Nomen non est omen

Donnerstag, 31. Juli 2008

Heute: "Vermittlungsproblem"
"Wir haben in den vier wichtigsten Bereichen - Finanzen, Gesundheit, Steuergerechtigkeit, Mindestlohn - Deutungshoheit. Aber dies nutzt uns nichts. Deswegen sage ich: Wir haben ein Vermittlungsproblem."
- Prof. Karl Lauterbach, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD in einem Interview der TAZ am 31. Mai 2008 -
Clement räumte aber Fehler bei der Vermittlung der Reformen ein: „Kommunikativ war das offensichtlich keine Meisterleistung von uns.“
- FAZ in einem Artikel vom 28. Dezember 2004 -
Dieses politische Schlagwort wird vor allem dann benutzt, wenn politische Vorschläge und Entscheidungen von einem Großteil der Bevölkerung abgelehnt werden. Es wird dem Bürger bzw. dem Volk unterstellt, er würde nicht verstehen, warum eine spezifische Idee oder eine politische Entscheidung gut für ihn sei. Kurzum: er sei zu dumm es zu verstehen. Das Gegenteil ist jedoch häufig der Fall. Ein Großteil des Volkes hat z.B. die Agenda 2010-Politik (und vor allem Hartz IV) deshalb abgelehnt, weil es genau wusste, was Sozialabbau bedeutet. Das Gleiche gilt für Studiengebühren, den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan oder auch für den EU-Vertrag von Lissabon: das Volk erkennt sehr wohl, dass diese Ideen und Entscheidungen nur einer kleinen Minderheit etwas nützen und am Großteil der Bevölkerung vorbeigehen. Mit diesem Begriff wird - eher unfreiwillig - zugegeben, eine interessensgesteuerte politische Entscheidung, wie z.B. die Einführung der Praxisgebühr, nicht gut genug getarnt bzw. den Bürger nicht als Vorteil verkauft zu haben. Insofern ist das Schlagwort des Vermittlungsproblems eine linguistische Konstruktion, um das Legitimationsproblem der Volksvertreter zu verschleiern. Denn häufig wird dann von einem Vermittlungsproblem gesprochen, wenn Volksvertreter - im Namen des Volkes –Entscheidungen treffen, die häufig gegen die Interessen eines Großteils der Bevölkerung sind.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

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Wider der Beeinflusserei

Dienstag, 29. Juli 2008

Die Leiterin eines Seniorenheimes, die die Stimmabgabe einiger Senioren beeinflußt haben soll, darf sie sich nun vor Gericht rechtfertigen. Delikat: In jener Wahl sicherten sich ihr Ehemann und ihr Sohn politische Mandate. Sie habe nichts Verbotenes getan, erläutert die betreffende Dame - was soll sie sonst auch sagen? Die notwendigen Kreuzchen stammen ja letztendlich immer noch von Seniorenhand.
Nun ist es sicherlich keine Seltenheit, dass dort wo Menschen nicht in voller Mündigkeit leben können, wo man Menschen eine Art Vormund oder Aufsicht auferlegen muß, Schindluder mit der Briefwahl getrieben wird. Womöglich rekrutieren sich ganze Politikerfamilien aus so einer Praxis - zumindest auf kommunaler Ebene. Und vielleicht ist so ein Tun seit Gründung der Bundesrepublik für manchen Kandidaten die letzte Rettung gewesen. Aber offen bleibt, warum die Beeinflussung seitens einer Heimleiterin sanktioniert werden soll, während allerlei andere Beeinflussungen straffrei bleiben.

Da sind die politischen Talkshows, die, wenn schon nicht parteipolitisch oder auf Kandidaten fixiert, so doch zumindest eine gewissen Fingerzeig in die Richtung einer angeblich notwendigen Politik geben. Bei "Will", "Hart aber Fair" und einst bei "Christiansen" war man sich doch unisono darüber einig, dass mit der LINKEN kein Zusammentun zustandekommen kann und darf, dass eine Politik der gerechteren Umverteilung ein Rückschritt sei - zu sein hat. Und wenn auch Will, Plasberg oder eben damals Christiansen nicht direkt beeinflussten, so ließen sie sich doch vornehmlich Gäste einladen, die eine klare Positionierung im öffentlichen Diskurs durchschimmern ließen. Wenn dann letztendlich verkappte Lobbyisten im Studio sitzen: Wie kann man da nicht von Beeinflussung sprechen, wenn es doch gerade das Einflußnehmen ist, für welches diese Herrschaften bezahlt werden?

Und wenn sie im Wahlkampf die Fußgängerzonen belagern, Zettelchen verteilen, politische Nichtigkeiten als Parolen verkleiden und Sündenböcke mit Namen benennen - ist das keine Beeinflussung? Freilich, die immer weniger werdenden traurigen Parteisoldaten, die im Namen ihrer heiligen Vereinigung zwangsrekrutiert werden, um das Wahlschaf zur Schlachtbank zu geleiten, kann man kaum verurteilen. Wenn die SPD für die SPD wirbt, so liegt das wohl in der Natur der Dinge, bzw. in der Unnatürlichkeit des politischen Wesens; aber wenn man Prominente bemüht oder angeblich unabhängige Institutionen, die ein gutes Wort einlegen sollen! - Keine Beeinflussung? Auch nicht, wenn Schauspieler oder Sänger aktiv für eine Partei eintreten und ihrer oftmals jungen Anhängerschaft dezent nahelegen, wer zu wählen sei?

Was ist mit den Legionen von Vätern und Großvätern, die ihren Nachkommen deutlich mitteilen, wen man zu wählen hat? Immerhin habe man in der Familie seit Generationen die CDU gewählt - oder irgendeine andere dieser Banden! - und was ewig währt war immer gut - oder so ähnlich. Und jene braven Enkelchen, die der unbedarften Oma hindeuten, wo das Kreuzchen gemalt werden muß? Da Oma, da stehe ich auf der Liste, da kreuz' an - und kümmere Dich nicht um die politischen Inhalte, Du weißt doch, dass ich ein lieber Bub bin! Was ist mit Ehemänner die ihre Ehefrauen auf Linie trimmen? Wurden die Wähler, die ihren Abgeordneten nur wählten, weil er in seinem Anzug so solide aussieht, weil er mit seiner Brille so belesen und seriös wirkt, nicht von Vorurteilen beeinflußt? Und von jenen, die eine Kandidatin nur wählen, weil sie eine üppige Oberweite aus enger Bluse hervorspitzen läßt ganz zu schweigen.

Wenn der Spiegel den Rechtfertigungskurs der politischen Reformen fährt, die BILD munter gegen die LINKE hetzt, der Stern berichtet, dass nur eine angebotsorientierte Ökonomie Erfolg verspricht - alles keine Beeinflussung und Vorprägung? Sagen uns die Printmedien nicht genauso wie jene, die sich auf laufende Bilder und Tonübertragung stützen, was politisch im Trend der Zeit zu liegen und was ewiggestrig zu sein hat? Machen sie nicht aus Umverteilung und Gegnerschaft zur Privatisierung etwas, was man unmöglich an der Wahlurne per Votum vertreten soll? Versucht die BILD denn nicht, potenzielle Wähler dahingehend zu beeinflussen, die LINKE nicht zu wählen? Beeinflusst der Spiegel nicht schamlos die Menschen derart, dass er ihnen darlegt, wie gut dem Land eine schwarz-gelbe Regierung täte? Versucht denn die FAZ nicht, die hessischen Wähler so vorzuprägen, dass sie bei der nächsten Landtagswahl etwas mehr "koalitionäres Denken" an den Tag legen?

Ja, man stelle die Beeinflusser vor Gericht und bestrafe sie angemessen, gerne auch angemessen hart! Nichts ist verwerflicher, als den Menschen eine in Mündigkeit gehüllte Unmündigkeit vorzugaukeln. Aber dann bitte nicht nur Heimleiterinnen, die unbeholfenen Senioren Fingerzeige geben, sondern eben auch all jene, die meinen, sie müßten ihren Nächsten mit "guten Ratschlägen" als ganz besondere Variante des Wahlhelfers zur Seite stehen. All jene eben, die bewirken, dass die Menschen hierzulande zu 80 Prozent nicht wählen, was sie eigentlich gerne wollen würden; all jene sind vor ein Gericht zu stellen.

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Neoliberalismus - das Überlebenselixier?

Na endlich! Mittlerweile sind sogar Wirtschaftsblätter soweit, zuzugeben, daß der Neoliberalismus eine Sackgasse ist – eine ideologische Irrlehre mit fatalen Folgen. Welche Konsequenzen diese losgelassene Bestie für ein Wirtschaftssystem haben kann, ist unübersehbar. Was der Neoliberalismus jedoch beim Menschen anrichtet, darüber wird geschwiegen….

Die Schaffung struktureller Bedingungen, die ein neoliberales Wirtschaftssystem erst möglichen machten, sind wohl in etwa zur Zeit der Industrialisierung anzusiedeln. Vor der Wende zum 20. Jahrhundert lebte ein Großteil der Bevölkerung Deutschlands noch in „Großfamilien“. Mit Sicherheit liefert auch diese Form des Zusammenlebens für jede Menge Zündstoff, jedoch war Mensch eingebunden in ein familiäres System, das auf einem gesellschaftlichen Konsens, einem verantwortlichen Miteinander beruhte.

Selbstwert versus Nutzwert

Die zunehmende Verstädterung führte zu einer Zerschlagung der Großfamilien und damit zur Vereinzelung. Jeder war nun für sich selbst verantwortlich und musste auch für sich selbst sorgen. Mit einiger Verzögerung gelang es auch den Frauen, sich dieses Recht auf Vereinzelung zu erkämpfen. Mit der jungen Industrie stieß auch die calvinistische Arbeitsethik auf neuen fruchtbaren Boden – der Nutzwertgedanke prägte nicht nur Industrie und Wissenschaft, sondern auch den Menschen. Ein fast schon genialer Kniff, der auch oder gerade heute noch wirkt: dem Menschen wird ein Selbstwert abgesprochen, denn den Wert, den muss er sich, in der Regel durch Leistung, erst verdienen.

In Zeiten, die von Wirtschaftsaufschwung geprägt sind, fällt die Vereinzelung nicht gar so auf. Solange es bergauf geht, es genug Arbeit und korrekte Löhne gibt, ist jeder tatsächlich in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Großzügigkeit und Solidarität fallen leicht, ebenso wie der Glaube daran, alles erreichen zu können, wenn man sich nur ordentlich ins Zeug legt. Der amerikanische Traum auf deutsch. Doch ein Wachstum der Wirtschaft kann nicht ewig andauern, was zwangsweise folgt ist die Stagnation.

Da Ressourcen, Arbeitsplätze und vor allem das Geld knapp werden, macht sich auch ein gewisser Vulgärdarwinismus, scheinbar aus dem Nichts, breit. Wie gesagt, scheinbar. Denn dabei handelt es sich um nichts anderes als die Kehrseite der Medaille: Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Perfide ist dabei jedoch das Festhalten an alten Glaubenssätzen wie: Wer Leistung bringt, wird dafür auch entsprechend entlohnt. Wer sich nur genügend bemüht, der erreicht auch das, was er will.

Der Neoliberalismus frisst seine Kinder ……

Dieses Festhalten führt bei denjenigen, die keinen Umgang damit finden, zu zwei Extremen. Die einen verdrängen schlichtweg jegliches gesellschaftliches Verantwortungsgefühl und schränken ihren Horizont soweit ein, bis nichts mehr übrigbleibt, als das eigene Wohl. Gleichgültigkeit gegenüber anderen und aggressive Ellenbogenmentalität unterscheiden sich dabei nur graduell.
In der Regel identifizieren sich solche Menschen mit ihren Leistungen, sie definieren sich über ihren Nutzwert und solange diese Rechnung aufgeht, gibt es keinen Grund, etwas daran zu ändern.
Einige religiöse und esoterische Bereiche stilisieren diese vulgärdarwinistische Mentalität in menschenverachtender Weise sogar hoch zu einer Heilslehre, die den Menschen bzw. dessen Ego als den omnipotenten Mittelpunkt der Welt predigt. Als Beispiele dieser Stilblüten des Neoliberalismus seien nur „The Secret“ und die nicht totzukriegenden „Bestellungen beim Universum“ von Bärbel Mohr genannt.

Diejenigen, die da nicht mithalten können oder wollen bleiben zwangsweise auf der Strecke. Da sich auch solche Individuen über ihren Nutzwert bzw. über ihre Leistung definieren, ist die Krise vorprogrammiert. Das führt soweit, daß ein Menschenleben, das sich nicht durch Arbeit in die Gesellschaft einbringen kann, als wertlos und sinnlos erachtet wird. In der Regel fehlt dann auch noch das Geld, um sich über den Konsum noch einen Rest-Nutzwert und damit eine Existenzberechtigung zu verschaffen. Wer dieses antidemokratische Elitedenken nicht schon von den eigenen Eltern eingetrichtert bekommen hat, der bekommt sie von den Medien um die Ohren gehauen.

Da jeder für sich selbst verantwortlich ist, ist auch jeder für sein Scheitern verantwortlich. Auch das sind Menschen, die leider immer noch an ein funktionierendes Leistungssystem glauben und sich durch ihren Zweifel an sich selbst regelrecht zerfleischen. Als wenn das noch nicht genug wäre, wird jeder, der „gescheitert“ ist, als Einzelfall abgestempelt wird, dessen persönliches Schicksal rein gar nichts mit den gesellschaftlichen Strukturen zu tun hat.

