Erst lesen, dann schießen

Donnerstag, 23. August 2012

Gefahren, "die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen", so mahnte das Bundesverfassungsgericht neulich, dürften allerdings nicht mit einem inländischen Waffeneinsatz der Bundeswehr abgewendet werden. Das ist eine Einschränkung, die man einem etwaigen Inlandseinsatz mit auf dem Weg gab. Die Angst, die viele Bürger nun über Jahre insgeheim hegten, dass eben die Bundeswehr gegen Bürger aufmarschiert, scheint richterlich ausgetrieben. Dabei muß man fürchten, dass nun hitzig bürokratische, das heißt, kühl spitzfindige Diskussionen darüber angestellt werden, wann eine Menschenmenge eine Menschenmenge ist und wie man das Wort Gefahr definieren kann.

Dass demonstrierende Menschenmengen von der Bundeswehr nicht angetastet werden dürfen, heißt das nicht auch über Umwege, passiv sozusagen, dass Menschenmassen, die sich per definitionem nicht demonstrierend zeigen, sondern vielleicht einfach nur mahnwachend, schon bundeswehrlich behelligt werden dürfen? Es sind ja Gefahren aus so einer Menge, die nicht Gegenstand eines Einsatzes sein dürfen. Ist aber die Gefahr nicht außer Kraft, wenn beispielsweise ein linker Mob randaliert und Autos umwirft. Dann ist die Gefahr gewissermaßen schon überstanden, dann ist die Gefahr schon zur Tat geworden, droht nicht mehr nur, sondern wütet als Werk. Wenn die Menschenmenge nicht mehr nur gefährdet, sondern schon tut, schon die Stufe der Gefahr durch die Handlung ersetzt hat - kann man dann nicht doch die Bundeswehr dazuholen? Und 500 Menschen sind ja schon eine Menge Leute. Hat damit nicht eine Versammlung von 1000 Menschen die Menge schon überflügelt? Sind 1000 Menschen nicht schon Masse statt Menge? Kann man das nicht von der Mengenlehre ableiten? Und gegen Menschenmassen gibt es doch keine Einschränkung seitens der Verfassungsrichter!

Man braucht etwas Phantasie, um der Büchse der Pandora, einmal aufgesperrt, auch den Deckel hochzuklappen. Spitzfindigkeiten, besondere Auslegungen, exegetisches Lesen, kommentierte Sinndeutungen - so schafft man sich aus Einschränkungen Befugnisse, filtert sich aus Vorbehalte Freibriefe, modelliert sich aus Begrenzungen Vollmachten. Man muß nur besonders richtig, man muß nur gewieft lesen können, ein ausgesprochenes Auge für die Feinheiten haben. Und das haben Bürokraten und Juristen und Juristenbürokraten gemeinhin ganz besonders. Genau deshalb sind Einschränkungen, wie jene des Bundesverfassungsgerichts, so sinnlos, so nichtig - nur das absolute Verbot, das keinen Schlupfwinkel kennt, kommt dieser Auffassung, diesem Verständnis zuvor. Womöglich ahnten die Verfassungseltern, was die Verfassungsrichter nicht fähig sind zu erahnen, zu erwägen, und klammerten die Bundeswehr aus dem Inland kategorisch aus.

Nur Mut, ihr Konservativen, die ihr seit Jahren an der innerländischen Bundeswehr feilt. Die Einschränkung ist keine, sie ist eine Herausforderung, ein Wortspiel, eine Definitionssache. Und darin seid ihr doch herausragend. Ihr nennt euren Chauvinismus einfach Leitkultur und schon klingt es anders; ihr sagt Selbstverantwortung zu eurer Ignoranz gegen die Nöte mancher Menschen - warum nicht einfach die demonstrierende Menschenmenge umwerten, deklinieren, beugen und neu kategorisieren? Die Grenzen des Anstandes waren doch nie Schranken für den Konservatismus, sondern stets Ermunterung, über die Grenzen zu stoßen, ohne zu schroff gegen die Schranken zu donnern. Einschränkungen sind damit auch nie einschränkend, sondern immer einfallend - Einschränkungen, wie jene aktuelle des Bundesverfassungsgerichts, sind Einfalltore, nicht Abriegelungen.



13 Kommentare:

Snuggles 23. August 2012 um 08:14  

Absoute Zustimmung.

Nicht nur das Ausfeilen von Worthülsen wird kommen, sondern auch das Wegschieben oder besser die Flucht vor der Verantwortung zur Rechtfertigung werden kunstvoll verpackt werden.

z.B. "der leitende Offizier vor Ort war überfordert, aber durch gezielte Ausbildung werden wir zukünftig dafür sorgen, das sich so etwas nicht wiederholt"

Sie haben nichts gelernt, oder besser, sie wollten nicht.

Anonym 23. August 2012 um 08:33  

Eigentlich schlimm, dass man direkt selber in den Krümeln sucht und paranoiden Auslegungen nachstöbert. Aber leider ist das ja nur allzu oft genau das, was einem am Ende blüht...

