Die Darstellung von Leichen hätten im Fernsehen überhaupt nichts verloren. Die haargenaue Darstellung von Leichen kann dem "CSI-Trend" zugeschrieben werden. Selten zuvor wurde ein Leichnam derart detailiert in Szene gesetzt, wie in diesen Serienformaten. Lächerlich wirkt für uns die bigotte Inszenierung dieser US-amerikanischen Serien. Man zeigt teils grausam entstellte Torsi, aber sobald sich eine Frau entkleidet, schwenkt die Kamera. Man kann dem US-Zuseher viel zumuten, nur keine nackten Brüste. Anlasten kann man diesen Serien vieles. Sie inszenieren den Rechtsstaat als hemmende Barriere oder als einen romantischen Polizeistaatsentwurf, der Glauben machen will, die Gerechtigkeit setze sich in der Überwachungsgesellschaft immer durch. Doch das Darstellen einer Leiche, sei sie noch so entstellt, hat zwar nicht gerade aufklärende Wirkung, doch ist sie Abbildung realistischer Gewalt.

Es geht nicht darum, wie Merk fordert, Leichen aus dem Fernsehen zu verbannen. Immer realistischere Serien und Filme erfordern auch hier den bestmöglichen Realismus. Die Leiche, wie sie blutüberströmt daliegt, der Ekel der hochsteigt, wenn ein ehemals lebender Körper in Teile zerlegt dokumentiert wird, ist nicht Gewalt, sondern Produkt ebendieser. Eher regt die Darstellung eines Toten zum Nachdenken an, schockiert präventiv, als daß es ermuntert, selbst der "Schöpfer" eines solchen Szenarios zu werden. Die verherrlichende Darstellung somancher Gewalttätigkeit aber, die sich quer durch das Fernsehprogramm zieht, die suggerieren will, daß neben dem Weg der Gewaltlosigkeit, der stilvolle und legitime Weg der Gewalt liege - quasi als Gegenoption -, darf durchaus kritisiert werden. Der dargestellte Akt der Gewalt - nicht aber das dargestellte Produkt - romantisiert das Draufschlagen und Morden, übermittelt vielen jungen Menschen einen möglichen way of life.

Natürlich ist es nicht alleine die Trivialisierung der Gewalt, die dem Privatfernsehen zum Abstumpfen der Massen negativ angerechnet werden muß. Talkshow-Geplärre, platte Spielshowkonzepte, schlecht gespielte Serien - die zudem nicht selten herrschende Ideologie an das vornehmlich junge Publikum verkaufen -, Mitmachsendungen. Die Liste ist beliebig erweiterbar und kaum ein Jahr vergeht, ohne das Niveau nochmal hinabgedrückt zu haben. Aber hier muß auch Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendern geübt werden. Kritiker am Privatfernsehen vergessen zu oft, die abfärbende Wirkung der Privatsender auf die öffentlichen Sender zu erwähnen, gerade so, als wäre innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten das Programm ausgewogen, interessant, aufklärend und niveauvoll. Die These, wonach das Privatfernsehen nicht nur direkt, also innerhalb des eigenen Programmes, sondern auch indirekt - abfärbend auf andere Sender - abstumpft und verdummt, wird kaum oder gar nicht beachtet. So strahlt das ZDF sogenannte "Telenovelas" aus, weil Privatsender damit begonnen haben. Eine öffentlich-rechtliche Daily-Soap gibt es schon seit Jahren und dümmliche Spielshows finden immer wieder Einzug ins Programm.

Ja, man kann unter falschen Vorzeichen das Richtige erkennen. Auch das Fernsehen als Gesamtheit trägt Mitschuld an der Verdummung der Menschen - nicht nur jugendlicher Menschen. Es kann aber nicht darum gehen, alles was einer heilen Welt nicht entspricht, aus dem Programm zu verbannen. Wie so ein Heile-Welt-Fernsehprogramm aussieht, konnte und kann man an Berlusconis bunten TV-Ablenkungsapparat erkennen, der den Italienern Alles-ist-gut-Serien und -Filme aufzwang, während die Herrschaften mit "Ehrenmännern" zu Tische saßen. Die zügellose Gewalt ist sicher einzudämmen, ebenso die Verblödung mittels niveauloser Serienkonzepte. Vielleicht wäre ein Bildungsauftrag, den man zukünftig auch den Privatsendern erteilt, zudem eine rigidere Kontrolle der Senderkonzepte, angebracht. Dabei darf nicht jegliche Gewalt, alles Blut und jeder Hauch von Nacktheit vom Bildschirm verbannt werden, doch auf Jackass und Dschungelcamp könnte verzichtet werden.