…… und zwar alle.

Beide Varianten haben sich im Grunde von dieser Gesellschaft verabschiedet, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß das menschliche Elend dieser beiden Extreme, ob als „Erfolgreicher“ oder „Erfolgloser“, politisch gewollt ist, angesichts des Umgangs mit den Themen Armut und Arbeitslosigkeit. Während die Vereinzelung bis vor ein, zwei Jahrzehnten noch durch ein funktionierendes Sozialsystem abgefangen wurde, sieht sich heute das Individuum einer bodenlosen materiellen sowie ideellen Vereinsamung ausgeliefert.

Überleben heißt die neue Philosophie, denn zum Leben fehlen Zeit und Geld. Und beinahe unmerklich findet eine Verschiebung vom „Arbeiten um zu leben“ hin zu „Leben um zu arbeiten“ statt. Der Mensch verkommt zum „Homo oeconomicus“, und mit ihm entsteht eine Gesellschaft von Menschen, in der Wirtschaftswachstum und Konsum zum Selbstzweck geworden sind und mit den realen Bedürfnissen des Menschen nichts mehr zu tun haben.

Es ist keine Frage, in einem vom Neoliberalismus geprägten System gibt es keine "Gewinner", es gibt nur Verlierer.

Dies ist ein Gastbeitrag von Kristina Kiehl.

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Alle lieben die KPCh

Montag, 28. Juli 2008

Es wird wieder von Schlächtern gesprochen. Von solchen, die die Menschenrechte mißachteten und wahllos töten ließen, ohne eine Spur von Humanität gezeigt zu haben. Schlächter, die Zehntausende in den Tod führten, die Hunderttausende ihrer Lebensgrundlage beraubten. Es wird wieder von Schlächtern geschrieben. Mit all ihren unmenschlichen Zügen und ihrer egozentrischen Sichtweise und der Angst, die sie befiel, als sie sich selbst einer unmenschlichen Situation ausgesetzt fühlten. Das Paradoxe wird in Buchstaben gefaßt, wird dem Leser vor Augen geführt: Der Schlächter, der nicht geschlachtet werden, der Blutsäufer, der sein eigenes Blut nicht getrunken wissen will.

Nein: Es geht nicht um China! Auch wenn wir so kurz vor den Olympischen Spielen stehen. Denn Radovan Karadzic hat es der internationalen Presse angetan! Er nimmt in jenen Tagen die Position ein, die China zukommen müßte - gerade jetzt, wo man sich aufmacht, im Reich der autoritären Mitte ein Sportspektakel zu veranstalten. Stattdessen rückt ein Schlächter ins Rampenlicht, der sein Werk schon vor Jahren vollbracht hat, während die Schlächter in den Gremien der KPCh nun die Hände internationaler Staatsmänner schütteln, das an ihnen haftende Blut an die Hände dieser Welt weiterreichen dürfen. Beinahe könnte man meinen, dass nur jene Schlächter zur Diskussion stehen, die ihr unheilige Aufgabe bereits erledigt haben, während noch aktive Schlächter, die außerdem anonym in Form einer angeblichen Kommunistischen Partei auftreten, ungeniert ihr Tun fortsetzen dürften.

Natürlich ist es müßig - in diesem Falle genauso, wie im Falle des Iraks oder Afghanistans - mit eurozentristischem Blickwinkel gen Osten zu moralisieren. Tradition, Philosophie und Geschichte Chinas (nicht nur die neuere Geschichte) haben kein Demokratieverständnis hervorgebracht, wie es der westlichen Welt entsprang - und wie es übrigens immer mehr in Vergessenheit gerät und quasi als Irrtum westlicher Geschichte umgedeutet werden soll. Aber mit einem Land in Verhandlungen stehen, welches wegen kleinster Delikte tödliche Genickschüsse verteilt, entbehrt jeder demokratischen Grundlage. Wenn man schon dreist genug ist - und schon immer war, siehe z.B. den "Boxeraufstand" -, den Menschen Chinas den westlichen Lebensstil aufzuzwingen - nicht nur denen! -, warum dann nicht auch eine Art "demokratischen Gewissens"? Warum bietet dieser Teil der Welt nur seine Produktionsweisen an, die über kurz oder lang ganze Gesellschaftsgefüge umwerfen? Warum nur Lohnmodelle, Arbeitsabläufe, Profitmaximierungen? Warum nur gigantische Produktionshallen, Technisierung jeglichen Lebensbereiches, riesige Wohnanlagen für Arbeiterheere ohne Recht und Mitsprache? Warum wird diesen Menschen nur eine Art "ökonomische Philosophie" mit auf ihren Weg gegeben - der ja unser Weg gleichermaßen ist -, während eine "Philosophie der Emanzipation" nicht nur verschwiegen, sondern geradezu unterdrückt wird?
Man kann Gesellschaftsstrukturen, die sich über Jahrhunderte, im Falle Chinas: über Jahrtausende entwickelt haben, nicht einfach vom Tisch wischen. Man macht aus der chinesischen Gesellschaft freilich keine grunddemokratische, wird dort immer auch mit autoritären Strömungen zu ringen haben. Das Hineinpfuschen in solche Strukturen zerstört mehr als er schafft. Aber wenn man schon pfuscht, wenn man schon dazwischenschlägt und mitmischt, warum dann nur auf ökonomischer Ebene?

Anstatt dieser Einsicht, die ja nolens volens zum Rückzug des Westens in anderen Weltregionen führen müßte, liefern die Medien dieser Tage einen kleinen, zwar kritisch wirkenden, aber doch abwiegelnden, fast idyllischen Hochgesang auf China. In diesem - Hochgesang - werden die Unterschiede in der chinesischen Gesellschaft aufgegriffen, indem man Chinas Freude an Prada und Gucci den jährlich zehntausend Hinrichtungen gegenübergestellt; indem erläutert wird, in welch finanzieller Armut Chinas Landbevölkerung lebt - wobei man die Armut in diesen Gebieten nicht am Geld messen kann, was uns im Westen, mit unserer Zahlentreue und Statistikliebe, wieder einmal entgeht -, während man im gleichem Atemzug mitteilt: "Ihr seid auf dem richtigen Weg." Und natürlich vergißt man bei diesem notwendigen Lobgesang auch nicht, die eurozentristische Verkrustung etwas bröckeln zu lassen, indem man Erfindungen, die man eigentlich in Europa angesiedelt hatte, den alten Chinesen zurückgibt. Ja, schreckt nicht einmal davor zurück, Kong Zi zum Erfinder der Menschenrechte zu machen!
Und Alt-Bundespräsident Weizsäcker gibt sich ganz weltmännisch - er darf ja auch nicht fehlen, wenn es darum geht, mit vielen Worten nichts zu sagen -, indem er den oben aufgegriffenen Gedanken von der Sinnlosigkeit der Einmischung aufgreift: "Dieses wachsende Selbstbewusstsein im chinesischen Volk ist der Motor für den Fortschritt – auch in der Frage der Menschenrechte. Jede Einmischung von außen wäre ausgemachter Blödsinn." - Soso, da wäre es also Blödsinn, während der westliche Einfluß in Wirtschaft und damit Politik freilich kein Blödsinn ist, sondern dringende Notwendigkeit, die ja den sogenannten "Motor für den Fortschritt" darstellt.

Überhaupt dieser Irrsinn von der neuen Weltmacht China, wie ihn Alt-Kanzler Helmut Schmidt seit Jahrzehnten predigt. Wer die Geschichte Chinas nur ein wenig kennt, sei es auch nur bruchstückhaft, der weiß gewiss, dass es das Verlangen des Reiches der Mitte nie war, eine räumliche oder geistige Expansion zu betreiben. Freilich ließ sich der Kaiser den Respekt bekunden, ließ sich Geschenke aus jenen Ländern bringen, mit denen er in Handel zu treten gedachte. Er war ja immerhin auch der Sohn des Himmels! Als dann die Briten kamen und ihm so recht keinen Respekt zollen wollten - nicht mal den Kotau wollten sie vollziehen -, da weigerte er sich zunächst auch, mit diesem Barbarenvolk in Handel treten. Das britische, bzw. europäische Selbstbewußtsein und die damit verbundene Selbstgerechtigkeit hat er damals unterschätzt oder gar nicht erst wahrgenommen. Aber Expansion in dem Sinne, den Ländern an der Peripherie des Reiches der Mitte einen neuen ideologischen, theologischen oder philosophischen Überzug zu verpassen, war unbekannt und dominiert die chinesische Mentalität bis heute. Im Gegenteil: China nahm fremde Herrscherdynastien in die eigene Kultur auf und gewann dadurch an Vielschichtigkeit. Was wir heute als chinesische Kultur betrachten und was es, genau besehen, nicht als einheitliche Kultur, sondern als viele regionale Kulturen mit einem gemeinsamen Nenner gibt, ist ein Sammelsurium fernöstlicher Traditionen und Überlieferungen. Obwohl sich das Reich der Mitte als Zentrum der Welt und deren Kaiser als Sohn des Himmels wahrnahmen, exportierte man nicht Kultur, sondern importierte und war - gemäß dem Daoismus - auf Ausgleich bedacht. Der Sinologe Helwig Schmitz-Glintzer schreibt dazu:
"In ihren Grundmustern folgt die Vorstellung von Chinas Geschichte den chinesischen Selbstauslegungstraditionen und deren früher Spiegelung in den Berichten europäischer Missionare und Reisender. Bis in die Gegenwart wird China als der "Schlafende Riese" und als aufkommende Weltmacht gesehen und zumeist gefürchtet. Dabei ist sich China seiner Identität weniger gewiss, als dies solche Bilder nahelegen. Das hängt mit den vielen Facetten der Geschichte und der Kultur des "Reichs der Mitte" zusammen."
Hier wird zudem auch deutlich, dass die Einsichten Helmut Schmidts, die er gerne weitsichtig und mit diplomatischer Vision an seine Zuhörer und Leser vermittelt, uralte westliche Ängste sind. Der "schlafende Riese" ist nicht der "neueste Schrei der Geschichte", sondern von jeher der Furor des Westens. Bisher schläft er immer noch und die eigene Identität ist in China (noch) nicht gefunden. Es würde aber der chinesischen Mentalität, die ja ein Produkt aus der Historie und den Lebensbedingungen ist, gänzlich widersprechen, nun nach einer Art Weltherrschaft zu trachten, auch wenn sich diese "nur" ökonomisch ausnehmen würde.

Das schlachtende China, so heißt es also aus dem Munde der westlichen Vernunftträger, sei auf einem guten Wege, Einmischung käme einer Dummheit gleich. Und damit ja keine oppositionelle Stimme laut wird, die die Olympischen Spiele in China schlechtmacht, politisch nutzbar macht, wird langsam und dezent eine Berichterstattung aufgezogen, die China als Land der Fortschritts und der Emanzipation verklärt - auch wenn man zugibt, dass es noch nicht an allen Fronten danach aussieht. Die Zeit der Olympischen Spiele soll keine Zeit der Kritik sein, sondern eine solche, die den Zuseher im politischen Dämmerzustand halten soll. Wenn schon von Schlachtfesten und deren Protagonisten gesprochen werden soll, dann eben von Karadzic - er nimmt die Rolle des Retters Chinas an, wird die roten Flecken auf der weißen Weste der Chinesen kaschieren, vom Schauplatz Beijing ablenken. Wenn schon über Mord und Unmenschlichkeit berichtet werden soll, dann wird er auflaufen, nicht die Führungsriege der KPCh. Aus den fernöstlichen Schlächtern wird in den nächsten Wochen eine Runde weiser Staatslenker stilisiert, die man ihres Mordens nicht moralisch verurteilen darf, weil sie doch dem Fortschritt zugewandt gen Westen marschieren.

Die Tragik Karadzic' ist es, dass er keine Olympischen Spiele veranstaltet, dass er nicht nutzvoll verwertbar ist...

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Ich (ver-)zweifle...

Samstag, 26. Juli 2008

In diesen Tagen begleitet mich der Zweifel. Ich frage mich, warum ich diesen Blog - korrekt: dieses Blog - betreibe; warum ich mein ganzes Herzblut hier hineinstecke und mir immer wieder die Mühe mache, mich anderen Menschen mitzuteilen. Und ich stelle mir eine ganz persönliche Frage: Wieso erschlägt mich mein politisches Interesse, mein Hang zur moralischen Gestaltung der Welt - zumindest das Herbeischreiben einer solchen Welt - derart, dass es mich zweifeln läßt an mir, an meinen Vorstellungen, an meiner Weltsicht, an meinen Mitmenschen? Dieser Zweifel ist keine Neuigkeit in meinem Leben. Immer wieder verfiel ich in tiefe Agonie, wollte am liebsten in ein Paradies flüchten, in welchem oppositionelle Sittlichkeit nicht vonnöten wäre. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Oppositionelle - nicht jene in den Parlamenten, sondern die Kritiker und Gegner des "schlecht Gegebenen" -, egal ob er auf der Straße gegen den legitimgewordenen Wahnsinn auftritt oder "nur" mittels Schriften aller Art, früher oder später, seltener oder öfter in eine Situation des tiefen Zweifelns gerät, die sich nährt aus einem erdrückenden Gefühl des Verzweifelns.

