Neidisch auf die DDR

Donnerstag, 26. April 2012

Die DDR macht dieses Land, ehemals "der Westen" genannt, jetzt ein Land, das den Osten gefressen hat, zu einem besseren Ort. Sie macht, dass dieses Land jetzt, aber auch früher, ein Platz ist oder war, an dem sich das Gute tummelt oder tummelte. Die DDR wurde nie geschätzt - bis jetzt, da sie als Korrektiv fungieren darf. Als Schattenreich, das die Schatten innerhalb dieses Westens, der lange alleine stand und der seit zwanzig Jahren auf den Osten gekommen ist, beseitigt, es in den Sonnenschein rückt.

Nicht dass man immer explizit Mauertote präsentiert, um von denjenigen, die hierzulande vor jener Mauer stehen gelassen werden, hinter der die soziale Teilhabe wartet, abzulenken. So dick muß man gar nicht auftragen! Es reicht schon, mit der DDR zu diskreditieren - es langt, wenn man Stasi-Verdächtigungen ins Land ruft. Wenn man Verdientes mit der DDR überbrüht. Dann wird aus dem, das kein Ruhmesblatt für dieses Land ist, aus dem was anrüchig ist, eine klassenfeindliche Inszenierung, eine ideologisch verbrämte Erfindung. Am Ende ist Wallraffs "Ganz unten" gar keine verdiente Dokumentation aus dem bundesrepublikanischen (Arbeits-)Alltag jener und bedingt auch unserer aktuellen Jahre, sondern ein erfundenes Szenario, eine Karl-Eduard-Wirklichkeit.

Wenn die Stasi mitgeschrieben hat, wer kann dann noch ausschließen, dass der Türke Ali, den Wallraff spielte, auch wirklich so ehrabschneidend behandelt wurde? Vielleicht ist die Perversität, die Wallraff erlebte und niederschrieb, einfach nur den hetzerischen Gehirnen der Staatssicherheit, des Klassenfeindes aus der Zone entsprungen und diesem irgendwie kommunistischen Journalisten eingeflüstert worden. Vielleicht war die Bundesrepublik nie so widerlich rassistisch, so Adolf nachweinend, wie Wallraff das damals schrieb. Der ganze Hype um sein Buch seinerzeit: Nichts als von der Stasi in die Welt gesetzte Lügen über die kapitalistische Lebenswirklichkeit? Und wenn es damals schon nicht so schlimm zuging, wie es "Ganz unten", dieser Schwarze Kanal auf Papier, weismachen will, dann wird es heute vermutlich auch nicht so sein. Die BRD ist halt doch nicht so schlimm, wie es manche Nestbeschmutzer in ihrer ideologischen Verblendung zuweilen niederschreiben...

Ja, die DDR, sie müsste erfunden werden, falls es sie nicht gäbe. Man fragt ja oft, warum sich in Deutschland die Menschen so viel gefallen lassen. Die Antworten sind meist unbefriedigend. Geschichtlich bedingt muß das nicht gänzlich sein - und eine Mentalitätsfrage wohl auch nicht. In den letzten Jahren war es vielleicht die DDR, die die BRD immer dann beruhigte, wenn die kapitalistische Wirklichkeit brutal zuschlug. Der Verweis auf ein Deutschland, das so viel gemeiner und hinterlistiger war, als es das amtierende Deutschland ist: das befriedet. Um was Deutschland von den Regierungen in der Welt beneidet wird ist die DDR - Frankreich zum Beispiel hätte auch gerne eine, wenn mal wieder Bürger die Straßen füllen und ihre Wut formulieren. Eine französische DDR freilich - eine, auf die man deuten könnte, die einen klarmachte, dass man froh sein könne, im jetzigen, in diesem Frankreich zu leben - eine, die eine noch beschissenere Alternative zu Sarkozy oder zu Le Pen wäre - eine eben, die wie in Deutschland, die herrschenden fatalen Zustände als "immer noch besser als damals in der DDR" markiert.



