Die Dogmatik ansonsten so undogmatischer Damen und Herren

Sonntag, 31. Oktober 2010

oder: in eigener, genauer, recht eigentümlicher Sache.

Der Anarchosyndikalismus sollte sich dadurch auszeichnen, relativ spontan und praxisorientiert zu handeln. Er wäre demnach qua dieser Eigenschaften dazu verpflichtet, ausgesprochen wenig dogmatisch vorzugehen. Der bereits verstorbene Horst Stowasser, Autor von "Anarchie!: Idee - Geschichte - Perspektiven", definierte Anarchismus als dogmenfreie Zone; es gäbe lediglich einige gemeinsame Nenner, die den Anarchismus einten, das Ziel einer friedlichen, ausgewogenen Gesellschaft beispielsweise; ein weiterer gemeinsamer Nenner ist aber auch, dass zur Erreichung eines solchen Zieles, nicht jedes Mittel angewandt werden darf. Anarchismus ist ohnehin ein täuschender Termini, denn es handelt sich dabei weniger um eine zielgerichtete Bewegung, als um eine Geisteshaltung verschiedener Menschen, verschiedener Anarchisten.

Nun ist es in diesem Lande nicht weit her mit der Idee des Anarchosyndikalismus; zu obrigkeitsergeben, zu untertänig köchelt die Volksseele vor sich hin - Gewerkschaft bedeutet hier, feisten Funktionären zu applaudieren, Tröten zu blasen, moderat zu streiken, damit die Volkswirtschaft brummt. Daher war es nur begrüßenswert, dass es die FAU, die Freie Arbeiterinnen- und Arbeit-Union gab; ein gewerkschaftlicher Zusammenschluss, der wenig von Kollaboration mit Wirtschaftsführern oder falscher Vernünftelei im Namen der Wirtschaft hält - der nicht ein Quisling der Macht sein will, wie es ver.di, IG Metall oder die einzelnen Gewerkschaften der CGB sind.

An dieser Stelle, bei ad sinistram, wurde deshalb aus Überzeugung auf die FAU verwiesen; Mitglied war und bin ich keines, weil ich es mit eingetragenen und abgestempelten Bekenntnissen, die dann in Konfessionsbüchlein ganz nah am Herzen getragen werden sollen, nicht dicke habe. Hier wurde auf die FAU verwiesen: Präteritum! Es wird nicht mehr: nicht, weil ich nicht mehr wollte - ich hätte gewollt! -, aber die Damen und Herren scheinen zu dem Entschluss geraten zu sein, fortan auf Verlinkungen bei ad sinistram zu verzichten - Gründe hierfür kenne ich keine, keine substantiellen; man teilte mir aber andernorts mit, dass Animositäten einiger Mitglieder den Ausschlag dafür gaben - statt der Sache die eint, lieber ein eitles "Ich kann dich nicht leiden"-Spielchen. Scheinbar, so lese ich aus drei an mich gegangenen Nachrichten heraus, habe man schon länger darüber diskutiert und disputiert. Namen irgendwelcher Personen wurden mir ebenso genannt; Namen, die mir was sagen sollten, es aber nicht tun - irgendwelche Rädelsführer oder Rädelsführerinnen, die das FAU-Logo entfernt sehen wollten, so scheints.

Es sei hier vollkommen irrelevant, wer da seine wichtigtuerischen Finger im Spiel hatte; es interessiert mich ausgesprochen wenig. Amüsant stelle ich mir jedoch vor, wie einige FAUler gemeinsam um einen klapprigen Tisch lagern, stundenlang Plörre saufen und darüber beratschlagen, weshalb und warum ein Logo auf diversen Internetpräsenzen nicht richtig im Sinne der wahren und unantastbaren Lehre sind. Dogmatiker, wie sie nicht im Buche stehen, nicht in anarchistischen Büchern jedenfalls - aber was wäre deutsche Vereinsmeierei ohne strenge Auslegung der Satzung! Wer sonst nichts hat, der bastelt sich ein soldatisches Dogma... irgendwas braucht man ja im Leben...

Die FAU verzichtet also darauf, hier beworben zu werden - ich verzichte darauf, um Werbeerlaubnis zu betteln. Fortan werden es die freien Arbeiterinnen und Arbeiter womöglich bei Spiegel Online versuchen oder beim Focus - da wären die Zugriffszahlen auch höher. Konjunktiv: wären! Denn ein Traum wirds bleiben, mehr aber nicht. So wie der deutsche Anarchosyndikalismus ein Traum bleibt - man könnt ihn aber als Alptraum haben: das ja! Als Gruppe schwafelnder und dogmatisiernder Predigergestalten; als eine frei denkende, frei handelnde, besonnene und charakterlich lockere Veranstaltung scheint selbst die humanistischste Gesinnung in diesem Lande undenkbar...



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In der Groteske

Samstag, 30. Oktober 2010

oder: so ein bisschen in eigener Sache.

Vor einer Weile habe ich hier festgestellt, dass "Unzugehörig" womöglich eine zeitlose Anlage sei, weil die darin enthaltenen Texte auch in Jahren, vielleicht sogar gar in Jahrzehnten noch, an Aktualität nichts einbüßen werden. Was traurig für die Gesellschaft sei, so entblödete ich mich nicht vorzubringen, sei für einen Autoren wenigstens insofern gut, dass er nicht der Vergessenheit anheimgestellt wird. Das ewige Leben eines Schreibenden wäre damit gesichert. Nun dünkt es mir aber, dass ich eine Kleinigkeit übersehen habe. So zeitlos wie ich meinte, ist mein Machwerk allerdings dann doch nicht. Skizzen, Polemiken und Grotesken wird untertitelt - und genau dort steht das Problem gedruckt! Skizze, Polemik, Groteske: das klingt wie Verfremdung der Realität - aber ich befürchte fast stündlich, dass sich manche meiner Texte nicht mehr unter diesem Label halten; dass sie irgendwann als Berichte einer Realität gelesen werden könnten, denn Polemik und Groteske sind hoch im Schwange derzeit - getarnt als Wirklichkeit.

Denn was ich ursprünglich als polemischen Text verortete, drängt sich mehr und mehr als Realität auf. Gleiches gilt für die Grotesken, die sich bereits heute, nicht ganz ein Jahr nach Erscheinen des Buches, immer mehr wie ein Ausschnitt aus dem wirklichen Leben anfühlen. Und so besonders skizzenhaft ist manches heute auch nicht mehr - fast ist es so, als habe man den Plan, die Skizze vollendet, damit man nun unverzüglich mit dem Aufbau - was heißt: Abbau, Sozial- und Demokratieabbau unter anderem - beginnen könne. Ich habe meine Grotesken auf die Behördengänge der Arbeitslosenverwaltung verlegt, nicht ahnend, dass die Situation für Erwerbslose heute noch grotesker ist als vormals. Das gesamte Land streitet sich über fünf Euro, die zusätzlich erteilt werden sollen; über das kontinuierliche Beschneiden der Freiheitsrechte für Erwerbslose keine öffentliche Silbe: wenn das nicht grotesker als jede Groteske ist! Jedenfalls ist es eine groteske Situation für ein Land, das sich selbst als Rechts- und Sozialstaat wahrnimmt.

Und keine Groteske hätte je vermocht, eine Gestalt zu ersinnen, wie sie nun im Korpus des amtierenden Verteidigungsministers heranpirscht, blaublütig, gutaussehend, mit dem herben Charme schlecht gewürzten Sauerkrautes - der Mann und seine Entourage, dazu seine klassenübergreifende Anhängerschaft, die eigentlich nur erklärbar wird, wenn man sich vorstellte, diese hätte Ich hab Freibier! statt Ich bin Freiherr! verstanden... dieser Mann, er wäre doch fleischgewordene Groteske, wenn er nicht so verdammt wirklich wäre. Die Polemik indes ist zum verbindlichen Diskurs geworden - mehr noch als damals schon. Heute polemisiert man gegen Gesellschaftsgruppen und nennt es standhaftes Aufklären. Wehe dem, der es zum Beispiel wagt, objektiver über den Islam zu berichten: der bekommt eine Fontanelle gezogen - ich hätte schon mehrere, wäre meine Birne nicht so hart.

Es ernüchtert zweifach. Einmal, weil eine solche Republik, die ein großes Minijobwunder feiert, die von Wohlstand spricht, während immer mehr Menschen weniger Geld zur Verfügung haben, einen untragbaren Zustand darstellt. Und den schreibenden Menschen ernüchtert es neuerdings, weil er zu der Einsicht gelangt, dass seine Phantasie nichts ist im Vergleich mit einer Groteske oder Polemik ist, die sich Realität nennt. Vielleicht sollte "Unzugehörig" irgendwann mit "Abbildung der Realität" untertitelt werden. Oder mit "Ich habe es schon vorher geahnt!" - was nicht stimmte, was sich aber schön läse und mir schmeichelte.

"Unzugehörig - Skizzen, Polemiken & Grotesken" ist erschienen im Renneritz Verlag. Zudem können Sie, wenn Sie mögen, ad sinistram unterstützen. Entweder per Paypal (siehe rechte Seitenleiste) oder über den gewöhnlichen Bankweg. Hierzu ließe ich den Datenschutz ruhen und teilte Ihnen gerne meine Kontodaten mit.



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Die eine, die besonders unbeliebte Säule des Islam

Freitag, 29. Oktober 2010

Von Medina aus nahm der Islam im Schnelldurchlauf unglaubliche Weiten in Besitz. Nur hundert Jahre nach Mohammads Tod standen der Maghrib und der Maschriq, das ehemalige Persische Reich (bis hin an die Grenzen Indiens) und die Iberische Halbinsel unter islamischer Obhut. In für die damalige Zeit ungeahnter Geschwindigkeit verbreitete sich der Islam über die Welt: hier ist bereits der Ursprung des später immer wiederkehrenden Furors vor islamischer Expansion zu erahnen. Ein historischer Lehrsatz ist, dass der Islam diese Ausweitung mit dem Schwert betrieben hat. Nun wuchern Weltreiche, zudem jene, die auf agrarischen Grundfesten türmen, nicht mittels guter Worte und fintenreicher Überredungskunst; aber nur durch Gewalt alleine können sie gleichwohl nicht gedeihen. Der Islam bot mehr als kühne Besatzerpolitik, er wurde den Menschen jener Regionen nicht nur durch brandige Wunden gebracht; er muß auch Attraktivität besessen haben, die eine solche eilige Expansion förderte.

Die eine Säule des Islam

Theologische Mutmaßungen galten im frühen Islam als zann, als blasierte Extravaganz. Aufgabe des Muslims war es nicht, sich in Spekulationen zu ergehen - die Arabesken in Moscheen sind die Folge davon, sich kein Bild von Allah zu machen -, seine Pflicht war die Errichtung der umma, der Gemeinschaft, die auf Nächstenliebe und Umverteilung der Güter gegründet sein soll. Jeder Muslim hatte von seinem Einkommen den zakat abzuführen, eine verpflichtende Abgabe an Bedürftige. Das was wir heute als soziale Gerechtigkeit bezeichnen würden, war bereits zu Mohammads Zeiten die eine, vielleicht die wesentlichste Säule des Islam - und damit die attraktive Seite jener neuen Religion.

Der Islam sah die Schau des einen Gottes stets in der Historie; im Diesseits offenbare sich Allah, wenn die Menschen in Harmonie miteinander lebten. Das Wort islam, so berichtet die Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong, sei von seiner Wurzel mit salam, dem Frieden verwandt. Er stellte damals einen Affront gegen das herrschende Clansystem der Araber dar, in dem Gewalt und Ausbeutung anderer Menschen zum alltäglichen Ton gehörte. Der Islam sollte damit brechen und musste daher soziale Attribute in sich einen.

