Es gibt viele Arten zu töten

Dienstag, 6. November 2012

Tritt ein Virus oder eine Grippe in die Welt, monologisiert die Presse, ob wir nun auch gefährdet seien. So wie neulich, als man fragte, ob bei uns möglicherweise auch ein Hurrikan ins Haus stehe. Wie gefährdet sind wir? und Wie kann man verhindern? kommen als Fragen und Artikel zuweilen vor. Sind auch Sie von Kurzarbeit betroffen? Wie gefährdet ist mein Kind? Was tun um Steuern zu vermeiden? Ereilen auch mich höhere Stromkosten? Meist handelt es sich schlicht um Fragen aus der Mittelstandsklasse, um Themen, die dort besonders relevant und alltäglich sind.

Apropos Stromkosten. Letzte Woche erstickten Vater und Kinder in Kohlenmonoxid. Die Familie konnte die Stromrechnung nicht mehr begleichen. Irgendwann stellte man ihnen den Strom ab und um nicht ganz ins Mittelalter zu verfallen, betrieb man ein Notstromaggregat, das giftige Abgase produzierte. Die Medien berichteten von einer sozialen Tragödie, was relativ moderat klingt. Und sie schreiben geschlossen, dass es der Vater war, der die Rechnung nicht beglich, was faktisch richtig sein mag, was aber vermutlich irgendwie die Schuld auf ihn alleine abwälzen soll. Nach dem Geschäftsgebaren des Stromlieferanten fragt man hingegen nicht, denn so ist das am Markt nun mal, wer seinen Vertragspflichten nicht nachkommt, der disqualifiziert sich.

Brecht ist wie die Bibel, man findet bei ihm immer etwas, das so glänzend zum Fall passt, dass man meint, er habe es extra hierfür geschrieben. Nach ihm gäbe es nämlich viele Arten zu töten. "Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen zum Selbstmord treiben, durch Arbeit zu Tode schinden, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staate verboten." Den Strom sperren hat er vergessen, wobei "in eine schlechte Wohnung stecken" das wohl beinhaltet.

Ich habe bis jetzt nirgends Fragen vernommen, die da lauteten, ob uns das auch passieren könnte. Kann mir der Strom auch gesperrt werden? Muss ich auch ersticken? So vermeiden Sie eine Kohlenmonoxidvergiftung! Nichts dergleichen! Hat man auch nur einen einzigen Aufmacher bei einer der Qualitätszeitungen hierzu gelesen? Man geht darüber hinweg. Die Zahlungsschwierigkeiten etwaiger Familien, die Stromsperren, mit denen sie dann leben müssen, sind nicht das Problem jener Klientel, für die gefragt und beraten wird. Nur Die Linke fordert ein Verbot, bei Zahlungsschwierigkeiten den Strom abzuklemmen - was natürlichnatürlich arg unsozial gegenüber ordentlichen Unternehmen ist, die Leistung bieten und dann nicht entlohnt werden sollen. Kommunismus halt ...

Letzte Woche schrieb ich, dass Armut in dieser Postdemokratie nicht vorkommt, sie wird als Thema ausgeblendet. Man spricht manchmal davon, dass es Armut gäbe, präsentiert Zahlen und relativiert. Aber die Armut hat keine Lobby, niemand, der sich politisch an sie heranmacht, um sie Stück für Stück zu lindern und dann zu beiseitigen. Dieser Anschlag auf die Unversehrtheit einer Familie, den sie nun soziale Tragödie nennen, und der Umgang mit diesem Fall in der Öffentlichkeit zeigt abermals deutlich: Themen der Armut sind als Sujet der Berichterstattung und des Feuilletons ausgeschlossen.

Der Vater hätte seine Rechnung doch nur bezahlen sollen - trifft es aber Anleger und Sparer, die nicht das bekommen, was man ihnen versprach, dann wird ein Fass aufgemacht, wie neulich wieder, als man von der Enteignung der Sparer schrieb. Die Enteignung dieser Familie, erst jene vom Strom, dann vom Leben, ist aber nicht das Problem der Mitte.



15 Kommentare:

baum 6. November 2012 um 08:07  

das stromwerk beziehungsweise der stromlieferant benötigte dringend geld, um honorare an steinbrück und gauck auszahlen zu können.

steinbrück und gauck haben es noch nicht gemerkt, dass sie mit blutgeld bezahlt worden sind.

Hartmut 6. November 2012 um 08:52  

Mir aus der Seele geschrieben....

auch der Kommentar von Klaus - schlicht und ergreifend ein Volltreffer ! Danke !

Hartmut 6. November 2012 um 11:25  

An so eine Todesursache hatte Bertolt Brecht sicher auch noch nicht gedacht:

http://www.anja-schueller.de/

Hartmut 6. November 2012 um 11:29  

...ach, ich lese gerade..einen zum Selbstmord treiben...er hat da wohl dran gedacht...

der Herr Karl 6. November 2012 um 13:30  

Das Finanzsystem ist in seine Endphase eingetreten...

