Meinung und Meinen

Freitag, 23. Mai 2014

Eine kurz erläuterte Meinung über die Meinungsfreiheit und was sie nicht ist.

Die neue Rechte versteckt sich hinter einer Meinungsfreiheit, die für sie gar nicht gilt. Sie missbraucht sie, indem sie behauptet, dass alles Sagbare zugleich auch Meinung ist.

Er sagte, ich hätte wohl ein Problem mit seiner Meinung.
   Hatte ich nicht. Also sagte ich: »Nö, mit einer Meinung nicht.«
   Es ging irgendwie um Türken und darum, dass er keinen Döner isst, weil sie voller Dreck steckten. Ja, Türken seien gewissermaßen unhygienische Menschen.
   »Sondern was?«, fragte er. »Du hast ein Problem mit meiner Meinung.«
   Er hat wohl gesehen, wie ich verstimmte, wie ich die Augenbrauen verzog.
   »Ich weiß doch, wie du bist. Und solche Sprüche gefallen dir gar nicht. Ihr Linken immer mit eurem Problem mit der Meinungsfreiheit anderer«, ließ er sich aus.
   »Ich habe kein Problem mit Meinungen. Aber alles was man meinen kann, muss noch keine Meinung sein.«
   Das irritierte ihn, aber die Zeit war reif, jetzt hieß es schuften, nicht mehr quatschen. Dieses Gespräch ist bis heute abgewürgt und nicht wieder aufgenommen worden. Ich habe auch kein Interesse daran.

So in etwa argumentiert auch die neue Rechte. Sie fühlt sich in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt und zweckentfremdet den Begriff der »political correctness«, der ursprünglich mal als Synonym für »Humanismus« galt und der im linken Diskurs durchaus nicht negativ konnotiert verwendet wurde. Heute hat sich die Rechte den Begriff unter den Nagel gerissen und führt ihn als Gegenteil der Meinungsfreiheit an.

Dabei hat die neue Rechte in den meisten Fällen gar keine Meinung. Jedenfalls keine, die mit Artikel 5 des Grundgesetzes abgedeckt wäre. Sie meint nur. Das ist aber ein gravierender Unterschied, denn die grundgesetzlich gesicherte Meinungsfreiheit ist ein komplexes Konzept und nicht einfach nur die Legalisierung allen Sag- und Meinbaren. Absatz 2 des Artikels spricht daher auch von »Schranken«. Ich kann zum Beispiel meinen, dass neue Rechte Arschlöcher sind - aber Meinung ist das deshalb noch nicht. Es ist auch nicht justiziabel, weil man Arschlöcher schon beim Namen nennen muss. Aber es ist nicht Meinung im Sinne der Meinungsfreiheit - ich meine bestenfalls nur, wenn ich das behaupte.

Meinungsfreiheit ist ein gesellschaftlicher Gestaltungsrahmen, der nicht einfach behaupten kann, dass alles, was sich der Mensch denken kann, zugleich auch reif dafür ist, als Meinung unter die Leute zu kommen. Das ist nur ver-meint-liche Meinungsfreiheit. Ein geregeltes Gemeinwesen benötigt die Differenzierung zwischen privaten Meinen und veröffentlichter Meinung. Wenn ich also wie mein Gesprächspartner erzähle, dass Türken dreckig sind, kann ich das wohl meinen, aber mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit hat diese Behauptung relativ wenig zu tun.

Es ist ein bisschen so wie mit der Lüge. Keiner mag Lügerei. Und wer einmal lügt, dem glaubt man nicht nur nicht, den mag man unter Umständen auch nicht mehr. Aber ohne gewisse Lügen wäre das Zusammenleben schrecklich. Es gäbe keine Nettigkeiten mehr. Wenn man jeden Menschen jeden Tag nichts als die Wahrheit sagte, über sein Aussehen, sein Benehmen, seinen Geruch oder darüber, was man sich so über ihn vorstellt, dann hätten wir die Hölle verwirklicht. Man muss also trennen zwischen den Wahrheiten, die gesagt werden müssen und den Wahrheiten, die man in eine Lüge packen darf. Nicht alles Wahre ist es wert, auch als Wahrheit behandelt zu werden. Wir benötigen eine Abstufung der Lügenkategorien, um friedlich zu koexistieren. Wenn mir einer erzählt, wie es ihm derzeit geht, dann wäre die Wahrheit, dass mir das eigentlich komplett egal ist, ein Zustand, in dem menschliches Miteinander schwierig würde.

