Die Ikone, die sie über die Leopoldstraße trugen

Montag, 31. März 2014

Der FC Bayern München schwebt nicht nur sportlich in anderen Sphären. In und um den Verein scheint man schon lange die sittliche Bodenhaftung verloren zu haben. Als »Bonzenverein« hat man ihn ja schon vormals bezeichnet. Was aber in der letzten Zeit geschieht, war so noch nicht da.

In München feierten sie diesen »Meistertitel ohne Gegenwehr« wie üblich mit Meisterschalen aus Pappendeckel und wedelnden Schals, die man sich in der Orlandostraße, vis-à-vis des Hofbräuhauses gekauft hat. Erkennbar klebten sie das ikonisierte Konterfei ihres verurteilten Ex-Präsidenten auf das selbst gebastelten Zeichen ihres fußballerischen Erfolges. Wie einen Che Guevara gutsituierter Leute trugen sie ihn durch die Straßen der Stadt und in die Kneipen der Leopoldstraße hinein. Beim Betrachten der Bilder freudetrunkener Bayern-Fans konnte man leicht glauben, hier würde eine Prozession voll satter Pietätlosigkeit stattfinden.

Verwunderlich ist das freilich nicht, denn Trainer Guardiola widmete die Meisterschaft auch gleich nach dem Schlusspfiff in Berlin seinem bald Landsberger Freund. Die Bayern-Granden haben indes bis heute kein kritisches Wort über Hoeneß verloren, sodass man als Fan leicht den Eindruck haben konnte, dass der Mann mehr Opfer als alles andere sei. Und so fertigt man sich eben in falscher Solidarität eine Legende, in der Hoeneß das Opfer eines Staates ist, der immer nur ans schwer verdiente Geld der Reichen will. Ein Anti-Che quasi, der im Grunde sogar noch etwas Richtiges getan, ja einen Akt der Selbstverteidigung vollzogen hat.

Wie gesagt, der FC Bayern München galt immer als Klub der Schickeria. Der Arbeiterverein hingegen kam aus Giesing und spielte ganz in Blau. Gegen dieses mittlerweile antiquierte Image der Stadtkonkurrenz trat man an der Säbener Straße immer blasiert an. Man wollte besser sein. Und jetzt, da die Bundesliga nur noch voller Sparringspartner steckt, scheint man nicht mehr nur ein Verein sein zu wollen, sondern so eine Art asoziale Anarcho-Bewegung, die sich die Staats- und Steuerverdrossenheit auf die Fan-Schale stickt und dabei so tut, als sei man eine eingeschworene Gemeinschaft gegen alles, was von Außenstehenden an »unserer Art zu leben« an Kritik hervorgebracht wird.

Der zeitgenössische FC Bayern ist derzeit der erfolgreichste Verein der Welt. Schier unschlagbar. Und er begreift sich als ein Movement reicher Herrschaften und ihres selten dummen Fußvolkes. Führt die sportliche Unbesiegbarkeit auch außerhalb des Platzes zu Größenwahn? Gerade, wenn man in einem Milieu wie dem bayerischen steckt, in dem man sich »Mia san mia« zuruft und dabei lediglich »Die andan san Scheißdreck« versteht? In diesem Morast aus Bussi-Bussi-Gesellschafter, die aus Staatsparteisoldaten und regionalen Unternehmern, aus Medien-Establishment und staatstragender Kultur stammen, und die sich alle miteinander hochschaukeln mit ihrem Überlegenheitsgefühl, tüftelte man von jeher an einer Parallelgesellschaft. Nur wird das jetzt deutlicher als je zuvor.

Was soll das alles sein? Ein sportives Tea Party Movement auf Bierbasis, getragen von Leuten, die die steuerliche Umverteilung zum Zwecke der allgemeinen Partizipation nicht brauchen - und ausgeführt von einer Gefolgschaft aus kostümierten Dummköpfen, die exakt einen solchen Ausgleich schon bräuchte und das auch wissen müsste, wenn sie mal einen Augenblick darüber nachdenken würde? Wie sich der FC Bayern München dieser Tage doch dem transatlantischen »Geistesbruder« angleicht. Die Hillbillies von drüben brauchen ja auch hohe Steuersätze für Reiche und einen starken Staat, pfeifen aber durch ihre Zahnlücken, dass sie dagegen sind. Den Reichen kann das gerade so egal sein, wie es Guardiola egal ist, was sein ehemaliger Präsident getan hat. Der »nette Pep« braucht schon lange keine Sicherheiten vom Staat mehr. Sein Konto und seine Anlagen sind ihm Sicherheiten genug.

Wenn Steuerbetrug guevareskes Heldentum sein soll und die Kassen deshalb heroisch leer blieben, dann würde mancher dieser Almseppl im roten Trikot auf dem Weg zur Meisterfeier in Schlaglöcher treten und sich ein Bein brechen. Oder er würde im Dunkeln durch München irren und über die vielen defekten Straßenlaternen schimpfen und sich stoßen. Auf den Weg zur Notaufnahme, die chronisch unterbesetzt oder sogar geschlossen ist, holte er die Ikone hervorholen, die dreifarbige Aufbereitung des »Guerrillero Heroico«, des Gesichts jenes Helden, der nur drei Buchstaben im Namen zählt und flüstern: »Danke, lieber Uli, wir sind wieder mal Meister.« Er streichelte das Abbild und spekulierte so auf schnelle Heilung. Jede Zeit hat ihre ganz speziellen Heiligen.


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Eine kurze Expertise über die kurzen Expertisen

Freitag, 28. März 2014

Kurz bevor wir in die Welt da draußen mussten, saßen wir da und starrten in das »Morgenmagazin«. Ich trank dabei wie immer zu dünnen Kaffee. Sie brachten etwas zum verschwundenen Flug MH370. Keine Ahnung was, einfach nur das übliche »Kommt-alle-aus-den-Betten-die-Welt-hat-was-Spannendes-zu-bieten-Gefasel«, das man im Fernsehen um diese Uhrzeit so hört. Die Maschine war zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch nicht gefunden worden.
   »Vielleicht wurde sie ja von Außerirdischen entführt«, sagte ich zu meiner Frau und nippte am Wasser, das Kaffee sein sollte.
   Sie verdrehte nur die Augen. Und das forderte mich heraus, meine These zu verteidigen. Nicht, weil ich an sie glaubte. Ich mag es nur nicht, wenn man mir mit verdrehten Augen kommt.
   »Meinst du vielleicht, es gibt außer uns nichts? Ist das alles?«
   Ich zeigte auf die drei gutgelaunten Wesen auf dem Sofa und den Nachrichten-Mann, der im Hintergrund eingeblendet wurde.
   »Die drei Trottel auf der Couch, die schmale Krawatte von dem Nachrichten-Kerl und die Raute der Kanzlerin? Das muss ja ein mieser Gott sein, dem nicht mehr einfällt.«
   Nein, hört auf Leute, ich hör euch ja schon lamentieren: Ich glaube neuerdings nicht an Gott. Dazu habe ich keine Zeit und auch keine Lust. Aber als Polemik eignet er sich manchmal ganz gut.
   »Was soll also an meiner Theorie so unglaubwürdig sein?«
   Ich nippte nochmal am Wasser.
   »Kann doch sein, oder?«
   Sie gab mir einen Kuss und verdrehte wieder die Augen. Ich nehme an, diesmal, weil ich so ein guter Küsser bin.
   Ich ließ es dabei bewenden, wir mussten ja nun auch vor die Haustüre, ins Reich der Ellenbogen, in dem man sich solcher Gedanken nicht hinzugeben hat, wenn man ein ordentlicher Mensch sein will.

Das meint der Experte
Na gut, so ganz ließ ich es nicht dabei bewenden - jetzt kommt der Nachschlag. Denn wenn ich es mir so recht überlege, wusste ich in dem Moment etwa so viel, wie all die Experten, die sie rekrutiert hatten, als MH370 plötzlich weg war. Ich erinnere mich an einen Burschen, ich glaube von der »Deutschen Flugsicherung«, der sagte, dass allen Anschein nach und nach Sichtung der Fakten nur ein terroristischer Akt in Frage käme. Seine Ferndiagnose zündete nicht. Schon drei Tage später war diese Theorie schon wieder out. Da lag ich mit meiner Alien-Theorie auch nicht schlechter. Nur machte ich mich zum Narren, würde ich mich selbstbewusst hinstellen und sie verkünden. Aber diesen Burschen laden sie bei der nächsten Sonderbarkeit in den Lüften wieder ein.

Solche Experten sieht man alle Furz lang im Fernsehen. Zu jedem Thema ein Fachmann, der in knappen, aber doch bestimmten Stil expliziert, was jetzt ist, sein wird, was war und wieviel es kostet. Wahrscheinlich gibt es keine Studie dazu, aber ich nehme stark an, dass achtzig Prozent dieser Einschätzungen nicht zutreffen. Wer sollte eine solche Studie auch machen? Experten vielleicht?

Man hat es so weit gebracht, dass das »Metier des Experten«, falls man von einem solchen Metier überhaupt sprechen kann, stark gelitten hat. Wenn ich heute höre, dass sie sich mal wieder so einen Fachmann ins Studio eingeladen haben, dann sage ich: »Aha, wieder so ein Arsch von einem Laien, der es versteht, sein Bauchgefühl so bestimmt zu vertreten, dass sich keiner traut ihm zu widersprechen.« Daran mangelt es mir ganz offenbar. Schon wenn jemand mit den Augen dreht, bin ich aus dem Takt.

Die Experten in der Mediokratie sind Herolde der Sensationsmeldung, Verkündiger der Eskalation, Boten des schlimmsten anzunehmenden Vorfalls. Wenn irgendwo eine Bombe hochgeht, sagen sie, dass weitere Anschläge wahrscheinlich sind. Gibt es einen Virus, geben sie als Expertise ab, dass es sich wie eine Spanische Grippe auswirken könnte. Dass man beruhigt sein sollte, nichts so heiß gegessen wie gekocht wird, »Bleibm Se mal cool!« hört man von ihnen eher nicht. Der Fachmann ist im Medienbetrieb nicht dafür da. Er ist nur ein Fachmann, wenn er die Verschlimmerung einer Situation fachlich aufwerten kann. Die Entskandalisierung geschieht still und ohne fachliche Analyse. Sie soll unmerklich eintreten.

Wenn ich also meine kurze Expertise dazu abgeben dürfte: Es gibt sicherlich viele, die von ihrem Fach Ahnung haben. Man merkt es nur nicht mehr so richtig, weil überall kamerageile Quacksalber und selbstverliebte Scharlatane ihre Birne vor Objektive platzieren. Wir haben den Begriff des »Experten« umgedeutet und das glatte Gegenteil dessen dazu gemacht. Der Experte ist in der Schnelllebigkeit der News-Industrie einer, der den Eindruck eines Kenners vermitteln muss. Mehr braucht er nicht können. Meint es einer wirklich seriös und sagt als Soziologe zum Beispiel, dass man die oder jene gesellschaftliche Entwicklung vielleicht gar nicht zu skandalisieren brauche, dann disqualifiziert er sich. »Langweilig!« rufen sie dann und zappen weiter zu dem Soziologen, der gleich noch eine politische Einordnung mit ordentlich Pfeffer auftischt.

Wenn ich mich also jetzt hinstelle und was von Aliens rede, dann treffe ich wahrscheinlich so wenig ins Schwarze wie das seriöse Anzugswürstchen der »Deutschen Flugsicherung«. Aber witziger wäre ich allemal. Dass ich nicht an Aliens glaube, wäre dabei nicht mal hinderlich. Mein Lieblingsautor hat mal geschrieben, dass man wahrscheinlich »um so wirkungsvoller agieren [könne], je weniger man von einer Sache [versteht] oder daran [glaubt]«. Vielleicht sind auch deshalb all diese neoliberalen Pisser so glaubwürdig für die Menschen. Wäre doch auch mal eine These. Darüber muss ich nachdenken. Ich sag euch dann Bescheid.


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Der Mindestlohn nach Nahles

Donnerstag, 27. März 2014

Oder: Spartipps für »umsichtige Unternehmer«

Als Arbeitnehmer muss man die Beschlüsse der (Wirtschafts-)Politiker schon ganz genau im Auge behalten. Denn seitdem die Agenda 2010 ins Land ging, gibt es so viele Schliche und Maschen, um die Kosten für Arbeitskraft zu vergesellschaften, dass man an eine in sich geschlossene, logisch konstruierte und letztlich von wirtschaftlichen Einflüssen freie Reform gar nicht mehr glauben mag.

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Wie die heutigen Stümper das politische Personal von früher adeln

Mittwoch, 26. März 2014

oder Diese Gegenwart taugt nie und nimmer zur »guten alten Zeit« sein.