Elementar für das Wesen des Islam war der Gedanke, auch Frauen zu emanzipieren. Der Koran regelte, noch bevor das mittelalterliche Europa davon auch nur zu träumen wagte, das Erb- und Scheidungsrecht für Frauen. Bräuche, wie die Frauen zu verschleiern oder sie im Hause wegzusperren, lassen sich nicht auf den Koran zurückführen. Der noch junge Islam orientierte sich in seinen ersten Jahrzehnten besonders an Byzanz, am ostchristlichen Konstantinopel, in dem die Vermummung und der Wegschluss der Frau Usus war; daher rührt wohl auch die Frauenfeindschaft der römischen Kirche. Der ursprüngliche Islam kannte diese Frauenfeindlichkeit nicht; sie ist eines der christlichen Erbe, die die muslimische Welt fast schon synkretistisch in sich aufnahm.

Moslem ist...

Eine rundum totalitäre Gesinnung hätte niemals ein Terrain von diesem Ausmaß unter seine Ägide gebracht. Der Islam galt schnell als attraktiv, weil er auch Nicht-Muslimen ein Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit und damit sozialen Frieden zusicherte; weil er zudem niemanden seine Ideologie aufzwang. Christen und Juden, ebenso wie Zoroastrier, Sabier und später Hindus, konnten somit unter Schutz der moslemischen Herrn ihrem Glauben treu bleiben. Übertritte zum Islam waren nicht erforderlich - als der Islam machtpolitisch missbraucht wurde, galt dies freilich auch für nicht notwendig, weil sich die Kalifen der Geldquelle der Schutzsteuer nicht entledigen wollten. Dass der Islam überhaupt je machtpolitisch institutionalisiert wurde, galt vielen Muslimen als eindeutiger Beweis, um die Kalifen als unislamisch zu entlarven.

Für jene frühen Moslems war nicht die Konfession ausschlaggebend, sondern ein Leben nach Gebot der fünf Säulen. Wie das Judentum auch, war der Islam stets eine Religion, die von ihren Anhängern eine bestimmte Lebensweise verlangte - beharrliche Versicherung oder das Psalmodieren bestimmter Glaubenssätze war zweitrangig. Der Islam ist mehr Orthopraxie als Orthodoxie. Wer sich an die arkān, an die (fünf) Säulen des Islam hielt, der war wirklicher Muslim - egal, was genau er auch glaubte. Spitzfindigkeiten zu theologischen Fragen galten verächtlich, wie schon erwähnt, als zann. Ein wahrer Muslim ergab sich dem zann nicht, war Praktiker, nicht Theoretiker. Er lebte nach den fünf Säulen: er sprach die schahada, das komprimierte Glaubenskenntnis ("Es gibt keinen Gott außer dem einen Gott, und Mohammad ist sein Prophet."), betete fünfmal täglich (salat), fastete im Ramadan (saum), pilgerte einmal im Leben nach Mekka (haddsch) und leistete den zakat, die Almosensteuer.

Es ist bezeichnend, dass die Rebellionen gegen die umaijadischen Kalifen von dem Leitgedanken getragen wurden, diese hohen Herren würden den Islam daher verraten und verfremdet haben, weil sie in Luxus schwelgen, während sie der sozialen Gerechtigkeit keine Bedeutung beimaßen. Wer aber die Fürsorge verrät, wer in weichen Kissenbergen hockte, während es in der umma Leid und Elend gibt, der hat Mohammads Weg und den Islam verraten.

Die eine Säule und islamische Beißreflexe

Im Laufe vieler Jahrhunderte hat sich der Islam verändert. Er wurde ritualisiert und verlor seine relative Unverbindlichkeit - das ist der Weg aller Religion. Der aus der westlichen Welt stammende Nationalismus, unter den nun die umma gesplittert wurde, reicherte die oft starre Religionsauslegung um ein weiteres einzuhaltendes Bekenntnis an - Muslime waren jetzt Ägypter, Iraker oder Afghanen; hatten nun plötzlich eine zweite geistige Heimat. Es entwickelten sich Beißreflexe wie beispielsweise der Wahhabismus, der eine fundamentale Auslegung des Koran, den er sola sciptura las, gegen die osmanische Fremdherrschaft ins Felde führte - oder später, und somit für uns aktuell, die Taliban, die einer fundamentalistischen Islamdefinition frönen und den Koran so deuten, wie es ihnen genehm erscheint. Es wird schwierig sein, dort Anzeichen für soziale Gerechtigkeit zu finden; im blinden Eifer verrät manche Religion, manche Ideologie ihre einst heiligsten Werte.

Natürlich ist die gesamte heutige islamische Gesellschaft, die fernab radikaler Auslegungen lebt, nicht als Hort sozialer Gerechtigkeit, als Eiapopeia vom Himmel zu betrachten - zu viel liegt im Argen, zu viel ist wenig vorbildlich. Es gab keine philosophische Aufklärung im westlichen, d.h. im bürgerlichen Sinne des Wortes - daher keine Säkularisierung; daher aber auch der Mangel an Individualismus. Der heutige Muslim mag nicht die Fleischwerdung der sozialen Gerechtigkeit sein; aber dass er nur ein Bestandteil einer ganzen Gesellschaft ist, dass er Verantwortung hat für seine Nächsten und sich Egoismen tunlichst verkneifen sollte, das ist ihm immanent. Dass sich manche islamische Gesellschaft gegen die "westlichen Segnungen" wehrt, hängt viel mit dem Sachverhalt zusammen, dass man eine ausufernde Individualisierung befürchtet, die nicht nur den Islam untergräbt, sondern auch den inneren Zusammenhalt der islamischen Gesellschaft - das was fragmentarisch davon noch übrig ist.

Nicht assimilierbar

Hier lebende Moslems seien nicht assimilierbar, weiß die Öffentlichkeit in schöner Regelmäßigkeit; dass man jedoch anstrebt, die gesamte umma möge sich doch bitte assimilieren, nämlich in den Kadaver des Welthandels einfügen, darüber schweigt man sich mondän aus. Der Hort der Freiheit und Demokratie drangsaliert freie Völker nicht - nicht offiziell jedenfalls. Das dar al-islam ist tatsächlich nur beschwerlich ins freihändlerische Kollektiv assimilierbar, weil es ihm an bürgerlicher Revolution mangelte, weil die daher rührende Individualisierung fehlt, weil der letzte Mut abgeht, sämtliches solidarisches Denken aufzugeben - und weil daher ein immer noch eingepflanzter Hang zu sozialem Ausgleich und gegenseitiger Hilfe, zu Kooperation und Zusammenhalt in der muslimischen Welt vorzufinden ist; ein für die westliche Welt veralteter und hemmender Impuls, der auf eigenem Terrain immer dann für Furore sorgt, wenn beispielsweise in Europa wieder einmal über moslemische Parallelgesellschaften hergezogen wird. Dass es nicht die Freude an Parallelisierung ist, die viele Muslime in Moscheen mit anliegendem Kulturzentrum treibt, kann man erst verstehen, wenn man weiß, dass das soziale Miteinander ein Anliegen des Islams war und sicher noch immer, wenn auch weniger ausgeprägt als in anderen Epochen, ist.

Der Bremsklotz ist, dass sich die islamische Hemisphäre relativ schwer freiwirtschaftlich erfassen läßt. Diese eine Säule des Islam, sie ist auch für liberale Muslime nicht einfach abzustreifen; sie ist Element des Glaubens und folglich ein elementarer Wesenszug für Menschen, die islamisch durch ihr Leben gehen wollen. Ein Element, das nicht sprituell ist, sondern im Diesseits angeordnet - der Islam war stets diesseitiger als das Christentum; der jenseitige Köder, den man für Selbstmordattentäter auslegt, entspricht dem islamischen Verständnis eigentlich überhaupt nicht. Diesseitigkeit ist jedoch der Graus multinationaler Konzerne und ihrer Staaten; mit spirituellen und unwirklichen Glaubensinhalten können sie leben, mit diesseitigen Ansprüchen allerdings nicht.

Die eine Säule des Westens

Der moderne Islam, der auch in liberaleren Kreisen oft skeptisch nach Westen blickt, hat nichts gegen das Christentum; als Offenbarungsreligion hat der Muslim es umfänglich zu respektieren und zu schützen. Was irritiert ist das Ablegen prinzipieller und grundsätzlicher Ideale, das die westliche Welt in unheiliger Perfektion betreibt. Sicher nimmt man einen modernen Westen wahr; einen, der materiellen Fortschritt bewirkt hat, Krankheiten effektiver heilt und (noch) ein Sozialwesen besitzt. Man erkennt aber auch die oft seelenlose Haltung der Westler, man weiß, dass viele Menschen in der westlichen Welt unzufrieden sind, vereinsamen, nur über Karriere zu Ansehen gelangen - Mensch zu sein reicht dem Westen oft nicht aus: der Mensch muß es wert sein respektiert zu werden, der Mensch muß Wert haben. Es geht dem Westen Demut vor dem Leben ab; er tötet beispielsweise am Fließband Tiere, ohne einen Funken Ehrerbietung vor deren ausgehauchter Existenz - es fehlt Respekt und Ehrfurcht vor den Nächsten, auch wenn die demokratischen Grundordnungen der westlichen Nationen viel darüber in dicken Schwarten gedruckt haben. Es fehlt soziales Miteinander, soziale Gerechtigkeit, sozialer Kontakt. Der Islam sieht dies und ängstigt sich; man fürchtet die Preisgabe ureigener Ideale; fundamentalistische Auswüchse sind leider der radikale Versuch, diese Ängste zu tilgen.

Der Kampf der Kulturen, der sich einerseits in Kriegseinsätzen äußert, andererseits in innenpolitischen Anti-Islam-Stimmungen, ist als eine Art Reflex des Materiellen, mit dem Basis-Überbau-Schema zu erfassen. Man stülpt der Abneigung und Skepsis des Islam eine religiöse und damit rückständige Maske über, erklärt die Selbstbestimmtheit der islamischen Welt, eigene Werte erhalten zu wollen, zu einem Frevel am Fortschritt - so bekommt der Diskurs einen Anstrich, der polarisiert und aufwiegelt, der den Muslim an sich diabolisiert.

Es wäre vermessen, in der fehlenden Unterwürfigkeit des dar al-islam das einzige Motiv für westliche Interventionen und Hass zu wittern - ganz von der Hand weisen läßt sich diese These jedoch nicht. Man kritisiert die saudischen Wahhabiten beispielsweise kaum, obwohl sie Eiferer sind wie die Taliban: aber die Wahhabiten machen mit dem Westen Geschäfte - das macht sie umgänglich; für Muslime sind die saudischen Herren allerdings vom Islam weit entfernt. Um rückständige Religion, die der Islam generell sein soll, geht es nicht; es geht um rückständige Verhaltensmuster, um Zusammengehörigkeit, sozialeres Verhalten als in den Industrienationen, um Bereitschaft zum zakat. Das schwindende Primat des Westens, die fehlende Bereitwilligkeit des Ostens, westliche Werte und Errungenschaften kritiklos anzunehmen - wie es noch vor einem halben Jahrhundert teilweise der Fall war! - ist freilich nur eine Säule der westlichen Aversion gegenüber dem Islam. Es ist die Säule, die die eine störende Säule des Islam beseitigen wollte, wenn sie nur könnte.



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Ridendo dicere verum

Donnerstag, 28. Oktober 2010

"Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen."
- Kurt Tucholsky in "Die Weltbühne" -

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Wikileaks' wirkliches Verdienst

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Das US-Außenministerium zeigt sich nach der Veröffentlichung weiteren brisanten Materials besorgt, denn die nationale Sicherheit stehe auf dem Spiel. Dies ist so ziemlich die einzige offizielle Reaktion, nachdem Wikileaks erneut über Greuel im Kriegsgebiet berichtete. Das Leben von US-amerikanischen Soldaten stehe nun auf dem Spiel, kam einzig als Resumee über die offiziellen Kanäle des deutschen Bündnispartners.

