Verfüg-, verschiebbares Humankapital

Dienstag, 12. Juni 2012

Menschen die in Arbeitslosigkeit geraten, werden von Wirtschaft und Politik als herumschiebbare Substanz für den Arbeitsmarkt betrachtet. Diese Aussage ist nicht besonders neu. Mit welcher Chuzpe und welchem eiligem Elan aber neuerdings die Arbeitsministerin arbeitslos werdende Personen verschiebt und herumstößt, das ist man so (noch) nicht gewohnt.

Die Deutschland-PSA

Die erklärt nämlich lapidar, dass man aus den ehemaligen Beschäftigten von Schlecker Erzieherinnen machen werde. Punkt. So einfach geht das heute - freie Entscheidung, freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl, eine Form von Qualitätsauswahl und -sichtung potenzieller Kandidaten: Fehlanzeige! Kaum arbeitslos, schon die Verfügungsmasse einer Politik, die sich als pragmatisch und anpackend auszeichnen will - kaum arbeitslos, schon herumgeschubst von einer Politikerin, die sich mittels schneller Vorschläge eine Kontur als Anpackerin verschaffen möchte. Ganz nach dem Gusto neoliberaler Statiker, versteht sich.

Wer medial fachgerecht seine Arbeit verliert, der ist doppeltes Opfer. Erst ein Opfer der Pleite, dann ein Opfer des Aktionismus, mit dem Ministerien im Massenmedienzeitalter stets arbeiten. Dieses unreflektierte, fast ziellose Handeln in ideologischer Konzeptlosigkeit kennt wenige Prinzipien - und wenn, dann sind sie nur ökonomischer Natur. Fällt Humankapital bei A aus, so soll es bei B einsatzbereit gemacht werden. Der angeblich so freie Arbeitsmarkt als überdimensionale Arbeitnehmerüberlassung, verschiebbar nach Auftragslage und Lust und Laune des Leiharbeitgebers. Personal-Service-Agentur Deutschland! Für den freien Willen, für die Vorlieben und Neigungen von Erwerbslosen ist da kaum noch Platz - so wenig Platz, dass der in Erwerbslosigkeit Geratene nicht mal mehr eine Übergangszeit bekommen soll; Orientieren, Durchatmen, Sondieren - dafür bleibt keine Zeit für die Verfüngungsmasse des Arbeitsministeriums. Jeder Mensch hat Abneigungen und Vorlieben - für die Gestalter des aktionistischen Arbeitsmarktes ist das allerdings irrelevant; alles ist erlernbar, auch Kinderfreundlichkeit womöglich.

Eingeständnis gescheiterter Arbeitsmarktreformen

Seit Jahren lesen wir, dass die Reformen gefruchtet hätten. Die Hartz-Konzeption habe sich bewährt, Arbeitslosigkeit sei geschrumpft und Arbeitsplätze seien ausreichend vorhanden und würden stetig mehr. Kurz gesagt: das Sozialgesetzbuch hat alles im Griff. Es sichert Teilhabe und Integration in den Arbeitsmarkt. Dennoch greift nun das Arbeitsministerium ein. Hat es wenig Vertrauen in jene Gesetze, die es sonst reichlich lobt? Warum nicht das SGB einen guten Arbeitsmarkt regeln lassen? Wieso aktionistisch eingreifen, wo Hartz-Reformen souverän wirken?

Vielleicht verzichtet die Ministerin auf die ruhige Hand, weil sie weiß, dass der normale Lauf der Dinge die Ex-Schleckeretten in Langzeitarbeitslosigkeit brächte - wie es das Hartz-Konzept und allerlei Arbeitsmarktreformen gewollt haben. Und ob ihr Aktionismus die ehemaligen Angestellten von Schlecker in Arbeit bringt, steht ohnehin auf einem anderen Blatt. Vielleicht bekommen die ja durchaus einen Arbeitsplatz, sind dann billige, durch Crashkurs lohngedumpte Erzieher, die fachlich gebildete Erzieher aus ihren Stellen drängen - dann steht ein Heer von pädagogischen Fachkräften auf der Straße, die von der Ministerin gesagt bekommen, was sie bald werden dürfen. Verkäuferinnen womöglich...



17 Kommentare:

Anonym 12. Juni 2012 um 08:37  

Die selbe nette Ministerin hat, bezüglich zur neuen Rentenpflicht für Selbstständige, verlauten lassen: Wer sich das nicht leisten könne, solle sich doch schon mal um einen neuen Job umsehen. Es gäbe doch eine Million freier Stellen in Deutschland, das könne doch nicht so schwer sein.

Wo die wären, und warum die Millionen an Arbeitslosen diese bisher nicht gefunden haben blieb unbeantwortet. Aber mit der Realität hat es unsere Laienministerin ja sowieso noch nie.

Stefanie 12. Juni 2012 um 08:47  

Irgendwie erinnert mich das mehr und mehr an eine Aufbausimulation. Häuser bauen, Menschen ziehen ein und ich schieb sie dahin, wo ich sie brauche. Grandios!