Es machte »Bing«, die Schiebetüre des Lifts öffnete sich und dann stand Norbert Blüm im Studio von »Die Anstalt«. Uthoff und von Wagner suchten gerade noch eine »charismatischen Anführer«, der gegen die Privatenrente und die Aushebelung der Umlagefinanzierung auf die Barrikaden gehe. Und da kommt dieser Mann aus dem Lift und hesselt: »Also ich ... ich täts mache.« Standing Ovations. Die Zuschauer waren erkennbar aus dem Mittelstandshäuschen. Und für einen kurzen Augenblick schien es mir fast so, als habe sich das Publikum zurückgesehnt in eine Zeit, da jemand wie dieser bodenständige Mann noch Minister - und das in einer konservativen Regierung! - sein konnte.

Und ich gestehe, in diesem Moment ergriff auch mich ein sentimentaler Anflug und ich redete mir ein, dass damals zwar vieles schlecht war, aber nicht alles so schlecht wie heute. Natürlich ist das nur sehr vereinfacht gedacht und im Rückblick verklärt sich ja so viel. Aber dieser Tage kann man schon mal so denken.

Ich hätte ja nie geglaubt, dass ich das mal so sehe. Aber wenn ich mir das heutige politische Personal so ansehe, dann erahne ich erst, dass die Kabinette des dicken Oggersheimers (bis auf einige Ausnahmen wie zum Beispiel den Lambsdorff) noch lange nicht so schlecht waren, wie man das manchmal von diesen Jahren der »geistig-moralischen Wende« liest. Als ich neulich las, wie der Teltschik die Lage auf der Krim einschätzte, dachte ich mir: »Sieh einer an, da ist einer pragmatisch genug, die Welt nicht ins Unglück zu stürzen. Da weiß einer was von Diplomatie und von internationalen Zusammenhängen.« Er hatte gesagt, dass man die Tatsachen, die Rußland nun geschaffen habe, akzeptieren müsse, wolle man einen Waffengang vermeiden. Das klingt in Tagen der Hetzerei fast ein bisschen philosophisch.

Natürlich waren damals die Konservativen auch als Konservative am Ruder - und nicht etwa als Philosophenkönige oder sowas. Diese Leute waren damals teilweise noch spießiger und muffiger, teils weltfremder und durch ihren christlichen Eifer determinierter als ihre Nachfolger. Aber ich glaube, sie waren wenigstens mit ein wenig gesunden Pragmatismus ausgestattet und weniger von dieser schmierigen Glasur bestehend aus kleinlichen Nationalstolz und pathetischen Sendungsbewusstsein überzogen. Pragmatisch sind die heutigen Figuren schlechterdings nur in Wirtschaftsfragen und da auch nur stets im Sinne der herrschenden Ökonomie. Ansonsten treten sie als eurozentrische Moralisten und Weltverbesserer von der verschlechternden Sorte auf, die obendrein noch ordentlich auf die Emotionstube drücken.

Wahrscheinlich wussten viele damals noch, wie es ist, im wirklichen Leben zu stecken. Vielleicht war Bonn auch nicht so abgehoben wie das Regierungsviertel in Berlin. Die Provinz erdet ja manchmal. Es gab ja sogar in der Union einen Arbeitnehmerflügel, der nicht nur schwächelte und traditioneller Tand war, sondern aktiv ins Geschehen eingriff und mit Blüm sogar einen Minister stellte. Wenn man da die mit Zahlen und Statistiken gedopten Humanoidautomaten sieht, die heute das Leben von Menschen regeln sollen, von dem sie lediglich aus Aufstellungen und Flipcharts wissen, kann man nicht anders als an eine gute alte Zeit zurückdenken, die nicht gut, nur alt war, wie das der »Stern« neulich so passend in einem Artikel zur AfD schrieb.

Vor einem halben Jahr schrieb ich beim »Heppenheimer Hiob« etwas über diese Kanzlerin, die sich Zwerge an ihrer Seite hält, um selbst riesenhafter zu wirken. Fazit war, dass »der Dicke nur neben Dünnen dick [ist] - neben noch Dickeren ist er der Dünne«. Dieses Prinzip gilt vermutlich auch in der oben genannten Konstellation. Wenn eine Zukunft folgt, in der die Zeitgenossen sich aus Trotteln und Simpeln zusammensetzen, dann rehabilitiert sich die Vergangenheit von alleine. Aber wahrscheinlich trifft der Spruch trotzdem zu: »Es war ja doch nicht alles schlecht.«

Schwer vorstellbar ist es jedenfalls, dass wir in zwanzig Jahren feststellen werden, dass Merkels Personal nicht grundsätzlich windig war, nur weil die dann aktive Regierung noch viel blöder und arroganter ist. Ist das überhaupt möglich? Turnt dann etwa von der Leyen oder der Friedrich in einer Kabarett-Sendung herum? Und wird letzterer dann etwa für die Wahrheit eintreten, auf Barrikaden steigen und sagen, dass der Staat die absolute Privatsphäre der Bürger einzuhalten habe? Man kann sich als Mensch vieles vorstellen, die Phantasie ist eine unglaubliche Fähigkeit. Aber hier stößt sie an ihre Grenzen. Es gibt einfach unvorstellbare Dinge. Noch jede Gegenwart hat irgendwann zur guten alten Zeit getaugt. Diese allerdings nicht!


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Auf den ersten Blick

Dienstag, 25. März 2014

Heute: Der verluderte Typ mit dem Goldkettchen, Vladimir Putin

Es war ja nie so, dass man den russischen Präsidenten stets ausschließlich als »seriösen Politiker« bebilderte. Er war aber auch selbst schuld daran. Schließlich posierte er ja nicht widerwillig mit all den Kameras, die auf ihn gerichtet waren. Sicherlich hätte sich auch mancher Ausritt ohne Journalisten einrichten lassen. Nun gut, die Bilder sind halt in der Welt. Und nicht nur das Internet verzeiht nichts - auch die Hände, die in Schubladen greifen, in denen Redaktionen solche Fotos parken, sind nicht sehr vergesslich. Bislang hat man meist eher polemische Texte mit diesen Fotos geschmückt. Oder Artikel, die vielleicht des Herrn Probleme mit Schwulen aufgriffen. Dass man jetzt aber Texte, die vor Kriegsbereitschaft und Entschlossenheit nur so geifern, mit solchen Bildern ausstattet, ist nicht einfach nur geschmacklos, sondern will eine Botschaft sein.


Fleischhauer nannte Putin den »obersten Goldkettchenträger«. Und diese Bezeichnung zeigt ganz gut, was die Bilder suggerieren sollen. Es ist das Klischee des Russen, wie ihn die Menschen sich in Deutschland denken. Als Macker und Proleten, mit Gold behangen, ein Ost-Cowboy, der aus einem Land kommt, in dem es Kultur und Sitte nicht gibt. Der водка säuft und нет sagt und dabei vor Aufschneiderei nur so strotzt. Man will darstellen, dass diese Gestalt weniger Präsident als Türsteher ist, weniger Staatsmann als Zuhälterverschnitt. Die ernsten Texte zur Krim-Krise, die Putin so zeigen, wollen das Zwielichtige und Rotlichtige dieser Person betonen. Wir sollen es nicht mit einem Staatschef zu tun haben, will man bildlich aufmixen, sondern mit einem Kuppler, der erpresst und das Messer im Hosenbund trägt und bei dem man unwillkürlich an Mike Hansen denkt, jener Figur Olli Dittrichs, die er bei »RTL Samstag Nacht« erfand und die so sehr Gosse schwatzte, dass es schon wieder komisch war.

Der in Bild gesetzte Lude soll zeigen, dass die pure Grobschlächtigkeit am Werk ist. Kein Politiker unter Politikern, sondern ein Schurke, wie er in jedem Puff oder an jedem Straßenstrich zu finden ist. Der verluderte Putin ist dabei natürlich nicht erst jetzt aufgetreten. Das Russland-Bild ist hierzulande schon viel länger von solchen Klischees behaftet. Früher glaubte man den Untermenschen im Russen zu erkennen, später verachtete man ihn, weil er neureiche Millionäre hervorbrachte, die aber irgendwie dumm, dreist und größenwahnsinnig sein sollen. Dass russische Zuhälterfiguren nun auch in Kitzbühl shoppen, berichteten Boulevardmagazine schon in den Neunzigerjahren und wirkten so mit am neuen Bild, das man »vom Russen« hatte. Putin ist jetzt der Herr dieser Gestalten. Und genau jetzt, da die Krim zur internationalen Frage wird, passt diese Wahrnehmung natürlich blendend ins Konzept. Gegen einen Zuhälter ist man vielleicht nicht gleich gewillt in einen Krieg zu ziehen, aber man kann sich so auf die eigene moralische Überlegenheit zurückziehen und die Kritik am Kurs westlicher Politik eindämmen.


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Das »April, April!«, das erst zur Monatsmitte ertönt

Montag, 24. März 2014

Willkommen in der Endlosschleife neuer Wachstumsmeldungen. Nee, nicht die Wirtschaft wächst. Die wächst nur in den Prognosen. In der Realität passt man diese Zahlen dann wieder an. Aber die Langzeitarbeitslosen, die sorgen jedes Jahr um diese Zeit für Wachstum.

Mitte April 2011 meldeten die Gazetten, dass die »Arbeitsagenturen so viel strafen wie nie«. Im Schnitt kürzen sie »um 123,72 Euro im Monat«. In knapp 500.000 Fällen ging es »um Meldeversäumnisse« und »mehr als 102.000 Mal« war eine »als zumutbar angesehene Arbeit«, die nicht ergriffen wurde, der entscheidende Grund.
Mitte April 2012 hieß es dann: »Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger nehmen zu«. Die Leistungen seien »um 115,99 Euro im Monat gekürzt worden«. Erst weiter unten stand dann: »Betrugsfälle gehen zurück«.
Mitte April 2013 las man, dass »noch nie [...] so viele Sanktionen gegen Arbeitslose ausgesprochen [wurden] wie im letzten Jahr«. Durchschnittlich »110 Euro« habe man nicht ausgezahlt. In »697.000 Fällen« ging es um Meldeversäumnisse, 137.600 Strafen resultierten aus »der Weigerung, eine Arbeit aufzunehmen«.
Mitte März 2014 meldet jetzt die Bildzeitung in einem Vorbericht, dass die »Strafen gegen Empfänger auf Rekordniveau« lägen. Bis November des letzten Jahres hätten sich mehr als 94.000 geweigert, »bestimmte Jobs anzunehmen«. In mehr als 667.000 Fällen gab es Meldeversäumnisse.

Mehr dazu folgt dann sicher Mitte April, der traditionellen Zeit, um über Sanktionsrekorde zu berichten und natürlich für Sofortmaßnahmen gegen den Müßiggang mobil zu machen. Die Bildzeitung hat dann zu ihrem Vorabbericht auch gleich einen redaktionellen Kettenhund losgelassen, der einen Kommentar formulierte, in dem es irgendwie um Verschärfungen geht und um Jobcenter, die ihre »Kunden« per SMS einladen. Als ob das zulässig wäre. Und natürlich hätten sich Hartz-IV-Empfänger mal wieder im System eingerichtet. Ist schon klar, davon lebt man auch so gut und reichlich. Diese Typen schicken uns nicht am Ersten in den April, sondern seit Jahren erst zu Monatsmitte.

Denn die Rekorde sind nur selten welche, wenn man die Zahlen zerlegt und die einzelnen Positionen auflistet. Die Zahl, die die fehlende Motivation von Hartz-IV-Empfängern dokumentieren soll, ist hierfür exemplarisch, denn sie ging ja nicht konstant noch oben. Und dann muss man die Umstände berücksichtigen: Zu den Strafen aufgrund Ablehnung zumutbarer Arbeit gehören generell auch solche »Delikte«, die die Eingliederung in den Arbeitsmarkt vereiteln. Unter anderem ist damit auch die Verweigerung eine Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben gemeint. Die hält einseitig fest, dass der Arbeitslose bestimmte Dinge zu erfüllen und zu belegen hat. Eine bestimmte Anzahl Bewerbungen schreiben zum Beispiel. Mir sind Fälle bekannt, in der das Jobcenter 40 Bewerbungen im Monat forderte. Unterschreibt man diesen Wisch nicht, droht Sanktion. Das Sozialgericht hat mal beanstandet, dass diese Einseitigkeit nicht rechtens sei. Seither führen auch die Jobcenter ihre »Pflichten« auf, im Regelfall ein Standardsatz, der besagt, dass man die Daten des Arbeitslosen in die interne Stellenliste der Behörde einspeist, um so ab und an einen Stellenvorschlag zustellen zu können. Also folglich eine »Leistung«, die ohnehin erbracht werden sollte.

Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen werden häufig wieder zurückgenommen, weil beispielsweise die Krankmeldung erst verspätet auf dem Tisch des Arbeitsvermittlers landete. Oder es kommen Einladungen gar nicht erst an, was sich dann nur schwer belegen lässt. Als ich noch Hartz IV bezog, bekam ich Einladungen grundsätzlich immer kurzfristig höchstens zwei Tage vor Termin. Manchmal auch erst am Vortag. Die Berliner Behörden haben eine Weile Einladungen so zustellen lassen, dass sie erst am Tag des Termins im Briefkasten lagen.

Kurz gesagt, dieses Aufwärmen statistischer Belege ist nichts wert. Es sagt nichts über die »Arbeitsmoral« von Leistungsbeziehern aus. Nur wenn man die Praxis der Behörden kennt, weiß man, welche Aussagekraft diese Zahlen wirklich haben. Nämlich die, dass hier aus Spargründen ordentlich betrogen und gelogen wird, um sanktionswürdiges Verhalten zu erzeugen. Statistiken erfassen das freilich nicht. Und die Rotte derer, die auf solche Rekorde nur warten, um wieder strengere Gesetze zu fordern und etwaige verantwortliche Minister zum Handeln zu bewegen, wollen von dieser Praxis natürlich nichts wissen. Sie wollen nur den Untergang des Abendlandes herausdeuten, um den Stammtisch, an dem sie abendlich den Frust über ihr verkorkstes Leben hinabsaufen, auch in die Kommentarspalten und auf die politische Agenda dieses Landes zu setzen.

Mitte April gibt es Zahlen und Wasserstandsmeldungen, die uns sagen, dass die Brühe schon wieder höher steht. Ende April ist dann die Zeit der Experten, Mahner und Bild-Serien, in denen es dann um das »wirkliche Leben von Hartz-IV-Beziehern« geht.

Das Wetter ist im April gar nicht so wechselhaft, wenn man Hartz IV bezieht. Es ist dann meist durchgehend frostig und man friert stark wegen des Einbruches sozialer Kälte. »April, April, der macht was er will«, sagte man früher mal. Für Langzeitarbeitslose heißt es schon lange: »April, April, die machen mit uns, was sie wollen.« Das reimt sich zwar nicht, stimmt aber trotzdem.


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Wie mir Hoeneß fast auf die Zehen stieg

Freitag, 21. März 2014

Keine Verteidigungsrede auf Uli Hoeneß, aber ...

Wenn die Medien jetzt mit der Kamera draufhalten, wie Hoeneß in den Bau marschiert, dann ist eine letzte Grenze überschritten. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, über die vom Gericht bescheinigte Schuld informiert zu werden. Aber die Sühne ist nicht mehr für sie bestimmt.

Ich war nie ein Freund von Uli Hoeneß. Schon als Kind nicht. Anfang der Neunziger kam der FC Bayern mal für ein Freundschaftsspiel nach Ingolstadt. Das Stadion blieb aber relativ leer an diesem eiskalten Abend. Ich war jedoch dort. Als dann einige Fans anfingen, lauthals über Bayern-Torwart Aumann zu spotten, marschierte Hoeneß Richtung Fanblock, musste dazu durch den Bereich des Stadions, in dem ich recht verloren stand. Er gestikulierte wild in den Block hinein, hatte einen hochroten Kopf auf und erntete dafür Stinkefinger und Gesänge, die etwas vom »Arschloch« aussagten. Beim Rückmarsch stieg er mir fast auf die Zehen, rumpelte mich an, entschuldigte sich natürlich nicht, nahm mich nicht mal war. Ich war auch nur einer der namenlosen Gesichter, die seinen Erfolgsweg pflasterten. Immer als ich ihn später mit anschaulicher Arroganz in Studios sitzen und sprechen sah, dachte ich an diese Szene zurück.

Wenn ich das Stichwort »Hoeneß« bekomme, denke ich mir eine eisigen Abend, Flutlicht und dieses marode ESV-Stadion. Erst dann kommen mir  all diese unseligen Szenen einer Beziehung in den Sinn, die man als Fußball-Fan in Deutschland mit diesem Mann zwangsläufig eingegangen ist. Sein Kampf gegen Daum, die vollendete Kommerzialisierung der Bundesliga, die Etablierung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft ebendort oder aber seine späteren Auftritte als »politisches Gewicht« und »Leistungsträger«. Noch einige Monate vor der Offenlegung seiner Steuerhinterziehung saß er bei Jauch und schimpfte auf »Die Linke«, gegen Defätisten und natürlich gegen Sozialhilfebezieher, denen es doch eigentlich nicht ganz schlecht gehe.

Nein, man muss diesen Mann wirklich nicht mögen. Aber wie die Medien sich auf diesen Urteilsspruch stürzten, versuchten in Hoeneß' Gesicht Exegese zu betreiben, Psychologen um Expertisen baten und Statements von den belanglosesten Zeitgenossen einsammelten, das war schon ein unwüdiger Akt, den man nicht mal seinen Feind anempfehlen möchte.

Das Medieninteresse am Prozess legitimierte sich durch den Anspruch der Öffentlichkeit, in Schuldfragen informiert zu werden. Immerhin hatte der Angeklagte der Allgemeinheit Schaden zugefügt. Das ist nicht nur in Fällen so, in denen Steuerbetrug auf den Tisch kommt. Auch wenn jemand gewalttätig wurde, gibt es ein Recht auf öffentliche Information. Schließlich wird ja auch immer, wenigstens theoretisch, »im Namen des Volkes« geurteilt. Transparenz ist daher kein gnädigerweise gewährter Akt, sondern substanzieller Bestandteil des Rechtsstaates. Dass man das Strafmaß erfährt, ist die eine Sache. Danach gibt es aber keinen öffentlichen Anspruch mehr. Die Sühne ist eine Sache zwischen Verurteilten und Justizbehörden. Wie der Verurteilte einrückt, seine Tage verbringt, was er »drinnen« trägt und ob in seinem Gesicht Spuren der Reue, der Einsicht, der nervlichen Anspannung oder wahlweise der Wut zu sehen sind, ist nicht mehr relevant.

Im Falle des Gnadengesuchs Christian Klars maßte sich ja die Öffentlichkeit an, über die Einsicht und die Reue des Ex-Terroristen zu befinden. Dabei sind diese beiden Kategorien gar keine rechtsstaatlichen Indikatoren. Wenn jemand 15 Jahre Haft bekommt, dann bekommt er sie nicht unter der Maßgabe, bis dahin bereut zu haben. Wenn die Einsicht eintritt, so ist das ein guter Effekt, aber kein Muss. Gesühnt hat man auch so. Wenn es um Reue ginge, dann könnte man die zeitlichen Strafen auch gleich abschaffen und nur auf eine Reue hinwirken, die dann ehrlich oder aber auch erschwindelt sein könnte. Aber ich verrenne mich gerade in etwas. Ich will ja eigentlich nur deutlich machen, dass alle Regungen und persönlichen Verarbeitungsprozesse während des Strafvollzugs keine Attraktion für das Publikum sind. Hier endet das Anrecht auf Transparenz.

Man kann nun sicherlich über das Strafmaß diskutieren. Wobei ich persönlich denke, dass eine faktische Haftdauer - unter Berücksichtigung guter Führung - von mehr als zwei Jahren für einen Mittsechziger auch nicht unbedingt wenig ist. Selbst bei offenen Vollzug ist das eine Belastung. Vielleicht bin ich da aber auch nur zu gutmütig. Wie gesagt, man kann über viele Sonderbarkeiten im Falle Hoeneß' sprechen. Auch darüber, woher er diverse Gelder erhielt, mit denen er dann zockte. Das alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Verurteilte Hoeneß durchaus ein Recht darauf hat, als angehender Häftling anständig von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Sollte der Eindruck entstehen, der fade Prozess legitimiere es, Hoeneß auf Schritt und Tritt zu begleiten und mit Häme zu übergießen, dann muss man sich schon die Frage gefallen lassen, welche Auffassung von Rechtsstaat man eigentlich hat.

Nein, das ist keine Verteidigungsrede auf Hoeneß. Wie gesagt, ich konnte und kann den Kerl nicht leiden. Wir würden nie Freunde. Ich halte auch nichts davon, dem Mann jetzt Anstand zu beglaubigen, nur weil er die Strafe akzeptierte und von einer Revision abließ. Wobei ich zugeben muss, dass ich im ersten Affekt dachte, dass er doch noch einen Funken Anstand im Leib habe. Nach mehrere Überlegungen fand ich aber, dass diese Aussage Quatsch sei. Außerdem ging es ihm weniger um Anstand als darum, endlich wieder Ruhe herzustellen. Ein gelungener Clou war es jedenfalls. Das ist es ja, was er kann. Aber dennoch, wenn man denen, die man auf den Tod nicht leiden kann, nicht den unbedingt notwendigen Respekt entgegenbringt, dann muss man sich fragen lassen, für welche Werte man eigentlich sonst so eintritt. Ich kann doch nicht Hoeneß verbales Verhalten gegen die Schwachen der Gesellschaft beklagen und dann, da er selbst eine Rolle der Schwäche einnimmt, mit ähnlichen Mitteln agieren.

Ich kann es nicht verhindern, dass irgendein Schmutzblatt Bilder von einem Hoeneß druckt, wie er in Landsberg an das Tor klopft. Aber sollte es dazu kommen, verurteile ich das scharf. Ich verachte seine Meinung, aber ich gäbe nicht unbedingt mein Leben, wohl aber schon meinen rhetorischen Einsatz dafür, dass er so behandelt wird, wie ich mir das in einer wenigstens auf dem Papier aufgeklärten Gesellschaft vorstelle.


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Exotisches Aussehen als Verdachtsmoment

Donnerstag, 20. März 2014

Die Berichterstatter straften letzte Woche die malaysischen Sicherheitsbeamten mit Belehrungen, weil die zwei gestohlene europäische Pässe durch ihre Lappen gehen ließen. Mit etwas mehr rassistischem Profiling hätte das gelingen müssen.
Letzte Woche hieß es noch, dass sich zwei asiatisch aussehende Männer mit je einem gestohlenen österreichischen und italienischen Pass auf den Flug MH370 begeben hätten, der angeblich zum Ziel eines terroristischen Angriffs werden sollte.

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... wenn man trotzdem lacht

»Hier, [Anm.: in Bayern] wo ich den Grundstein meiner Bewegung einst legte, wurden nun mit Vorliebe die allerdümmsten Kraftmeier verehrt, die ihre scheinheilige Frömmelei und ihre jederzeitige Käuflichkeit durch das Leeren und Schwenken großer Maßkrüge zu verbergen trachteten und an denen die gelegentlichen Bordellbesuche noch das Ehrlichste waren.
[...]
An der Spitze des Landes stand eine klobige Frau mit der zuversichtlichen Ausstrahlung einer Trauerweide, die sich schon dadurch diskreditierte, dass sie den bolschewistischen Ostspuk sechsunddreißig Jahre lang mitgemacht hatte, ohne dass ihre Umgebung dabei irgendeine Form von Unwohlsein hatte feststellen können. Sie hatte sich mit den bayerischen Gemütstrinkern zusammengetan, einer wie mir schien, erbärmlichen Kopie des Nationalsozialismus, die halbgare, sozial wirkende Elemente statt mit nationaler Gesinnung mit der altbekannt ultramontanen Vatikanhörigkeit der Zentrumselemente vergangener Tage verbrämte. Weitere Lücken im Programm stopfte man mit Gebirgschützen und Blaskapellen, es war derart dürftig, man hätte nur so dreinschlagen mögen in die Reihen des verlogenen Gesindels.«
- der auferstandene Hitler über die CSU und Merkel in Timur Vermes' »Er ist wieder da« -

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Darf man eigentlich schon wieder »Iwan« »zum Russen« sagen?

Mittwoch, 19. März 2014

Wer jetzt noch einen Beleg dafür braucht, dass die deutsche Sozialdemokratie nicht mehr ins linke politische Spektrum gehört, der muss nur der Rhetorik der letzten Tage lauschen. Denn auch wenn sie nicht direkt von »vaterlandslosen Gesellen« spricht, so meint sie genau dieses traditionelle Schimpfwort des Konservatismus gegen den linken Internationalismus, wenn sie auf »Die Linke« zu sprechen kommt.