Gewiss, große Überraschungen barg die Veröffentlichung nicht - das hat das Pentagon schon ganz richtig erkannt. Vorher wusste man nicht sicher, nicht mit letzter Klarheit, ob dort unkontrolliert auf Zivilisten geschossen wurde; man wusste nicht, ob Kinder und verwundete Frauen wirklich abgemurkst wurden; wusste nicht hundertprozentig von Folterexkursionen - man konnte es nur ahnen, konnte eins und eins addieren, konnte sich mit etwas lebhafter Phantasie ausmalen, dass es den edlen Soldaten und das kalkulierte Maschinengewehrgeknatter nicht gibt. Kriegserfahrung am eigenen Leibe ist heute nicht mehr nötig, um sich einen Einblick in die Zufälligkeit eines Kriegsschauplatzes zu verwirklichen; diese Zufälligkeit, die kalkuliert und berechenbar alles mit sich in den Tod reißt, wenn nur lange genug gefeuert und gebombt wird, sie wurde im letzten Jahrhundert ausladend bildhaft in Fotografie und Film, in Literatur und Reportagen umgesetzt, sodass man ahnen konnte, wie es an Fronten und auf Schlachtfeldern im Mittleren Osten aussehen könne.

Wikileaks hat wahrlich nichts Sensationelles geliefert, nur Geahntes untermauert. Was die Clique um Julian Assange aber tatsächlich blankgelegt hat, ist etwas anderes. Dass der dort fechtende Westen wenig Interesse an Aufklärung von Foltervorwürfen oder Gemetzeln an Zivilisten hat, war gleichfalls bekannt, wurde auch intensiv geahnt. Scheinprozesse gegen folterndes Militärpersonal, wie sie die Welt vor einigen Jahren in den Vereinigten Staaten beobachten konnte, täuschen darüber nicht hinweg. Dass sich nun die US-amerikanische Administration aber hinstellt, sich trotz der massiven Vorwürfe und der Beweise mokiert, es sei nun als oberste Sorge die Sicherheit der Nation und der Soldaten in Gefahr: das ist schon ein Meisterstück an herrischer Überheblichkeit und es ist das Meisterstück von Wikileaks.

Spekuliert hat man nämlich schon lange darüber, dass das Leben von Irakern, früher von Vietnamesen, keinen Pfifferling wert ist in den Augen westlicher Herrenmenschen. Jürgen Todenhöfer erklärte vor geraumer Zeit, dass der Westler im Inneren denke, das Leben eines Europäers sei mehr wert, als das Leben eines Muslims. Wie Außenministerin Clinton da verärgert und mit Sorgenfalten, die einem ausgetrockneten Flussbett glichen, vor die Presse trat, ihre Erklärungen abgab: da wurde anschaulich, dass Todenhöfer nicht ganz so verkehrt lag.

Von den Greueltaten wusste man vorher schon, auch wenn es weniger Beweise gab als jetzt; ein wenig Menschenkenntnis, ein Schuss Vorstellungskraft, die Fähigkeit sich in Krisengebiete hineinzudenken: und man ahnt nicht nur mehr - man weiß, wie es dort zugeht, sieht die Gemetzel vor seinem inneren Auge. Dem Menschen des Zwanzigsten Jahrhunderts, diesem Jahrhundert der Kriege, scheint das Wissen von Grausamkeit ins kollektive Gedächtnis gebrannt zu sein. Oder, mit Albert Camus gesprochen, der in "Der Fall" einen Aufenthalt in einem Internierungslager umschreibt: "Ich will es Ihnen nicht weiter beschreiben. Wir Kinder dieser Jahrhundertmitte brauchen keine anschaulichen Schilderungen, um uns derartige Orte vorstellen zu können. Vor hundertfünfzig Jahren brachten Seen und Wälder das Gemüt zum Schwingen. Heute stimmen Lager und Gefängniszellen uns lyrisch. Ich überlasse die Ausmalung also vertrauensvoll Ihrer Phantasie. Fügen Sie nur noch ein paar Einzelheiten hinzu: die Hitze, die senkrecht herabbrennende Sonne, den Wassermangel, die Fliegen, den Sand."

Ein wenig Phantasie und die Todeslyrik war geschrieben. Dass aber für die Herren des Westens, die sich immerhin als die Krone der Menschheit verstehen, eine Hierarchie existiert, dass denen ein toter Europäer oder Amerikaner mehr schmerzt als ein Muslim: das konnte man ahnen, darüber konnte man spekulieren - glauben wollte man es nie so richtig; es war ja auch bequemer, ein solches Abwägen von Leben und von Kulturen, für einen unsachlichen Vorwurf zu halten. Dass man dies nun anhand der offiziellen Reaktionen der westlichen Administrationen glauben kann: das ist Wikileaks zu verdanken - das ist Wikileaks' wirkliches Verdienst!



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Keine andere Wahl: Basta-Politik bleibt!

Dienstag, 26. Oktober 2010

Die Zeit der Basta-Entscheidungen, so weiß Heiner Geißler zu berichten, sei nun vorbei. Diese Einsicht verkündete er mit weitsichtigem Mienenspiel, voller Überzeugung. Willkürliche Entscheidungen werde das politische Personal dieser Republik fortan nicht mehr treffen können - der begonnene Schlichtungsprozess zu Stuttgart sei ein Zeichen dafür. Was dabei zu kurz kommt, was Geißler so wenig wie die berichtende Zunft auf den Tisch bringt: eine scharfe Waffe gegen die politische Patronage und Korruption, vulgo auch Willkür genannt, wäre ein Wahlrecht, das Volksvertreter auch um ihr Mandat bringen kann. Und genau dort mangelt es in diesem Land der Scheinwahlen und abgekarteten Wahlergebnisse.

Von Scheinwahlen spricht nicht irgendwer; Hans Herbert von Arnim hat sich in seinem Buch "Volksparteien ohne Volk" solcherart geäußert. Es herrsche in dieser Republik eine Allmacht der Parteien und eine Ohnmacht der Bürger. Abgeordnete haben nicht selten zwölf, 16, 20 oder 24 Mandatsjahre auf dem Buckel - einmal Abgeordneter, immer Abgeordneter! Diätenerhöhung rechtfertige man stets, kommentiert von Arnim, mit der unsicheren Lage des Mandatsinhabers, was aber bei diesen Laufzeiten blanke Augenwischerei ist. Die lange Parlamentspräsenz liegt einerseits daran, dass ein Mandatsinhaber auch in Wahlkampfzeiten finanziell abgepolstert ist, obwohl da die parlamentarische Arbeit ruht, während etwaige Konkurrenten ohne ein Mandat, die aber um das zur Wahl stehende Mandat mitbuhlen, keinen Cent erhalten - die Folge ist, dass es innerhalb des politischen Betriebes und der Parteien gar nicht erst zu Konkurrenzsituationen kommt. Der finanziellen Potenz eines Mandatsträgers ist nur schwer beizukommen.

Die Ohnmacht der Bürger zeichne sich dadurch aus, dass sie eigentlich nicht das Souverän sind; sie wählen zwischen Kandidaten, die man ihnen vor die Nase setzt - und oftmals nicht mal das. Man schiebt Kandidaten, die man unbedingt ins Parlament hieven will, in sichere Wahlkreise, die man Hochburgen nennt, obwohl die zur Wahl stehenden Personen oft überhaupt keinen Bezug zu diesem Wahlkreis haben; unsichere Kandidaten, die in wackeligen Wahlkreisen kandidieren, sichert man als Listenkandidaten ab, positioniert sie dort weit oben, damit sie dennoch, quasi durch die Hintertüre, ins Parlament schleichen können. Stichhaltig legt von Arnim dar, dass es viele Wahlkreise gibt, die zwei, drei, vier und sogar fünf Abgeordnete im Bundestag sitzen haben - das heißt also, obwohl die zur Wahl stehenden Personen bei der Direktwahl unterlegen waren, erhielten diese Abgeordneten dennoch ein Mandat. Besonders bizarr ist die Situation bei den Nachrückern: scheidet ein Mandatsträger aus, so gibt es heute keine Nachwahl der vakant gewordenen Stelle mehr, so wie bis in die Sechzigerjahre hinein - die Parteien wählen frei aus, wen sie nachrücken lassen. Arnim führt als prominentes und bezeichnendes Beispiel den Nachrücker des Abgeordneten des Wahlkreises Ingolstadt, Horst Seehofer, an: ein Mann namens Matthäus Strebl rückte für ihn 2008 nach, obwohl dieser nach eigenen Bekunden von seinem Wahlkreis Ingolstadt noch nicht viel gesehen habe. Strebl scheint überdies ein Springer zu sein, war bereits zweimal zuvor als Nachrücker im Parlament gesessen.
Obendrauf kommen noch Überhangmandate, die de iure verfassungswidrig sind, weil sie den Wählerwillen nicht nur nicht abbilden, sondern ihn teilweise aufheben - das ist keine gewollte Entmündigung der Wähler seitens der Parteien, jedenfalls nicht direkt: aber es rappelt sich auch keine Partei auf, dieses verfassungswidrigen Missstand zu beseitigen. Die Union hat die Inangriffnahme der Überhangsmandat-Problematik sogar Anfang 2009 unter den Tisch fallen lassen, weil Demoskopen verkündeten, dass bei der Bundestagswahl wahrscheinlich viele solcher verfassungswidriger Mandate für die CDU und die CSU entstehen würden - und so kam es dann auch.

Die haargenau Ausarbeitung eines Wahlrechts, das Menschen einer Scheinwahl unterzieht, kann hier nicht erfolgen. Hans Herbert von Arnim hat das gewissenhaft in seinem Buch getan - dort erklärt er, dass der politische Betrieb seit Jahrzehnten darum bemüht ist, die eigenen Pfründe abzusichern. Die Politik modellierte ein Wahlrecht, dass die Abgeordneten vor Schicksalsschlägen bewahren sollte, davor abschirmen, des Mandats verlustig zu gehen. Außerdem wurden Ämter und Mandate geschaffen, die niemand braucht, die deshalb von der Verfassung auch gar nicht vorgesehen werden. All das geschah, um sich selbst abzusichern, um von den Launen der Bürger abgeschottet zu sein. Es geschah, damit man laut Basta sagen kann, ohne gleich in Angst zu verfallen zu müssen, vom wütenden Bürger abgestraft zu werden. Wenn man als Abgeordneter weiß, dass bei der nächsten Wahl ein hoher Listenplatz zur Absicherung von unkalkulierbaren Wählermassen wartet, dann ruft man auch mal lauter Basta, unterwirft sich dem Parteienzwang, segnet auch mal blind Patronage ab.

Mag sein, dass es zur Taktik gehört, die Stuttgarter Demonstranten einzulullen, sie zu Vorkämpfern einer neuen Demokratie zu machen, in der auch wieder das Begehren der Bürger abgefragt würde - Geißlers offen zur Schau gestellte Zuversicht diesbezüglich darf sicher als Clou aufgeschnappt werden; er schmiert den Demonstranten Honig ums Maul, macht sie zu Pionieren einer neuen Anti-Basta-Politik. Die Abkehr von einer Basta-Politik auszurufen, klingt absichtlich ein bisschen nach Lob, nach Beifall für die Demonstranten, stimmt milde, saugt die Aufgebrachtheit auf - ob es allerdings wahr ist, ob wirklich Aussichten bestehen, dass die Basta-Ära dem Ende entgegentaumelt, steht auf einem anderen Papier, steht in diversen Wahlgesetzen. Und dort steht, wenn schon nicht in gedruckter Tinte, so doch zwischen den Zeilen: die Willkür bleibt! Abgeordnete, die keine greifbare Angst vor dem Verlust ihres Mandates haben, müssen auch nicht umdenken lernen.

Beschränkte man die Mandatszeit zeitlich, beispielsweise auf zwei Legislaturperioden oder wahlweise auf acht Jahre, würde man dem Kalkül mit den Listenplätzen in die Quere kommen: ja dann könnte das Basta bröckeln - wahrscheinlich auch nicht gänzlich, weil die Wirtschaft ihre dann prekär gewordenen Delegierten aus dem Parlament finanziell unterstützen würde. Derzeit bezahlt der Steuerzahler noch für diese Interessenspolitik. Irrelevant sich darüber Gedanken zu machen, der politische Betrieb beschneidet ohnehin nicht jene Äste, auf dem er sitzt - und solange Geißler und die Presse vom absehbaren Ende der Basta-Mentalität erzählt, ist alles im Lot. Sie dürfen nur nicht konkret werden, nur nicht damit beginnen, an Wahlmodi zu mäkeln!