14 Kommentare:

Anonym 26. April 2012 um 07:25  

wie immer treffend ausgedrückt.Danke

potemkin 26. April 2012 um 09:49  

Diese alternativlose Alptraumrepublik erinnert immer mehr an den verunglückten Gegenentwurf DDR. Der Überwachungsstaat nimmt immer rafiniertere Formen an, die Medien werden immer systemhöriger, Kritik an diesem 'Erfolgsmodell Deutschland' gilt als Miesmacherei, die Realität wird von der 'Partei- und Staatsführung' zunehmend ausgeblendet, nur werden statt der Produktionsmittel die Menschen verschlissen. So ein einigermaßen funktionierendes Gegenmodell wäre schon eine feine Sache...

Stefan Rose 26. April 2012 um 11:19  

Ähnliches geht mir von Jahr zu Jahr häufiger durch den Kopf - wenn auch nicht so gut auf den Punkt gebracht.

Anonym 26. April 2012 um 11:41  

Ich denke, dieses hartnäckige mit-dem-Finger-auf-die-DDR-zeigen ist psychologisch eine späte Rache dafür, dass die DDR zu Zeiten des kalten Krieges die BRD tatsächlich „zu einem besseren Ort“ gemacht hat: die BRD konnte es sich aus systemkonkurrenztechnischen Gründen schlicht nicht leisten, sozial hinter die DDR zurückzufallen und war so gezwungen, politisch entgegen der eigenen kapitalistischen Systemlogik zu handeln und „à contrecœur“ das Soziale zu pflegen. Das hiess später „rheinischer Kapitalismus“, in gegenwärtiger Herrschaftsrhetorik wäre „sozialistischer Kapitalismus“ zwar adäquater, aber zu demaskierend: Zu unverzeihlich sind der neuen BRD die Sozialsünden der alten BRD.

Anonym 26. April 2012 um 13:13  

Ja klar, kleine grüne Männchen der Stasi haben das Geschriebene von Wallraff, ihm ins Ohr geflüstert.
Sowas ist doch wirklich nicht passiert...;-))

Welche faulen propagandistischen Behauptungen B... den B...lesern auch andreht, es stößt immer in die gleiche Kerbe.- Rechts = gut, links = schlecht.

Ein ganz kleiner Trost, ich glaube, dass fast alle B...leser , Wallraff nie gelesen haben. Von daher bemerken sie die gezielte Verdummung nicht.

Anonym 26. April 2012 um 13:25  

Das gleiche für die Nazis... Gäbe es sie nicht, müßten sie erfunden werden, um einen dankbar angenommenen und einfach zu handhabenden politischen Todschläger abzugeben.

Anonym 26. April 2012 um 13:26  

Wie durchsichtig der Versuch der Springer-Schmieranten ist, Wallraff erneut zu diskreditiern, sieht man daran, dass kaum jemand diesen Ball aufgenommen hat, um ihn weiter zu spielen. Es erschien in der Blöd-Zeitung und in der WELT - und das war es dann so ziemlich.
Mir will irgendwie nicht in den Kopf, wie gnadenlos bescheuert man sein muss, um ernsthaft unterstellen zu wollen, die Staatssicherheit der DDR hätte etwas mit "Ganz unten" zu tun.
Da schreiben Hohlbirnen für Hohlbirnen und Anonym (13:13) sagt ganz richtig: von den BLÖD-Lesern hat wahrscheinlich niemand dieses Buch gelesen..
Anton Chigurh

Deuterim 26. April 2012 um 14:29  

Frankreich zum Beispiel hätte auch gerne eine DDR? Die DDR gehört natürlich auch zum Schulunterricht Frankreichs, und in Frankreich kann viel unwidersprochener Schindluder mit der DDR getrieben werden, weil kaum berufene Gegenstimmen da sind gegen die offizielle Deutung.