Ob nicht auch die Konservativen vor hundert Jahren dem pazifistischen Flügel der Sozialdemokraten »ignorante Argumente« und nachgeplapperte »dumme Propagandalügen« attestiert hatten? Damals ging es selbstverständlich mit patriotischeren Trara ab. Das kann man heute nicht mehr machen, zumal man einen Europatriotismus beschwören müsste, der so richtig nicht in Schwung kommen will. »Schließt euch dem Burgfrieden an!«, ist die Parole, die Gabriel jetzt »Die Linke« an den Kopf knallt. Wie damals die Konservativen alle fremden Elemente im Staat fürchteten, so keift jetzt Gabriel gegen die, die er als potenzielle Überläufer versteht, die »Spiegel Online« aber noch gemäßigt »die Putin-Versteher« nennt. Während Gabriel der Partei vorwirft, sie würde auf Seiten Russlands argumentieren, laden SPD-Abgeordnete Gysi von parteiübergreifenden Gesprächen aus. Sie stören sich an seiner letzten Bundestagsrede, in der er sagte, dass es unglaubwürdig sei, wenn »Völkerrechtsverletzer einem Völkerrechtsverletzer« moralisch kämen. »Spiegel Online« spricht gar von einer »DDR-Staatsräson«, die da durchscheine. Aber sagte Gysi damit nicht auch, dass auch Russland etwas falsch gemacht hat? Können diese aufgeschreckten Hühner eigentlich noch dialektisch denken?

Der Tenor der Krim-Debatte wird ohnehin immer schärfer. Teilweise erinnert das, was man jetzt zum Lesen vorgesetzt bekommt, an eine von der Obersten Heeresleitung instruierten Presse, die auf Entbehrungen einschwört. Ob die dann durch Krieg oder gegenseitige wirtschaftliche Sanktionen zustande kommen, sei mal dahingestellt. »Die Welt« tönte »So entreißen Sie Putin die Macht über Ihre Heizung« und scheint schon mal auf die übliche Kriegsautarkie einzuschwören. Gott sei Dank beziehen wir nicht auch unsere Lebensmittel von Russland, sonst müssten wir gar noch Empfehlungen lesen, wie man aus Kastanien gutes Mehl gewinnt. Und was soll das eigentlich heißen »Macht über die Heizung«? Sind es nicht deutsche Energieunternehmen, die dem Endverbraucher Wärme verkaufen? Welche Propaganda ist das, die solche profitorientierten Zwischenhändler einfach ausblendet, weil es besser in die Stimmungsmache passt? Drängen wir schon wieder alle in Nationalboot? Arbeitnehmer und Arbeitgeber? Der, der die Heizung aufdreht und der, der dadurch Profite erwirtschaftet?

Fleischhauer nannte Putin flapsig den »obersten Goldkettchenträger« und bediente damit das primitive Klischee vom proletenhaften Russen, dessen »Hemd immer einen Knopf zu weit geöffnet« ist und der »die Beine immer etwas zu breit« positioniert. Wie der Türsteher einer Disko mit vorwiegend russischer Klientel. So viel Oberflächlichkeit gehört wohl zum radical chic dieser Tage. Darf man eigentlich schon wieder »Iwan« »zum Russen« sagen?

Im ZDF präsentierten sie vor einigen Tagen eine Psychologin, die die Körpersprache Putins analysierte und kalkulierte Erkenntnisse präsentierte. Sinngemäß sagte sie, dass der Mann zwar Entschlossenheit zeige, aber das nicht mit der letzten Entschlossenheit. Er sei auch verunsichert und gerade das sei im Grunde gefährlich. Dass er verrückt sei, sagte sie nicht. Aber man konnte sich das ja denken. Irgendwo las ich einen Artikel über die Regierungserklärung der Kanzlerin zur Lage in der Ukraine. Früher hielten Kanzler solche Erklärungen über die Lage in Deutschland und taten sich da schon mit der Wahrheit schwer. Jetzt will sie sich an ein Krisengebiet heranwagen, in dem nach einem berühmten Bonmot, die Wahrheit das erste Opfer ist. Ist das Größenwahn oder doch nur Naivität? Jedenfalls ging es in dem besagten Artikel auch um die Körpersprache der Kanzlerin. Ich war beeindruckt, als ich las, dass die Frau Stärke und Entschlossenheit gezeigt habe. Ohne Hinweis wäre mir das nie aufgefallen.

Man könnte ja jetzt vom Treppenwitz der Geschichte sprechen, dass ausgerechnet die Sozialdemokraten von den »vaterlandslosen Gesellen« schwafeln. Und es wäre ja durchaus auch so ein wundersamer Zeitpunkt. Denn vor genau hundert Jahren blaffte man die Sozialdemokraten noch immer so an. Aber vor 99 ½ Jahren sah es dann schon etwas anders aus. Problem ist nur, dass diese Zahlenspielerei nur eine Legende wäre. Denn schon 1904 erklärte Bebel, dass er die Flinte schultern würde, wenn es gegen Russland in den Krieg ginge. Man glaubte es ihm damals nicht richtig. Und in einer zeitgenössischen Karikatur sagt er dann auch »Pssst! Es ist ja nicht geladen!« Ob Gabriels metaphorische Flinte geladen ist, scheint indes beantwortet. Er schießt ja schon mit unlauteren Unterstellungen auf alles, was nicht im Takt wiegt. Und die Stimmung im Lande gibt ihm dabei Feuerschutz.


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Ganze Straßenzüge ohne Wähler

Dienstag, 18. März 2014

Die erste Kommunalwahl in Ingolstadt, die ich aus der Ferne beobachte. Die Wahlbeteiligung ist weiter abgesackt. Vor sechs Jahren gingen noch knapp 48 Prozent aller Wahlberechtigten zur Wahl. Diesmal lag die Wahlbeteiligung bei 42 Prozent. Ingolstadt - »Boomtown«, wie man es auch nennt - ist ein Musterbeispiel für die schlechte demokratische Verfassung, in der deutsche Großstädte sind.

Ich spare es mir an dieser Stelle zu erwähnen, dass der neue Oberbürgermeister seine absolute Mehrheit auf 22 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten gebaut hat. Das ist leider mittlerweile so normal, dass es schon gar nicht mehr spaßig ist, es zur Sprache zu bringen. Ich will auf etwas anderes hinaus: Schon bei der letzten Kommunalwahl brachte es das Nordwest-Viertel, das Banlieu der Stadt, in dem es viele Hartz IV-Bezieher und Niedriglöhner gibt, in dem dementsprechend das Lohnniveau geringer und die Lebensqualität schlechter ist, auf nicht mal 31 Prozent Wahlbeteiligung. In manchen Stimmbezirken gingen dieses Jahr sogar nur 15 bis 25 Prozent der Wahlberechtigten an die Urne. Es muss geradezu ganze Straßenzüge ohne Wähler gegeben haben.

Nichtwähler gehören laut »Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung« verhältnismäßig oft den unteren Schichten an, verdienen weniger als Menschen aus der Mittelschicht und haben einen niedrigeren Schulabschluss. Die Wahlbereitschaft sank zwar in den letzten Jahren in allen gesellschaftlichen Gruppen. Im Prekariat sank sie allerdings besonders stark. Fast 60 Prozent der Nichtwähler kommen aus den zwei unteren Fünfteln der Einkommensstatistik. In Ingolstadt zeichnet sich dieser Trend ganz eklatant ab.

Politiker und Wahlkämpfer wirken in diesen marginalisierten Gegenden wie Parallelgesellschafter, die etwas von Werten und Vorstellungen predigen, die die dort lebenden Menschen gar nicht mehr kennen. Die haben jeden Glauben an ein System verloren, in dem sie immer die Verlierer und Benachteiligten sind. Wer sich nach einer solchen Wahl hinstellt und das mangelnde Interesse bestimmter Gesellschaftsschichten in puncto Politik kritisiert, macht es sich zu einfach. Hat nicht verstanden, dass es Schichten gibt, die längst jede Illusion aufgegeben haben. Die Resignation ist dort längst Lebensgefühl geworden. Dort weiß man aus leidvoller Erfahrung, dass Armut keine Wahl hat.

Natürlich ist eine Kommunalwahl keine Wahl, bei der man die Richtung der gesamten Politik mitbestimmen kann. Kommunen sind ja eher mit Verantwortungen zugeschissen worden, die sie kaum noch stemmen können. Aber die Leute sehen oft gar keinen Unterschied zwischen den jeweiligen Wahlen. Und es ist ja auch nicht so, dass die Spezlwirtschaft, die in Kommunen herrscht und die bei Kommunalwahlen um eine Neuverteilung der regionalen Pfründe buhlt, den Leuten in diesen Randbezirken der Gesellschaft nicht übel aufstoßen würden. Sie sehen, wie sich alteingesessene Familien und filzige Parteiapparate bevorteilen, während ihr Stadtteil ein Moloch bleibt, in dem aller Stadtverkehr durchgelotst wird und in dem es wenig Arbeit und noch weniger Aufstiegschancen gibt.

Kaum eine Stadt in Deutschland wächst so schnell wie die Donaumetropole. Wahrscheinlich sind die Schattenseiten, die sich an der Ausgrenzung ganzer Stadtteile bemerkbar machen, normale Erscheinungen moderner Städte in Zeiten der Entsolidarisierung und Entpartizipierung. Besonders wenn sie expandieren und allerlei Personalservice und Segemente für den Niedriglohnsektor anziehen. »Boomtown«? Vielleicht. Aber was Partizipation und Mitsprache betrifft, da boomt gar nichts.

Ingolstadt ist bundesweit gesehen durchaus ein treffliches Beispiel einer Stadt, in der es von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt alles gibt. Auch wenn ich jetzt schon die Stimmen höre, dass es genau so nicht sei, man bemühe sich wirklich. Tut man das? Wieviele der Gesichter, die man ankreuzen konnte, kennen Stadtteile wie das Pius-Viertel? Und wer von denen kennt die Straßenambulanz und die Menschen, die dort ihren Lebensmittelpunkt haben? Die Kandidatin der Sozialdemokraten, letztlich auch eine Unternehmerin, weiß jedenfalls wenig von den Nöten vieler Menschen. Sie wird nichts davon wissen, wie es ist, schon zu Monatsmitte keine Flocken mehr in der Tasche zu haben. Vom CSU-Kandidaten ganz zu schweigen.

Die städtischen Sozis haben viel von Wechselstimmung in den »Donaukurier« hineindiktiert. Welcher Wechsel wäre das gewesen? Was hätten die Leute in den Banlieus davon gehabt? Inwiefern wäre es denn überhaupt denkbar, dass verkrustete Strukturen wie jene, die nach Jahrzehnten schwarzer Regentschaft entstanden sind, aufgelöst werden könnten? Und wollte man das eigentlich? Man bräuchte doch die städtischen Funktionseliten. Und gegen den Filz anregieren kann man auch nicht. Aber gut, das ist eine andere Geschichte, das führt jetzt zu weit.

Ich kannte jedenfalls einiges aus dem dortigen Schattenreich. Denn dort habe ich gelebt. Die Arroganz des politischen Betriebes in Ingolstadt, macht mich noch aus der Ferne wütend. Es ist immer noch dieselbe oberbayerische Selbstzufriedenheit, die mich damals schon anwiderte. Das ändert sich nie.


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Inmitten Zierkissen und blütenweißer Häkeldeckchen

Montag, 17. März 2014

Zuletzt hatten wir ein so zur Schau gestelltes Wohlverhalten gegen die Machthaber im Landesinneren bei gleichzeitiger Begeisterung für etwaige Rebellionen außerhalb des Landes in der Epoche des Biedermeier. Wie ja so viel heute an jene Epoche biederer Hausmusik und reichlich bestickter Zierkissen erinnert.

Es ist schon erstaunlich, wie sich die Zeiten gleichen. Im Vormärz fand sich der Spießbürger mit der Unterdrückung durch die Karlsbader Beschlüsse und den Wiener Kongress ab. Ihm gefiel es vielleicht nicht, dass die Aristokraten bessergestellt waren und sich jede Kritik verbaten, aber er hatte gelernt, wo sein Platz in dieser restaurativen Ordnung zu sein hatte. Mit den Irren, die die soziale Frage thematisierten und gegen die Stützen der Macht polemisierten oder gar rebellierten, wollte er nichts zu tun haben. Sie waren ihm suspekt und rochen nach Terroristen, die man damals »Anarchisten« zu nennen begann. Es brachte manche Unannehmlichkeit mit sich, wenn man sich politisch äußerte. Also tat man es nicht und verkroch sich auf sein Sofa, goss sich Tee ein, aß zwei Kekse und bändigte all die Triebe, die in dieses Zeitalter nicht so recht passen wollten.

Aber dann kamen die Jahre zwischen 1821 und 1829 und man begeisterte sich für den Aufstand der Griechen gegen die Osmanen. Nein, damals gab es noch keine Kanzlerin, die davon sprach, dass die Griechen dieselben Werte vertreten würden, wie es dieser Flickenteppich genannt Deutsches Reich tat - und dass man deswegen Solidarität üben müsse. Aber Christen waren sie ja doch irgendwie, die Griechen. Daher irgendwie doch werteverbunden. Die Osmanen waren ja nur Moslems. So war es mit der Solidarität natürlich gut bestellt. Man schalt den Sultan einen schrecklichen Despoten und vergaß darüber die eigenen Duodez-Zuchtmeister.