Und demnach ist nicht alles was man meinen kann als Meinung zu bewerten. Dass Araber eine weniger komfortable Genetik besitzen, können manche wohl meinen. Aber eine Meinung im eigentlichen Sinne ist es nicht. Hier findet Meinung ihre Schranken. Wenn wir da nicht unterscheiden, dann lassen wir Ansichten zu, die das Zusammenleben schier verunmöglichen. Die Eltern des Grundgesetzes haben deswegen Einschränkungen vorgesehen. Daher ist die Masche mit der Meinungsfreiheit, die die neue Rechte jetzt fährt, reine Augenwischerei. Die Hälfte ihrer Thesen ist schlecht gemeint, aber nicht Meinung im Sinne dieses Rechts.

Eines ist das Konzept der Meinungsfreiheit nicht: Völlig frei Schnauze zu reden und meinen, man hätte einen Anspruch auf Respektierung des Gesagten. Man kann freilich nicht alles juristisch verfolgen, was so gesagt wird - man muss es aber auch nicht als von der Meinungsfreiheit abgedeckt stehenlassen. Volksverhetzung, Diskriminierung, Ressentiments und Beleidigungen können widerspiegeln was einer oder eine Gruppe meint, aber Meinung ist das deswegen noch lange nicht. Wer solche respektlosen Töne mit »Das ist halt deren Meinung!« abtut, der verleiht dem Gemeinten mehr als ihm zusteht.


7 Kommentare:

Anonym 23. Mai 2014 um 09:35  

Die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen noch darin bedingt, dass Europa sich aus dem generellen Verbot in die Freiheit erst vorkämpfen musste.
Amerika hat gleich mit der Freiheit angefangen und "kämpft" sich erst jetzt allmählich zur eingeschränkten Redefreiheit vor.
Dass in hiesigen Gefilden so etwas wie ein Gedanke zur Beschränkung der Meinungs- und Redefreiheit existiert, ist vielmehr Europas restriktiver historischer Tradition geschuldet als einfallsreichen Gedanken, dass manche Meinungen besser nicht geäußert werden sollten.

Gerd Hellmood 23. Mai 2014 um 10:39  

Wie vom Autor gewohnt, wieder einmal ein sehr gut reflektierter und ebenso formulierter Aufsatz. Und obwohl ich mich weder für rechts oder eben "neurechts" halte, habe ich schon sehr lange mit dem, im linken Diskurs positiv konnotierten Begriff der Political Correctness. Denn wiewohl es richtig ist, dass nicht alle was aus dem Bauch heraus Formulierte als Meinung angesehen, geschweige denn akzeptiert werden kann, bin ich der Ansicht, dass eben jener Begriffkatalog inflationär tabuisierter Worte sehr wohl die Meinungsbildung beindert. Nehmen wir die Aussage von Günter Grass, dass unsere Medien gleichgeschaltet seien. Was gab das für einen Aufschrei - schliesslich ist man hier per Eigen-Definition demokratisch und pluralistisch. Ich wies in diesem Blog schon einmal auf die Printmedien-Konzentration auf wenige Verlage, deren EigentümerInnen auch noch obend'rein auf dem Schoß der Kanzlerin sitzen. Zum Thema Political Correctness habe ich mir schon vor längerem einmal so gut ich vermag, Gedanken gemacht und auch einen Ausweg aus dem Dilemma formuliert. Man sollte sich weder vom Titel, noch vom Titelbild irritieren lassen:
http://hellmood.blog.de/2011/06/24/tatsaechlich-duerfte-vokabular-index-sogenannten-political-correctness-mittlerweile-umfang-telefonbuches-ergebnis-11370843/
Ansonsten stimme ich hier zu.

Anonym 23. Mai 2014 um 11:45  

Ach ja, was könnt ich zu diesem Artikel alles schreiben, dem ich übrigens zustimme.

Aber im Grunde verdeutlicht die Anekdote mit dem Arbeitskollegen, der keine Türken mag nur zu deutlich, wie es auch mir vor allem sein der Debatte um „Deutschland schafft sich ab“ geht.
Seit jener Zeit sind Diskussionen noch ein Stück sinnloser geworden, haben doch all die rechten Stammtischbrüder noch ein paar mehr Kniffe gelernt, an denen sie sich mit aller Kraft klammern.