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De dicto

Montag, 25. Oktober 2010

"Frauen in der EU sollen künftig 20 Wochen zu Hause bleiben können, wenn sie ein Kind bekommen - bei vollem Lohnausgleich. Doch aus guter Absicht der Parlamentarier wird ein Schlag gegen die Emanzipation..."
- Lisa Nienhaus, Frankfurter Allgemeine vom 23. Oktober 2010 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Zu welcher Starrheit und zu welchem Dogmatismus die Verfechterinnen des Feminismus gelangt sind, führt die aktuelle Diskussion zum verlängerten Mutterschutzanspruch vor Augen. Es kommt heute in Zeiten des Lobbyismus selten genug vor, dass die Politik Ansprüche des Bürgers verlängert oder neu schafft; Gesetze und Regelungen orientieren sich immer seltener am Alltag oder den Bedarf der betreffenden Klientel, sie werden je nach Kassenlage gestutzt oder so modifiziert, dass immer weniger Menschen davon Gebrauch machen können. Die EU möchte nun also den Mutterschutz auf bis zu 20 Wochen ausweiten - und Nienhaus, Preisträgerin des Ludwig-Erhard-Förderpreises für Wirtschaftspublizistik, weiß nichts anderes zu kritisieren, als einen unterschlagenen weiblichen Karrierismus.

Mit dem Vorwurf, dass die Emanzipationsbewegung sich, erstens, zu einer Karriereantriebs-Theorie verwandelt hat, was zweitens dazu führte, dass die Emanzipationsthematik zur Spielweise bessergestellter Frauen aus der Oberschicht wurde, muß der Feminismus schon länger leben. Nienhaus bestätigt dies: sie mahnt an, dass 20 Wochen Erholungszeit nach der Entbindung zu Karrierenachteilen gereichen kann, wittert dahinter sogar nebulös einen aus Brüssel dirigierten männlichen Anschlag auf die Frauenwelt ("Karrierefrauen zurück ans Babybett"). Es ist ja durchaus möglich, dass in gewissen Positionen eine solche Erholungsphase, die zudem nur bis zu sechsten Woche verpflichtend sein soll, zu beruflichen Nachteilen führt - in Tagen, da sich der Mensch dadurch auszeichnen soll, möglichst wenig hemmendes und behinderndes Privatleben zu haben, muß man mit Benachteiligung immer dann rechnen, wenn das Privatleben Angestellter dem Profit einen Strich durch die Rechnung macht. Aber den Großteil der Frauen, Kindergärtnerinnen, Verkäuferinnen, Fließbandmonteurinnen oder Friseurinnen wird es die große Karriere, die von denen gar nicht erwünscht und gewollt ist, nicht ruinieren.

Den mahnenden Stimmen der Gleichstellung will aber gerade das nicht in den Kopf. Sie wollen nicht verstehen, dass in der Frauenwelt wie in der Männerwelt auch, nur ein relativ geringer Prozentsatz an beruflicher Karriere interessiert ist - die meisten Menschen wollen einfach nur ein Auskommen haben, ihr Privatleben möglichst sorgenlos gestalten; Arbeit und Beruf ist für sie notwendiges Übel, nicht Selbstverwirklichung oder Lebensfreude, schon gar nicht Lebenssinn. Lisa Nienhaus entgeht, dass die kreative Arbeit als schreibende Prekärkraft nicht mit dem Verschrauben eines Bleches oder dem Einräumen von Verkaufsregalen gleichzustellen ist. Und es sind gerade Damen wie Nienhaus, die im Beruf ihre Erfüllung finden und darüber hinaus ihre Situation pars pro toto auf alle Frauen münzen. Daher die stete Floskel von der Vereinbarkeit von Familie und Karriere - etwas, dass den meisten Männern und Frauen wenig Sorgen bereitet, weil es sie nicht betrifft, weil sie einen Arbeitsplatz haben und erhalten, keiner Karriere nachhecheln.

Ein in protestantischen Arbeitsethos getunkter Feminismus stellt sich da heraus, dessen Apologetinnen Freiheit und Gleichstellung durch Karriere predigen. Lieber auf Verbesserungen der eigenen Situation verzichten, mahnen sie asketisch; lieber den 20 Wochen Erholungszeit entsagen - geht schon bald nach der Entbindung wieder arbeiten, zeigt euren Arbeitgebern, wie hart im Nehmen ihr seid, wie wichtig euch der Job ist; stapelt Dosen mit Wonne und verschraubt Karosserieteile mit Laune, verzichtet auf den vollen Lohnausgleich und erholt euch von der Entbindung nach Feierabend: nur dann seid ihr emanzipiert!



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Ohne Sinn, ohne Ideale

Samstag, 23. Oktober 2010

oder: lose Gedanken zur atheistischen Überheblichkeit.

Über Atheisten ärgere ich mich häufig. Ich bin wahrscheinlich selbst einer - aber sie ergrimmen mich trotzdem. "Wahrscheinlich" schreibe ich, weil die Existenz oder Nicht-Existenz eines Gottes für mich zweitrangig ist. Gott gibt es nicht!, kann ich nicht behaupten; ich kann aber erklären, dass ich keinen brauche, keinen haben will, auch ohne einen Gott, ohne Religion, dafür mit Anleihen bei der Philosophie, meist ganz gut zurecht komme. Ich kann meine Gottlosigkeit nur auf mich begrenzen; ich will kein universelles Gebot herausfiltern, will Gott gibt es nicht! nicht als Parole über Felder und Flure rufen - nur weil es ihn für mich nicht gibt, heißt es ja nicht, dass es ihn für niemand geben soll. Agnostiker würde mich manche nennen - aber als solcher fühle ich mich nicht; ich bin ja nicht verunsichert, lasse mir auch nicht beide Optionen, Existenz oder Nicht-Existenz, offen; nein, es ist eindeutig: es gibt keinen Gott - für mich!

Und trotzdem sage ich mir paradoxerweise, dass es Gott gibt. Nicht den einen Gott vielleicht, jeder denkt sich gerade den Gott, den er leiden mag. Es gibt Gott! Nicht konkret, nicht stofflich sicherlich, sondern als Esprit, als Beseelung einer Person, als gute Absicht, in cerebralen Nervenfasern, als Gewissen letztlich - oft natürlich auch als böse, widerwärtige, als spießige Ausformung. Gott wie er ist, als innere Schau des Menschen, als Hilfskonstrukt für tugendhafteres Handeln, ist seiner menschlichen Herkunft gemäß eben auch das, was der Mensch zuweilen ist: ein ziemliches Miststück! Wenn jedoch Menschen ein Gott dabei behilflich ist, friedlicher und rücksichtsvoller und solidarischer mit ihren Mitmenschen, mit ihren Nächsten umzugehen, so freue ich mich, dass sie einen Gott besitzen. Ein transzendente Essenz sollte ja dazu dienen, all die Niedertracht, die Schikanen und Gehässigkeiten des alltäglichen irdischen Daseins zu kanalisieren, sie unter Kontrolle zu halten, zur Vernunft zu geleiten. Insofern ist der Versuch vieler neuzeitlicher Theologen, Glauben und Vernunft unter einen Hut bringen zu wollen - Kant tat es ja auch! -, gar kein Widerspruch. Auch wenn das, was man einen "vernünftigen Glauben" oder eine "glaubende Vernunft" taufen könnte, lediglich ein Optimum, ein Nonplusultra darstellt - denn der institutionalisierte und vorexerzierte, an feste Normen und Gebräuche geheftete Glaube an etwas Höheres, auch Religion oder Kirche genannt, verhinderte stets die Verquickung beider Pole.

Manchmal bin ich also auf Atheisten wütend. Sie frönen jener Ausschließlichkeit für ihr Es gibt keinen Gott!, die sie ansonsten bei den religiösen Zeloten verteufeln. Sie werden zu Missionaren ihres fast schon religiös betriebenen Nicht-Glaubens. Sie ergötzen sich an der Verbreitung ihrer Weltanschauung! Wo die einen jedermann ihren Gott überstülpen wollen, überschütten die anderen alle mit ihrem Nicht-Gott, ihrem Es gibt keinen Gott. Nicht dass ihnen das Glauben schwerfiele, die Rechtfertigung ihres atheistischen Weltbildes klingt oft banal, sie verurteilen in einstudierten Floskeln Kirche und Glaubenskriege und befürwortet einen freien Sonntagvormittag - man glaubt nicht, weil es bequemer ist, weil man keine Lust dazu hat, etwas tiefer in das natürliche menschliche Bedürfnis nach Glauben hineinzuschnuppern, in die Vereinbarkeit der conditio humana mit der Transzendenz. Nicht-glauben-wollen ist die bevorzugte Variante, Nicht-glauben können ist eher rar. Es ist ja so einfach ohne absolute, unantastbare, transzendente Moralvorstellungen zu leben - aus dieser Form des "Atheismus" entsprangen Großkotze und Narzisse. Man sagt das Zwanzigste Jahrhundert sei die Ära des Atheismus gewesen, Hitler und Stalin die Erscheinungsformen der Gottlosigkeit. Für mich ist das Unsinn, auch mit einem Gott wären sie gewesen, was sie waren; vielleicht hatten sie keinen Gott, aber einer Religion folgten sie und ihre Paladine dennoch. Sie hatten sich religiöses Brimborium erschaffen, ihre Weltanschauung war ihr Fels in der Brandung, man schuf sich Ideale und Werte, Katechismen und Gebote, die es erlaubten, ruhigen Gewissens Blut zu vergießen; für ihre profanen Götzen musste man töten. Wenn das Zwanzigste Jahrhundert überhaupt wirklich vollkommen unidealistische Gestalten erzeugt haben soll, dann nicht die Hitlers und Stalins, dann schon eher solche wie jene young urban professionals, kurz Yuppies genannt, die vollkommen entspiritualisiert waren, keinerlei Zuneigung zu universellen Idealen kannten, Moral für austauschbar hielten, für eine geistige Haltung, die je nach Kassenlage und Nutzen veränderbar sei. Dieser Menschenschlag, der in beinahe jeden Hollywoodfilm der Achtzigerjahre abgebildet wird, mal als Erfolgsmensch, mal als menschliche Hülle ohne liebenswerten Inhalt, sitzt heute in Vorständen und Aufsichtsräten, belagert Vorgesetztenposten und Vorarbeiterstellen, hat sogar bis in die Arbeiterschaft hineingestrahlt. Diese Geisteshaltung der Yuppies zeichnet sich durch absolute Diesseitsauschließlichkeit aus, leugnet Moral als nicht generalisierbare Spielerei einiger Romantiker, als hemmendes Kriterium für den menschlichen Fortschritt. Allzu viele atheistisch gesonnene Menschen kommen aus diesem Milieu; sie haderten nie mit Gott, nie mit der Religion, weil sie ihn oder sie für ungerecht erachteten - sie legten den Glauben nur ab (oder ihn sich nie zu), weil es weniger zeitaufwändig ist, weil die materielle Erlebniswelt keine Zeitvergeudung zulässt. Es sind Bequemlichkeitsatheisten, die den Gläubigen arrogant vor Augen halten, wie rückständig sie doch seien, weil sie immer noch an einem Märchen klammern, weil sie weiterhin einem Phantom nachbeten.