Als sich dann in den Jahren 1830 bis 1832 auch noch die Polen aus dem Zugriff des Zaren winden wollten, gab es abermals Begeisterung und eine Zurschaustellung von Solidarität. Der Tyrann aus Sankt Petersburg war in aller Munde. Die eigenen Tyrannen jedoch mal wieder aus dem Sinn. Jan-Christoph Hauschild schreibt in seiner kleinen Büchner-Monographie über jene Jahre, dass sie »kleine und nicht sehr verwegene Ausnahmen im sonst demonstrierten Wohlverhalten« bildeten. Nicht sehr verwegen, weil außer einigen markigen Sprüchen nichts geschah. Damit lief man jedenfalls nie Gefahr, mit den eigenen Herren anzuecken.

Ach, die Sofas sind so viel frugaler geworden. Keine Stickereien mehr. Dafür dürften sie bequemer, etwas weicher sein. Zwischen Kissen pflanzt man sich heute in seine gepolsterte Wohnlandschaft und schaut in die Türkei, schimpft über den Sultan, der heute »Ministerpräsident« heißt, der despotisch in die Menge knüppeln lässt und vergisst darüber, dass unsere Duodezfürsten, die heute »Ministerpräsidenten« heißen, es manchmal ganz genau so erledigen lassen. Oder wir sind erbost über den Zaren, der heute den modernen Titel »Präsident« trägt. Je nach Lage, je nach dem, was die Verhältnisse im Ausland gerade so hergeben. Nur die Fehler derer, die über uns herrschen, sehen wir dabei kaum noch.

Immer dasselbe Spiel: Nach Innen demonstrieren wir Wohlverhalten, finden wir Ausflüchte, uns nicht zu wehren, heißt es, da könne man eh nichts machen - aber nach Außen mimen wir den Dicken, sind wir hochgradig politisiert und gleich mit Boykottandrohungen zur Hand. Und wer weiß, wieviele unzufriedene Biedermeier-Biedermänner damals aufschnauften, weil sie es mit dem Deutschen Reich und seinen Fürsten doch ganz gut getroffen hatten. Der Sultan und der Zar waren ja viel schlimmer.

Wir erleben in so vielen Ereignissen und Handlungen eine Neuauflage des Biedermeier. Jener Epoche, die aus Rückzugsgefechten ins Private bestand, die das soziale Leben auf Flanieren und Zurschaustellung oppulent herausgeputzter und mit Schleifen ausgestatteter Kostümen reduzierte, das Politische davon aber gänzlich ausschloss. Solche Klamotten tragen wir derzeit nicht. Wir haben es gerne bequem. Aber ein hübsches Logo sollte diese Bescheidenheit auf der Haut dann schon haben. Der Putz toller Accessoires wie Mobilgeräte oder Handtaschen haben das Schleifchen dort, den Knopf da und die ausladende Reifrockausstattung ersetzt.

Jedes Biedermeier braucht so ein Surrogat im Ausland. Das blockiert Prozesse im Inneren, lenkt ab und macht es auf dem Sofa erst so richtig gemütlich. Und man sagt ja auch, dass das Wort »Gemütlichkeit« aus jener Epoche stammt. Vorher meinte es das »Gemüt betreffend« - im Biedermeier war es plötzlich Synonym für »Behaglichkeit« und sollte wohl ausdrücken, dass das Gemüt nur im Behaglichen wirklich richtig aufgehoben ist. Aus der aktuellen Gemütlichkeit heraus lässt sich trefflich auf Regierungen schimpfen, die weit weg sind - die eigene Regierung vor der Haustüre, über die murrt man zwar, mehr aber auch nicht. Wenn die Menschen andernorts auf die Straße gehen, dann bewundert man das. Hier nennt man solche Leute jedoch »Spinner«.

Was liest man nicht alles, welche Epoche sich gerade doppelt. Die einen finden, der Manchester-Liberalismus sei quasi wieder da. Andere finden, dass wir in einer Epoche wie in Weimar leben. Oder gleich wie im Faschismus. Oder dass sich die Ära des Flottenbauprogramms wiederholt. Aber das sind alles nur Versatzstücke. Wir leben viel mehr in einer neuen Zeit, in der allerlei Erscheinungen früherer Zeiten wiedererscheinen und ein ganz neues Klima erzeugen. Es ist, als lebten wir in einer komprimierten deutschen Geschichte, in denen das Biedermeier über Weimarer Verhältnisse und faschistoide Entwicklungen schweigt und sich mit Tirpitz und Freihandel tröstet. Hauptsache gemütlich und die Sonne leuchtet den März weiterhin so hell aus. Dann kann man seinen Arsch von der Couch schieben, rüber zum Grill und von dort aus die Behaglichkeit zelebrieren.


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Eine Welt voller Hitler

Samstag, 15. März 2014

Kürzlich verglich Hillary Clinton mal wieder jemanden mit Hitler. Putin nämlich. Das Tea Party Movement vergleicht den Präsidenten, dem die Dame dient, schon lange mit ihm. Und außerdem gibt es Bildmontagen ihres Mannes als Hitler. Bei George W. Bush waren sich Naomi Wolf, Ali Chamenei und Herta Däubler-Gmelin einig: Der ist wie Hitler. Schon Nixon musste mit dem Vergleich leben. Chamenei meinte übrigens auch, dass Saddam Hussein wie Hitler gewesen sei. Das sah Enzensberger ganz ähnlich. Er hat Hussein als »Wiedergänger Hitlers« bezeichnet. Napoleon haben sie nicht verhitlert. Sie wussten ja noch nichts von dem, der da noch kam. Schlummerte schon in Cäsar ein Hitler?

Chávez sprach von Merkel mal sinngemäß als eine Nachfolgerin Hitlers. Der ehemalige US-Verteidigungsminister nannte aber Chávez wiederum einen Hitler. Die Polen und Griechen sind sich im Falle Merkels nicht ganz so sicher: Hitlervergleich oder SS-Uniform? Beides ist möglich. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung war sich da Ende 2012 schon etwas sicherer, als er Hitler und Merkel »Staatsleute, die versuchten, Europa zu einigen« nannte.

Roland Tichy verglich vor Jahren im »Presseklub« Lafontaine mit »dem Führer«. Das gefiel offenbar dem ewigen Alt-Kanzler Schmidt ganz gut, der denselben dann als »Adolf Nazi« bezeichnete. Wenn schon ein demokratischer Politiker als ein Hitler angesehen wird, dann ist es doch ganz logisch, dass Osama Bin Ladin natürlich auch einer war. Kardinal Lehmann konfrontierte dessen »abgründigen, nicht aufklärbaren Rätsel« mit denen Hitlers. Und dass Erdogan und Assad Hitlers sind, versteht sich von selbst. Von Mursi gab es auch Fotomontagen mit Scheitel und Fliegenschissbart. Schily haben sie auch schon mal ein Bärtchen angeklebt. Josef Bachmann soll in Dutschke den kommenden Hitler gesehen haben und hat deshalb auf ihn geschossen. So will es jedenfalls die Legende.

Den Fußballtrainer Mourinho haben die Fans von Real Madrid auf einem Plakat mit Hitler verglichen. Der Dramatiker Hochhuth fand, dass Wowereit schlimmer als Hitler sei - jedenfalls im Bereich der Berliner Kulturpolitik. Das Hessische Landesarbeitsgericht musste sich vor einem Jahr mit einem Betriebsrat auseinandersetzen, der seinen Betriebsratsvorsitzenden als einen Hitler enttarnte. Mehr als eine Dekade ist es her, dass eine öffentlich wirkende TV-Mormonin in den Vereinigten Staaten Schwule mit Hitler verglich.

Ein Politiker aus der Schweiz erblickte schon mal im Luxemburger Juncker den Mann aus Braunau. Der Regisseur Michael Bay wurde von einer drittklassigen Schauspielerin mit ihm verglichen. Der österreichische Rechtspopulist Strache mutierte schon mal für seine politischen Kontrahenten zum Hitler. Cohn-Bendit entlarvte Sarkozy als jemanden, der Hitler nachäfft. Reich-Ranicki soll mal Karajan für vergleichswürdig gehalten haben.

Ach, wenn im Grunde alle wie Hitler sind, progressive Politiker genauso wie reaktionäre Betonköpfe, Rechte wie Linke, Moslems wie Christen oder Atheisten, dann ist letztlich gar keiner wie er. Eigentlich schade um diesen ultimativen Vergleich. Denn so beleidigt er keinen mehr, setzt keinen mehr herab, trifft keinen mehr in der Würde. Natürlich sollen Vergleiche nicht per se ausgeschlossen sein. Sie sind wichtig. Aber wenn alle Hitler sind, dann ist der Vergleich ja sinnlos, weil dann alles unvergleichlich oder sogar unvergleichlich gleich geworden ist. Ich glaube, nicht mal Hitler war wie Hitler, sondern eher so wie Himmler.

Ich befürchte, aus der Hitlerzeit bleibt uns wenig. Ein leeres Vermächtnis, das Politiker zu Gedenktagen zelebrieren, ohne im Tagesgeschäft je konkret zu werden - und dann eben noch dieses neue Wort für den Teufel. Mal sehen, welche Generation die erste sein wird, die den politischen Feind als Hitler bezeichnet, ohne überhaupt zu wissen, dass dieser Hitler eine historische Person gewesen ist. Ich glaube, lange dauert es nicht mehr. So viel Kulturpessimismus muss man mir schon gestatten. Da kann ich nicht Optimist sein. Irgendwie bin ich da ganz wie Hitler.

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Zeiten, in denen die Linke sich als des Teufels Advokat aufreibt

Freitag, 14. März 2014

Es ist schon wieder geschehen. Man hat sich als Linker mal wieder entschuldigen müssen. Für einen, mit dem man ganz sicher nicht konform gehen kann. Ich sei ja nicht für Putin, sagte ich einem Kollegen, aber man muss die Sache doch auch mal so sehen: Die EU und die Bundesregierung haben diesem Kerl zugesetzt und ihre Grenzen nicht gekannt. Am selben Tag las ich einen Teaser bei den NachDenkSeiten, in dem es hieß: »Konstantin Wecker, bestimmt kein Freund des Systems Putin, kann diese Verlogenheit nicht mehr ertragen.« So geht es einem dauernd.

Immer wieder muss man Leute »in Schutz nehmen«, die einem fürchterlich widerlich sind. Das scheint zur Konstanten unserer Zeit zu werden. Jedenfalls wenn man der politischen Linken angehört. Das tut man ja nicht, um auf Deibel komm' raus irgendwie Opposition zu sein oder weil man etwa an einer querulantischen Persönlichkeitsstörung leidet. Da geht es um Werte des Humanismus und der Aufklärung. Was seltsam genug ist im Bezug zum Beispiel auf Putin. Es geht um Verstehenwollen und um Vermittlung zwischen Positionen und kulturellen Eigenarten - und vor allem um die Auflösung des simplifizierenden manichäischen Weltbildes, in dem das Licht mit dem Dunkel ringt und es also Gut und Böse als feste Kategorien gibt. Klar, an diesen Impuls des moralischen Unterscheidenwollens leiden wir seit den griechischen Philosophen. Aber die Welt ist eben nicht so eindeutig.

Wenn man heute Putin »verteidigt«, dann hält man kein Plädoyer für einen fälschlich Angeklagten. Man rückt nur wieder gerade, was in Schieflage geraten ist und sagt damit: Leute, beide Seiten, Putin und der Westen sind unmenschlich und schlecht, beide sind Protagonisten dieses zynischen Welttheaters. Propaganda vom »bösen Feind« ist keine Diskussionsgrundlage. Ich meine, wieso ist die geopolitische Motivation, die Merkel Putin vorwirft, jetzt plötzlich Gegenstand einer Debatte, wo sie doch in Afghanistan und im Irak überhaupt nicht diskutiert wurde? Wenn man jetzt also als Linker die Sicht Russlands nüchtern ins Gespräch wirft, tut man das nicht aus Kriegslüsternheit oder aus Faszination am oberkörperfreien Neo-Zaren, sondern weil man diese saturierte Selbstgerechtigkeit dieses Westens nicht mehr erträgt, von dem man selbst Teil ist.

Anfang des Jahres wollte ich einen Text publizieren, in dem ich auflistete, wen ich alles in Schriftform »verteidigen« musste im letzten Jahr. Leute, denen ich politisch und vor allem menschlich völlig fern stehe. Putin war damals schon dabei. Aber auch kleine Lichter wie Wulff. Oder Hochkaräter wie die Zschäpe, der man auch einen fairen und rechtsstaatlichen Umgang angedeihen lassen sollte. Erdogan und dessen Schergen waren auch dabei - als ob unsere Polizei so oft viel besser reagiert hat als die Polis. Von Islamisten und Taliban schrieb ich auch. Und klar, ich habe für die SPD und gegen die Stimmen geredet, die ihr die Mitgliederbefragung ausreden wollten. Ja, selbst einen wie Snowden, der politisch irgendwo zwischen republikanisch im amerikanischen Sinne und libertär schwebt, der Waffenbesitz für richtig und Sozialhilfe für verwerflich hält, musste von der politischen Linken »verteidigt« werden. Das klang bei manchen aber dann gleich wie Schwärmerei. Ach, die Linken und ihre Helden ...