Anonym 23. August 2012 um 11:38  

Mensch erinnere sich einfach an das berühmt-berüchtigte Generalbundesanwalt-Zitat: "Nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges ist nach deutschem Recht strafbar, nicht allerdings das Führen des Angriffskrieges selber." aus der Schröder-SPD-Zeit…

Anonym 23. August 2012 um 12:47  

Eine "Demonstration" ist natürlich nur eine "genehmigte Demonstration", alles andere ein gefährlicher Mob.
"Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse, dass bei der Auflösung der Menschenansammlung unverhältnismäßige Gewalt angewandt wurde. Vielmehr Habe General Klein erst schießen lassen, als seine Soldaten von Randalierern angegriffen wurden."
Heißt es dann im Nachhinein und gut ist.
Ich erinnere mich noch ganz gut an die Doku über Genua, wo aus einem Lieferwagen in einer Seitenstraße unter Bewachung der Polizei Eisenstangen an Vermummte ausgegeben wurden.
Es dürfte doch jedem klar sein, was droht, das hat mit Paranoia nix zu tun. Das ist die Kunst des Machbaren.
Da sind Genies des Bösen am Werk.

Anonym 23. August 2012 um 16:06  

Da sitzen also Geschäftsleute, die sich genau mit dem Geschäft auskennen und machen Verträge, von denen Sie wissen, dass Geschäftsleute in der Lage sind diese zu umgehen oder sich bei nicht erbrachter Leistung einer Entschädigung zu entziehen.

Solche Geschäfte werden gemeinhin nur im öffentlichen Bereich gemacht.

Echte Geschäftsleute machen Verträge, bei denen jede Partei so viele Anwälte wie möglich beteiligt damit soviel "Sicherheit" wie möglich auf beiden Seiten besteht.


Und dann gibt es Richter, die obersten in diesem Lande sagt man, die solche Sätze und Urteile schreiben.

Anonym 23. August 2012 um 17:11  

Das Urteil des Verfassungsgerichts über den Einsatz der deutschen Kriegsarmee im Inland - nur ein Teil eines großen Puzzles, das uns am Ende die ungeschminkte Fratze des autoritären Staates zeigen wird.

Jonas Hübner

Anonym 23. August 2012 um 18:36  

Hier bahnt sich eine sehr schlimmere Zeit an.

Meiner Phantasie muß ich hier Einhalt gebieten, sonst gehts mir sehr schlecht....

Das öfftl. "Bewußtsein" wird dann so geschmiedet, von Bild & Co., wie einstmals. -" Die bösen Demonstranten, warum mußten die demonstrieren, geschieht ihnen ganz recht."

Ich habe aus den 60-70ern zu diesem Thema noch folgende Aussage in Erinnerung "Die Demonstranten sollte man alle an die Wand stellen......"

Archi 23. August 2012 um 19:26  

Ich bin als Konservativer genauso unzufrieden mit diesem Regierungspersonal wie Sie... Konservativ sind diese Unions-Funktionäre nie gewesen.

pillo 23. August 2012 um 19:48  

Man wollte wohl von Seiten des so genannten Verfassungsgerichts der Bundeswehr im Inneren nicht zu deutlich einen Blankoscheck ausstellen. Also haben die Richter ihr "Ja" hinter juristischem Geschwurbel versteckt, wohl wissend, was die Politik daraus machen wird. Das hat den Charme, dass man im Falle des Falles das Unschuldslamm mimen kann.

Was nun passiert sei, so wird man dann treuherzig versichern, habe man so nicht gewollt. Ergo, einzig die Politik trage Schuld am Geschehenen.

@anonym (23.08.2012 12:47) hat schon vollkommen zu Recht darauf hingewiesen, dass "Vater Staat" notfalls auch etwas nachhelfen wird, um der Bundeswehr endlich den Weg für ihren ersten bewaffneten Einsatz im Inneren frei zu machen. Spätestens seit Heiligendamm sollte sich herum gesprochen haben, was ein "Agent Provocateur" ist.

Anonym 23. August 2012 um 21:52  

Das Nichteinschreiten gegen Demonstranten ist wohlfeil überlegt.

Denn wen? Wen von der herrschaftlichen Ordnung, stören denn schon Demonstranten?

Lass sie Dampf ablassen, ein oder zwei Tage, sinnenleert durch Straßen marschieren ... Sprüche klopfen.

Später dann,... sind sie schon wieder da an ihrem Platze, wo sie hingehören.

Die Verordnung an und für sich, ist gegen jene gewandt, gegen jene, die nicht nur demonstrieren!

Aber im Nachhinein betrachtet, ... natürlich muß es auch juristisch ausgeklügelt sein, ...
was ist denn nun eine Demonstration?

Oder wirft da einer aus dem schwarzen Block schon Steine?

Cesar 23. August 2012 um 23:46  

Für eine wirklich bessere Gesellschaft in einem humanistischen Sinne - also etwas Besseres als der Höllenschlund, in dem die Menschheit seit ihrer Existenz steckt - bedarf es meiner Meinung nach einem evolutionären Sprung, der gewisse (böse) Eigenschaften aus dem Pool der Potentiale des Menschen entfernt.
Denn das dies allein über Aufklärung, Erziehung und Selbstmäßigung erfolgen kann, wage ich stark zu bezweifeln.

Anonym 24. August 2012 um 10:48  

2002 wurde von die amerikaner sogar der genfer konvention nr.3 für terroristen für ungültig erklärt.
daran haben zigtausende anwälte gearbeitet. danach wurde sogar folter legitim.
wird wahrscheinlich hier in europa auch nicht anders sein.
was nicht passt, wird passend gemacht

Merkowi 3. September 2012 um 11:25  

Es wird doch sowieso alles in einem einheitlichen europäischen Rechtssystem aufgehen. Insofern unsinnig und vor allem kurzsichtig, sich noch mit den letzten Zuckungen der nationalen Rechte zu beschäftigen.
Wobei die Europa-Idee heut so verbissen verteidigt wird wie noch vor 25 Jahren die Idee des Sozialismus.
Und sie wird genauso enden.

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