Und nun zurück zu Gott? Sicher nicht! Die Säkularisierung, die eine entspiritualisierte Gesellschaft zurückließ, hat natürlich unglaubliche Vorzüge - wir sind freier, wir leben gerechter dadurch; der Bigotterie und Frömmelei ist weitestgehend der Garaus gemacht, eine absolute, auf Gott zurückzuführende Wertetyrannis gibt es kaum noch - man kann heute Ideale hinterfragen - klammern wir mal das "Ideal Arbeit" aus! - und muß sich Sätze wie Das ist eben so! oder So war es immer! nicht stumm hinnehmen. Aber dort, wo moralische Imperative standen, steht heute nichts mehr: wir müssen betrübt feststellen, dass alle Aufklärung, dass die Philosophie nicht in dieses Vakuum hat hineinstoßen können. Die Wissenschaft richtet sich zuweilen dort ein und wälzt Ethik zu Biologismus, befördert einen unsagbar kalten Nihilismus, der Ethik bestenfalls als die Endsumme genetischer Wirkungsweisen wahrnimmt. Michel Houellebecq, sicher nicht verdächtig, besonders gottergeben zu sein, thematisiert das zuweilen in seinen Büchern: der Mensch des Mittelalters hatte Anhaltspunkte für ein "anständiges Leben", er bekam Kodizes mit der Muttermilch eingeflößt. Das geschah selbstverständlich nicht immer in edler Absicht, geschah durch Angst und kirchlichen Druck. Aber als die Kirche ihr gesellschaftliches Primat aufgeben musste, haben es profanere Schulen verpasst, in der leerstehenden ethischen Nische heimisch zu werden; kapitalistische Prozesse, die Menschen nach wertvoll und wertlos schieden, unterstützten die ethische Vakanz oder nutzten die moralischen Aspekte der Religion, um die Ausbeutung auch noch übersinnlich zu rechtfertigen. Houellebecq erkennt ganz richtig, dass die spirituelle Krise eine Krise der Moral ist.

Mir geht es nicht um Kirche, nicht um Religion, wenn ich hier den Glauben meiner Mitmenschen verteidigen möchte; es ist der Glaube einzelner Menschen an ein höheres Wesen, was mich zu ihren Verteidiger macht - undogmatischer Umgang mit einer Gottesgestalt, die geartet sein kann wie sie will: christlich, moslemisch, spinozistisch, das heißt: naturalistisch. Was moderne Atheisten aber beweisen: es braucht keinen Gott um intolerant zu sein - auch ohne ihn geht es radikal zu, pflegt man Unverständnis und Einseitigkeit; was letztlich unterstreicht: nicht der Glaube macht inhuman - blinde Dogmatik tut das; nicht der Gläubige an sich ist Eiferer - der Mensch an sich neigt dazu, wenn er seine Weltsicht überhöht und Andersdenkende, Andersglaubende praktischerweise über einen Kamm schert. Dieser unsägliche Radikalismus, alles spöttisch abzutun, was nach Gott riecht, Menschen auszulachen, weil sie als letzte Instanz immer noch einen großen Puppenspieler vermuten, er ist eine universelle Erscheinung allen Dogmatismus'.

Mein Gott, wenn ich Sorgen oder Ängste habe, spreche ich doch auch leise vor mich hin; Bitte laß es nicht wahr sein!, säusle ich schon mal - dann frage ich mich hernach oft, wem das gegolten habe. "Mein Gott!" schrieb ich vorhin absichtlich: auch diese Floskel rutscht mir zuweilen raus, auch wenn ich für mich gar keinen Gott habe. Wenn ich flehe und bitte, wenn ich mir denke oder flüstere, Laß dies oder jenes nicht geschehen!, bin ich dann ein Mensch, der immer noch einem Gott untertänig ist? Die Antwort, die ich mir dann gebe, scheint mir eindeutig: der Mensch hat das natürliche Bedürfnis nach Transzendenz, dass sich Menschen einen Gott bewahren ist keine schlechte oder antiquierte Gewohnheit, es ist menschlich und wahrscheinlich nie aus den Menschen zu tilgen. Helmuth Plessner eilt mir mit seinen drei anthropologischen Grundgesetzen zur Hilfe. Das erste Gesetz nennt sich "natürliche Künstlichkeit"; es besagt, dass der Mensch "den Umweg über künstliche Dinge" nehmen muß. Weil ihn die Natur nicht geborgen hält, lebt er von Natur aus künstlich, muß er von Natur aus eine Kultur gestalten. Die "vermittelte Unmittelbarkeit" ist das zweite Gesetz; es legt dar, dass der Mensch auf die Unmittelbarkeit des Vorgegebenen angewiesen ist, aber durch eigenes Erkennen und Gestalten vermittelt er das Vorgegebene an seine menschliche Welt. Das dritte und für die Thematik des religiösen Glaubens bedeutendste Gesetz ist der "utopische Standort"; es besagt, dass der Mensch durch dieses Abstandnehmen von dieser Unmittelbarkeit zur Welt, seiner Nichtigkeit erst bewusst wird. Daher hält er Ausschau nach einem festen Grund, nach einem absoluten Weltmotiv - nach Gott. Hierbei handelt es sich um den "apriorischen, mit der menschlichen Lebensform an sich gegebenen Kern, den Kern aller Religiosität", wie Plessner es formuliert.

Der moderne Atheismus weist die Einsicht von sich, dass Menschen von Natur aus transzendente Bedürfnisse haben. Er steht mit beiden Beinen auf dem Boden - was nicht falsch ist, was aber aus Mangel an ethischem Surrogat häufig in materieller Seelenheilprogrammatik verendet. Er nennt Gott eine Illusion - was er auch sein könnte; aber wenn Menschen sich einen Gott denken können, so gibt es ihn für diese Menschen auch. Führt das zu missionarischem Eifer, Separatismus oder gar Krieg: dann darf es keine Toleranz geben; gelingt es diesem Gott aber - und das geschieht häufig! -, Menschen zu Nächstenliebe und Anteilnahme zu ermutigen: dann kann ein Atheist doch kein Problem mit Menschen haben, die sich einen Gott erhalten haben.

Warum ich mir öffentlich Gedanken zum Atheismus mache? Weil er mich, wie erläutert, oft enttäuscht - nicht er, sondern diejenigen, die ihn vertreten. Das ist es ja gerade: sie vertreten ihn, als sei er etwas wie eine Bewegung, als sei er eine atheistische Kirche; sie werden zu Vertretern dieser privaten Sache. Und noch was treibt mich dazu: die öffentliche Debatte der letzten Wochen. An dieser hat man nämlich ermessen können, wie es um atheistische Sichtweisen bestellt ist. Was den Muslimen hierzulande wiederfahre sei zwar schon grob, aber Solidarität mit Menschen, die einen Gott haben, wollte man nicht so recht walten lassen. Unter atheistischen Argusaugen, die den stieren Blick missionarischer Zeloten aufweisen, gibt es keine Differenzierung. Alles was Menschen unter Gottesbürde tun, ist für die Mehrzahl der Atheisten unglaublich rückständiges Verhalten, plumpe Dummheit, unnatürliche Altmode, eine gestrige Marotte, die man ganz schnell liquidieren sollte. Die Toleranz, die man Gläubigen abspricht, kennt man selbst nicht. Da scheinen Berge an Weisheit mit Löffeln in sich geschaufelt worden zu sein.

Es ist ja nicht so, dass ich mich mit Gott gemein machen wollte; dass ich den Katholizismus zum Beispiel oder den Islam besonders attraktiv finde: das nie und nimmer! Aber mir gefällt es nicht, dass man Menschen mit Gottesbezug, ob sie rege am Gemeindeleben teilnehmen oder nicht, in die Ecke altmodischer Blödheit stellt. Führt deren Gottesbezug dazu, Schwule als Aussatz der Gesellschaft zu formen, dann schweige ich nicht ehrfürchtig; Wirtshaustheologie ist unerträglich. Da kann der Atheist freilich nicht ignorant sein, da muß er sich wehren. Aber er muß ignorant sein, wenn es um religiöse Praktiken geht, die man jedoch an seinem Mitmenschen respektieren muß. Ich schreibe absichtlich "ignorant", weil es für jemanden, der eher philosophisch denn theologisch geschult, eher profan statt sakral besaitet ist, schwer ist, offenen Auges religiösen Tand zu tolerieren. Erst neulich bestritt ich den Tag der offenen Moscheen; ich wollte ein solches Gebetshaus von innen bewundern, die Ornamente betrachten. Man bat die Besucher, sie mögen die Schuhe ausziehen, was ich natürlich tat. Aber die Erklärung, die verstimmte mich: wir tun das, meinte eine junge Muslima, weil unser Prophet das so tat. Das ist alles, fragte ich mich still. Nur weil der Prophet das tat? Diese Erklärung war mir zu dünn. Tun, weil einer mal etwas tat - dergleichen Argumentation befriedigt mich, erschließt sich mir nicht. Ich wunderte mich leise, mir stand kein kritisches Wort zu: man sollte Respekt haben, auch wenn es einen nicht zusagt - zumal wenn man Gast ist. Schnell trat ich dann den Heimweg an, noch bevor ein Rundgang und die Fragestunde folgte. Da war mir klar, dass Toleranz manchmal auch Ignoranz sein muß, weil man es anders vielleicht nicht ertragen kann. Jedem seinen Glauben, aber ich muß ja nicht dabei sein; schön, wenn Leute Erfüllung durch Religion erhalten, wenn sie zu besseren Menschen werden, wenn sie dort Trost und Kraft finden - aber ich muß ja nicht daneben stehen und eine Kerze halten. Da ist Ignoranz die bessere Toleranz!

Noch vor einigen Jahren hätte ich diese Besonnenheit arrogant belächelt; ich war sehr wohl der Ansicht, man müsse ein Botschafter des Nicht-Glaubens sein. Das Kruzifix beschmutzen, Mohammad karikieren: richtig so!, hätte ich gerufen. Nur für was? Ist es das wert? Dass ich meine Einsicht geändert habe, mag zu einem guten Teil auch Resignation sein: einen gläubigen Menschen bekehrt man nicht mit seiner leeren Lehre, in der kein Gott vorkommt - so eine Inhaltslosigkeit macht vielen Angst. Gelangen Gespräche in diese thematischen Gefilde, ziehe ich mich zurück; es erscheint mir unsinnig darüber zu debattieren. Das bisschen Dreifünftelbildung, das sich müde in mir regt, ist wohl der andere Teil meiner Einsicht. Der Mensch besitzt eine religiöse Natur, man kann sie nicht einfach abschalten, genetisch behandeln oder durch Sinngebungssurrogate auffüllen; man kann zwar in die wundersamen Tiefen des Konsums abtauchen und seinem Leben Sinn verordnen, der sich zwischen Rabatten und Schnäppchen erstreckt, aber irgendwann ist man auf sich zurückgeworfen und dann steht man vor seiner eigenen Nichtigkeit und landet im transzendenten Tummelbecken: was heute wahrscheinlich eher in der Esoterik als in der Kirche endet, weil erstere es besser versteht, Konsum und Transzendenz zu vereinen - dann bekommt die Sinnleere des Konsums ein spirituelles Kolorit und eine Weile fühlt man sich aufgehoben...

Ich will keinen Gott haben müssen; aber in einer vollkommen sinnentleerten und wertefreien Gesellschaft will ich auch nicht leben. Sollten Menschen einen Gott brauchen, um Sinn und Werte zu finden: nur zu! Glaubt! Machen wir uns doch nichts vor: ob eine Gesellschaft nun völlig religiös ist oder vollkommen frei von höheren Wesen, die Ethik verordnen - es ändert sich wenig. Hie Wertediktatur, dort Diktatur des Nihilismus. Ein Mittelweg wäre notwendig, mehr Gelassenheit auf allen Seiten...



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... Orient und Okzident, sind nicht mehr zu trennen.