Es mag mehr gegeben haben, ich erinnere mich an den Text nicht mehr. Ich habe ihn nie veröffentlicht. Er gefiel mir nicht, war zu unausgewogen und passte dann auch nicht mehr richtig ins Konzept - und immer kam ein anderes Thema dazwischen. Also landete er in der Mülltonne. Aber den Schluss kenne ich noch, er lautete sinngemäß so: Es wird nicht lange dauern, dann muss man schon wieder Partei ergreifen für eine Partei, deren Parteigänger man nie und nimmer ist.

Das Maßhalten, das wie eine Verteidigungsrede bewertet wird, ist ein gravierendes Problem für Menschen mit politisch linkem Hintergrund. Sie machen sich so für den Mainstream, der es gerne einfach und adäquat hat, unglaubwürdig und werden von der Massenstimmung an die Wand gepresst, als Verräter oder Träumer empfunden und teils pathologisiert oder schlimmer noch kriminalisiert. Besonders häufig merkt man das, wenn man der Linken mal wieder Antisemitismus vorwirft, weil sie die Politik Israels kritisiert. Stachel in den Wunden der modernen Welt zu sein, nicht alles einfach hinnehmen und nachplappern. Darum geht es doch. Kritik an Israel ist keine Schrift Streichers. Kritik an der Türkei muss ja auch keine turkophobe Handlung sein.

Ich bin schon so weit, dass ich alle tiefgreifenderen Gespräche meide, weil ich denke, dass ich letztlich immer wie so ein notorischer Querulant auf die Leute wirke. Aber was kann ich dafür, wenn mein Umfeld die Eindimensionalität der hiesigen Berichterstattung wiederkäut? Muss ich deshalb dieselbe Einfalt einnehmen? Gibt es kein richtiges Erleben des Weltgeschehens in der beschnittenen Wiedergabe allen Seins? Und dabei widern mich die, die die Diabolisierung bestimmter Gestalten ohne auf einen Anspruch an Balance zu achten, mindestens genauso an, wie die Figuren, für die man plötzlich und ungewollt als Advokat auftritt.

Man muss klar sagen, dass es diese Malaise ist, die es schwerer sein lässt, als Linker denn als Rechter durch die Welt zu gehen. Der Rechte hat klarere Konturen und ist schneller bereit, sich seiner Zweifel zu entledigen. Er hat ein Sendungsbewusstsein, in dem er immer richtig liegt und die anderen daher falsch. Kulturelle Ungleichheiten macht er mit Termini wie »rückschrittlich« und »fortschrittlich« wett. Er kennt nur Herrenmoral, wo man links auch weiß, dass es verschiedene Moralitäten geben kann, je nach sozialem Kontext, Herkunft und Erfahrungsschatz. Und da dieser Hang mittlerweile massenkompatibel zu sein scheint, kann man sagen: Wir leben in wahrlich rechten Zeiten.

Und ich verachte Putin und sein System eben doch - aber auch die Masche, mit der der Westen sich in alle Windrichtungen auszubreiten trachtet. Ich muss es ja betonen, auch wenn es aussichtslos ist. Man mich eh für unverbesserlich hält. Oder ist diese Masche, dass man den progressiv tickenden Teil der Bevölkerung ständig in die Rolle des Anwalts irgendwelcher Täterfiguren rückt, eine gezielte Maßnahme zur Diskreditierung derer, die immer noch an eine andere Welt glauben wollen? Seht nur, der Linke da drüben verurteilt den Terroranschlag nicht, er sagt, der Westen habe es provoziert! So ein Arschloch! Geh doch nach drüben! Ach ja, so, »Geh doch nach drüben«, hätte der Text damals heißen sollen. Jetzt fällts mir wieder ein.


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Nie wieder?

Donnerstag, 13. März 2014

Rassismus und Sozialdarwinismus liegen nachweislich im Trend. Siehe Sarrazin und Kollegen. Und das, obwohl die Politik nicht müde wird, immer wieder an die faschistische Barbarei zu erinnern. Vielleicht liegt das auch daran, weil diese Gedenkkultur so abstrakt abgespult wird.

Als ich hörte, wie der Bundespräsident neulich in Griechenland um Verzeihung bat, da dachte ich mir, dass all diese Bekenntnisse immer gleich klingen. Es handelt sich schon lange nicht mehr um mutige Reden zum Thema, sondern um rhetorische Figuren, die einstudiert und festgefahren sind. Nach demselben Muster geraten auch die Erinnerungsveranstaltungen im Bundestag, die man jedes Jahr beobachten kann. Im Zuge des sich verschärfenden rassistischen und sozialdarwinistischen Klimas in diesem Lande, wirkt diese »Kultur des Nie wieder!« irgendwie aus der Zeit gefallen. Nach abgeschlossenem Festakt stülpt sich dieses Land dann wieder die Betroffenheit ab und geht zum natürlichen Tagwerk über, schmäht Arbeitsscheue, schimpft auf integrationsunwillige Ausländer und die dem Islam immanente Gewaltbereitschaft.
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#Aufschrei der Dummheit

Mittwoch, 12. März 2014

Quelle: mimikama.at
Bis vor kurzem gab es bei Facebook eine Seite, die sich »Wir suchen dich« nannte. Angeblich eine »Facebookgemeinschaft, die Personen hilft« und die vorgibt »gemeinsam nach vermissten Personen« zu suchen. Von einer Suche nach Personen konnte aber keine Rede sein. Der oder die Betreiber posteten Fotos von Gewaltakten und stellten dazu provokative Fragen. Unter dem Foto eines toten Mannes, der mit Messerstichen übersät ist, kann man lesen: »Das ist mit einem Kinderschänder in Südamerika passiert und soll auch so üblich sein. Was sagt Ihr dazu? Richtig oder Falsch?« Die Reaktionen, die damit geerntet werden, sind leicht zu kalkulieren und wohl auch so gewollt. Wie Motten, die das Licht ansteuern, ebnen sich selbstlose Weltverbesserer und Kinderschützer ihren Weg in die Kommentarspalten und offenbaren, wie dünn und teilweise schon abgeblättert der Lack der rechtsstaatlichen Zivilisation schon ist.

Einerseits hat man es mit fadenscheinigen Betreibern zu tun, die ihr Menschenbild mit süffisanten Fragen in die Welt hinausposten. Und andererseits mit Lesern und Usern, die wie geile Rammler jedes Loch bespringen, aus dem so eine faschistoide Weltsicht hervorsuppt. In diesem Fall sind das auch Leute, die in meiner »Freundesliste« stehen, die mich mal geliked haben, weil ich einen für sie hübschen Text zur Arbeitsmarktsituation, zum Sozialabbau der Regierung oder vielleicht etwas Kapitalismuskritisches geschrieben habe. Dennoch sind dieselben Leute für diese rechtslastige Emotionalisierung juristischer Fragen zu haben und geben sich als Freunde nicht nur meiner Facebook-Präsenz, sondern eben auch als solche der Lynchjustiz zu erkennen.

Diese Seite scheint es mittlerweile nicht mehr zu geben. Hin und wieder reagiert Facebook dann doch und löscht solche menschenverachtenden Seiten. Aber das Problem ist trotzdem nicht aus der Welt. Manchmal hat man nämlich den Eindruck, dass es ausgerechnet solche Seiten der kalkulierten Misantrophie sind, die regeren Zulauf im Internet finden, als aufgeklärtere Projekte. Rechte Blogs und Foren boomen, das Social Media ist das Forum des dazugehörigen Mobs und noch nutzt die Politik das Internet nur für Wahlkampf- und Propagandazwecke. Hoffentlich kommt sie nie auf die Idee, das Social Media als eine Art Abbild des Wählerwillens anzuerkennen. Denn dort scheint die politische Rechte, von jeher nahe am Stammtisch und an billigen Affekten, die Deutungshoheit schon lange errungen zu haben. Die Idee der Freiheit, die man dem Internet und dem Social Media anheftete, kehrt sich täglich mehr ins Gegenteil. Nicht nur wegen der NSA.


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Weniger Rotz auf Obst und Gemüse

Dienstag, 11. März 2014

Und jetzt etwas Positives. Man hat mir ja schon öfter gesagt, ich würde nur Negatives schreiben. Mein Blog beim »Neuen Deutschland« trage sogar den »Hiob« im Namen. Immer nur Hiobsbotschaften und so - geht es nicht mal unverzagter? Ich habe sogar einen Bekannten, der keine Nachrichten hören und sehen will, weil die nur Schlechtes dokumentierten. Ich sehe das anders. Manches kommt dort viel zu gut weg. Wenn sie uns sagen, was die Regierung alles so geleistet hat zum Beispiel.

Also von mir aus, mal was Positives: Nach vielen Jahren hat der Krankenstand mal wieder ein Plus verzeichnet. Er lag 2013 so hoch wie seit 14 Jahren nicht mehr. Das ist keine schlechte Meldung, auch wenn sie nicht ausdrücklich als frohe Botschaft markiert wurde. Nicht weil Menschen krank sind. Das ist schlecht. Aber wenn sie es schon mal sind, dass sie sich nicht zum Arbeitsplatz schleppen, weil sie um ihren Arbeitsplatz fürchten oder ihr Boss Druck macht, das ist doch nicht übel. Eine Trendwende mag das nicht sein. Die Techniker Krankenkasse, die die Zahlen lieferte, erklärt es dann ja auch mit einer Erkältungswelle. Aber dass die Patienten die sozialstaatliche Errungenschaft der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch in Anspruch nehmen, wenn es nötig wird, zeigt doch, dass nicht alles schlecht ist in diesem Land.

Natürlich gibt es auch schlechte Nachrichten, die die Techniker Krankenkasse aber als positive Meldung bringt: Erstmals haben die Krankschreibungen aufgrund psychischer Störungen nicht zugenommen. Man kann nun annehmen, dass die psychische Belastbarkeit ausgereizt sei. Dass die Menschen nicht mehr psychisch krank würden. Oder aber Ärzte und der Medizinische Dienst sind einfach etwas penibler geworden, drängen psychisch Erkrankte wieder an den Arbeitsplatz oder in die vom Jobcenter verordnete Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt.

Was der Bericht der Techniker Krankenkasse leider nicht zeigt, ist die Zusammensetzung der Krankgeschriebenen nach sozialem Status. Wer arbeitet Vollzeit oder geringfügig? Wer war arbeitslos? Und wer fungierte als Leiharbeiter? Denn da wären schon wieder Hiobsbotschaften vorbestellt. Leiharbeiter werden gerne aus dem Vertrag geworfen, sofern sie erkranken, um dann nach Genesung wieder rehabilitiert zu werden. So spart sich der Arbeitskrafthändler die Lohnfortzahlung. Und Geringverdiener erhalten eine solche oft gar nicht, weil sie Arbeitskräfte zweiter Klasse sind. Sollten sie sie doch planmäßig sechs Wochen erhalten, haben sie danach aber keinen Anspruch auf Krankengeld mehr, weil sie ja nicht automatisch über ihren Job krankenversichert sind.

Man sieht, ich bin für gute Nachrichten offen. Und Menschen, die mit ihrem Dünnschiss nicht in die Werkstatt fahren, sondern sich ins Bett pflanzen oder eben auf die Schüssel, sind ein gutes Zeichen. Meine Mutter hatte mal eine Kollegin, die selbst mit schwerer Erkältung ihren Dienst in der Obst- und Gemüseabteilung eines Supermarktes angetreten hat. Als ich mal die Nasetröpfchen sah, die sie über Äpfel und Gurken verteilte, kam mir fast das Kotzen. Wenn eine Krankenkasse jubelt, weil der Krankenstand mal wieder zurückging, dann tut sie das für die Arbeitgeber und deren Anspruch, überhaupt keine Lohnfortzahlung mehr zahlen zu wollen. Aber Rotz auf Obst und Gemüse ist ein unwürdiges Spektakel. Von der Ansteckungsgefahr gar nicht erst zu reden. Wenn dieser Trend der letzten Jahre ein wenig gestoppt worden ist, dann ist das keine schlechte Nachricht. Und das mitten in einer Epoche vieler übler Nachrichten.


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Wer bezahlt die Spesen?