Seit Tagen ringe ich nun mit mir, meinen Blog weiterzuführen, indem ich einen neuen Beitrag verfasse. Aber nichts animiert mich, im Gegenteil, ich bin wie gelähmt. Der Ungerechtigkeiten und Sauereien gäbe es genug - wie der Arzt immer Patienten hat, so hat der Kritiker immer Stoff zur Kritik -, aber ich schweige, weil ich nicht fähig bin zu be- und umschreiben, mir den Unmut von der Seele zu schreiben. Ich fühle mich wie auf einen dieser tristen, schwarz-weiß gehaltenen Gänge geworfen, die Kafka so niederschmetternd beschreibt. Er, der er am Anfang unserer Zeit der Massengesellschaft stand, der den anonymen Irrsinn bereits erfaßte, bevor er gänzlich ausgebrochen ist, er der vom Wandel des individuellen Menschen zur gesichtslosen Kosten-Nutzen-Biomaschine schrieb, steht mir in diesen Tagen sehr nah. Einen konkreten Grund könnte ich nicht nennen; ich könnte nicht aufzählen was mich alles niederschlägt - nicht einmal einen einzigen faßbaren Grund. Womöglich ist es meine Art, meine Natur, die Haut in der ich stecke. Vielleicht fühle ich mich so erdrückt und lustlos, so verzweifelt und ungehört, so belanglos im gesamten Spektakel unserer Zeit, so wie ein Relikt aus anderen Jahrhunderten, weil ich so bin, wie ich bin - weil ich so denke, wie ich denke. Die "Gesamtheit des Negativen", die unsere Gesellschaft befallen hat und mein Wesen, scheinen nicht miteinander kompatibel zu sein, um es im Jargon unseres Zeitalters auszudrücken.

Derzeit befasse ich mich, wenn auch nur stümperhaft und im Rahmen meiner geistigen Kapazitäten, mit der Quantenmechanik und der Allgemeinen Relativitätstheorie. Das sehr Kleine und unvorstellbar Große fasziniert mich und reduziert im gleichen Maße mein Interesse am Hier und Jetzt, welches mir meinen Oppositionellenstatus abgerungen, ja geradezu abgenötigt hat. Wenn man dieses ominöse Gitternetz so betrachtet, in welchem die Sterne und Planeten gebettet liegen, ähnlich wie in einer Hängematte - die gekrümmte Raumzeit eben -, dann fragt man sich, was dieser ganze belanglose Zirkus auf Erden eigentlich soll. Was soll das Theater um Arbeitsplätze und Profit, um menschliche Eitelkeiten und menschliches Imponiergehabe, um Fortschritt und Besitztümer? Wir sind doch am Ende sowieso nur ein kaum wahrnehmbarer Teil des Kosmos - freilich selbstverliebt genug, um uns wichtiger zu nehmen, als wir letztendlich sind. Die Beschäftigung mit dem ganz Kleinen und dem ganz Großem nihiliert Sichtweisen, zumindest teilweise. Und es erschreckt mich, denn dies sind nicht die Gedanken, die mein ganzes Leben tragen. Zwar drängen sich Gedanken auf, dass der Mensch letztendlich ein unwesentlicher Teil des Ganzen - was immer das dann sein soll - ist, doch in lichten Momenten wird mir die Arroganz und der ethische Irrtum bewußt, die in einem solchen Denken begraben liegen.

So rang ich also in den letzten Tagen um ein Thema, welches mir wieder einen Fuß in die Türe dieser zweifelnden Schreibblockade - wenn man das so nennen will - klemmen sollte. Jede mögliche Empfehlung, alles Gelesene bot sicher Stoff, aber ich wußte nichts damit anzufangen - ich weiß es so recht immer noch nicht. So berichte ich, Seelen-Striptease betreibend, von meinem verzweifelnden Zweifel oder meinem zweifelnden Verzweifeln. Und je mehr ich darüber sinniere, scheint es mir so, als wäre es ein Thema, welches in diesem Blog durchaus angebracht scheint. Immerhin bedrückt uns alle mal der Zweifel und am Verzweifeln sind wir wahrscheinlich öfter als uns lieb ist. Warum sollten wir oppositionellen Blogger uns also nur unsere Paradestücke mitteilen? Warum nur unsere Ansichten und Wünsche? Unsere Entrüstung und Polemik gegen den zur Realität gewordenen Schwachsinn?

Ich will mich nicht nur in der Herrlichkeit sonnen, die zuweilen diesen Blog prägt, wenn ich meine Weltsicht darlege und die Dummheit der Anderen umschreibe. Der heutige Oppositionelle begreift sich als Mensch, innerhalb einer Welt von Menschrobotern. Er greift die fehlende Wärme im Miteinander auf, die Frechheiten dieser oft verbeamteten Roboter, er entrüstet sich schlicht, dass in dieser Welt kaum noch Platz ist, ein freier, glücklicher, voller Visionen strotzender Mensch zu sein. Lebenswege sind vorgezeichnet, die Auswahlmöglichkeiten sind eng begrenzt und immer nur im Rahmen eines Systems wählbar, welches den Menschen nach seiner Effizienz bewertet; alles ist geregelt und in jener Ordnung erstarrt, welche man nicht müde wird, als "notwendige Ordnung" zu bezeichnen.
Der Oppositionelle von heute bemüht sich darum, wieder mehr Menschlichkeit ins Miteinander zu bekommen. Er möchte nicht mehr Teil einer gesichtslosen Masse sein, sondern Bestandteil einer Masse, in der jeder ein individuelles Aussehen hat. Wenn der Oppositionelle so denkt, so handelt, darauf hinwirkt, warum soll er dann jenen Part der conditio humana verleugnen, der ihn verzweifeln, der ihn an sich und an seiner Umwelt zweifeln, kurz: der ihn schwächeln läßt? Sinnkrisen sind kein menschlicher Makel, sondern Notwendigkeiten in der individuellen Entwicklung. Solcherlei Notwendigkeiten sollte man sich nicht schämen, vorallem dann nicht, wenn man eine Gesellschaft verwirklicht wissen will, die eben jenes Individuellsein zum einzig machbaren Maßstab erhebt.

Die Ruhe, die Abgeschiedenheit und Isoliertheit eines Klosters scheint mir in solchen Tagen verlockend. Mich schweigend, zumindest aber mit wenigen Worten, einer kleinen Aufgabe widmen, ein Stückchen Natur umsorgen und die kranke Welt vor den Toren des Klostergebäudes lassen! - Ja, das wäre in jenen Momenten eine Wohltat. Keine grauen Effizienzcharaktere mehr, keine Gestalten, die es ja "nur gut mit einem meinen", keine Wichtigtuer und eloquente Nichtwisser mehr. Nur mit dem Gott der Klosterbewohner käme ich nicht ins Gespräch, müßte mich also auch dort verbiegen, so wie es die Herrschaften außerhalb der Mauern immer und immer und immer wieder fordern.

Manche würden so einen Zustand lapidar als Depression bezeichnen und mir vielleicht das Schlucken diverser Glücklichmacher empfehlen; anderen nennen es banal "Sinnkrise" - mir ist einerlei wie man es bezeichnet. Radischtschew schrieb vor etwas mehr als zwei Jahrhunderten: "Ich blicke um mich - und meine Seele ward durch die Leiden der Menschheit verwundet." Darin liegt viel Wahrheit - meine Wahrheit. Ich verzweifle an Jahrhunderten, die den Menschen wenig vorangebracht haben. Die ihm zwar Fortbewegungsmittel, gigantische Gebäudekomplexe, rasende Nachrichtensysteme und noch vieles mehr beschert haben, aber keinerlei Mitmenschlichkeit, kein Fortschreiten im Miteinander. Noch immer fechtet der Mensch jenen Kampf aus, den er in langen und bitteren Zeiten des Mangels mit seinem Nächsten hat ausfechten müssen. Immer noch soll jener nicht essen, der nicht arbeitet, gerade so, als könne nur der Überleben, der seinen Acker bestellt hat. In modernen Zeiten lebend an anachronistischen Menschenverächtlichkeiten verhaftend! - "Nicht nur die Vernunft von Jahrtausenden - auch ihr Wahnsinn bricht an uns aus. Gefährlich ist es, Erbe zu sein." (Nietzsche)

Nein, ich werde diesen Blog nicht schließen, nur weil mich in diesen Stunden der Zweifel gepackt hat - auch wenn ich mit diesem Gedanken gespielt habe. Aber ich hielt es für wichtig, auch diesem Zweifel hier seinen berechtigten Raum zu erteilen. Oppositionell zu sein, bedeutet eben auch, an seiner Umwelt zu verzweifeln und im stillen Kämmerlein auch an sich selbst zu zweifeln. Wenn man so anders ist als die große Masse, wenn man eben - um es mit dem großen Modewort zu sagen - nicht Teil des Mainstreams ist, dann kommt man gezwungenermaßen zu der Frage: Stimmt etwas nicht mit der Welt oder stimmt mit mir etwas nicht? - Dies läßt sich höchstwahrscheinlich nicht hinreichend beantworten. Wahrscheinlich stimmt mit beiden etwas nicht, wahrscheinlich nimmt sich der Einzelne einfach nur zu wichtig, gerade so wichtig, wie die ganze Welt sich nimmt...

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In nuce

Freitag, 25. Juli 2008

Es gibt keine Armen mehr, zumindest nicht in dieser Gesellschaft und in diesem Lande. Sie wurden aufgespalten in arme Deutsche und arme Ausländer. Und da letztere drei Viertel aller Armen ausmachen, ist die Armutsdebatte gar keine Armutsdebatte - sie ist eine Integrationsfrage. Jörges schreibt sich seinen nationalen Frust von der Seele und hält Ausschau nach Sündenböcken. Versteckte Quintessenz seines Schmierstücks: Hätten wir weniger Ausländer, hätten wir auch kaum Arme. Und überhaupt: "Höheres Kindergeld und andere Wohltaten könnten für Ausländer sogar den Reiz zur Einwanderung ins deutsche Sozialsystem verstärken. Auch Mindestlöhne gehen an mangelnder Qualifikation und unzureichenden Deutschkenntnissen der Migranten vorbei." - Mittels dem ausländischen Sündenbock soll Sozialabbau gerechtfertigt und eine soziale Errungenschaft, die uns vielleicht eines Tages in Form eines Mindestlohnes begegnet, verhindert werden. Tja, sieh mal an: Selbst für einen Jörges sind Ausländer für irgendetwas nützlich! Jörges ist freilich eloquent und weiß durch schöne Worte, die er bei Fernsehauftritten mit großartiger Weisenmiene in die Wohnzimmer dieses Landes hallen läßt, zu glänzen. Sollte der Inhalt seiner bizarren, kleinen Analyse, die Arme untereinander spaltet - sie sollen bloß nicht auf die Idee kommen, sich in ihrem Leid zu vereinen -, von einer Person aus dem braunen Lager mit einem Résumé kommentiert werden, dann würde der abgeleitete, weniger wortgewandte Slogan "Deutschland verarmt - Ausländer raus!" dabei herauskommen. Das ist das Verdienst Jörges': Er macht die dumpfe Xenophobie salonfähig, ersinnt eine Sprache, die scheinbar unverdächtig ist, aber dafür mit bitterbösen Inhalten konfrontiert.
Eine Sprache, die in vielen Bereichen mehr und mehr Einzug findet. Die Sprache des freundschaftlichen Aufmerksammachens. Ausländerfeindlichkeit und wirtschaftsliberale Forderungen werden ja nicht mit böser Zunge hofiert, sondern mit der vermeintlichen Stimme der Vernunft. Man müsse ja, man könne nicht anders, man sei gezwungen, "Sachzwang - Sie verstehen?" Es ist die säuselnde Stimme des Fuchses, der den Edlen mimt und dann voller Niedertracht über sein Opfer herfällt. Eine Stimme, die natürlich auch beim Agitieren an Schulen Einzug gefunden haben wird. Dort wird man mit Vernunftesstimme klarmachen, dass die Linkspartei, diese Bande von Kommunisten, der Untergang der Bundesrepublik sei. Mit solch einer Stimme betreibt man Gehirnwäsche, nicht mit der Keule, die bei jeder Gelegenheit über den Kopf gebraten wird.
Und wir waren der Ansicht, das Zeitalter des Faschismus sei dahin! Währenddessen wird in Bayern die Versammlungsfreiheit beschnitten, die Bundeswehr in die Öffentlichkeit gerückt, als Armee des deutschen Stolzes, mit liebevoller Stimme gegen Ausländer gehetzt, gegen alles was nur "nach links riecht" agitiert, die systemtreuen Eliten belohnt auf Kosten der Habenichtse und dergleichen Bräunlichkeiten mehr. Nein, weder haben wir diese unheilvolle Zeit überwunden, haben das wohl nur immer mal wieder geglaubt, mittendrin stehend im braunem Sumpf. Und kühn die anderen, diejenigen die behaupten, wir müssen uns vor dem "Angriff der Faschisten" schützen. Als ob sie noch angreifen müßten, in der Stellung in der sie schon sind - in der sie ja diese Gesellschaft maßgeblich prägen und beeinflußen und nicht selten sogar lenken.