Freitag, 22. Oktober 2010

Allerorten wird derzeit über die jüdische-christliche Tradition gefaselt, auf der unsere Gesellschaft beruhe. Nun ist es ja nicht so, dass man die jüdische Komponente besonders bejubelt hätte in all den Jahren; bis vor ein Paar Jahrzehnten konnte sich derjenige, der von jüdischen Traditionen erzählte, die das Deutsche bereichert hätten, mehr als nur einen Rüffel einhandeln. Jüdische Tradition war Kammerknechtschaft, Judenhut und Gelber Fleck, Zunftverbot und Stettel - es ist weniger die deutsche Gesellschaft als das Christentum selbst, welches jüdisch beeinflusst ist. Kürzlich wollte man dieses Judentum, als Schlusspunkt jahrhundertealten Antijudaismus' quasi, endgültig ausmerzen.

Jüdisch-christliche Tradition mache die deutsche Leitkultur aus, heißt es allenthalben. Der Islam habe hier keine Tradition - dass aber der Islam jüdische und christliche Wurzeln besitzt, ist kein Sujet für dieserlei Debatte. Denn als logische Konklusion könnte stehen: wenn der Islam schon nicht zur deutschen Tradition gehöre, die ja durch jüdisch-christliches Erbe beseelt ist, so ist er doch zumindest aus demselben Erbe entsprungen. Es würde den unendlichen Summen äußerer Monologe, die man optimistisch öffentlicher Dialog oder Diskurs tauft, aber großer Sprengkraft berauben, wenn man nachschöbe, dass Muhammad ein großer Anhänger des jüdischen und christlichen Monotheismus war. Jedes dieser Völker habe seine Offenbarung des einen Gottes, wusste Mohammad zu erzählen: das arabische Volk habe den Koran erhalten, Juden die Tora, Christen das Evangelium - ahl al-kitāb, die Schriftbesitzer oder (exakter übersetzt) Völker einer früheren Offenbarung, nennt der Koran diese monotheistischen Gruppen. Mit diesen Leuten der Schrift, heißt es in Sure 29, Vers 46 des Koran, solle möglichst nur auf gute Art gestritten werden. Und man solle ihnen sagen: "Wir glauben an das, was (als Offenbarung) zu uns und was zu euch herabgesandt worden ist. Unser und euer Gott ist einer. Ihm sind wir ergeben."

Genug der Exegese; was jedoch interessiert ist, dass die deutsche Leitkultur für sich in Anspruch nimmt, christlichen und jüdischen Ursprung in sich zu tragen - ein Anspruch, den man dem Islam nicht absegnen mag. Anstelle von Besonnenheit, verlautbaren besonders besorgte Deutschtümler in allerlei Magazinen ihr makaberes Arsenal an Unbildung, erzählen dort von der Havarie, die diese Gesellschaft erleiden wird bei diesem Ausmaß an Überfremdung. Fürwahr ein seltsamer Satz, mit eigenartigen Worten: denn verlauten kommt von Laute, was wiederum vom Arabischen al-'ud, das Holz stammt; Magazin vom Arabischen machzan, bebilderte Schrift; makaber von maqābir, die Gräber; Arsenal von dār as-sināʿa, für Fabrik oder Werft; Havarie von awārīya, beschädigte Ware. Menschen, die solcherlei Sätze fabrizieren, sprechen hierzulande auch gerne von den Gesellschaftsschichten, die angeblich nur Alkohol söffen, täglich zu lange an der Matratze horchten, um dann auch noch horrende Sozialtarife zu fordern, obwohl die Sozialhilfesätze bis auf die letzte Ziffer hinterm Komma gewissenhaft quergerechnet wurden. Sonderbare Worte erneut: Alkohol von al-kuhl, die Essenz; Matratze von matrah, das Bodenkissen; Tarif von ta´rifa, die Bekanntmachung; Ziffer von as-sifr, die Null.

Die Sprache der deutschen Leitkultur, die ja nicht nur Ausländer anleiten, sondern auch Mittellose zu Disziplin und Fleiß geleiten soll, sie ist eine Sprache, die durchwoben ist mit Worten, die auch aus dem arabischen Sprachraum stammen. (Und auf Termini wie Joghurt, Kiosk oder Schabracke, die nicht aus dem Arabischen, sondern aus dem Türkischen entspringen, sei hier nur am Rande verwiesen.) Das heißt natürlich nicht, dass das Deutsche und das Arabische historisch gesehen eine Symbiose eingegangen wären, auch wenn Sigrid Hunke in ihrem Buch "Allahs Sonne über dem Abendland: Unser arabisches Erbe", 303 Wörter der deutschen Sprache zählt, die arabischen Ursprungs sind; weitere fünfzig astronomische Begriffe fanden außerdem Eingang in die Wissenschaft. Aber es bedeutet, dass die große Scheide zwischen Okzident und Orient, die in diesem Lande gerne mittels Larifari über jüdisch-christliche Traditionen vermittelt wird, mindestens seit dem Augenblick nicht mehr existiert, da Europäer den Fuß auf islamisches Land setzten - oder andersherum, da Muslime europäisches Terrain eroberten und - was gerne unter den Tisch fällt - zivilisierten. Viele der Lehnwörter aus dem Arabischen sind ja mittelbar nach Deutschland gelangt, über Umwege, über Frankreich, Großbritannien oder Spanien - über Länder letztlich, die direkter im Kontakt mit der muslimischen Welt standen.

Da haben wir es ja!, könnte man nun aurufen, das ist der Beweis: der Islam ist in Deutschland nicht heimisch! Aber auch das wäre falsch. Redete man sich damit heraus, dass Franzosen und Briten das Muslimische oder Arabische durch ihren Kolonialismus nach Europa verfrachteten, womit die deutsche Leitkultur quasi unbefleckt würde, weil sie sich nur dem aus Frankreich oder Britannien stammenden Moslemischen erwehrte, so leugnete man damit auch den europäischen Gedanken - plötzlich wollte also Deutschland nicht mehr an der Vielfältigkeit Europas teilhaben, die eben auch das kolonialistische Erbe beinhaltet; da will man lieber deutsch sein, eine deutsche Reinheit bewahren, die es im modernen Europa gar nicht mehr geben kann. Das Szenario von der Bedrohung des Abendlandes würde zu einer Bedrohung des Deutschen umfunktioniert. Das ist den Jüngern der Leitkultur entweder nicht bewusst oder sie nehmen diese Enteuropäisierung gerne in Kauf. Die europäische Idee, für die sich Deutschland stets einsetzte, für die sich auch die amtierende Regierung zuweilen engagiert, kennt eine strikte Trennung von Abendland und Morgenland nicht - beide bedingten einander; das Geschwätz von europäischer Leitkultur greift daher genauso wenig - eine (mittel-)europäische Reinheit, wenn man schon nicht mehr von deutscher Reinheit reden mag, hat es nie gegeben.

Gerade an der Geistesgeschichte Europas läßt sich der Unsinn von einem etwaigen Reinheitsgebot fast schon bildlich nachzeichnen. Das heutige Europa wäre ohne arabische Einflussnahme gar nicht denkbar; oder wie Hunke es sagt: "In der Tat waren die Ströme der Erkenntnisse aus orientalischer Mittlerrolle und eigener Schöpfung die Geburt einer neuen Weltsicht." Aristoteles Werke, die dazu führen sollten, dem abergläubischen Europa des Mittelalters philosophische Grundlagen zu erteilen, auf denen später Humanismus und Aufklärung gedeihen konnten, gelangten über arabische Kontakte zurück nach Europa. Die allgemeine Stimmung des Kulturkampfes aber leugnet die Koexistenz, tut so, als habe stets strikte Trennung geherrscht. Die Koexistenz der Kulturen war natürlich nicht immer friedlich, aber nichtsdestotrotz fand sie statt. Leitkulturen sind Hirngespinste; zu lange lebte man nebeneinander, um fein säuberlich in christliche oder jüdische oder islamische Reinheiten unterteilen zu können - oder mit den Worten Goethes: "Wer sich selbst und andere kennt; wird auch hier erkennen: Orient und Okzident; sind nicht mehr zu trennen."



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Arbeiter, keine Menschen

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Seehofers Intervention zuungunsten weiterer Einwanderung trägt tatsächlich Früchte. Keine, die er vom Baum reißen und verputzen wollte; ganz im Gegenteil: seine Äußerungen haben die Wirtschaft aufgeschreckt, haben das seit einiger Zeit schläfrige Steckenpferdchen des deutschen Neoliberalismus aus dem Stall geführt. Zuwanderung dürfe nicht verboten oder gar erschwert werden, mahnen die think tanks, wir brauchen qualifizierte Zuwanderung, wir benötigen Facharbeiter!

Solange in dieser Republik nur über genetische Taschenspielertricks geplaudert wurde, schwiegen sich die Kapitäne und Admirale aus der Wirtschaft aus. Als man aber der Zuwanderung, die ohnehin seit Jahren dank verschärfter Gesetzgebung stockt, ans Leder wollte, da begriffen die Werbefachleute der think tanks, dass sich eine gute Gelegenheit ergeben hatte, sich einerseits als humanistische Vernunftprediger einer neuen sozialen Gesellschaft und Marktwirtschaft zu profilieren. Und andererseits könne man nun endlich die lang gehegte Vorliebe für spottbillige und jederzeit wieder heimschickbare Fachkräfte aus Billigstlohnländern - eine Vorliebe, die seit einiger Zeit aber als Diskussionsstoff eingedöst war - wieder zum Thema machen; sie in einem Anflug von Humanismus auch politisch forcieren, die verschärfte Gesetzgebung aufweichen.

Zupass kommt dieser menschelnden Propaganda zur Umsetzung eigener Interessen und Nutzen, dass monatlich stimmungsvolle Botschaften vom Arbeitsmarkt in die Stuben flattern. Die Zahl der Arbeitslosen gehe stetig zurück, Arbeitsplätze schießen wie Pilze aus dem Boden, strahlt man in die Kameraobjektive. Aufschwung! Da ist es doch belanglos, dass nicht alles Gold ist, was da glänzt; belanglos, ob die schwindende Arbeitslosigkeit auch die Bedürftigkeit beendet; belanglos, ob es nur die Zahl der Arbeitslosen ist, die sinkt oder ob es tatsächlich auch die Anzahl der Arbeitslosen ist, ob also auch tatsächlich Menschen aus der Arbeitslosigkeit, aus der Bedürftigkeit herausfallen. Nur da sieht es trostlos aus, was die frohen Kunden des Monatsendes freilich nicht erfassen und durchleuchten sollen.

Als besonnene und versöhnliche Philosophen geben sich die Stimmen aus der Wirtschaft, die günstige Fachkräfte ins Land holen möchten. Sie und ihre Handpuppen aus der Politik halten ja wenig von Familienzusammenführungen hier lebender Ausländer - die Ressourcen seien zu knapp, als dass man jede ihrem Vater hinterhergelaufene Familie aufnehmen könnte; auch mit der Gewährung von Asyl ist man wenig großzügig, schiebt lieber in Drittländer ab, weil man die Maden in unserem Speck sonst gar nicht mehr loskriegt. Aber man gibt sich versöhnlich, man ist nicht partout gegen jeden Fremden, der ins Land kommt: Fachkräfte zum Beispiel sind höchst willkommen - nur preiswert müssen sie sein!

All diese Ausländer, die schon hier sind: schrecklich verzogen sind die! Die kosten Kosten! Sind wandelnde Unkosten. Und dann wollen sie auch noch Löhne von sechsfuffzig in der Stunde. Und all die Tagelöhner aus dem Osten Europas, die bald schon überall in Europa anheuern dürfen: die sind doch auch schon versaut, die verdienen schon mehr als noch vor zehn Jahren. Da wären Inder oder Indonesier doch bescheidener; gerade dann, wenn man den Zuzug von Gastarbeitern auch anständig und tugendhaft regelt, wenn man denen von Anfang an klar macht, dass sie nur in der Bundesrepublik bleiben dürfen, solange sie einer geregelten Arbeit nachgehen; mit etwas Glück und dem guten Willen der Handpuppen im Parlament, könnte man auch Gesetze erlassen, die die fröhlichen Arbeitsgäste vom Sozialsystem ausschließen. Wer nicht mehr schuftet, der fliegt - und wer aufmüpfig wird im Betrieb, dem droht man damit, zukünftig keine Zwölfeinhalbstundenschichten mehr schieben zu dürfen.