Mit der Toleranz verhält es sich ja mittlerweile ähnlich wie mit der Meinungsfreiheit, denn auch sie muss für jedes Vorurteil als Verteidigerin herhalten.

Erst kürzlich meinte ein Arbeitskollege, ich sein intolerant, weil ich seine „Meinung“ Schwule seinen ekelhaft nicht tolerieren würde.
Ich meinte seine Einstellung sei an sich intolerant und Intoleranz muss ich auch nicht tolerieren und werde es auch nicht.
„Siehste, du kannst andere Meinungen nicht tolerieren, hab ich doch gesagt.“ meinte er darauf und hat dabei dieses selbstgefällige Grinsen aufgesetzt, dass Konservative so gern aufsetzen, wenn sie mit sich selbst im reinen sind, weil jemand am Gartenzaun ihres geistigen Kleingartens hängen geblieben ist.
Erklärungsversuche meinerseits waren natürlich sinnlos, da er nicht an einer Diskussion interessiert war sondern nur an Selbstbestätigung, hörte er mir nicht mehr zu.

Die meisten Menschen sind ohnehin nicht an Diskussionen oder gar Konsens interessiert, sie verbringen mehr Zeit damit Bestätigungen für ihre Vorurteile zu finden als sie zu überdenken.

Unvergessen auch ein Kollege, der auf meine Erwiderungen zu seiner Behauptung, dass die Jugend immer dümmer wird sagte:
„Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen.“
Und er hat diesen Satz betont, als sei es ein Argument.
„Ja.... hast du doch gerade gesagt und jetzt?“ fragte ich
„Ja das ist halt so, dass wirst du irgendwann auch noch mal bemerken, wenn du nicht mehr so naiv bist.“
Das nächste „Argument“: Gegenargumente entkräften, in dem man dem anderen als naiven Trottel darstellt und der automatisch der selben Meinung wäre, wenn er nur das selbe Wissen hätte.
Scheint auch immer beliebter zu werden.
Ja klar, ich muss erst einmal von Türken zusammengeschlagen werden, von Zigeunern beklaut und einen islamistischen Terroranschlag überleben, dann wird sich mein Verstand wohl genauso verengen.

Es ist erbärmlich, was bei manchen alles als Meinung und als Argument durchgeht.

maguscarolus 23. Mai 2014 um 11:48  

Immerhin zeigt die Breitenwirkung und Nachhaltigkeit der Sarrazynischen Meinungsmache, wie leicht aus verdrehten Ansichten eine öffentliche Meinung werden kann, wenn man nur besagte Ansichten mit ein paar Graphen und Tabellen unterlegt.

Man kann mit sowas auch noch Millionen verdienen, wenn man nur die Vorurteile der ausreichend niedrigen Sorte verstärkt.

Bücher wie die von Albrecht Müller oder die des geschätzten Blog-Autors werden ihren Autoren wohl eher kein Millionenvermögen einbringen.

Martina 23. Mai 2014 um 11:57  

Sehr gut, dem ist nichts mehr hinzuzufügen!

Sledgehammer 23. Mai 2014 um 13:03  

Die Unterscheidung zwischen Meinung und Meinen scheint mir ein eher kasuistischer Ansatz.
Unter einer Meinung versteht man in der Philosophie ein "Fürwahrglauben", das eben nicht auf genaue Prüfung gründet und die Möglichkeit des Vorurteils und des Irrtums einschließt.
In der Sozialpsychologie wird Meinung als eine von direkter Betroffenheit, Werturteilen, Emotionen und Vorlieben geprägte Einstellung eines Menschen zu einem bestimmten Gegenstand in Ausdrücken/Aussagen definiert.
Öffentliche und persönliche Meinung stehen in mannigfachen Wechselbeziehungen.
Die Meinungsäußerungsfreiheit wird durch Informationsfreiheit gewährleistet und findet ihre wenigen Einschränkungen in engen gesetzlichen Grenzen.

Braman 23. Mai 2014 um 15:41  

Meinungsfreiheit, eng verbunden mit dem begriff 'Freiheit' endet da, wo die Prsönlichkeit oder die Persönlichkeitsrechte einer anderen Person oder Gruppe angegriffen, diffamiert oder sonst wie gemindert werden.
Das ist meine Meinung!

MfG: M.B.

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