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In nuce

Samstag, 12. Januar 2008

Überraschende Töne aus Oettingers Mund: Das Privatfernsehen trage große Mitschuld an der Gewaltbereitschaft junger Menschen. Oettinger ein Freund der Aufklärung? - Mitnichten. In "seinem Land" erzieht man auch muslimische Jugendstraftäter zu Christen. - "Eine Alternative zum Knast: Im einem würtembergischen Projekt sollen straffällige Jugendliche Gesetzestreue und christliche Werte erlernen. Auch Muslime müssen zum Gottesdienst." - Man fragt sich, ob man straffällig gewordenen Jugendlichen einfach Artikel 4, GG entziehen darf. Welch perfide Art der Folter! Man möchte nicht wissen, was man einem trotzigen Jugendlichen androht, der sich weigert, den Gottesdienst "mitzufeiern".

Integration wird immer wieder gerufen. "Der Fremde" habe sich zu integrieren. Und dann tut er es, liefert herausragende schulische Leistungen ab und darf dennoch keine Gleichheit erfahren. Integration heißt in diesem Lande Unterordnung und Zwangsanpassung, denn rassistischer Geist vollzieht sich auch in der heimischen Wirtschaft.

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Sit venia verbo

Freitag, 11. Januar 2008

"Türken, Inder, Hottentotten sind sympathisch alle drei,
wenn sie leben, lieben, lachen
fern von hier in der Türkei.
Doch wenn sie in hellen Scharen, wie die Maden in dem Speck,
In Europa nisten wollen,
ist die Sympathie schnell weg."
- Heinrich Heine -

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Biedermann ist der Brandstifter

Donnerstag, 10. Januar 2008

Als am 23. November 1992 in der schleswig-holsteinischen Stadt Mölln zwei türkische Familien Opfer eines Brandanschlags wurden, waren die Täter "nur" die ausführenden Subjekte einer Stimmung innerhalb dieses Landes, die geistige Wurzeln auch und vorallem in der Politik schlug. Ebenso verhielt es sich mit den Gewalttaten des Mobs im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen und später - 1993 - in Solingen. Tote und Schwerverletzte lagen auf dem Schlachtfeld rassistischen Eifers. Kurzzeitig galten diese Opfer als Mahnmal, welches uns immer daran erinnern sollte, was geschehen kann - selbst jetzt, Jahrzehnte nach dem NS-Regime -, wenn Protagonisten aus der Politik ihre Ressentiments zur res publica erklären wollen.

Die Stimmung innerhalb der Bundesrepublik, so kurz nach der Wiedervereinigung, war unterlegt mit revisionistischen Denkweisen. Die Deutschen waren wieder wer. Aus "Wir sind das Volk" wurde "Wir sind ein Volk"; aus Eintreten für das eigentliche Souverän - das Volk -, wurde erneut eine deutschtümelnde Nationalromantik, wonach man ein Volk sei, ein bestimmtes Volk; und oft wohl auch ein vorbestimmtes, d.h. auserwähltes Volk. Aus freiheitlicher Bestrebung wurde ein neuer, anachronistisch fehlplatziert wirkender Nationalismus. Das Land der Deutschen wieder vereint; das neue Deutschland der Deutschen, und irgendwann: Deutschland den Deutschen! Freilich kann man den Menschen nicht unterstellen, daß sie bewußt neuen deutschen Stolz präsentierten, um der restlichen Welt damit deren Geringwert vor Augen zu führen. Doch Massenbewegungen neigen zur Übertreibung, zur Maßlosigkeit und damit auch zur radikalen Sichtweise.

In dieses innerdeutsche Klima stieß die Asyldebatte, die genährt von Deutschtümelei auf Verständnis in der Bevölkerung stieß. Politisch oder religiös Verfolgte wurden zu Wirtschaftsflüchtlingen erklärt. Bundestagsabgeordneter Erich Riedl (CSU), einige Monate vor Mölln (im April 1992, "Süddeutsche Zeitung"): "Das Boot im Münchner Süden läuft über. Jetzt muss Schluss sein. Deshalb wiederhole ich meine Forderung, den Münchner Süden ab sofort von Scheinasylanten zu verschonen." Gezielt wurde menschliches Dasein für illegal erklärt. Scheinasylanten also, die das deutsche Paradies nur ausnutzen wollen. Die Begriffe "Asylbewerber" oder - eben vulgärer - "Asylant" und "Ausländer" verschmolzen zu einer Einheit. Der "Ausländer an sich" liebt des Deutschen Kindergeld und den Segen der Sozialhilfe, ist zudem gemeinhin kriminell und tritt in den "pragmatischen Bund der Scheinehe". Um dem ganzen Rassismus, den man als Vernunftseinsicht verkauft, eine breite Grundlage zu geben, durfte es natürlich nicht vernachlässigt werden, dem Volk seinen Willen aufzuoktroyieren. Immerhin habe das Volk unter den Ausländern zu leiden: "Wir können nicht die Lastesel für die Armen der Welt sein. Der Unmut bei den Menschen ist riesig. Glauben Sie denn, daß die es ruhig hinnehmen werden, wenn Millionen Ausländer ungeordnet in unser Land kommen?" (Georg Kronawitter, SPD, im September 1992 im "Spiegel")