Solche Facharbeiter will die Wirtschaft! Sie müssen fachlich versiert sein, müssen die Qualifikation aufweisen, brave Diener ihrer Herrn zu sein. Mit Facharbeiter sind Arbeiter gemeint, die sich nach dem Schuften in ein Fach sperren lassen, ohne zu meckern - alles ohne Gezeter, alles ohne dieser Krankheit übersatter Gesellschaften. Andere Facharbeiter, welche die Geld kosten, Ansprüche haben, Familien mitbringen wollen, sind damit nicht gemeint: Ausländer haben wir doch selber schon genug! Nein, man will nur ausländische Arbeiter, keine ausländischen Menschen - Arbeiter arbeiten; Menschen bleiben. Wir brauchen Arbeitskräfte: Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter waren mal - heute nennen wir sie freiheitlich beseelt Facharbeiter! Doch mehr Menschen kann unser System nicht mehr tragen - das verkündigt man doch schon seit Jahren. Rien ne va plus, nichts geht mehr, erzählt man seit Dekaden - aber da war eben von Menschen die Rede, nicht von Arbeitern... reicht doch schon, dass wir hier Erwerbslose haben, die auch Menschen sein wollen; Menschen sind also genug da!

Erst als es um Arbeiter ging, die vielleicht keinen Weg mehr nach Deutschland finden könnten, ereiferte sich die Wirtschaft. Als Menschen am Pranger standen, die muslimische Bevölkerungsgruppe nämlich, da ging es bloß um Menschliches, um Allzumenschliches, um ethische Menschelei. Dafür ist die neoliberale Wirtschaft jedoch nicht zuständig. Sie nimmt erst die Rolle des vernünftigen Vermittlers ein, wenn es um Arbeitskräfte geht - dann, und das ist paradox, menschelt sie. Man will zwar keine Menschen, man will Arbeiter - aber um Arbeiter nach Maß zu bekommen, muß man so tun, als handelte es sich bei ihnen um Menschen...



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Nomen non est omen

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Heute: "Integrationsverweigerer"
"Nach Innenminister de Maizière fordern zahlreiche Unionspolitiker, Integrationsverweigerer härter zu bestrafen. Wer sich Integrationskursen entziehe, müsse mit konsequent angewandten Strafen rechnen. […] Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach am Sonntag in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin von vielleicht 10 bis 15 Prozent wirklichen Integrationsverweigerern."
- Meldung bei Spiegel Online vom 6. September 2010 -
Das Schlagwort setzt sich aus den Nomen Integration und Verweigerung zusammen. Integration kommt vom lateinischen integratio und meint die Wiederherstellung, Eingliederung bzw. Vervollständigung einer Einheit. Integration bezeichnet somit aktive Maßnahmen, damit jemand Teil einer Gruppe wird. Eine Verweigerung ist eine bewusst getroffene Entscheidung, eine bestimmte Handlung nicht auszuführen. Integrationsverweigerer sind somit Menschen, die sich dazu entschlossen haben, nicht Teil einer größeren Gruppe sein zu wollen.

Diejenigen, die diesen Begriff benutzen, bieten selten eine Definition von Integration an. In der Öffentlichkeit und in den Medien wird Integration mit der Teilnahme an Deutschkursen gleichgesetzt. So als ob die Teilnahme bzw. Ablehnung dieser Kurse gleichbedeutend ist, mit erfolgreicher oder erfolgloser Integration in die deutsche Gesellschaft. Gleichzeitig wird den Nicht-Teilnehmern oder auch den Kursabbrechern eine bewusste Haltung der Verweigerung unterstellt. Insofern müsste der korrekte Terminus Deutschkurs-Nichtteilnehmer bzw. Abbrecher heißen und nicht Integrationsverweigerer.

Die vermeintlich erfolgreiche Integration von Migranten an Sprachkursen fest zu machen ist absurd. Schließlich gibt es viele Gründe, warum jemand keinen Deutschkurs mitmacht oder ihn vorzeitig abbricht. Allen zu unterstellen, sie seien Verweigerer, unterstützt argumentativ die Rassentheorien von Sarrazin. Und wie Klaus Baum richtig festgestellt hat, wäre in den Augen der Konservativen ein Türke, der deutsch sprechen würde und beruflich erfolgreich wäre, sich aber für die Linkspartei engagieren würde, auch nicht erfolgreich integiert worden.

In diesem Zusammenhang erlebt auch der Plastikbegriff "Leitkultur" eine Renaissance. Wer in Deutschland lebe, müsse sich das christliche Menschenbild zueigen machen. Mulitkulti sei tot, bekräftigt Horst Seehofer und sorgt für eine weitere Spaltung der Gesellschaft. Was jedoch die deutsche "Leitkultur" genau ausmache und wie es anders - außer eben mit "multikulti", also Menschen die miteiannder leben - gehen soll, darüber wird konsequent geschwiegen.

Ich frage mich schon seit langem, ob es eine dauerhafte Integration von Migranten in Deutschland überhaupt geben kann? Selbst ein türkischstämmiger Deutscher, der hier geboren ist, perfekt deutsch sprechen kann, beruflich erfolgreich ist, eine westliche Gesinnung lebt, einen deutschen Pass besitzt usw., wird sein Leben lang südländisch aussehen und von vielen gefragt werden: "Was ist Deine Abstammung?" Integration ist nämlich kein alleiniger Fall von Eigenverantwortung der Migranten, sondern auch eine Einstellungsfrage der Deutschen.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

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Türkischstämmiger Deutscher oder ein in Deutschland lebender Türke

Dienstag, 19. Oktober 2010

Zweierlei Türken präsentierte Springer am Wochenende. Zwei Migrantenexemplare, die aus dem Nähkästchen plaudern - aus ihrem oder aus dem der Redaktion: man weiß es nicht so genau. "Wenn Türken Deutsche werden...", titelte man; darunter ein Foto eines türkischen Anzugträgers, den man mit Top überschreibt, noch weiter unten dann das Lichtbild eines türkischen Jedermanns, der mit Flop übertitelt wird. Wer sich als Türke Deutscher nennen darf, ist damit beantwortet; der Türke Özcan, Bezieher von Transferleistungen, ist jedenfalls gefloppt - Mission: Deutschwerden gescheitert.

Nun ist es ja ausreichend entblößend, dass man hier von Türken spricht, die Deutsche würden - hier wird Integration wenigstens mal als das bezeichnet, was sie nach dem Verständnis deutscher Integrationsdelegierter sein soll: Assimilierung! Verrat der Herkunft und der Wurzeln, Aufgabe der Traditionen und Bräuche! Integriert euch, werdet deutsch! Deutsche mit Anzug, doch ohne Hartz IV-Bescheid. Erol, der deutschere der beiden Türken, erzählt sein trauriges Schicksal, erzählt vom frühen Tod seines Vaters, den seine Mutter zunächst nicht verkraftete, weswegen sie eine Kur antrat; Deutsche Steuerzahler finanzieren türkischen Frauen Kur!, könnte eine passende Überschrift für kommende Schmähschriften sein - doch das nur am Rande. Mutter auf Kur und Erol landete "vorübergehend bei einer wohlhabenden deutschen Familie": von da ab wollte er "gut Deutsch sprechen, gut leben" - das war sein Erweckungserlebnis! Sein Deutscherweckungserlebnis!

Weil er frühzeitig in einer deutschen Familie landete, deutschte er schneller ein - Özcan hatte nicht das Glück, dass seine Mutter unpässlich war. Wäre sie es gewesen, wäre er in einer deutschen Familie untergekommen, er wäre heute nicht nur nicht Hartz IV-Empfänger: er wäre auch kein Assimilierungsflop; wäre deutscher als er es heute ist. Quasireligiös wird an dieser Stelle über Erweckung berichtet, wie der türkische Saulus zum deutschen Paulus wurde, wie ihm die Nähe zu Deutschen die Augen öffnete, sich für den höherwertigen Weg menschlichen Erdendaseins zu entscheiden. "Klammheimliche Bewunderung" erntete Erol dann auch - womöglich auch Neid, weil es da jemand zum Deutschen gebracht hatte. Zwar bewunderte man seinen schulischen Werdegang, liest man, aber man wird den Verdacht nicht los, dass eigentlich noch mehr bestaunt wurde: dieser deutsche, dieser erfolgreiche, dieser elanvolle Weg, der dem gemeinen Türken üblicherweise versperrt bleibt.

Mit etwas mehr Druck, so weiß Özcan (oder die Redaktion) zu erzählen, hätte er es vielleicht auch weiter gebracht. Ein Türke, der einsichtig und nachgiebig verkündet, dass der Türke Druck brauche, damit er sich assimiliere - das ist nicht originell, hat man schon öfter gesehen; aber es ist immer wieder zweckdienlich. Die Türken sagen es sogar selbst!, ereifert sich dann der Stammtisch. Deutschland habe ihn immer nur gewähren lassen: dieses nachsichtige, großzügige, gutmütige Deutschland. Großmut wird bekanntlich oft bestraft; und solche Türken sind die Strafe. Es wird Zeit, dass Deutschland nicht immer nur gewähren läßt. Druck ausüben! Presst den Türken in das Deutsche! Rein in die Schablone, da ein überlappendes Fetzchen abgetrennt, hier ein wenig abzwacken und anpassen, ein neuer Anstrich am Schluss: und schon ist der Türke integriert! Nur mit Druck und engen Schablonen verhindert man Özcans!

Zwei Antipoden: der eine erfolgreich und wohlhabend, ein türkischstämmiger Deutscher; der andere illusionslos und arm, ein in Deutschland lebender Türke - als was man bezeichnet wird, hat soziale und finanzielle Ursprünge. Das Kunststück des Axel Springer-Verlages ist es, dass er nicht nur Deutsche gegen Moslems in Stellung bringt: er inszeniert auch noch einen Unfrieden innerhalb muslimischer Bevölkerungsgruppen, zieht das soziale Ungleichgewicht heran, dass es auch dort gibt, um damit Stimmungen auszulösen, Konnotationen und Gefühle anzufachen. Und er erklärt süffisant zwischen den Zeilen: Assimiliert euch, dann gehört euch die Zukunft! Wer an seiner anatolischen Scholle klebt, der bleibt ein Nichts, der kostet uns nur, der stört und wäre besser dort aufgehoben, wo er uns nicht mehr auf der Geldbörse liegt. Und es entsteht der Eindruck, dass gefügige Muslime immer den herrlichen german way of life gehen - was sie ja auch tun, denn der german way of life für Menschen mit fremdklingenden Namen heißt meistens: nicht heimisch werden!

Übrigens: Dass beide Personen nicht nur optisch und anhand ihres soziales Standes, sondern auch durch ihren Namen deutbar werden, dafür hat die Redaktion gesorgt. Der, der von seiner Herkunft nicht loszukommen, der am Ursprünglichen verhaftet scheint: dessen Vorname Özcan bedeutet frei übersetzt ursprüngliche Seele; der andere, der sich manns genug erwies, sich voll zu assimilieren: dessen Name Erol umschreibt unter anderem einen fähigen, mutigen Mann. Stereotype von Kopf bis Fuß, von optischer Darstellung bis hin zum Namen - damit auch der türkischestämmige Leser schon am Namen die Tendenz von Top und Flop ablesen kann...



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Lieblinge befehlt, wir folgen euch!

Montag, 18. Oktober 2010

Huschhusch aus den Federn! Heute Abend, Frau von und zu, dürfen Sie erneut Ihre Eitelkeit zu Markte tragen. Eine weitere Folge von investigativem Aufdeckungsjournalismus steht auf dem Programm; ein Journalismus, der zu Straftaten anstiftet, um diese dann abzulichten. Mittendrin Sie, in einer Mischung aus metallenem Staccatissimo und lallender Monotonie, konfusen Zahlensalat und geprobter Aufgebrachtheit - so belagern Sie die Wohnzimmer unserer Empörungsrepublik.