Gustavo 6. November 2012 um 14:25  

Die Presse schreibt wohl deshalb keine Ratgeberartikel dazu, weil der Rat zu banal ist: "Zahlen Sie Ihre Rechnung."
Krankheiten etc. sind ja weit weniger triviale Themen.

ad sinistram 6. November 2012 um 14:30  

Menschen werden krank - ganz triviale Einsicht in dieser trivialen Welt.
Menschen die Lebensgrundlage entziehen in einer Welt, in der genug für alle da ist, finde ich schon weniger trivial.

mann_von_nebenan 6. November 2012 um 15:26  

Nicht wahr? Menschen werden systematisch (oder sollte ich schreiben systemisch?) die Lebensgrundlagen entzogen.
Und der nicht betroffene Plebs
rechtfertigt das auch noch und
hält ein Zahlungsversäumnis für
einen triftigen Grund, eben diese
Lebensgrundlage Elektrizität zu
entziehen.
Es ist zum davonsterben …

Hartmut 6. November 2012 um 15:58  

1982 ! wurde hier in einer 2000 Seelen-Gemeinde einem 49 jährigen Mann, der mit seiner Mutter zusammen in einem Haus lebte zuerst das Telefon, kurz darauf der Strom abgestellt. Aus Scham und Kränkung vor den Mitmenschen legte er sich ins Krankenhaus, wo er nach kurzer Zeit verstarb.

- Jetzt will ich zum Kern kommen: schon während der Zeit, ohne Strom aber erst recht nach seinem Tod kursierte in diesem Ort folgender Ruf: Er war zu faul zum Arbeiten, er war ein Schmarotzer, hat selbst ein naher Verwandter von ihm posthum behauptet. Es war richtig, dass man ihm den Strom abgeschaltet hat, wenn er die Rechnungen nicht bezahlt, usw. - Nicht eine Stimme des Mitleids oder Mitgefühls habe ich damals vernehmen können.

Aus einer zuverlässigen Quelle erfuhr ich, dass er seinem Tod nachgeholfen hat. - Sein Sterbemonat war wie jetzt: November !

Jutta Rydzewski 6. November 2012 um 16:17  

"Menschen die Lebensgrundlage entziehen in einer Welt, in der genug für alle da ist, finde ich schon weniger trivial."

So ähnlich, lieber Herr De Lapuente, hat es auch mal Mahatma Gandhi zum Ausdruck gebracht:

Die Welt ist groß genug für die Bedürfnisse aller, aber zu klein für die Gier einzelner.

mfg
Jutta Rydzewski

PS: Ein kurzer Einschub zu "Steinbrück/Stadtwerke Bochum": Ich hatte in den letzten Tagen einen interessanten Mailwechsel mit den hiesigen Stadtwerken, und den "Herrschaften" einige Fragen gestellt. Unglaublich was sich diese Bande dabei zusammengelogen hat. In der ersten Mail, am 31.10.2012, wurde schon im ersten Satz (wörtlich) behauptet: Wir haben zu keiner Zeit Herrn Steinbrück irgendein Honorar gezahlt. Gestern erfolgte dann das Rückzugsgefecht, wonach Steinbrück angeblich nix davon gewusst hat, dass er die 25 Mille Honorar spenden sollte. Der Peer ist also unschuldig.;-) Er hätte zwar gerne sein Honorar für soziale Zwecke gespendet, schreit der Chor der Steinmeier, Nahles, Gabriel und Co., aber da er nix gewusst hat, musste er notgedrungen das Geld für sich behalten.

Ich habe den Stadtwerken zurückgeschrieben, dass ich verstanden hätte, und die Angelegenheit auf einen kurzen Nenner gebracht: Steinbrück hat nix gewusst, und die Stadtwerke Bochum haben nicht gewusst, dass Steinbrück nix gewusst hat. Ende gut, alles gut. Amen.;-)) Heute habe ich dann angefragt, was der Herr Gauckler, der vor seiner Herzenspräsidentschaft ja auch schon hier in Bochum seine 25- Tausend€-Dienste feilgeboten hatte, mit seinem Honorar gemacht hat. Eine Antwort steht noch aus.;-)) Übrigens, am Donnerstag findet in dieser Sache im Bochumer Rathaus eine Ratssitzung statt, wie mir die LINKE mitteilte. Ich habe viel "Spaß" gewünscht.

landbewohner 6. November 2012 um 16:59  

klaus baum

steinbrück und gauck dürfte es scheißegal sein wie blutig ihre honorare sind.

oder wie war das noch mit gaucks kultur des sterbens oder so ..

Lazarus09 6. November 2012 um 22:44  

Ich schrieb schon 2005 : Es ist Krieg gegen den kleinen Mann ausgehend vom Kapital .

Leider will das bis heute keiner glauben, Irrtum und Dummheit der Regierung sind nur so gefällige Ausreden, bei denen sich dann so bedauerlich viele zufrieden zurücklehnen .

D.B. 7. November 2012 um 08:52  

Ich frage mich, wo fängt die "Mitte" an? Ein überdurchschnittlicher Teil weiß ja gar nichts von seiner Armut...

Gibra 7. November 2012 um 11:35  

Hi Roberto

ja, zutreffend Ihre Variante auf "struktuelle Gewalt" (Johan Galtung) grad in der entwickelten bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft hierzulande

Gruß Gibra

Anonym 7. November 2012 um 20:49  

Wie immer einfühlsamer Text und eine gehöhrige Portion Entrüstung und Anprangerung, nur wird dies zu selten gehört und nicht thematisiert in Bildungs Funk/Fernsehn und Printmedium.Ich lese seit längerem diesen Blog und was man mit Worten alles so ausdrücken kann ist schon beachtlich, wenn man selber nach Worten/Beschreibung sucht. Mein Respekt.
GLG

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