Saak 12. Juni 2012 um 09:16  

Allein schon der Begriff "Anschlussverwendung"... Ich war ohnehin etwas irritiert, dass das niemanden wirklich gestört hat, auf das Niveau eines Baggers abgelevelt zu werden.

Anonym 12. Juni 2012 um 09:46  

Eine sehr gute Beschreibung der momentanen Arbeitsmarktpolitik. Danke Roberto.

Diese v.d.L. verfügt über Menschen als wenn sie Schachfiguren (Bauern) wären. Es ist unglaublich, menschenverachtend und die Menschenrechte mit Füßen tretend, was sich diese Politiker anmaßen.
(Es erinnert mich immer wieder an die "dunkelste" Zeit Deutschlands.)

Die gasamte Arbeitsmarktpolitik, und nicht nur diese, ist auf ein dermaßen unmenschliches Niveau gesunken, das ich abscheulich finde.- Unter permanenter Verletzung, ja Missachtung der Grundrechte bestimmen hier Politiker über Leib und Leben von Tausenden (Arbeitnehmern)....

Hartmut

klaus baum 12. Juni 2012 um 09:58  

Als die FR noch gesellschaftskritisch war und man sie deswegen auch kaufte, nannte Werner Holzer, der Chefredakteur, das, was die verschiebbares Humankapital nennst: Dispositionsmasse.
Von Wolfgang Borchert gibt es einen Text, in dem sich zwei Herren unterhalten, und zwar etwa so: Du bekommst Tausend, wenn ich von Dir Zweitausend bekomme. Jedenfalls geht der Text sinngemäß noch eine Weile so. Es werden Zahlen hin- und hergeschoben. Am Ende stellt sich heraus: die Herren sind Genräle und hinter den Zahlen verbergen sich Menschen. Es erinnert übrigens an einen Brauch beim Viehkauf im 16. Jahrhundert oder früher: Man kaufte überhoubet, das heißt, man guckte sich die Kühe beispielsweise nicht im einzelnen an, sondern blickte über ihre Häupter hinweg und sagte, ich nehm die ganze Herde. Die Beschaffenheit der einzelnen Kuh interessierte da nicht.

Was übrigens den Begriff der Anschlussverwendung betrifft, Rösler war ja Arzt, so ist der Begriff Anschlussbehandlung in Krankenhäusern üblich. So steht einem Herzinfakrtpatienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus eine REHA zu, also eine Anschlussbehandlung.

Dass dies so ist, macht allerdings den Begriff der Anschlussverwendung nicht besser.

Anonym 12. Juni 2012 um 09:59  

A.

Da stellt sich die Frage leben wir wirklich in Freiheit?

OpamitHutamSteuer 12. Juni 2012 um 10:28  

in einer marktkonformen demokratie hat das humankapital die fresse zu halten und zu buckeln.

erinnert mich irgendwie an die reise nach jerusalem, auf 1mio stuehle kommen halt 5-6mio hartzer - unfair? pah weicheier ;)

Anonym 12. Juni 2012 um 12:58  

Ich habe den Eindruck, diese PolitikerInnen schliessen unbewusst von ihrer Berufstätigkeit generalisierend auf Andere: Weil sie für ihren Job keinerlei Qualifikationen benötigen ausser die sprichwörtliche Velofahrermentalität, glauben sie, man könne jeden Beruf an ein paar Nachmittagen erlernen.

Der Irrglaube, alles und jedes zu können, ist auch charakteristisch für die heutzutage epidemische narzisstische Persönlichkeitsstörung. Wer je solche Chefs hatte, kennt dieses ewige Herumgeschubse als herausstechendes Verhaltensmerkmal nur allzu gut.

Ein desillusionierter Psychiater bezeichnete mal die narzisstische Persönlichkeitsstörung bei Führungspersönlichkeiten als meist unheilbar und ergänzte, wer glaube, solche Chefs durch gutes Zureden bessern zu können, leide an derselben Krankheit.

Anonym 12. Juni 2012 um 14:26  

@Roberto J. de Lapuente

Schön auf den Punkt gebracht, Schilda läßt grüßen - Wir Menschen in Deutschland sind eben moderne Schildbürger.

Amüsierter Gruß
Bernie

Tristan 12. Juni 2012 um 15:17  

Alles sehr richtig! Nur fürchte ich, dass sagen wir 70-80% der arbeitenden Bevölkerung genau damit zufrieden ist.

Was uns, die wir hier gerne lesen, zumeist als unwürdig erscheint, darin mögen andere gerade ihre Würde finden. Würdevoll ist für die, wenn sie das Öl abgeben für die gigantomanisch-menschenverachtende Maschinerie... eine Hydra mit tausend Köpfen... der Einzelne ist nichts, die Maschine ist alles...