Montag, 10. März 2014

»Wer baute das siebentorige Theben? / In den Büchern stehen die Namen von Königen«, schrieb Brecht mal (»Fragen eines lesenden Arbeiters«). Und heute? Wer baut Fußballstadien in die Wüste? Wer setzt Stein auf Stein für Olympische Spiele? Und wer malocht an Protzbauten hierzulande?

In Katar riskieren Sklaventreiber das Leben ihrer menschlichen Ware. Das System Putin rieb Arbeitskräfte und Umland von Sotschi auf. Auf hiesigen Großbaustellen wie Stuttgart 21 oder BER dumpen sich polnische und bulgarische Ich-AGs und deutsche Niedriglöhner in Grund und Boden. Die globale Protzerei des Kapital reibt Heere von Arbeitskräften auf. Mal physisch und mal eher psychisch, aber immer auf Kosten derer, die schwitzen und sich plagen. »Wer bezahlte die Spesen?«, fragte Brecht zum Ende seines Gedichtes. Wer? Es sind die Sklaven und Tagelöhner, die Wettbewerbsschufter und Scheinselbständigen.

Ich habe sie schon so oft unken gehört: Aber sei doch realistisch, haben sie gesagt, die polnischen Maurer, die auf Deutschlands Baustellen als Subunternehmer schuften, denen geht es doch nicht übel. Und vor allem leiden sie doch nicht wie die Sklaven auf Katars Baustellen. Wir geben den Osteuropäern bloß gute Chancen und Perspektiven. Das sind dieselben Stimmen, die Kinderarbeit in Indien oder Bangladesch als Chance bezeichnen, weil so diese Kinder auch etwas zur Haushaltskasse beitragen dürfen. Immer noch besser als zu hungern, nicht wahr? Und fleißiger als die verweichlichten Deutschen seien sie ja auch, diese slawischen Arbeitstiere. Sie hadern nicht, nur weil man sie nicht wie kleine Prinzen über das Baugerüst trägt. Und wer als Subunternehmer schuftet, dem steht auch kein Mindestlohn zu. Ich kann mir vorstellen, dass mancher Katarer ganz ähnlich argumentiert und erklärt, dass die Arbeiter aus Nepal hier eine Chance hätten und dass es den Nepalesen in Nepal ja noch viel schlechter ergehe.

Materiell gesehen mögen die hiesigen Wettbewerbsverhältnisse auf Baustellen und die Arbeit in der Wüste nicht vergleichbar sein. Aber ideell gesehen eben schon. Hier wie da schuften arme Schlucker für die Geltungssucht von prahlerischen Eliten. Für einen aufgeblasenen Monumentalismus einer mittelmäßigen Schickeria. Für Entscheidungen von Männern und Frauen, die nur zu lächeln brauchen, wo andere schwer schufteten und bluteten und teilweise sogar starben. Über die redet aber keiner. Man gedenkt ihrer nicht. Aber an die Antlitze der politischen Führer, die Stadien eröffnet oder sogar finanziell in die Wege geleitet haben, wird man noch in Jahren belobigend denken.

Wir leben in einer Welt, in der Sklaven und Hungerleider, Knechte und Kulis, Tagelöhner und Prekarier, Working Poor und Gelegenheitsarbeiter, Leibeigene und Fronarbeiter, Fassaden in die Höhe ziehen, an denen dann die feisten Gesichter hoher Damen und Herren prangen. Für diese Fassaden lassen sich letztere feiern und gehen in die Geschichte als Bauherren und Visionäre, als Konstrukteure und architektonisch aufgeschlossene Mäzene ein. »In den Büchern stehen« nicht mehr »die Namen von Königen« - für Brecht sah es noch so aus. Doch Könige haben wir mittlerweile nachhaltig abgeschafft. Aber an den Verhältnissen, in denen die leben und arbeiten, die die Spesen bezahlen, hat sich nichts geändert.

Es gibt noch viel zu tun. Und viel zu fragen. Aber lesende Arbeiter stellen heute ungefähr so wenig Fragen wie lesende Eliten. Das tun Arbeiter nur in Gedichten von Brecht. Die Arbeiter, die mir so begegneten in letzter Zeit, stellen keine Fragen, sondern gaben Antworten. Zum Beispiel: Die Weltmeisterschaft in Katar ist ein Fehler, weil dort die Fußballer schlimmster Hitze ausgesetzt werden. Nur die? Wenn Werktätige von Werktätigen lesen, so gab Brecht zum Ausdruck, dann würden sie sich darin erkennen und die Gesellschaft anders wahrnehmen. Dass das Klassenbewusstsein völlig aberzogen wurde, sieht man gut daran, dass sie von Ihresgleichen lesen und sich von ihnen abgrenzen, indem sie sie ignorieren.


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Kommt wieder, wenn ihr mehr Stimmen erlangt

Freitag, 7. März 2014

Mit Unverständnis nahm ich letzte Woche die Freude von Die Linke über den Fall der Drei-Prozent-Hürde wahr. Und jetzt will sie auch Stimmung gegen die Fünf-Prozent-Hürde bei Bundestags- und Landtagswahlen machen. Ich sehe das so: Wahlen, bei denen die FDP nicht mehr aus dem Parlament fliegen kann, sind keine richtigen Wahlen mehr.

Sperrklauseln sind keine unvernünftige Einrichtung. Sie sind kleineren Parteien aber natürlich lästig. In einem schlechten Jahr kriegt man eben nur 4,8 Prozent zusammen und muss draußen bleiben, verliert Diäten und Ansprüche und muss zurück ins wirkliche Leben. Wahrscheinlich ist auch das das Motiv von Die Linke. Etwas mehr Selbstvertrauen, Genossen! Tut was dafür, dass es so nicht kommt und dann müsst ihr euch um die Klausel keine Gedanken mehr machen. Aber klar, Funktionäre aller Parteien wollen Sicherheit, mit Erklärungen von der Funktion der Sperrklausel braucht man ihnen nicht zu kommen. Sie finden immer Ausflüchte, warum sie sie nicht gut finden.

Doch gerade um solche Erklärungen geht es jetzt, auch wenn nicht alle befriedigen. Als Sperrklausel gegen Radikale bezeichnen sie manche. Immerhin hält sie die NPD aus den Parlamenten. Aber Sozialdarwinisten und Marktradikale sind trotzdem vertreten. Sie reguliert demnach nur bestimmte Extremisten und ist gegen andere machtlos. Die Furcht vor der Zersplitterung des Parlaments, wie sie die Weimarer Republik erlebt hat, ist hingegen nicht ganz unbegründet, auch wenn die Zustände damals natürlich andere waren als heute.

Damals hemmten sich die vielen Fraktionen gegenseitig - heute gibt es in wesentlichen Fragen der Wirtschaft und des Sozialen einen parteiübergreifenden Konsens. Das liegt daran, dass es damals noch Milieuparteien gab, die es heute nicht mehr gibt. So wie es eben auch verschiedene Milieupresseerzeugnisse gab. Auch die sind heute schon lange nicht mehr so bunt. Und eine Lobby, die mit der heutigen vergleichbar wäre, gab es damals deshalb auch nicht. Was ich sagen will: Die Angst, irgendwelche Extremisten könnten in einem Parlament ohne Sperrklauseln und mit vielen Fraktionen wieder mal eine Plauderbude sehen, in der sich viel gezofft, aber nichts entschieden wird, ist im Grunde hinfällig. Mit ihr kann man die Hürde nicht verteidigen. Denn wenn wir ehrlich sind, stehen der Bundestag und die Landtage heute schon in dem Ruf, eine abgekartete Sache und ein Feigenblatt der Wirtschaft zu sein. Die Parteien vertreten ja kein Milieu mehr, sondern diesen schwammigen Begriff der Mittelschicht und kennen letztlich nur eine Losung, die sich mit Clintons Slogan seiner Wahlkampfkampagne von 1992 beschreiben lässt: »It's the economy, stupid!« (»Auf die Wirtschaft kommt es an, du Dummkopf!«)

Der aktuelle Bundestag sähe ohne Sperrklausel so aus: Die Union käme auf 262 Sitze. Die Sozialdemokraten hätten 162, Die Linke 54, die Grünen 53, die FDP 30, die AfD 29, die Piraten 14, die NPD 8, Freie Wähler 6, Tierschutzpartei und ÖDP 2 Sitze - und es gäbe dann noch acht Parteien mit je einem Sitz: Republikaner, Die Partei, proDeutschland, BP, Volksabstimmung, Rentner, Partei der Vernunft und die MLPD. Es wären also 19 Parteien im Bundestag vertreten. Alle Angaben sind übrigens ohne Gewähr, könnten variieren und sich anders runden. Aber in etwa dürfte es stimmen. Die erdrückende Mehrheit der Großen Koalition gäbe es demnach weiterhin. Zudem wäre in vielen wirtschaftlichen Fragen auch oppositionelle Zustimmung durch FDP, AfD oder Freie Wähler zu erwarten. Was hätten die 25.000 Wähler der Rentnerpartei von einem eigenen Abgeordneten? Wieviele Redezeit erhielte er und was könnte er realistisch in Angriff nehmen? Wäre sein Nein zur Rentenpolitik, wie sie die Große Koalition vertritt, nur ein symbolischer Akt, der Mut machen sollte? Symbolik im Parlament ist manchmal wichtig. Aber wenn ein Mandat zum vierjährigen Symbol wird, dann verfehlt es seine Aufgabe.

Die Sperrklausel ist aus der historischen Erfahrung erwachsen und sie ist ganz sicher nicht als Gängelei entstanden. Nebenher ist sie ein Indikator für die Gesellschaftsrelevanz einer Gruppe, Bewegung oder eben Partei. Ein gewisses Maß an Relevanz, das heißt, an Wählerbasis, die das Programm oder wenigstens die Richtung einer Partei durch Wahl absegnet, ist in einem System mit Sperrklauseln nötig. Aber die Hürde ist daher auch umgehbar, indem man drei Direktmandate erzielt. Der Partei, der das gelingt, hat ihre Relevanz für die Gesellschaft bewiesen und darf gemessen an ihren Zweitstimmen in den Bundestag einziehen. So gesehen sagt die Sperrklausel zu all denen, die an ihr scheitern: Kommt wieder, wenn ihr mehr Stimmen oder (Direkt-)Mandate erlangen könnt und damit relevant werdet.

Das ist nicht ungerecht und auch nicht undemokratisch. Es ist einfach die Differenzierung des Streus vom Weizen. Die konservative Stimmungsmache, die davon spricht, dass ohne Hürde jeder Spinner ein Mandat bekommen könnte, ist natürlich Unsinn. Die Leute, die da ins Parlament einzögen, wären nicht mehr Spinner als manche dieser Gestalten, die heute schon drin sitzen. Aber klar muss man ein gewisses Gewicht haben, um Volksvertreter sein zu können. Das Tausendstel aller Wählerstimmen, das beispielsweise die MLPD erlangt hat, zeugt einfach nicht von Relevanz. Irgendwo muss man eine Grenze ziehen. In Deutschland liegt sie eben bei fünf Prozent. Über Höhen kann man diskutieren. Nicht aber über die Aufhebung.

Natürlich kann man jetzt sagen, dass bei der Sperrklausel die Regierbarkeit vor der Basisdemokratie kommt. Wobei das Bundesverfassungsgericht im Bezug auf die Hürde bei der Europawahl nicht aus demokratischen Gründen geurteilt hat, wie Wolfgang Lieb letzte Woche klarstellte. Diese Behauptung der Bevorzugung der Regierbarkeit ist wohl sogar richtig. Man sollte aber nicht so tun, als sei das kein Argument.

Nein, ich werde hier nicht damit beginnen, auf den aktuellen Parlamentarismus in Deutschland zu schwören. Zu vieles läuft aus dem Ruder. Das Parlament braucht mehr Kontrolle. Wähler sollten mehr Möglichkeiten der Einflussnahme erhalten. Die geplante Verlängerung der Legislaturperiode beschneidet das bisschen Mitsprache nochmals. Ein von den Wählern einleitbares Mandatsenthebungsverfahren für irrgleitete Abgeordnete ist notwendig. Die Allmacht der Großen Koalition ist ohnehin Gift für eine aufgeklärte Gesellschaft. Und es scheinen Zeiten der fortwährend Großen Koalition angebrochen zu sein. Die Anti-Korruptions-Regelungen, die der Bundestag verabschiedet hat, sind ein Feigenblatt. Und es ist dringend eine Karenzzeit nach einem politischen Amt notwendig. Die Liste ist unendlich. Die Sperrklausel stellt hier aber kein Problem dar. Sie ist nur der unbeliebte Zaun, den vor allem die, die den Einzug nicht schafften, beleidigt einreißen wollen.