Da hat man Walter Riester festgenagelt, hat ihn der Korruption, nicht nur verdächtigt, sondern bezichtigt, hat seine sogenannte Riester-Rente als medienwirksam gestützte Leere entlarvt, die gerade bei finanziell Schwächeren kaum Vorteile bringt, dafür aber die Versicherungswirtschaft unterstützt, hat mit Norbert Blüm jemanden gefunden, der sich mit Riester schriftlich auseinandergesetzt hat und nun? Nun ist er beleidigt und fühlt sich mißverstanden. Er hat seine Korrespondenz bei Abgeordnetenwatch beendet. Es ist schon infam, einen solch feinen Herrn so in die Bredouille zu bringen. Korrupt? - Ha! Er hat in den Jahren 2006 bis 2008 sicherlich einigemale bei Versicherungen vorgesprochen - das gibt er doch zu! -, war dort Referent, hat aber nur ein Paar knappe Tausender hinzuverdient! Ein Paar knappe Tausender und mindestens 300.000 Euro! Er hat sich doch nichts zu Schulden kommen lassen! Er hat nur zum Wohle des deutschen Volkes gehandelt - und Versicherungsunternehmer sind ja auch Deutsche!

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Sit venia verbo

Donnerstag, 24. Juli 2008

"Der Sex, sagte ich mir, stellt in unserer Gesellschaft eindeutig ein zweites Differenzierungssystem dar, das vom Geld völlig unabhängig ist; und es funktioniert auf mindestens ebenso erbarmungslose Weise. Auch die Wirkungen dieser beiden Systeme sind genau gleichartig. Wie der Wirtschaftsliberalismus - und aus analogen Gründen - erzeugt der sexuelle Liberalismus Phänomene absoluter Pauperisierung. Manche haben täglich Geschlechtsverkehr; andere fünf oder sechs Mal in ihrem Leben, oder überhaupt nie. Manche treiben es mit hundert Frauen, andere mit keiner. Das nennt man das "Marktgesetz". In einem Wirtschaftssystem, in dem Entlassungen verboten sind, findet ein jeder recht oder schlecht seinen Platz. In einem sexuellen System, in dem Ehebruch verboten ist, findet jeder recht oder schlecht seinen Bettgenossen. In einem völlig liberalen Wirtschaftssystem häufen einige wenige beträchtliche Reichtümer an; andere verkommen in der Arbeitslosigkeit und im Elend. In einem völlig liberalen Sexualsystem haben einige ein abwechslungsreiches und erregendes Sexualleben; andere sind auf Masturbation und Einsamkeit beschränkt. Der Wirtschaftsliberalismus ist die erweiterte Kampfzone, das heißt, er gilt für alle Altersstufen und Gesellschaftsklassen. Ebenso bedeutet der sexuelle Liberalismus die Ausweitung der Kampfzone, ihre Ausdehnung auf alle Altersstufen und Gesellschaftsklassen."
- Michel Houellebecq, "Ausweitung der Kampfzone" -

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Popstars

Sonntag, 20. Juli 2008

Massen jubeln ihm zu. Wenn er mit seinem dünnen Stimmchen freimütig trällert, hängen seine Anhänger ihm an den Lippen, stimmen gelegentlich in den Text mit ein. Seine Bühnenshow wird genau wahrgenommen und jede außerordentliche Regung von euphorischem Jubel begleitet. Sein Publikum ist gemischt: Männer wie Frauen wohnen seiner Show bei. Diesmal waren es vornehmlich junge Menschen, die sich mittels seines Programmes beglücken ließen. Er hat es geschafft - er ist ein Star; ein wahrhafter Popstar. Als solcher kann er sich Vieles erlauben, ohne mit Abstrafung seitens des Publikums rechnen zu müssen. So verbreitet er ungeniert seine "Sichtweisen aus einer anderen Welt", die sowieso nur beiläufig wahrgenommen werden. Und wenn sie doch einmal den Weg in eine individuelle Wahrnehmung finden, dann tut man es mit einem gütigen Lächeln ab. Die Hauptsache bleibt doch, dass er ein Star ist, dass er mit seinen jugendlichen Anhängern feiert, kurz: dass er durch seine Präsenz glänzt. Nichts verwundert die jungen Massen dabei: Nicht das gigantische Aufgebot an Leibwächtern und an Polizisten; nicht seine außergewöhnliche Robe; nicht seine verbitterte Hartnäckigkeit in "seiner Lebensphilosophie". Sie nehmen ihn so wie er ist - wie er zu sein scheint.

Es ist ein Wunder unserer Zeit, gleich einem jener Wunder aus dem berühmten Buch der Bücher, welches dieser Popstar vorgibt bevorzugt zu lesen. Und verwundert reibt man sich auch die Augen, wenn man diesem Pop-Wunder, dieser Ausgeburt der Medienlandschaft, nur ein wenig Beachtung schenkt. Junge Menschen, sie nennen sich Katholiken, strömen zusammen, um dem selbsterklärten Oberhaupt - das Primat des römischen Bischofs ist auf das "Recht des Stärkeren" oder besser: "Recht des Hinterlistigeren" zurückzuführen und in vielen christlichen Gruppierungen noch heute etwas, was auf Ablehnung stößt - ihrer Kirche zu begegnen und mit ihm Gottesdienste zu begehen. Das Papsttum, spätestens sein Johannes Paul II., weiß sich mit Hilfe der Medien recht in Szene zu setzen. Ratzinger, als guter Diener und Schüler seines verstorbenen Herrn, hat sich dabei viel abgeschaut und ist nun der Pop-Papst, der Held einer jungen Generation, die zwar jubelt und meint, durch diesen alten Herrn, dem Göttlichen etwas näher zu sein, aber im gleichen Atemzug wenig bis gar keine Ahnung davon hat, was der lächelnde Graukopf aus dem Vatikan eigentlich predigt; welchem Weltbild er frönt. Sie erheben das Oberhaupt des göttlichen Bodenpersonals zur Gottheit, machen aus dem Stellvertreter einen göttlichen Pop-Heros, den man um seiner selbst willen feiert.

Die Welt muß mit einer frommen Jugend gesegnet sein - eine asketische und geradezu ethisch einwandfreie Jugend. Denn sie läßt jenen Greisen hochleben, der ihr Maßhaltung in sexuellen Dingen predigt, der Verhütung - außer der Knaus-Ogino-Methode - verdammt und als Folge eine vielleicht notwendig gewordene Abtreibung ächtet. Nebenher reichert er dieses weltfremde Paket an verantwortungslosen Ratschlägen um die üblichen Ressentiments der katholischen Kirche an: Nein zur Homosexualität; Nein zur Gleichheit der Geschlechter, die sich im Ordinationsverbot für Frauen äußert; Nein zum oftmals humanen Akt der Sterbehilfe! Dazu kommt die Aufwertung der eigenen Kirche, die er selbst als Ausdruck der Einzigartigkeit versteht, während er den Protestantismus nicht als "eigentliche Kirche" bezeichnet, sondern als Ansammlung "kirchlicher Gemeinschaften", letztendlich als Sekte. Den orthodoxen Kirchen läßt er freilich den Kirchenstatus, aber mitleidig blickt er nach Osten, denn sie leiden unter einem Mangel, der sich am Fehlen eines Papstes zeigt, oder besser: des Papstes! Denn die orthodoxen Kirchen sollten, so empfiehlt er dringend, die Nähe zur katholischen Kirche und damit zum Papst suchen. Da kocht diese uralte römisch-machiavellistische Brühe aus Machtgier und Hinterlist hoch, und der Hintergedanke, das große Schisma zugunsten der päpstlichen Oberhoheit zu beseitigen.

Dieses mal hell-, mal dunkelbraune Süppchen an Vorurteilen und Engstirnigkeiten findet bei Weltjugendtagen aber kaum Wortentfaltung. Man darf Zweifel hegen, ob die jugendlichen Gottesdienstler überhaupt wissen, was der lächelnde Despot aus Rom so alles an antidemokratischen, anachronistischen und menschenverachtenden Botschaften herunterleiert, wenn er mal wieder den großen Weltmoralisten mimt. Oder dürfen wir davon ausgehen, dass diese Jugendlichen asketisch leben, sich des sexuellen Kontaktes vor der Ehe enthalten und fröhlich beischlafen ohne sich darum zu kümmern, eines Tages - durch Gottes Gnade - Eltern von fünfzehn Kindern zu sein?
Aber freilich, soviel muß man schon zugestehen, der amtierende Papst hat Charme, weiß liebenswert zu lächeln, verteilt gelegentlich Worte mit liberalen Anstrich und tätschelt gelegentlich Kinderköpfe (und Kindsköpfe sowieso). Da paßt es außerordentlich gut ins Bild, wenn dieser klerikale Charmebolzen mitsamt seiner piepsigen Fistelstimme - die Stimme des gütigen Theologen - den naiven Kern seiner jungen Jüngerschar anspricht, sie zu Botschaftern des Katholizismus machen will. Unbedarfte, Blinde und Nichtsehenwollende werden dieser Bitte mit Freude nachgehen und fortan jedem Wehrlosen die Bibel unter die Nase schieben.

Ratzingers direkter Vorgänger gestaltete sich vorteilhafter für seine Kritiker. Es war ein Vorteil, den man ihm eigentlich oftmals als Nachteil nachsagte: Er stand zu seinem strengen "Wertkonservatismus". Man wußte bei Johannes Paul II. immer wes Geistes Kind er war. Beim Ratzinger-Papst ist das anders, weil schwerer an die Oberfläche transportierbar. Er verströmt nach Außen einen feinen Duft von Liberalismus, von charmantem Weltbürgertum, von Güte und Weitsicht. Im Inneren aber stinkt die gleiche alte Borniertheit, die gleiche Art von Menschenhass, die schon vor Jahrhunderten stank und mehr und mehr - durch die eigene, längst gewonnene Erkenntnis, eigentlich historisch überholt zu sein; "bald" auf dem Müllhaufen der Geschichte zu landen - zur Kompensation der eigenen Existenzangst modifiziert wird. Man hat in den letzten Jahrzehnten freilich gelernt, dass die Unfehlbarkeit des Papstes nicht zu rigide in die Welt hinausgetragen werden darf, sondern in einer distanzierten Form der Kumpelhaftigkeit und Freundschaftlichkeit. Lächelnd zeigt man der Welt, wer das Sagen hat, wer unfehlbar und demnach unkorrigierbar ist; lächelnd verurteilt man Homosexuelle und allzu selbstbewußte Frauen. Man verurteilt sie nicht mehr in scharfen Tönen, stößt sie stattdessen zag- und kumpelhaft an und macht auf deren Fehlverhalten aufmerksam. Der Kritiker am Lebensentwurf kommt als lieber Freund um die Ecke - eine traditionelle Mafiamethode, als Mörder einen guten Freund zu schicken. Ratzinger mimt diese Fratze der Freundschaft, die eigentlich die Feindschaft des Menschen mit sich selbst heraufbeschwört; das autonome Leben und Verwalten des Ich verunmöglicht und aus jeder banalen Entscheidung, gerade in geschlechtlichen Fragen, ein quälendes Gewissensbändigen und -verdrängen macht.

Hierzulande wird die Unbedarftheit im Umgang mit dem Zwergenstaat-Diktator aus der Tatsache heraus erzielt, dass der gute Mann einst - und vielleicht immer noch - einen deutschen Personalausweis besitzt und damit quasi zum "Personal für die deutsche Sache" gehört. Wenn er doch einer von uns ist, wenn wir allesamt im April 2005 zum theologischen Menschenquäler aufstiegen, wie es uns Dieckmann in großen Lettern via seines Blattes doch mitteilte, dann dürfen wir ihn nicht mit seinen eigenen Verirrungen und Frechheiten brüskieren, sondern sie weit von uns schieben, ihn nicht mehr wegen seiner Inhalte - oder leeren Worthülsen - feiern, sondern einfach nur, weil er da ist, weil es ihn gibt und weil er aus unserer Mitte entsprang. Bevor man sich Ärger mit diesem rechthaberischen Vorstandsvorsitzenden der katholischen Kirche einhandelt, schweigt man lieber und lächelt über seine Verschrobenheit, die er in solchen fundamentalen Fragen des menschlichen Daseins an den Tag legt.

Trotz aller Oberflächlichkeit im Miteinander von Staaten und Papsttum, bleibt es rätselhaft, was junge Menschen - mit all ihrer Energie, feststehende Dogmatik hinterfragen zu wollen, ja geradezu aus ihrer Jugendlichkeit heraus: hinterfragen zu müssen! - an diesen Greis bindet. Reicht denn der Anschein, dass er es doch ach so gut mit ihnen meine, um ihm ein solches Hochleben zuteil werden zu lassen? Es gab Zeiten - in den Jahren des Risorgimentos -, da verließ dieser selbstgerechte Herr der Katholiken seinen Kirchenstaat und das, was nachher davon übrigblieb - dieses etwa 50 Fußballfelder kleine Areal -, überhaupt nicht mehr. Erst der Vertrag mit den Faschisten - Patti lateranensi - holte ihn wieder aus seinen Räumlichkeiten heraus in die Welt, in der er natürlich zunächst einmal weiterhin schweigen, sich zurückziehen mußte, damit die Faschisten jenseits, nördlich der Alpen ihm seinen Frieden und seine Stellung ließen. Wenn auch die Zeit zwischen der Staatsgründung Italiens und der Ära Mussolini wenig Erfreuliches zu bieten hatte - der sich selbst weggesperrte Papst ist eine der wenigen Freuden, die die menschliche Historie uns zu übermitteln weiß.