Slave 26. April 2012 um 21:16  

Ich als rechtsradikaler Nazi-Ablehner (gibt es natürlich genauso wie linksradikale SED- und Stalin-Ablehner) halte die Dritte Reich- ebenso wie die DDR-Keule für ein reines machtpolitisches und nicht etwa aufklärerisches Instrument. Wenigstens ist dadurch aber im Ansatz "Waffengleichheit" gegeben... für alle, die ausgerechnet diese Konstrukte für ihre "Argumentation" nötig haben.

Anonym 29. April 2012 um 09:06  

Auch die alten Machthaber in der DDR glaubten an die Ewigkeit: "Die Mauer wird noch in 50 oder 100 Jahren bestehen bleiben, sofern die dafür notwendigen Gründe gegeben sind..." (E.Honecker)

Dann wurde dieses hochgerüstete, unmenschliche und brutale Überwachungssystem quasi über Nacht einfach so vom Volk beseitigt. Dieser historisch bedeutsamer Akt war eine großartige Tat der gerade ihre Freiheit entdeckenden Bürger. Aber das darf sich unter keinen Umständen wiederholen! Die Allmacht der Großkonzerne wird auch noch in 50 oder in 100 Jahren bestehen bleiben, solange die dafür ...

Man stelle sich vor, die Bürger wählten sich ein Parlament, dass die Interessen des ganzen Volkes vertritt. Dieses Parlament beschlösse die vollständige Verstaatlichung der Big4 (EON, RWE, EnBW, Vattenfall) in Deutschland und sicherte so eine preiswerte und stabile Energieversorgung...

Unvorstellbar!

* * *

Sehr guter Artikel, der Wallraff steht bei mir im Regal.

Manu 30. April 2012 um 12:14  

Kommt mal nach London und seht Euch das Leben von Arbeitslosen hier an...
So zynisch das klingen mag für Leute, die den Vergleich nicht haben: Deutschland ist ein Schlaraffenland dagegen, wo der Staat noch (relativ gesehen!) wahren Humanismus ausübt. Wer weiss, wie lange sich das noch halten wird. So meine Gedanken dazu - traurig, aber wahr. Ich fürchte, es wird abwärts gehen.

ad sinistram 30. April 2012 um 12:28  

Ja, weil es andernorts noch beschissener ist, heißt es: Mund halten! Bis es dann bei uns so beschissen ist und man uns sagt: Mund halten, in London fressen sich die Arbeitslosen bereits gegenseitig auf. Wir halten den Mund, bis es dann bei uns so ist und dann sagen sie uns: Mund halten, in London ist es noch schlimmer geworden als vorher, jetzt fressen sie sogar schon ihre Haustiere. Also halten wir den Mund, bis sie hier die Haustiere fressen und dann beschweren wir uns und man sagt uns: Mund halten, London gibt es schon nicht mehr...

Jens Femerling 30. April 2012 um 13:13  

Tja, früher konnte man immer auf die "böse" DDR mit dem Finger zeigen! Heute darf man selbst böse sein! Ich war und bin kein Freund dieses Systems, aber ich hatte das große Glück beide Systeme kennen zu lernen, bevor es sich zu diesem Konglomerat entwickelte. Ich bin mir auch nicht mehr sicher was das größere Übel war/ist.

Anonym 5. Mai 2012 um 02:29  

Die Linke ist nur noch eine Karikatur einer politischen Bewegung, die mich an eine Filmszene aus Monty Pythons Film The Life of Brian erinnert. Während Brian zu Kreuze zu seiner Hinrichtungsstätte gezwungen wurde, hat seine pseudopolitische Gruppe, die PalästinaBefreiungsFront nichts besseres zu tun, als Tagesordnungspunkte zur Diskussion über die gewaltsame Befreiung von Brian zusammenzufassen anstatt auf die Strasse zu gehen. Besser kann man die Linke in ihrem heutigen Zustand nicht beschreiben.

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