Ich sehe meine Würde gerade darin, dass ich Dinge in Frage stelle. Ich will wissen wohin die Galeere schwimmen soll, auf der ich freundlich-bestimmt angehalten werde, mir einen hübschen Ruderplatz auszusuchen!

Anonym 12. Juni 2012 um 15:43  

Die Frau heißt im Spitznamen ja nicht umsonst Frau-Von-Der-Leiharbeit.....

Anonym 12. Juni 2012 um 21:18  

"Für den freien Willen, für die Vorlieben und Neigungen von Erwerbslosen ist da kaum noch Platz" - das ist es auch nicht für Hochqualifizierte, und war es auch nie. Oder was stellt man sich darunter denn vor, nach freiem Willen eine Arbeit nach Vorlieben und Neigungen zu wählen? Von meinem ganzen großen Akademiker-Bekanntenkreis hat kein einziger einen Beruf nach ihrer/seiner Wunschvorstellung. Und das war laut meinem Vater (Uni-Professor) auch nie anders - es war immer ein Glücksfall, wenn jemand das tun konnte, was er am liebsten wollte.
Vielleicht kommen wie dem Ideal ja mal näher - derzeit und in der Vergangenheit ist und war man weit entfernt davon.

Karl 12. Juni 2012 um 23:18  

Lieber Roberto,

wenn alle vom Arbeitsplicht-Ethos durchinfiziert sind - das nämlich ist die hintergründige Ursache...
Die Menschen sind in den Fesseln der Arbeits- und Konsumgesellschaft ( http://goo.gl/dPQsi ) und man müßte sie zuerst davon herausholen...

mann_von_nebenan 13. Juni 2012 um 10:38  

@Anonym 12. Juni 2012 21:18,

diese einzig menschenwürdige
Existenzform muss ja erkämpft
werden! Und dabei geht es nicht
um Luxusprobleme. Übrigens wird
durch die heutige Gesetzgebung
auch hohe Qualifikation aberkannt
(Qualifikationsschutz längst eliminiert).
Hochqualifikation entsteht unter
Anderem dadurch, dass sich Menschen
in ihren Berufen hochqualifizieren
können und dürfen.
Und mir ist kein Fall von Eignung
für bestimmte Berufe ohne eine wahrnehmbare Neigung zum jeweiligen Metier bekannt. Es ist ganz klar Folter, wenn man Menschen bei wie auch immer gearteten seelischen Widerstanden in Tätigkeiten zwingt,
an denen sie nur zerbrechen können, weil ihre wirklichen Talente schlicht ignoriert, wenn nicht gar sanktioniert werden.
Diese Barbarei sollten wir doch eigentlich längst hinter uns gelassen haben!

Anonym 13. Juni 2012 um 18:01  

Ich hoffe sehr, dass ich den Tag der Abrechnung noch mitbekomme.
Diese Menschenverachtung kann ja nicht endlos so weitergehen.
Mit Hilfe der eisernen Kanzlerin und ihrer Marionettenregierung werden europaweit weite Teile der Bevölkerung zielstrebig verarmt, in Griechenland ist das Gesundheitssystem zusammengebrochen und nur die, die noch ein paar lumpige Euro im Kopfkissen haben, können sich noch einen Arzt oder Medikamente leisten. Das ist ein Rückfall ins früheste Mittelalter, bald wird es dort die ersten Hungertoten geben.
Ich kann nur hoffen, dass sich die geschundene Bevölkerung Griechenlands, Spaniens, Portugals und vielleicht auch bald Italiens erhebt und die Bankendiener auf dem Scheiterhaufen verbrennt. Dann - aber auch nur vielleicht - wird auch hier endlich etwas passieren und die vdLs, die Röslers, die Seehofers und Pofallas werden dann hoffentlich vom Sensenmann geholt werden....
Anton Chigurh

Matt 18. Juni 2012 um 14:41  

Hallo 13.Juni 10:38

"Es ist ganz klar Folter, wenn man Menschen bei wie auch immer gearteten seelischen Widerstanden in Tätigkeiten zwingt, an denen sie nur zerbrechen können, weil ihre wirklichen Talente schlicht ignoriert, wenn nicht gar sanktioniert werden."

Sie machen es sich viel zu einfach. Die Mehrheit der Menschen ringt um die eigene Talenterkenntnis, könnte sich dies zu tun vorstellen, aber auch jenes...
Glücklich ist der, der tatsächlich sein(e) Talent(e) erkennt.

mann _von_nebenan 19. Juni 2012 um 16:17  

Hallo zurück, 18. Juni 2012 14:41:

>Glücklich ist der, der tatsächlich sein(e) Talent(e) erkennt.<

Und genau dieses Bildungsziel ist anstrebenswert und das einzig menschenwürdige. Wenigstens dieses Glück ist gott- oder evolutionseidank mach-/darstellbar.

Mit Ihrer relativierenden Verallgemeinerung machen SIE es sich zu einfach, wie alle Leute, die es lieber beim Alten belassen, weil es ihnen dabei garnicht so schlecht (er)geht.

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