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De dicto

"Die Gewalt ist dramatisch gefallen, Tausende Al-Qaida-Terroristen wurden getötet. Die irakische Armee übernimmt vermehrt die Kampfeinsätze, die Regierung handelt entschlossener denn je. Normalität kehrt vielerorts ein. Und die deutschen Medien schweigen!
[...]

Die Chancen stehen gut, dass der zerbrechliche Irak sich stabilisiert und statt Terror, Verfall und Unterdrückung Freiheit und Demokratie Einzug halten. Dem amerikanischen Präsidenten sei Dank."
- Joachim Steinhöfel in seinem BILD-Video vom 18. Juli 2008 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Mag sein, dass die deutschen Medien - die sicherlich kein Aushängeschild journalistischer Aufrichtigkeit sind - nicht immer objektiv aus dem Irak berichten. Das tun sie ja auch in keinem anderen Bereich des täglichen Wahnsinns; allen voran Steinhöfels Auftraggeber - die BILD-Zeitung. Dies dürfte die einzige Ehrlichkeit sein, die sich die einstige Werbefigur - für den Media Markt - geleistet hat. Kritik an der imperialen Politik der Vereinigten Staaten ist freilich aus dem Hause Springer nicht zu erwarten. Steinhöfel, dieser personifizierte BILD-Kodex, betet nur herunter, was jeder BILD-Mitarbeiter als Zusatzvereinbarung in seinem Arbeitsvertrag zu unterzeichnen hat - die Treue zu den Leitlinien Axel Springers.

Und was er da erzählt, dieser wortgewandte Meinungsmacher: Es sähe nach heiler Welt im Irak aus, nur wissen wir das nicht, weil die deutschen Medien hartnäckig schweigen - warum sie dies tun, kann er nicht erklären. Freilich, wie erwähnt, wird es mit der Objektivität nicht weit her sein und das wahre Kriegsmotiv hat man ja in den Tagen der beginnenden Invasion auch nicht laut ausgesprochen - journalistische Feigheit dominierte die Medien weltweit! Verschwiegenheit ist eine Eigenschaft aller Medien, sie berichten nur, was sie an Neuigkeiten an den Konsumenten weiterleiten wollen. Die Frage ist nur, ob sie die Bombenanschläge erfinden, die manchmal Hunderte Menschen in den Tod reißen? Und die US-amerikanischen Scharfschützen, die in Notstandssituationen auf alles schießen, was sich bewegt - eben auch auf Zivilisten? Die Toten hüben wie drüben, getötet durch Waffen von hüben und drüben, nur eine Erfindung? Sind die US-amerikanischen "Allherrlichkeiten im Namen der Demokratie" und die Bomben gegen die Besatzer nur Produkte von phantasievollen "Drehbuchautoren"? Wer bringt denn Zaid zum Töten?
Die Brutalität der US-amerikanischen Besatzungstruppen entspricht der Frontier-Mentalität, die in den USA einen historischen Platz einnimmt und noch immer bemüht wird. An der Grenze, in den sogenannten territories, herrschten raue Sitten, war es mit der Gesetzlichkeit nicht weit her. Rudimentäre Justizmechanismen konnten dort das Recht des Stärkeren nicht beseitigen. Mit dem Verschwinden des Frontier-Status, indem die Grenze weiter gen Westen zog, verschwand nach und nach auch die Brutalität, zog die Staatlichkeit und damit eine Rechtsgrundlage ein. Irgendwann war die final frontier erreicht, im Westen nur noch der Pazifik vorzufinden und die Frontier-Mentalität wurde in den US-amerikanischen Imperialismus importiert (siehe bei Robert Jungk) - und somit auch die damit verwobene Brutalität und Gesetzlosigkeit. Die new frontiers wurden Kuba, die Philippinen, Puerto Rico. Später Korea und Vietnam und allerlei Staaten der Dritten Welt. Heute kommt diese "US-amerikanische Tradition" im Irak und in Afghanistan zu neuen Ehren.

Man weiß nicht, woher Steinhöfel seinen Optimismus bezieht. Ob es Blindheit, Unwissenheit oder dreiste Lüge seinerseits ist. Dass er von der US-amerikanischen Frontier-Mentalität offenbar nichts weiß, liegt auf der Hand. Dies bestätigt nebenher sein primitives Welt- und Amerikabild, läßt uns über sein stupides Gut/schlecht-Kategorisieren lächeln. Wenn man seinen Ausführungen folgt, in denen George W. Bush zum Friedensengel und Erlöser verklärt wird, dann fällt es einem aber schwer, ihm eine ordentliche Portion Dummheit zu attestieren, die seine Äußerungen entschuldigen könnte. Der widerliche Zynismus, der aus seinen Sätzen trieft, tropft jegliche ernstzunehmende Analyse voll und macht sie unkenntlich und unmöglich. Der Aufklärer als verdeckter Giftmischer!

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Die neue Öffentlichkeit

Samstag, 19. Juli 2008

Da wird in einem Teil der Republik - auch wenn sich dieser Freistaat nicht immer als Teil derselbigen sieht - die Öffentlichkeit unzugänglich gemacht, indem man Demonstrationen nur noch dann als legitim erachtet, wenn sich auch wirklich kein Anwohner gestört fühlt und die Veranstaltung nicht allzu spontan in die Wege geleitet wird. Während auf der anderen Seite, in einem anderen Teil dieser Republik, ein Ereignis aus dem Schattendasein halböffentlicher Feierlichkeit herausgeholt wird, um es einer makaberen öffentlichen Zurschaustellung neuen deutschen Stolzes zu überantworten. Hier: das in Bayern kürzlich verabschiedete Versammlungsgesetz; dort: die öffentliche Inszenierung des feierlichen Gelöbnisses von 500 Bundeswehrsoldaten vor dem Reichstag in Berlin.

Es ist schon ein widerlich abgestandener Geruch - ein Leichengeruch aus längst vergangener Zeit -, der aus den Parlamenten dieses Landes herausströmt!

Die "einzige Öffentlichkeit die für Andersdenkende bleibt, nämlich die der Straße" (Meinhof), soll eingeschränkt werden. Jeder linien- und damit regierungstreue Christsoziale, der dann zufällig am Ort der Demonstration wohnt, kann somit zum Unterbinder basisdemokratischer Aktion werden, kann sich gestört fühlen und die Veranstaltung abblasen lassen. Was sich die bayerische Regierung hier ersonnen hat, ist ein Instrument, welches Hilfspolizisten schafft, die sich, gestört an ihrer seligen Ruhe, ihren demonstrierenden Mitbürgern in den Weg stellen können. Dazu reicht man ihnen großzügigst längere Vorbereitungszeit, damit diverse Schnellverfahren zur Unterbindung der öffentlichen Proklamation mit etwas mehr Ruhe über die Bühne gehen können. Die Meinung des Andersdenkenden wird aus der Öffentlichkeit zwar nicht verbannt, aber doch Schritt für Schritt "hinausgezüchtet". Wenn man bei den betreffenden Meldestellen fortwährend wie ein räudiger Bittsteller behandelt wird, erspart man sich früher oder später diese Schmach und die Enttäuschung, die bei einer ausbleibenden Erlaubnis ins Haus steht. Sie - die Öffentlichkeit - ist dann keine Selbstverständlichkeit mehr, kein offener Raum für alle, sondern ein wohlbehütetes Gehege, dessen Hüter in den staatlichen Institutionen und Polizeidienststellen sitzen. Die Öffentlichkeit wird zum Luxus, zum geschützten Areal derer, die die notwendige Macht besitzen und die finanziellen Mittel dazu aufbringen können, um sich frei darauf zu bewegen.

Wo der Bürger mit eigener Meinung vertrieben wird, dort soll der Bürger, der keine eigene Meinung vertritt, seinen Platz finden. Der demonstrierende Mensch verschwindet, um den treuen Geck mit Gewehr Raum zu verschaffen, der sein Gelöbnis kritiklos herunterbetet. Dies um einer Normalisierung Vorschub zu leisten, die in Augen konservativ-militaristischer Kreise schon lange hätte vollzogen werden müssen. Die Bundeswehr soll salonfähig werden, soll einen öffentlichen Raum einnehmen und - auch dies ist noch nicht vom Tisch - ein innenpolitischer Machtfaktor werden, der nicht nur in Zeiten des Notstandes (grundgesetzlich legitimiert) eingesetzt werden darf. Die Normalisierung begründet sich im Denken, die Gesellschaft mit einer sanften Remilitarisierung zu "bereichern". Ein Deutschland der öffentlichen Bundeswehr, in dem man stolz auf seine Armee sein darf, vielleicht sogar sein muß, ist ein Deutschland, in dem aus einem Fließbandarbeiter ein Industriesoldat wird und in dem man Ärzte und Krankenschwestern als eine Art Gesundheitsarmee, Arbeitsgruppen als Bataillone, den Arbeitsmarkt als Arbeitsfront bezeichnet.

Die Öffentlichkeit wird dem Oppositionellen aus den Händen gerissen. Er findet keine Vertretung in den Parlamenten, keine in Gewerkschaften, keine in Verbänden. Alle sind sie gefestigt in einer kapitalistischen Welt, nehmen deren Logiken und Sichtweisen als unumstößliche Gewißheiten an und unterscheiden sich - wie in Orwells Farm Schweine und Menschen - nicht (mehr) von ihrem gesellschaftlichen Widerpart. Die Straße als letzte Bastion, schon seit Jahren stückchenweise aus der Hand Andersdenkender gerissen, immer wieder mit Steinen verunziert, die man in den Weg zu rollen gewillt war, soll nun in drastischen Schritten gänzlich verscherbelt werden, um sie der gleichgeschalteten Presse als Organ von Wirtschaft und Politik zu überschreiben. Wundert es da, dass ausgerechnet die Springerpresse als ein solches Hauptorgan, sich für die Salonfähigkeit eines öffentlichen Gelöbnisses von Bundeswehrsoldaten stark machte? - Denen soll ja fortan die Straße gehören, den quietschenden Stiefeln und jenen Schwachköpfen, die die Stiefel rechtfertigen!

Während potenzielle Mörder in Uniform als Stolz des Landes gelten, die brav und fromm ihr Nationalgebet herunterleiern, in dem sie davon sprechen, ihrem Vaterlande treu zu dienen, werden Andersdenkende, die fern von solchen Gebeten positioniert sind, in die Illegalität getrieben. Die Kraftmeierei soll zuungunsten demokratischer Willenskundgebung installiert werden. Macht das bayerische Versammlungsgesetz Schule, so ist zugeteilte Öffentlichkeit für uns Irgendwers lediglich noch ein staatlicher Gnadenakt - keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern eine Eventualität, mir der wir nicht zu rechnen haben.

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Ridendo dicere verum

"Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: eine, wenns ihm gut geht, und eine, wenns ihm schlecht geht. Die letztere heißt Religion.

Der Mensch ist ein Wirbeltier und hat eine unsterbliche Seele, sowie auch ein Vaterland, damit er nicht zu übermütig wird.

Der Mensch wird auf natürlichem Wege hergestellt, doch empfindet er dies als unnatürlich und spricht nicht gern davon. Er wird gemacht, hingegen nicht gefragt, ob er auch gemacht werden wolle.

Der Mensch ist ein nützliches Lebewesen, weil er dazu dient, durch den Soldatentod Petroleumaktien in die Höhe zu treiben, durch den Bergmannstod den Profit der Grubenherren zu erhöhen, sowie auch Kultur, Kunst und Wissenschaft.

Der Mensch hat neben dem Trieb der Fortpflanzung und dem, zu essen und zu trinken, zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören. Man könnte den Menschen gradezu als ein Wesen definieren, das nie zuhört. Wenn er weise ist, tut er damit recht: denn Gescheites bekommt er nur selten zu hören. Sehr gern hören Menschen: Versprechungen, Schmeicheleien, Anerkennungen und Komplimente. Bei Schmeicheleien empfiehlt es sich, immer drei Nummern gröber zu verfahren als man es grade noch für möglich hält.

Der Mensch gönnt seiner Gattung nichts, daher hat er die Gesetze erfunden. Er darf nicht, also sollen die andern auch nicht.

Um sich auf einen Menschen zu verlassen, tut man gut, sich auf ihn zu setzen; man ist dann wenigstens für diese Zeit sicher, dass er nicht davonläuft. Manche verlassen sich auch auf den Charakter.

Der Mensch zerfällt in zwei Teile:
In einen männlichen, der nicht denken will, und in einen weiblichen, der nicht denken kann. Beide haben sogenannte Gefühle: man ruft diese am sichersten dadurch hervor, dass man gewisse Nervenpunkte des Organismus in Funktion setzt. In diesen Fällen sondern manche Menschen Lyrik ab.

Der Mensch ist ein pflanzen- und fleischfressendes Wesen; auf Nordpolfahrten frißt er hier und da auch Exemplare seiner eigenen Gattung; doch wird das durch den Faschismus wieder ausgeglichen.

Der Mensch ist ein politisches Geschöpf, das am liebsten zu Klumpen geballt sein Leben verbringt. Jeder Klumpen haßt die andern Klumpen, weil sie die andern sind, und haßt die eignen, weil sie die eignen sind. Den letzteren Haß nennt man Patriotismus.