Nicht falsch verstehen! Natürlich sind die Kerle, die Sie anhand unlauterer Methoden, vor die Linse bugsieren, nicht bemitleidenswert - jedenfalls fällt es schwer, Sympathie für solche Figuren aufzubringen. Nur in dieser Form, Pädophile mittels falscher Fährte auf die Schliche zu kommen: das ist nicht nur ein Straftatbestand, es ist auch noch ausgesprochen dumm! Was will die Staatsanwaltschaft mit derlei zustandegekommenen Beweismaterial denn anfangen? Doch einerlei, denn es geht vorallem um Quote, um die Inszenierung eines angeblichen Tabubruchs. Daher wird nicht die Pädophilie erklärt, sondern der Pädophile vorgeführt; daher kein Crashkurs zum Erscheinungsbild dieser Neigung oder Prägung - da ist sich die Wissenschaft bis heute nicht schlüssig; daher die Kür von Monstren, hinter denen das Los solcher Menschen, die ganze widerliche Ekelhaftigkeit dahinter, nicht sichtbar gemacht werden darf; daher dürfen auch nicht solche dieser Spezies exponiert werden, die diese Neigung früh genug erkannt und sich selbst Hilfe geholt haben, in der Hoffnung, es möge nie etwas geschehen, was nicht wiedergutzumachen wäre.

Ihr Engagement wäre ja durchaus lobenswert, wenn es nicht so fürchterlich reißerisch, so unglaublich plump und voyeuristisch, so unsäglich vorführend wäre - und so unfassbar verlogen! Verlogen nicht nur, weil dieses Format in einem Titten- und Bumssender Sendezeit fand; verlogen auch, weil... drehen Sie sich doch einmal zur Seite, Frau von und zu. Sie ruhen doch an der Seite Ihres Gatten, oder? Falls ja, dann tun Sie, wie Ihnen geraten wurde, drehen Sie sich seitlich hinüber. Sehen Sie ins Gesicht Ihres Gemahls! Was sehen Sie? Sicherlich niemanden, der mit den Jammergestalten aus Ihren Sendungen vergleichbar wäre. Kein schwitzendes, beleibtes Scheusal; kein borstiges und unförmiges Männergesicht, kein körperliches Ekelpaket. Gut sieht er aus, Ihr Herr Gemahl! Gar nicht wie diese Männer, die sie am - oder sagt man: im? - Tatort Internet aufzugabeln pflegen.

Und dennoch, dieser adrette, dieser flotte Herr, er verteidigt qua seines Amtes einen Krieg, der tausende Kinder in den Tod riss - und noch reißen wird. Er windet sich, wenn bei Massakern gegen Zivilisten auch Kinder ums Leben gebracht wurden, die Verantwortung als oberster Dienstherr zu übernehmen. Sicher, er ist nie und nimmer mit den Scheusalen vergleichbar, die Sie montags zu Quote verbuchen. Dennoch schlafen und leben Sie an der Seite eines Mannes, der eben nicht alles tut, um Kinder körperlich zu schützen - etwas, was Sie als Ihre Aufgabe definieren! So ist das mit Euch elitären Bürgersleut: auf der einen Seite Mildtätigkeit, Einsatz und Nächstenliebe -auf der anderen Rücksichtslosigkeit, Ignoranz und Verabscheuung. Wie multinationale Konzerne, die sich in europäischen Gefilden gegen Kinderarbeit aussprechen, Initiativen und Veranstaltungen für Kinder anbieten, aber auf der anderen Seite der Erdkugel Kinder zur Belegschaft zählen - so verhält sich zuweilen auch die Haute Volée, so verhält sich ganz oft Ihresgleichen, Frau von und zu; so verhalten Sie und Ihr Herr Gemahl sich - so verhalten sich die Lieblinge dieser Nation.

Heute also wieder auf Quotenfang! Wie wäre es, wenn Sie heute mal, um die aktuelle Lage zu berücksichtigen, einen muslimischen Pädophilen auflauerten? Und vergessen Sie nicht, seinen Glauben immer und immer wieder zu betonen. Wenn man schon zur Straftat aufwiegelt, dann doch gleich mit doppelten Effekt: jemanden, der Minderjährige verführen würde und jemanden, der muslimisch ist. Bestellen Sie sich einen Religionsexperten ins Studio, der glaubhaft machen kann, dass Pädophilie eine akzeptierte Sportart von Muslimen ist! Er könnte auf den Propheten verweisen, der auch mit Mädchen verehelicht war - aber er soll bloß nicht erwähnen, dass das andere Zeiten und Sitten waren; und er soll ebensowenig erwähnen, dass die Jüdin Mariam, die den Christen später unter dem Namen Maria bekannt werden sollte, vielleicht auch minderjährig war, wie das damals in dieser Gegend und auch unter Juden üblich war - darüber großes Schweigen, damit die treue Gemeinde, Ihr treuer Mob, Frau von und zu, nicht allzu brüskiert wird.

Nun nichts wie aus den Federn, Frau von und zu, die Nation wartet auf ihren Liebling - es gibt viele Gestalten zu jagen. Es gilt, ein Volk von wilden Häschern und wutschnaubenden Schnüfflern zu formen, muntere Lynchjuristen zu beleben, den homo pogromis zu füttern - damit aus dieser modellierbaren Substanz irgendwann einmal eine mordbrennende Masse gebacken werden kann, die befolgt, was ihre Lieblinge befehlen...



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Gleichstellung abgeblasen

Samstag, 16. Oktober 2010

Eine anstößige Parabel auf einen durch Schaum vorm Mund entstellten Feminismus.

So ein Despot! Dem sind Jahrhunderte voller Frauenunterdrückung in Mark und Blut - oder sagen wir exakter: in Glied und Ejakulat übergegangen. So ein unerträgliches Schwein! Da will ich es also geschehen lassen, lasse den Kerl an mich ran, frau gönnt sich ja auch mal zweisame Wonnestunden! Und was sagt er, kaum dass wir uns nackt in den Federn aalen: Bitte blas ihn mir! Das hat er gesagt! Bitte blas ihn mir! Rotzfrech einfach so gesagt! Das zog mir doch glatt den Boden unter den Füßen und die Geilheit zwischen den Beinen weg.

Ich, erschüttert über diese Aufforderung aus Mannesmund, der Frauenmund zu entwertender Arbeit auffordert, habe mich umgehend aufgerichtet, ihn scharf angesehen und klargestellt: Hör mal gut zu, Kerl, ich bin bestimmt nicht prüde, bestimmt kein Hausmuttchen, das nur missionarisch in Stellung geht - aber es gibt Praktiken, die ich auf keinen Fall ausüben werde. Blasen, mein Lieber, ist die sexuelle Ausgestaltung weiblicher Historie; ist das pornographische Abbilden des Drangsals, das frau in ihrer Geschichte erleiden mußte - denn diese Praktik zeichnet die gesamte traurige Geschichte der unterdrückten Frau nach. Eine Frau, knieend und um ihr Heil leckend und saugend: so habt ihr Kerle uns doch über Jahrtausende gehalten. Immer auf den Kniescheiben, stets im Kotau gebeugt, immer euch zu Diensten. Ich werde nichts tun, was auch nur im Ansatz unterwürfig aussieht. Fellatio, du blöder Arsch, ist nichts für selbstbewußte Frauen - es ist uns eben keine Freude, im dunstigen Schambereich herumzuschlürfen.

Ob er wisse, wie erniedrigend, wie herabwürdigend das sei, fragte ich ihn. Aber er wollte ja nicht mehr mit mir quatschen, war säuerlich, weil ich ihn um seine Lust gebracht hatte. Neinnein, so kommst du mir nicht davon, erklärte ich. Jetzt müssen wir das diskutieren - jetzt! Es sei die Hölle, des Mannes Blasebalg zu sein - nicht diese genitalen Ausdünstungen würden schmerzen, nicht die kratzbürstigen Schamhaare, die sich mit Speichel vermengen. Unerträglich sei es nur, dass sich der werte Herr Kerl zurücklehnt, sich bedienen, sich befrieden läßt, genießt und schweigt, dabei auch noch glaubt, frau hätte ihre ausgelassene Freude daran, seinen Genitalbereich der Katzenwäsche zu unterziehen. Gestank - damit kann frau doch leben! Mit Behaarungen auch! Aber nicht mit dieser ignoranten Art, dieser männlichen Arroganz, die anmaßend genug ist zu meinen, es sei eine große Ehre, einen Pimmel im Gesicht baumeln zu haben.

Diese selbstzufriedene Faulheit, dieses Frau-macht-schon, dieser impertinente pater familias-Komplex: fürchterlich! Ein Bild für männliche Götter gibt das ab, wenn man da als Frau geschäftig fuhrwerkt, er nachsichtig des Weibes Kopfhaar tätschelnd; wenn frau vollen Einsatz zeigt, damit der Herr zufrieden ist, er lax ein Wow, bin ich gut! säuselt. Würde ich mich herablassen, in die Hocke herablassen, um ihm diesen Dienst zu tun, habe ich ihm gesagt, so würde ich die Rolle einnehmen, die keine Frau jemals mehr einnehmen darf. Es ist viel weniger eine Frage des Nicht-Wollens, erklärte ich ihm ganz ruhig bleibend, es ist eher eine Sache des Nicht-Dürfens. Ich darf es nicht tun, wenn frau gleichberechtigt bleiben will! Denn ich werte damit den Mann nur auf, setze die Frau herab. Emanzipation komme von mancipium, einer feierlichen Zeremonie durch Handauflegen, die die alten Römer ihren in Freiheit entlassenen Sklaven zukommen ließen. Emanzipation hat etwas mit der Hand zu tun, mit manus - nicht mit dem Mund, nicht mit dem Pimmel! Geht das eigentlich je in deinen Schädel, du dummer Arsch? Oft genug habe ich es ihm ja dargetan, schon vor der Partnerschaft - er meint ja immer noch, eine liebende Frau würde keinen ideologischen Sermon veranstalten, sie würde entweder machen oder einfach abwinken und sagen: nö, keine Lust! So einfach kommt er mir allerdings nicht davon!

Dumm sind sie ja nicht, die Männer, diese Männchen, wenn sie Männchen machen, um ihren Trieb zu stillen. Meinte er doch kürzlich, er könne zukünftig nicht mehr für Cunnilingus bereitstehen. Ich bezeichne das jetzt mal so - er war viel vulgärer. Denn in dieser Position, zwischen meinen Schenkeln, da fühle er sich so wehrlos, so unterdrückt und ausgebeutet. Frau macht es sich bequem, legt den Kopf zurück und er, der arme Schwerstarbeiter, müsse dienen. Nicht mit ihm! Da war aber was los! So nicht, habe ich gezürnt. Frauen wurden wirklich erniedrigt, waren Dienstmägde - wenn sich jemand das Recht herausnehmen kann, das andere Geschlecht zurechtzurücken, dann sind es wohl Frauen. Gleichberechtigung heißt eben auch, den einstigen Bedrängern nicht die gleichen Rechte zuzusprechen, wie frau es nun den früheren Opfern - die heute ja immer noch viel zu oft Opfer sind - anerkennt. Wo wären wir denn da mit der Gleichstellung, wenn man Täter- und Opfergeschlecht denselben Regeln unterstellte!

An jenem Abend, an dem er mir mundgerechte Happen Unterdrückung angedeihen lassen wollte, habe ich ihm noch viel über sein patriachalisches Benehmen beigebracht. Er war dann auch einsichtig, hat immer wieder reuevoll genickt, demütig bejaht, mir ständig recht gegeben - er sehe nun ein, was er da falsch gemacht habe, aber Lust hätte er noch immer. Hatte ich ja auch, gab ich zu. Und flugs war er mit dem Gesicht zwischen den Schenkeln, ich zurückgelehnt, ihn prätentiös die Haare gewuschelt, Wow, bin ich gut! verkündet. Oh ja, er zwischen meinen Schenkeln... Gleichstellung tut einfach Not!



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