Stimmen dieser Art waren Legion. Animiert durch eine aufgeheizte Debatte, glaubten einige nationalstische Kameraden, sie würden Volkes Willen, ja die Vernunft schlechthin vertreten, wenn sie Anschläge auf Ausländer oder Asylbewerber verüben. Sie ließen den Reden der geistigen Brandstifter Taten folgen. In Rostock-Lichtenhagen war es sogar die Bevölkerung selbst, die sich zur "notwendigen völkischen Erhebung" hinreißen ließ und sich mit Polizeihundertschaften anlegte. Immerhin haben wir ja ausländische Schmarotzer im Bundesgebiet, die nur zu uns kommen, um unser geliebtes Deutschland zu mißbrauchen. Ehrliche Asylbewerber, die flüchten mußten, weil sie zuhause Angst um ihre Existenz haben mußten, schien es gar nicht mehr zu geben. Nach den Pogromen unterstrich gar Altkanzler Schmidt den nationalen Charakter jeder Gesellschaft, indem er "die Vorstellung, daß eine moderne Gesellschaft in der Lage sein müßte, sich als multikulturelle Gesellschaft zu etablieren" (Dezember 1992, in der "Welt") für abwegig erklärte.

Freilich verurteilten die Brandstifter im Geiste die Untaten der Attentäter. Aber die Einsicht, mit der politischen Hetze, zum Geistesvater von Rostock, Mölln und Solingen geworden zu sein, folgte nicht. Am Ende will es - wie immer - keiner gewesen sein; am Ende habe man es ja gar nicht so gemeint. Man wurde nur mißverstanden. Marx meinte einmal, Hegel habe vergessen, seinem Ausspruch - wonach sich alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sozusagen zweimal ereignen - hinzuzufügen, daß dies einmal als Tragödie, das anderemal als Farce geschähe. Wollen wir hoffen, daß der aufkeimende Rassismus dieser Tage, nur eine Farce ohne blutige Folgen bleibt.

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In nuce

"Daß Wilhelm Busch auf der Seite der jugendlichen Chaoten stand, verriet er, indem er sich als Moritz selbst porträtierte, wie auch die harmloseren der Jungenstreiche Erinnerungen an die eigene Jugend im niedersächsischen Wiedensahl waren. Er wollte den deutschen Kleingeist anprangern, sanft, und doch nachdrücklich. Eigentlich waren die braven Opfer der Streiche diejenigen, die durch Kontaktarmut und Selbstgefälligkeit zu den Auswüchsen beigetragen hatten. Darüber kann man auch 2008 nachdenken." - So urteilt die "Junge Welt", während andere hetzen und Fakten verdrehen. Und natürlich wird auch kaum erwähnt, daß der Demagoge selbst Mitschuld trägt. Sozialarbeit wurde Hessen zu teuer. Apropos zu teuer. Heribert Prantl: "Das deutsche Jugenstrafrecht ist gut, ja: Es ist weltweit vorbildlich; aber seine Ausführung in der Praxis ist ein Desaster, vor allem deswegen, weil es kaputtgespart wird, auch und vor allem in Hessen." Es wird eine vermeintliche Strukturkrise des deutschen Jugendstrafrechts simuliert, um es im Sinne neokonservativer Auffassungen umzugestalten. "Trittlager" und Hochdruckreiniger sollen resozialisierende, integrative Vorgehensweisen ersetzen. - "Wenn Politiker es (das Jugendstrafrecht) kaputtmachen, ist das fast eine Straftat."

Der Beitragssatz der Gesetzlichen Krankenversicherung soll laut BILD-Zeitung um 0,7 Prozent steigen. Gesundheit würde dann unbezahlbar, daher ist die Gesetzliche Krankenversicherung nicht mehr tragbar, heißt es. BILD beruft sich auf eine Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die auch in dieser Frage Eigeninteressen vertritt, die sie aber als Allgemeininteressen verkauft. "Eine nachhaltig wirksame Gesundheitsreform müsste den Leistungskatalog der GKV auf eine Grundversorgung reduzieren und die Bürger zu mehr individueller Vorsorge verpflichten. Nur durch mehr Wettbewerb und mehr Eigenverantwortung kann der drohende finanzielle Infarkt verhindert werden." - so das philanthropische Begehren der INSM. Oder anders gesagt: Wer genug Geld hat, soll die beste medizinische Betreuung bekommen, wer arm ist, muß sehen wo er bleibt! Das ist der zynische Liberalismus der INSM, schließlich besitzt ja jeder die Freiheit reich zu werden.

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