Jeder Mensch hat eine Leber, eine Milz, eine Lunge und eine Fahne; sämtliche vier Organe sind lebenswichtig. Es soll Menschen ohne Leber, ohne Milz und mit halber Lunge geben; Menschen ohne Fahne gibt es nicht.

Schwache Fortpflanzungstätigkeit facht der Mensch gern an, und dazu hat er mancherlei Mittel: den Stierkampf, das Verbrechen, den Sport und die Gerichtspflege.

Menschen miteinander gibt es nicht. Es gibt nur Menschen, die herrschen, und solche, die beherrscht werden. Doch hat noch niemand sich selber beherrscht; weil der opponierende Sklave immer mächtiger ist als der regierungssüchtige Herr. Jeder Mensch ist sich selber unterlegen.

Wenn der Mensch fühlt, dass er nicht mehr hinten hoch kann, wird er fromm und weise; er verzichtet dann auf die sauern Trauben der Welt. Dieses nennt man innere Einkehr. Die verschiedenen Altersstufen des Menschen halten einander für verschiedne Rassen: Alte haben gewöhnlich vergessen, dass sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, dass sie alt sind, und Junge begreifen nie, dass sie alt werden können.

Der Mensch möchte nicht gern sterben, weil er nicht weiß, was dann kommt. Bildet er sich ein, es zu wissen, dann möchte er es auch nicht gern; weil er das Alte noch ein wenig mitmachen will. Ein wenig heißt hier: ewig.

Im übrigen ist der Mensch ein Lebewesen, das klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen läßt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot.

Neben den Menschen gibt es noch Sachsen und Amerikaner, aber die haben wir noch nicht gehabt und bekommen Zoologie erst in der nächsten Klasse."
- Kurt Tucholsky, "Die Weltbühne" vom 16. Juni 1931 -

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Grünbraune Verwandtschaften

Freitag, 18. Juli 2008

Die Grünen und die Braunen - eine neue, noch nie dagewesene Geschichte? - Dies könnte man glauben, wenn man die nun gehäuft auftretenden Stimmen dazu vernimmt, wonach die Rechten sich immer mehr in ökologischen Themen üben. NPD und Freie Kameradschaften, so könnte man annehmen, hätten erst kürzlich die Natur für sich entdeckt. Diese Entdeckung mutet seltsam und weltfern an, weil sich da Positionen treffen, die zunächst einmal keinerlei Berührungspunkte offenbaren.

Weder ist die Konstellation von Braunen mit grünen Themen neu, noch ist es verwunderlich, dass ausgerechnet im Grünen das Braune schlummert. Der Ökofaschismus drängte schon bei der Gründung der Grünen in die neu entstehende Partei. Namentlich Herbert Gruhl, seinerzeit ehemaliges CDU-Mitglied, spielte eine unrühmliche Rolle. In seinem Buch "Himmelfahrt ins Nichts" sprach er sich im Falle des Notstandes - damit meinte er die Übervölkerung in der Dritten Welt - für einen Atombombenabwurf aus. Er und Baldur Springmann - ein nationalistischer Landwirt mit NSDAP- und SS-Hintergrund - verließen die Grünen bereits 1980, womit sich die neue Partei zunächst einmal nach links entwickelte. Rechte Unterwanderungsversuche gab es aber immer wieder. So mußte 1985 der grüne Bundesvorstand den Landesverband West-Berlins auflösen, weil dieser von Mitgliedern des neofaschistischen Witikobundes, den Neuheiden und der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" vereinnahmt war. Ende der Achtzigerjahre sprachen sich einige Grüne - unter anderem Antje Vollmer - für die Annäherung an Gruhl und Konsorten aus. Man müsse den Riss, den man Anfang der Achtzigerjahre im grünen Lager entstehen ließ, wieder kitten.
Gruhl und Springmann hatten zwischenzeitlich - 1982 - die ÖDP mitgegründet und dieser neuen Partei ihren wertkonservativen Stempel aufgedrückt. Ende der Neunzigerjahre suchten die bayerischen Grünen die Nähe zu dieser ÖDP - die sich mittlerweile in Kleinbuchstaben (ödp) schrieb - um die "Möglichkeit für künftige Wahlbündnisse auszuloten". Welchen Partner hat man sich da erhofft und später auch erhalten? - Die Grünen standen ursprünglich für die Emanzipation der Frau. Sie alleine sollte entscheiden, ob sie ein Kind austragen will oder nicht; sie sei alleine dazu berechtigt, ihren Körper einer Schwangerschaft auszusetzen und notfalls diese zu beenden, wenn es ihr angebracht scheint. Die ÖDP hingegen wollte, dass jede Schwangerschaft zu beenden sei. Während die Grünen für offene Grenzen plädierten, forderte Gruhl einen "Einwanderungsstopp aus ökologischen Gründen". Denn da die Einwanderer hierzulande schneller frören, müssen sie viel heizen, womit sie als Ausländer die deutsche Umwelt belasten. Diese "große inhaltliche Schnittmenge", von der die Grünen-Landtagsabgeordnete Paulig sprach, scheint eigentlich gar nicht gegeben. Aber was kümmern sich die heutigen Grünen um Inhalte?

Jutta Ditfurth schreibt in ihrem Buch "Das waren die Grünen", dass von Anfang an Anhänger des antisemitischen Wirtschaftstheoretikers Silvio Gesell ihr Unwesen in der Partei trieben. In seinen Schriften spricht er sich für Zinsminderung aus, verbannt aber menschliche Ausbeutung und Naturzerstörungen nicht aus seinem Denken. Er feiert den "hochwertigen Menschen", während er den abgearbeiteten Menschen verachtet. Jede zuchtbereite Frau soll - gemessen an ihrer Kinderzahl - mit "Freiland" belohnt werden. Ditfurth weiter:
"Bei den Grünen in Harburg-Land wurde jahrelang mit Texten des Gesell-Jüngers Yoshito Otani geschult. Otani leugnete die Kriegsschuld der Deutschen und schob selbst den 1. Weltkrieg "jüdischen Bankhäusern" unter. Er bezog sich auf die widerwärtigsten antisemitischen Fälschungen, die sogenannten "Protokolle der Weisen von Zion". Als Kritik aufkam, machte der Grüne Dauerbundestagsabgeordnete Helmut Lippelt die Kritiker lächerlich.
Nach jahrelanger Ignoranz wurden kürzlich drei Rechtsextreme aus den Grünen ausgeschlossen: Irmgard Kohlhepp, Mitgründerin der Alternativen Liste Westberlin, Bernhard Heidt und Rudolf Sauer. Auch sie bezogen sich auf Silvio Gesell. Heldt war, wie Sauer, Mitglied der Republikaner, Sauer hatte dem ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog im Internet empfohlen, "nach Auschwitz" zu gehen und sich "sühnevergasen" zu lassen. In Auschwitz, so Sauer, habe es keine Gaskammern gegeben."
Schließt sich ökologische Politik und nationalistisches Geplänkel nicht aus? Dies kann man nur annehmen, wenn man die öffentlichen Kategorisierungen hinnimmt, wie sie uns spätestens seit den Achtzigerjahren eingepflanzt wurden. Da steht der grüne Abgeordnete als Gutmensch, der pazifistisch und antimilitaristisch, selbstverständlich umweltliebend- und deswegen -schützend, seine Politik gestaltet. Lange Zeit war der ökologische Politiker ein wandelndes Heiligenbildchen der politischen Landschaft - verantwortungsbewußt, zielstrebig und gegen das konservative und erstarrte Establishment politisierend.
Doch gerade in diesen Kreisen wird häufig einem romantischen Naturgefühl gefrönt, welches den Menschen letztendlich zur austauschbaren Biomasse degradiert. Diese verklausulierte Menschenverachtung reichert individuelle Egoismen verschiedener Esoterikpraktiken an, gibt ihnen eine kollektive, d.h. umweltbasierende Komponente - esoterisches Gedankengut und ökologische Romantik vermengen und bereichern sich. Und es ist daher auch gar nicht verwunderlich, dass ausgerechnet von Seiten der Grünen dem Dalai Lama und seiner Vorstellung eines neuen - eigentlich alten! - Tibets hohe Sympathie entgegenkommt. Es ist esoterische Menschenverachtung, die freilich human und menschenliebend daherkommt, aber doch zwischen den Zeilen herauslesen läßt, dass nur derjenige etwas taugt, der sich den Weisheiten dieser oder jener "esoterischen Schule" hingibt und sie lebt, die das Grüne - nicht nur die Partei als solche, sondern allerlei grüne Denkschulen - begleitet. Der Mensch in diesem Weltbild in eine Natur gebettet, ist Teil eines Ganzen und nicht mehr Dominator - sollte er zumindest nicht mehr sein. Diese Natur ist ihm ebenbürtig und daher ist nicht nur die Natur ersetzbar bzw. reanimierbar, sondern auch der Mensch. Er wird seiner Persönlichkeit beraubt zur Biomasse. Aus einem Jemand wird ein Etwas.

Wenn wir von Esoterik sprechen, dann darf natürlich auch Rudolf Steiner nicht fehlen, der mit seiner okkulten und unaufgeklärten Pädagogik und seinem rassistisch unterlegten Weltbild - das bis vor kurzem noch gelehrt wurde; womöglich immer noch gelehrt wird - gerade innerhalb grüner Kreise auf Gegenliebe stößt. Anthroposophen sind bei den Grünen keine Seltenheit. Der ehemalige Grüne und spätere Innenminister im Dienste der SPD, Otto Schily, versteht sich als Anthroposoph. Ditfurth: "Man wird SPD-Innenminister Otto Schilys spezifische Härte gegen Flüchtlinge und bei Abschiebungen nur verstehen können, wenn man weiß, was für ein elitäres und zutiefst rassistisches Menschenbild das (verheimlichte) Wesen der Anthroposophie bestimmt."
"Wo Sinti auftauchen, werden sie in aller Regel schnell zu troublemakers, die fast ausschließlich als Last und Zumutung erscheinen und insofern asozial oder genauer nicht-sozial sind, als sie nicht erkennen lassen, daß sie zu der Gesellschaft, in der sie leben, Zugang finden wollen... (wir haben) zwar keine Wahl, als diese ungebetenen und in der Tat provozierenden Gäste aufzunehmen..."
Dies entstammt dem wirren Weltbild Daniel Cohn-Bendits - Mitglied des Europäischen Parlaments im Auftrag der Grünen -, der gelegentlich, Anfang der Neunzigerjahre, diversen rechtsextremen Zeitschriften Interviews anbot. Da vertritt also der selbsterklärte linke Grüne Cohn-Bendit - der Zufallsrevolutionär von 1968! - in Zeitschriften wie "Mut", "Nation Europa" oder "Junge Freiheit" seine rechtslastigen, ressentimentsgeschwängerten Sichtweisen - sehr zum Jubel rechter Zeitgenossen, versteht sich. Als Jahre zuvor Cohn-Bendit Multikulti-Dezernent in Frankfurt war, mußte eine Broschüre seines Amtes zurückgezogen werden, weil darin rassistische Vorurteile über Sinti verbreitet wurden. Bei Cohn-Bendit hat der kleinbürgerliche Kneipen-Rassismus also durchaus Methode.

Grüne und Braune also. Oder Braune und Grüne? Oder Grünbraun? - Neu ist dieses Thema beileibe nicht und gerade "im Grünen" finden sich ja die edelsten Motive, eine bemäntelte Blut- und Bodenrhetorik zu entfalten. Dort ist der Apologet des "Volkes ohne Raum" ein Naturschützer, kein Bierkelleragitator. Aus dem kleinbürgerlichen Rassismus wird ein ökozentrierter, der den Boden zur Grundlage des Andersseins macht. Denn nur der "einwandfreie Mensch" pflegt seine Umwelt, liebt die Mitwesen und die Pflanzen, während die "wilden Afrikaner" und die "verantwortungslosen Asiaten" unsere Welt zerstören. Aber das Deutsche geht pfleglich mit seiner Erde um, denn auf dem Boden, den der Deutsche kultiviert und pflegt, haben schon seine deutschen Ahnen gelebt und werden seine Kinder leben. Auf diesem Boden lebt sein nationales Blut.
Es ist ein schmaler Grat, auf dem die rationale Ökologie wandelt. Ein kleiner Schritt nur, und aus den seriösen Forderungen, die wissenschaftlichen Erkenntnissen entspringen, werden romantische Esoteriken und/oder rechtslastige Nationalmentalitäten. Gerade deswegen ist es keine Sensation, dass die NPD und Freie Kameradschaften nun darauf abzielen, sich den ökologischen Fragen zu widmen. Und da gerade solche Fragen mehr und mehr das politische Bewußtsein der Menschen antreibt - während soziale Fragen immer mehr durch das neoliberale Leistungsdenken als Maßstab der Wahlentscheidung verdrängt werden ("Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen!") -, könnte es freilich viel Zuspruch geben.

Sich um die Umwelt sorgend die Shoa leugnen und vulgären Rassismen folgen! - Nichts Neues wie man gesehen hat. Und, wenn man die Grünen so analysiert, auch nichts, was innerhalb dieser Partei nicht geboten wäre. Freilich leistet man sich eine Berufsentrüstete wie Claudia Roth, die bei jedem Anflug politischer Inkorrektheit im überparteilichen Geschehen von Rücktritten und Untragbarkeiten fabuliert, doch für den grassierenden Wahnsinn in ihrer Partei hat sie nichts übrig. Wer also rechtslastige, nationalistisch gesittete Ökologie haben möchte, der muß nicht darauf warten bis die NPD sich an dieser bedient. Man kann gerne gleich das Orginal wählen...

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Nomen non est omen

Donnerstag, 17. Juli 2008

Heute: "Neiddebatte"
"Sie - Anmerkung: die Diskussion um zu hohe Managergehälter und Abfindungen - geht inzwischen weit über das zu verantwortende Maß hinaus. Das schürt den Neid, das ist mir zu populistisch."
- BDI-Präsident Jürgen Thumann am 25. Dezember 2007 im Nachrichtensender N-TV -
„Die Diskussion um die Besteuerung von Erbschaften droht immer stärker zu einer Neiddebatte zu werden. Wir müssen in der Debatte zu den Realitäten zurückfinden.“
- Matthias Löttge, finanzpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in Mecklenburg Vorpommern, in einer Pressemitteilung am 18. April 2007 -
"Eine solche Neiddebatte schadet aber dem Ansehen der Unternehmer insgesamt und führt dazu, dass das Unternehmertum in Deutschland weiter verunglimpft wird."
- WJD-Bundesvorsitzende Kirsten Hirschmann am 17. Dezember 2007 -
Der Begriff der 2006 von der Gesellschaft für deutsche Sprache ausdrücklich gerügt wurde, wird oft als Kampfbegriff von Vermögenden gegen weniger Vermögende bzw. arme Menschen benutzt. Dabei wird den weniger Vermögenden eine negative Eigenschaft, genauer eine der sieben Hauptsünden des Christentums unterstellt: der Neid. Mit diesem Kampfbegriff sollen Menschen, die noch ein gesundes Gerechtigkeitsgefühl empfinden, ein Maulkorb verpasst werden. Schließlich ist dem Kapitalismus die extreme Ungleichheit sowie die ungerechte Behandlung der Menschen inhärent. Dies zu kritisieren käme einer Systemkritik gleich und wird daher von den Profiteuren dieses Systems bekämpft. Somit soll eine ernsthafte öffentliche Diskussion über soziale Gerechtigkeit sowie eine gerechte Verteilung der gesellschaftlichen Güter und Reichtümer von vornherein unterbunden und der Status quo erhalten werden. In Zeiten von steigender Kinder- und Altersarmut sowie zunehmender sozialer Spaltung die Menschen als neidisch abzustempeln statt als hilfebedürftig anzuerkennen, ist realitätsfremd und zynisch. Der Begriff offenbart den menschenverachtenden Egoismus vieler sogenannter Eliten, die weder den Hals voll genug bekommen können, noch wissen (wollen) was Armut für die Betroffenen wirklich bedeutet.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

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Die Große Koalition soll Dauerzustand werden

Dienstag, 15. Juli 2008

Gemeinhin sagt man ja, dass politische Wahlen nur erlaubt seien, weil sie nichts verändern. Wäre dem nämlich so, hätte man das alle vier Jahre stattfindende Spiel für Erwachsene schon längst abgeschafft. Und überhaupt: Warum soll man den Gang an die Urne überhaupt antreten, wenn man weder Auswahl noch die berechtigte Hoffnung auf eine Veränderung hat?
Weltansichten vom Stammtisch? - Freilich, so liest es sich. Man ist wirklich geneigt zu glauben, dass diese Ansichten einer feucht-fröhlichen Stammtischrunde entwachsen sind. Aber zuweilen werden die alkoholgeschwängerten Sichtweisen aus dem Wirtshaus zur Realität der politischen Landschaft - man denke nur an den letzten hessischen Wahlkampf! Einst stellte man nur salopp fest, mit einem zynischen Unterton, dass Wahlen verboten wären, sofern sie Veränderungen nach Willen der Votierenden bewirken würden. Doch Steinbrück bemüht sich nun, diesen faden Zynismus aus dem Bierglas herauszuholen, um sie salonfähig zu machen.

Für Steinbrück wäre eine Verlängerung der Großen Koalition traumhaft. Er fände es vernünftig und spekuliert schon heute darauf, dass es genau so kommen wird. Man darf sich zudem versichert fühlen, dass Steinbrück nicht alleine dasteht mit seinem Wunsch. Immerhin lassen sich in einer Großen Koalition Gesetze ohne große Gegenwehr verabschieden. Selbstverständlich wird man nicht müde, diverse angebliche Differenzen zwischen den Koalitionspartnern aufzubauschen und recht in Szene zu setzen, die objektiv betrachtet aber kaum in Nuancen wahrnehmbar sind. Es ist letztendlich nur reine Formsache, in welcher der beiden Parteien das Regierungsmitglied ist, sozusagen eine organisatorische Frage, keine von politischen Inhalten geprägte. Schließlich muß der Vertreter seiner Partei ja wissen, auf welchen der beiden sich ähnelnden Parteitage er erscheinen soll. Unterschiede in der Denk- und Handelsweise sind zwischen Union und Sozialdemokratie kaum feststellbar. Und wer erinnert sich nicht die traute Einigkeit beispielsweise beim Absegnen der Vorratsdatenspeicherung gegen den Willen des Großteils der Bevölkerung? Bei einem Verhältnis von fast 3:1 im Bundestag, werden Abstimmungen zur reinen Formsache, zum lästigen Relikt aus vergangenen Tagen, in denen ein Lüftchen von etwas mehr Demokratie in Berlin wehte. Und wenn die führenden Köpfe der Koalition schon die Neuauflage planen, dann wird auch die Bundestagswahl - mehr denn je - zur belanglosen Formsache.

Welch Aufschrei ging durch diese Republik, als im Jahre 1966 eine Große Koalition ins Leben gerufen wurde! "Wir hatten einen CDU-Staat, einen Staat der Kalten Krieger, einen Staat der Restauration. In dem Augenblick, wo der in Gefahr kommt, wird die SPD nicht Oppositionspartei, um die Massen zu mobilisieren und sie für den Sozialismus zu gewinnen, sondern steigt ein ins verrostete Geschäft der CDU." - Schon damals formulierte Rudi Dutschke - das war im Februar 1968 -, die Gleichschaltung der deutschen Sozialdemokratie an die staatstragenden, konservativen Kräfte. Er stellte somit das stete Daraufverweisen der SPD-Oberen, es gäbe nach wie vor Unterschiede zwischen beiden Koalitionspartner, bloß. Für Dutschke und seine Mitstreiter war kein Unterschied zwischen konservativer Christdemokratie und Sozialdemokratie mehr erkennbar. Was Dutschke wortgewandt und im soziologischen Duktus auszudrücken wußte, drängte sich auch weniger eloquenten Zeitgenossen auf: Die Große Koalition wirke antidemokratisch, unterbinde die politische Willensbildung der Bevölkerung, klammere einen gewissen Bevölkerungsanteil komplett aus ihrer Politik aus, könne schamlose Politik ohne demokratische Kontrolle ausüben. Die Notstandsgesetze wurden dann auch trotz großem Widerstand durch den Bundestag gedrückt. Das phantasievolle Wirken der APO, aber auch die ausgedrückte Ablehnung bürgerlicher Verbände und Einzelpersonen gegenüber diesen neuen Ermächtigungsgesetzen vermochten es nicht, die Bonner Großkoalition zur Vernunft zu bringen. Ein großer Teil der in den Notstandsgesetzen verankerten Ausnahmeregelungen fanden später Anwendung in der Bekämpfung der RAF, in der plötzlich unbescholtene Bürger als potenzielle Terroristen behandelt wurden, aber auch im Kampf gegen linke AKW-Gegner, die wir Staatsfeinde niedergeknüppelt wurden - dies aber nur am Rande.
Damals jedenfalls fand eine Stimme der Öffentlichkeit, die sich gezielt außerhalb des Parlaments manifestierte. Derart willenlos wie im Jahr 2005 hat man die Große Koalition nicht hingenommen. Vor drei Jahren hatte man den Eindruck, als wolle man sich nicht gegen etwas wehren, das quasi als Naturgesetzt angesehen wurde.

Was heute der damaligen Situation gleicht ist die Einsicht, dass ein formulierter Wunschtraum - wie jener von Steinbrück - ein antidemokratischer Wunschtraum ist. Wenn er im Vorfeld schon abtastet, wie eine neue Große Koalition zustandekommen könnte, wenn er gezielt versucht, seine Kameraden in der Regierung auf seine Linie zu trimmen - und das dürfte nicht so schwer sein -, dann entwertet er das Votum des Bürgers, welches ja erst im September 2009 zu Rate gezogen werden soll. Was der Situation von 1966/69 nicht gleicht ist die Lethargie der Menschen. Freilich waren es seinerzeit lediglich die Studenten und Hochschüler, die einen Erweckungsprozess anheizten, die versucht waren, auch Arbeiter und Angestellte in ihre Reihen aufzunehmen - was Dutschke übrigens nie wirklich gelang, weil er seine soziologische Ausdrucksweise nicht zu reduzieren wußte. Doch die heutige Generation von Studenten denkt nicht daran gegen Mißstände und Alleingänge der Berliner Regierung aufzustehen. Sie kommen vermehrt aus reichem Hause und diese Republik hat ihren Familien Wohlstand und Zufriedenheit geschenkt. Warum also dagegen aufstehen, warum dagegen rebellieren, selbst wenn die Machenschaften einem manchmal - in schwachen Stunden - die Rebellion nahelegen? Nein, stattdessen drängen die Studenten heutiger Tage in die Institutionen, wollen auf formalen Wege Veränderungen erzielen und ordnen sich - oftmals unbewußt, auf jugendliche Naivität gründend - den Werten und Ansichten ihrer Väter und Großväter unter, lassen jegliche außerparlamentarische Kritik als Verrat an der Sache der parlamentarischen Demokratie aussehen. Wenn dann aber unsere Studenten doch protestiert, dann beispielsweise - und dies zurecht - gegen einen Besuch des US-Präsidenten. Die Demonstrationen werden aber präventiv eingezäunt und umgeleitet. Dieses Unterbinden freiheitlicher Rechte läßt man sich gefallen, schafft sich zum Ausgleich Trillerpfeifen an, um wenigstens aus der Ferne aufzufallen und Meinung kundzutun, und wenn auch dies versagt, dann greift man eben zum Bier und ertränkt seinen Frust - wenn es denn einer wird - in den Tiefen des Rausches. Selbst im Aufbegehren findet sich tiefste Lethargie und ein Hörigsein den offiziellen Vertretern und Institutionen dieser Demokratie.

Die Äußerung Steinbrücks hätte 1966 schon ausgereicht, um ein Feuer an Aktion zu entzünden. Man hätte den Antidemokraten Steinbrück nicht ungeschoren davonkommen lassen. Heute sitzt dieser Schröderianer, dieser kleine Leichenbestatter und -fledderer der SPD, der nicht einen Gedanken auf einen möglichen Wahlsieg seiner Partei verschwendet, der lieber als Marionette der Christdemokraten agiert - wohl auch, weil die Unterschiede eben doch nicht vorhanden sind, den Bekundungen beider Seiten zum Trotz -, bequem in seinem Sessel und verkauft das Fell des Bären, bevor dieser überhaupt erlegt wurde. Der Wille jener, die dafür sorgten, dass er überhaupt dort sitzt, wo er denn jetzt sitzt, spielt in seinem entrückten Weltbild keine Rolle mehr. Gelegentlich wird er wohl in Gedanken versunken darüber brüten und sich selbst vorsagen, dass da doch noch was war, was im September 2009 zu erledigen sei. Demokratische Wahl nennt sich dieses Etwas - aber die ist tatsächlich nebensächlich und - da darf man sich sicher sein - schon heute entschieden: Merkel bleibt die beste Kanzlerin, die dieses Land je gehabt hat und die Große Koalition wird zum Dauerzustand.

... und wenn dann erstmal Jahre mit der GroKo vergangen sind, dann schreibt man ins Grundgesetz, dass immer - alle vier Jahre - eine Regierung aus CDU/CSU und SPD konstituiert werden muß, denn sie habe Kontinuität gewährleistet und nur sie könne dies auch in Zukunft tun. Gewählt wird dann nur noch um festzustellen, in welcher Konstellation die beiden Parteien in die Koalition eintreten - schließlich muß man doch wissen, wieviel Posten und Pöstchen, wieviele Ministersessel jede Partei besetzen darf. Wenn es erstmal so weit ist, dann müßte man auch gar nicht mehr von der Großen Koalition sprechen, denn es gäbe ja sowieso nur eine mögliche, qua Verfassung legitimierte Koalition. Aber natürlich behält man dieses aufwertende Adjektiv bei, damit man von der Großen Koalition spricht wie vom Großen Bruder oder vom Großen Vorsitzenden Mao oder dem GröFaZ. Das Adjektiv wird die Anbetung erleichtern, den Kult um die neue Herrscherkaste - die dann vor Erbmandaten nicht mehr haltmachen muß - ankurbeln und einem neuen Europa Anreize für eine neue demokratische Gestaltung vor Augen führen. Deutschland als Vordenker der neuen Demokratie, der vernünftigen Demokratie, die eine Einheitsfront zum Wohl des Volkes einführte und so die Menschen mundtot und damit glücklich - dann sagt ja niemand mehr was - machte.

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In lächelnder Gesellschaft

Montag, 14. Juli 2008

Die Welt ist freundlich. Lächelnd begegnen uns die Menschen. Für unser Wohlbefinden wird in lächelnder Weise gesorgt. Dort wo man uns mit einem freundlichen Wort, einer Geste aufrichtiger Freude begrüßt, fühlen wir uns akzeptiert, willkommen und gewollt. Wir - das sind wir in unserer Rolle als Verbraucher, als bezahlende Kunden. Dies ist die Rolle die uns verstärkt zukommt. Noch bevor wir Mensch sind, sind wir Kunde. Und in dieser Funktion wird um uns gebuhlt. Man bombadiert uns mit Freundlichkeiten und hochgezogenen Mundwinkeln. Warme Worte werden zu unseren Begleitern. Die Welt ist freundlich, die Welt ist lächelnd. Lächelnd auch dann, wenn der Lächler sich unwohl fühlt, eigentlich gar keinen Anreiz verspürt, seine Gesichtsmuskeln lächelnd zu dehnen.

Wir besuchen unseren Supermarkt. Die Angestellten dort scheinen uns glückliche Menschen zu sein. Sie lächeln uns an, sie bieten mit ausgewählter Höflichkeit Käsehäppchen und Weinproben feil. Und haben wir selbst auch einen schlechten Tag, geben uns mürrisch unserem Nächsten hin, so lächelt uns die Angestellte dennoch zu. Sie hält demnach die linke Wange hin, auch wenn wir ihrer rechten schon einen Schlag verabreicht haben. Auch bei den anschließenden Gängen in die Bäckerei und zum Metzger begegnen wir glücklichen Angestellten, die uns schon entgegenlächeln, wenn wir nur die Türschwelle aus der Ferne betrachten. Auf dem Heimweg treffen wir unseren Postboten, der uns in seinem Privatleben keines Blickes würdigt, aber in seiner Funktion als Briefzusteller lächelnd einen schönen Morgen wünscht. Wir werden am Telefon über Angebote diverser Firmen informiert - eine zuvorkommende, weich-warme Stimme läßt uns das Lächeln imaginieren, läßt uns unbewußt ein freundliches Gesicht vor dem geistigen Auge entstehen. Der Staubsaugervertreter lächelt auch dann noch, wenn wir ihm seine überteuerten Staubsaugerbeutel verbal um die Ohren geschlagen haben. Es lächeln allerlei Berufsgruppen - man möchte fast meinen um die Wette. Das große Buhlen um den Kunden, den man lächelnd in die Taschen zu greifen gedenkt, prägt unsere Gesellschaft. So behandelt zu werden ist keine Selbstverständlichkeit, die sich jedem Menschen aufdrängt, weil man seinem Nächsten ja freundlich zu begegnen habe, sondern lediglich plumpe Serviceleistung. Es ist nicht Freundlichkeit, sondern angeordnetes Vernünfteln für die Umsatz- bzw. Gewinnsteigerung.

Man stelle sich vor, der Häuptling Tuiavii aus Tiavea würde unsere Gesellschaft in diesen Tagen bereisen. Freilich ist so eine Vorstellung heute kaum noch umsetzbar, denn nur noch wenige unentdeckte Völkchen hatten noch nicht die Ehre, unsere Unkultur kennenzulernen; wir sind also hinreichend bekannt auf dem Erdenrund. Aber nehmen wir nur kurz an, Tuiavii würde den Papalagi - den Weißen, den Fremden, wörtlich: den Himmelsdurchbrecher - besuchen. Er käme in einen Teil der Welt, in dem das Glück förmlich spürbar wäre. Der Häuptling müßte in sein Tagebuch notieren, dass diese fremde Gesellschaft, bei aller Entfremdung von der eigenen Umwelt, es dennoch geschafft hat, jedermann das Glück zu sichern. In seiner eigenen Sichtweise gefangen - wir würden sie wohl als "naive Sichtweise" bezeichnen - würde er davon ausgehen, dass Menschen nur lächeln, wenn ihnen danach ist. Und weil dem so ist und der Häuptling zudem annimmt, dass es immer so war und immer so sein wird, muß die Papalagi-Gesellschaft eine grundauf glückliche Version menschlichen Zusammenlebens sein. Zwar feiere man in bei den Papalagis keine Neumondfeste mehr und vollzieht den männlichen Initiationsritus ebensowenig feierlich wie auf Tiavea, aber - so würde er nach einigem Nachsinnen erkennen - Glück läßt sich eben mannigfaltig verwirklichen. Auf Tiavea feiere man vielleicht allerlei notwendige Zeremonien, aber wenn man bedenkt, dass der Häuptling dort oftmals einem grimmigen Untertanen begegnet, der seinem Ärger oder seiner Laune keine Blöße gibt, dann wird nach und nach einsichtig, dass Zeremonien kein Glück ausmachen.
Von Verkaufsstrategien und Lachlehrgängen - die sich als Leergänge entlarven, zumal sie einerseits inhaltlich leer sind und andererseits Geldbeutel leer hinterlassen - weiß er natürlich nichts. Freilich hält sich auch sein Volk an Traditionen, die quasi auferlegt sind, keinesfalls als freiheitliches Handeln bezeichnet werden können, aber gelacht oder gelächelt wird dort nur, wenn es den Menschen danach ist. Er käme nie auf die Idee, seinen Untertanen das Lächeln zu verordnen, weswegen er sich Derartiges auch gar nicht vorstellen kann. In seine Heimat schrübe er:
"Der Papalagi ist ein glücklicher Mensch. Er geht mit hochgezogenen Mundwinkeln durch das Leben. Traurigkeit, üble Laune und Sorgen sind ihm fremd. Dies sind gleichsam Worte, die zwar in seiner Sprache vorkommen - wohl weil Traurigkeit, schlechte Laune und Sorge einst auch sein Leben zeichneten -, aber sie werden kaum benutzt und aus jeglichem öffentlichen Gespräch getilgt. Üble Laune kennt der Papalagi einzig nur, wenn man von übler Laune spricht. Wenn er aber seine täglichen Besorgungen macht - und ich habe ihn begleitet, habe es mit eigenen Augen gesehen -, kann man ablesen, wie sorglos sein Dasein ist. Jeder Papalagi ist ein begehrter Gast im Hause des Händlers. Man winkt ihm zu, empfiehlt ihm mit lächelnder Miene und läßt ihn nicht ohne ein persönliches Wort aus dem Haus. Die ausgewählten Lebensmittel - der Papalagi verpackt Lebensmittel sonderbarerweise mit Papier und Metallen - legt man auf einen Tisch, prüft sie nochmals auf ihre Qualität und erst dann entläßt man ihn - natürlich einen schönen Tag wünschend. Des Papalagis Glück ist so vollendet, dass selbst Gerichtsverhandlungen, die ja bei uns, liebe Brüder und Schwestern auf Tiavea, immer ein Hochkochen von Tränen, Unglück und manchmal Trauer sind, sittsam glücklich vollzogen werden. Ich sah lächelnde Ankläger und einen freundlichen Weisen, der das Urteil sprach, ohne einen grimmigen Blick auf den Übeltäter zu werfen. Ich bin mir sicher, dass das Glück im Land des Papalagi so weit ausgereift ist, dass er selbst lächelnd ein Todesurteil entgegennehmen würde. Mir wurde berichtet, dass in vielen Papalagi-Ländern Einrichtungen existieren, die Zwangsarbeiten verteilen. Arme Papalagis gehen dort hin, werden angelächelt und dazu gezwungen, eine Arbeit zu tun, die sonst niemand machen will. Freilich lächeln auch hier beide Seiten - der Zwingende und der Bezwungene. Bei uns, liebe Brüder und Schwestern, würde man jemanden, der seinen Nächsten zur Arbeit zwingt, mit dem nächstbesten Stein erschlagen. Ich habe erlebt, dass ein Papalagi in einem Kasten sogenannte Nachrichten verlas. Dabei erzählte er von Dingen, die fernab seiner Heimat geschahen. Meist sehr traurige Dinge und ich komme nicht umhin zu erwähnen, dass ich gar nicht begreife, warum der Papalagi so ein großes Interesse an Geschehen hat, welches so weit weg von seiner Haustür passiert. Diese traurigen Neuigkeiten werden lächelnd verlesen, dabei wird natürlich nicht erwähnt, dass man Mitleid habe oder voll Trauer ist. Soetwas sagt man im Land des Papalagis nicht und man ist auch glücklich im Unglück.
Wir können noch viel vom Papalagi lernen. Er hat das Glück verwirklicht. Ich habe keinen Papalagi weinen gesehen. Kinder natürlich schon - aber vorbildliche Mütter beugten sich hinab und sorgten dafür, dass der Spross keinen Grund zum Weinen mehr hat. Sie gaben seinem Drängen nach, gaben ihm, was er schreiend und heulend haben wollte und unterbanden so das Weinen. Denn auch aus diesem kleinen Papalagi soll ja einmal ein glücklicher Mensch werden."
So oder ähnlich würde Häuptling Tuiavii in seine Heimat berichten. Er hätte die Oberfläche unserer Gesellschaft gesehen und geglaubt, einem irdischen Paradies begegnet zu sein. Die Verlogenheit unserer Lebensweise wäre ihm entgangen. Wir hätten sie ihm auch nicht gezeigt, denn wir sind stolz auf unseren Lebensstandard, gerade wenn "ein Wilder" ihn betrachten darf. Von den heimlichen Tränen im stillen Kämmerlein, den Besuchen beim Psychotherapeuten, der Diskrepanz zwischen maroder Seele und schimmernder Oberfläche, dem Betrübtsein aufgrund familiärer Probleme und Sorgen, wüßte Tuiavii nichts. Ob er es verstünde, dass der Mensch im Papalagi-Land eigentlich nur ein Kunde ist? Dass er nicht Menschen sondern Kunden beobachtet hat? Dass hierzulande das Menschsein eine Sache ist, die in trauter Einsamkeit geschieht, nicht aber im Kontakt mit anderen Kundenmenschen? Würde seine naive Sichtweise es erlauben, Verständnis für die Verlogenheit des Geschäftemachens aufzubringen? Für ihn wäre es nicht begreifbar, dass man Menschen lächelnd ins Unglück stürzt; dass sie zur zuvorkommenden Freundlichkeit gezwungen, ihrer Seelenlage entfremdet und zur Psychose getrieben werden. Der Häuptling wäre sich sicher, dass Teuflisches auch mit dem Antlitz des Teufels zum Menschen käme. Ein lächelnder Feind wäre ihm suspekt, wäre für ihn wahrscheinlich gar kein Feind.

Man darf sich aber sicher sein, dass er uns empfehlen würde, unsere zum Lächeln gezwungene Nächsten, dazu zu ermutigen, ihr fehlendes Wohlbefinden auch zu artikulieren. Er würde uns dazu anleiten, den lügenhaften Ausspruch, wonach der Kunde König sei, zu verwerfen. Königen zieht man nicht (nur) das Geld aus der Tasche. Wir würden einsehen müssen, dass wir kein Anrecht auf eine scheinlächelnde Dienerschaft haben. Stewardessen, Verkäuferinnen, Vertreter, Dienstleister aller Art, haben ein Anrecht darauf, ihre privaten Sorgen und Nöte, nicht am Arbeitsplatz verleugnen zu müssen. Sie sind nicht zweigeteiltes Etwas, welches sich in Privatperson und Funktionsträger unterteilen läßt, sondern eine Person, ein Mensch, einzigartig in der Gesamtheit - immer und überall. Ein Mensch mit Sorgen im Privatleben ist so auch ein sorgenerfüllter Mensch in seiner Funktion. Das Verlangen der Konzerne, ihre Angestellten mögen im Sinne des Unternehmens lächeln, ist eine jener menschenverachtenden Versuche, in der Maske des Harmlosen, die Gesellschaft weiter in Funktionsträgerschaften aufzuspalten. Wer von seinem Mitmenschen Lächeln um jeden Preis verlangt, der übt sich in krasser Menschenverachtung; wer Lächeln abringen will, macht seinen Nächsten zum Mittel ohne Zweck, reduziert ihn auf Mundwinkel und zu erzielenden Profit. Und ganz nebenbei treibt er ihn in den Wahnsinn, überstellt ihn auf Raten dem Psychotherapeuten, der dann retten soll, was noch zu retten ist. Lachen mag ja gesund sein. Aber dies nur dann, wenn es von Herzen kommt. So verhält es sich mit dem Lächeln, dem Zuvorkommen, dem Freundlichsein, der Aufgeschlossenheit ebenso. All dies mag das Miteinander befruchten, aber nur wenn es von Herzen kommt. Wird es unter Zwang erwirkt, durch Erpressung legitimiert - indem man mit Entlassung droht -, dann macht Lächeln krank und wirft den Lächelnmüssenden vom Sockel seines eigenen Menschseins.

Man sollte die Verkäufer/-innen und Dienstleister, die einem tagtäglich begegnen - sofern man bemerkt, dass es ihnen möglicherweise nicht so gut geht - dazu ermutigen, sich das aufoktroyierte Lächeln zu verkneifen! Ein Nein zu jener Maske, die die Fratze dieser Gesellschaft kaschiert!

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