Dass Die Linke sich hier so infantil an der Entscheidung Karlsruhes erfreut, das macht nachdenklich. Und ob Argumente nutzen, scheint mir bei dieser Art emotionaler Wahrnehmung der politischen Geschehnisse ohnehin fadenscheinig. Vielleicht also auf die emotionale Schiene gehen und es so erklären: Schaut her, Genossen, wenn ihr die Sperrklausel aushebeln wollt, dann werden wir nie wieder feiern können, dass es die FDP nicht in den Bundestag geschafft hat. Schon alleine deshalb ist sie doch so sinnlos nicht.


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Die »Chapos« und der »schlanke Staat«

Donnerstag, 6. März 2014

Für den meistgesuchten (und nun kürzlich gefundenen) Drogenboss der Welt gibt es Fürsprache von vielen Mexikanern. Sie fordern seine Freilassung. Ähnliches gibt es auch in Deutschland. Beides ist Anzeichen für den Verfall des staatlichen Gemeinwesens.

»Spiegel Online« sah sich kürzlich dazu berufen, die Proteste zur Freilassung des habhaft gewordenen Bosses des Sinaloa-Drogenkartells - ein Mann namens Joaquín Guzmán, auch »El Chapo« genannt - zu erklären. Dazu spannte man einen Bogen bis zu Pablo Escobar, den legendären Drogenhändler, und erläuterte, dass diese Gangster und Massenmörder auch Wohltäter für die Menschen gewesen seien. Wahrscheinlich hielt man in der Redaktion des »Spiegel« diese Proteste für Kriminelle für so spektakulär, dass man sie deshalb seiner Leserschaft erklären wollte. Dabei hat schon Eric Hobsbawn 1969 auf »Räuber als Sozialrebellen« hingewiesen. In weitaus kleinerem Maßstab (und mit nur scheinbarer sozialen Komponente) gibt es dergleichen auch hierzulande.

Man erinnere sich nur mal an jene Mitglieder-Versammlung des FC Bayern München im letzten November. Die geriet zu einer Kundgebung für einen, der jahrelang seine Gelder in die Schweiz transferierte, um sich so vor der Steuer drücken zu können. Was waren denn der Beifall und die Statements der Mitglieder anderes, als eine Demonstration der Solidarität mit einem, den sie in erster Linie als einen Wohltäter ansehen? Einen wie ihn sollte man nicht bestrafen, hörte man da, denn er schaffe ja Arbeitsplätze und habe den sportlichen Erfolg nach Bayern geholt, spendete überdies immer wieder hohe Summen an gemeinnützige und karitative Projekte – und ließ mancher Veranstaltung Rostbratwürste frei Haus zukommen.

Hoeneß ist freilich kein »Chapo« - aber das Prinzip ist eindeutig dasselbe. Man blendet die kriminellen Handlungen aus, betont die Wohltäterschaft und glaubt damit reingewaschen zu haben. Das ist wohl so eine Art moderner Ablasshandel in Zeiten moralischer Orientierungslosigkeit. Einer, der die tiefe Sehnsucht nach Kümmerern befriedigt, weil sich staatliche Gemeinwesen immer mehr zurückziehen und ihre Bürger auf sich alleine gestellt lassen. In Mexiko, wo sie »El Chapo« anbeten oder in Kolumbien, wo Escobar ein beliebter Mann gewesen ist, da waren die Staatswesen nie besonders ausgeprägt. In Deutschland sieht man an den Reaktionen, die diese Gönnerschurken moralisch freisprechen, dass ein solcher Verfall auch hier voranschreitet.

Es zeichnet sich die Renaissance des Paternalismus ab, wie er in Schwellenländern immer mehr oder minder üblich war. Die Regierungen sind dort schwach und der Staat übernimmt keinerlei Garantien für die Fallstricke des Lebens. Wer keinen Gönner hat, der Arbeitsplätze verteilt, Aufstiegschancen bietet oder Charity betreibt, der ist verloren. Paternalismus ersetzt den Sozial- und Rechtsstaat, installiert eine Parallelgesellschaft und einen Staat im Staate. In diesem System gibt es allerdings keine Rechtsansprüche, sondern im wesentlichen entscheidet die Laune des Padrinos. Er ist Legislative, Judikative und Exekutive in einer Person. Das System beruht auf Gnadenakte, auf die man keinen Anspruch hat. Aber dort, wo es sonst wenig Ordnung gibt, fühlt sich dieses hierarchische Prinzip durchaus wie Ordnung an und hat deshalb Anhänger und Befürworter.

Man könnte es auch kürzer sagen. Überall dort, wo die politische Klasse korrupt ist, Politik gegen die Menschen betreibt, Ausbeutung und Ungerechtigkeit toleriert und sich lediglich für die eigene Karriere ins Zeug legt, da entwerfen sich die Menschen sonderbare Heilige und verwechseln deren willkürliche und teils kriminelle »Herrschaft« mit »weiser Regentschaft«. Das schrieb der erwähnte Hobsbawn damals ganz ähnlich, als er darstellte, dass kriminelle Banden »außerhalb der Reichweite von Gesetz und Autorität« selbst Autorität darstellen. So gesehen hat auch Deutschland seine »Chapos«. Und man muss annehmen, dass in Zeiten des »schlanken Staates« überall »Chapos« verschiedener Ausprägung entstehen werden. Paternalismus ist überall da im Kommen, wo der Staat im Gehen ist.

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Aus fremder Feder

Mittwoch, 5. März 2014

"Ein Ausländer, der in Deutschland reiste, mißfiel und gefiel durch einige Behauptungen, je nach den Gegenden, in denen er sich aufhielt. Alle Schwaben, die Geist haben, - pflegte er zu sagen – sind kokett. – Die anderen Schwaben aber meinten noch immer, Uhland sei ein Dichter und Goethe unmoralisch gewesen. – Das Beste an den deutschen Romanen, welche jetzt berühmt würden, sei, daß man sie nicht zu lesen brauche: man kenne sie schon. – Der Berliner erscheine gutmütiger als der Süddeutsche, denn er sei allzusehr spottlustig und vertrage deshalb Spott: was Süddeutschen nicht begegne. – Der Geist der Deutschen werde durch ihr Bier und ihre Zeitungen niedergehalten: er empfehle ihnen Tee und Pamphlete, zur Kur natürlich."

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Der Märzsonntag, der sich wie Juli anfühlte

Dienstag, 4. März 2014

Man hatte mich am Sonntag zum Karnevalsumzug geschleift. Kurz davor informierte ich mich noch über die Lage auf der Krim. Und plötzlich stand ich unter all diesen fröhlichen Menschen, die zur Partymusik schunkelten, während ein drohender Waffengang über uns schwebte. Das war so bizarr und unwirklich. Ich meine, niemand sollte in Panik verfallen und die Lebensfreude aufgeben. Aber das bunte Treiben passte so gar nicht zur Stimmung, die aus dem Äther tropfte.

1914: Berliner warten auf die
Kriegserklärung
Ich dachte an all die Beschreibungen der Vorkriegswochen 1914, genannt Julikrise, die ich gelesen hatte. Die Menschen gingen in Cafés und flanierten durch Parkanlagen oder fuhren in die Sommerfrische, nutzten die Sonnenstrahlen aus und waren alle auf ihre Weise glücklich. Aber dass da etwas drohte, dass der Krieg in Lauerstellung war, das war ihnen schon irgendwie bewusst. Nicht erst seit Sarajevo. Schon vorher spürten sie was auf sich zukommen. Wieviele müssen damals durch die Straßen Berlins oder Wiens spaziert sein und diese trügerische Szenerie, dieses graue Idyll des Großstadtmolochs kopfschüttelnd begleitet haben? Die Menschen lagen einfach am Badesee herum und genossen die Wärme, während die Materialschlachten schon in Vorbereitung waren. Ja, dieser Märzsonntag fühlte sich ein wenig wie ein Tag in jenem Juli an. Und das nicht, weil derzeit die Temperaturen so erstaunlich hoch sind.

Ich weiß nicht mehr, welcher Historiker das Klima vor dem Großen Krieg von 1914 als eine Phase des Aufbruchs beschrieb, als eine Zeit, in der den Menschen klar war, dass jetzt was kommen müsse. Ein Krieg vielleicht oder eine Revolution. Als dann in Sarajevo jener berühmte Thronfolger erschossen wurde, sollen viele Menschen gesagt haben, dass das jetzt das Moment der Entladung sei. Endlich! Endlich! Sie waren nicht überrascht, dass es geschehen ist. Sie ahnten, dass das jetzt etwas ist, das das Alte ablöste. Dass das Kriegshandwerk in Grabenstellungen landen würde, konnten sie nicht wissen.

Den Menschen schien nach dieser historischen Deutung des damaligen Geschehens schon klar zu sein, dass das Ancien Regime seinen Zenit längst überschritten hatte und dass Veränderungen kommen würden. Diesen Alpdruck spüre ich seit einiger Zeit auch. Und wenn man so mit den Leuten spricht, die einem im Leben begegnen oder die einen mehr oder weniger begleiten, dann scheint dieser Fatalismus auch jene befallen zu haben. Ist das etwa so ein spezieller Hundertjähriger Kalender, in dem nicht Bauernsprüche von Regen und Sonne stehen, sondern dumpfe Gefühle und periodische Resignationen? Gibt es etwa ein kollektiv wirksames Empfinden für Bedrohung?

Neben mir stand beim Straßenumzug ein Mann, der sich als Sniper oder Scharfschütze verkleidet hatte und dem aus dem Rucksack ein Plastikgewehr ragte. Wie makaber und abstrus, dachte ich mir. Stell dir vor, es marschiert eine Armee ein und die Menschen stehen singend Spalier und rufen nach Bonbons. Weil es keiner merkt. Wenn einer einen Mord begehen will, sollte er ihn auf einer Halloween-Party erledigen, habe ich neulich mit jemanden herumgesponnen. Die Leute zucken da nämlich nicht zusammen und laufen auch nicht wild auseinander, nein, sie klatschen und lachen wie wild und freuen sich am Ketchup, das aus der Stichwunde tritt. So ist es hier auch, dachte ich mir am Straßenrand stehend: Waffengänge sollten im Karneval geschehen, so wirken sie lustiger. Solche Gedanken durchfuhren mich. Sinnloser Quatsch, den manchen damals auch befallen haben mag, als er die heiße Julikrise verfolgte und jede kühle Julibrise genoss.

Man kann den Menschen keinen Vorwurf machen, dass sie sich in dieses surreale Bild einnisten und ihren Karneval feiern oder sich einen Ausflug leisten. Die Erde dreht sich weiter. Mit moralphilosophischer Bedenkenträgerei ist keinem geholfen. Ich mache ja auch weiter, schreibe Texte zu Themen, die jetzt gerade eigentlich keine Priorität haben. Auch wenn dieses über uns schwirrende Gefühl weiterhin aktiv ist. Wen kümmert schon ein Text zur Sperrklausel, wenn am Rande Europas ein Krieg beginnt, in dem das Land, in dem man selbst lebt, reichlich und frech mitgemischt hat? Aber der Text wird kommen. Etwas später als geplant, aber dennoch. Weil Menschen Dinge tun, die nicht in die gerade gegebene Wirklichkeit passen. Schunkeln oder schreiben. Das ist im Angesicht eines Krieges dasselbe. Es ist sinnlos und irgendwie befremdlich, tröstet aber schön über das hinweg, was da kommen mag. Beides ist Ausdruck einer Ignoranz, die auch mal sein muss.

Und zu welcher Friedensdemo gehe ich? 1914 hatten sie es leichter. Es gab so gut wie keine. Nichts Großes. Nur versprengte Versuche, den Frieden mit schönen Reden zu erhalten. Wenn ich heute gehen soll, dann muss ich mit den Demonstranten, die gerade noch Helau! riefen, gegen Putin protestieren und vielleicht ein ukrainisches Fähnchen wedeln. Aber die Kriegstreiber, das waren doch ganz andere. Die Europäische Union, die deutsche Regierung, die Vereinigten Staaten. Aber die werden fein raus sein.

Vielleicht geht es ohne Waffen, vielleicht einigt man sich. Wie auch immer das passieren soll. Geht das Gefühl dann wieder? Empfinde ich dann keinen Druck mehr? Kaum. Dieses Europa fabriziert ein ungutes Gefühl. Es macht auf Großmacht und sieht dem Faschismus zu, wie er zurückkehrt in die Weltanschauung des verrohenden homo europaeus. Es bedient sich einer Ökonomie, die spaltet und entsolidarisiert und die die Grundlage für Hass und Wut sät. Nein, dieses Gefühl, dass es so nicht weitergehen wird und kann, ist auch dann nicht weg. Es bleibt. Die fatalistische Grundhaltung bleibt. Der Druck bleibt. Die Einsicht, dass es kracht bleibt. Und es bleibt die Gewissheit, dass es Unschuldige trifft, es bei denen kracht, die nichts dafür können. Auch nach friedlicher Verrichtung dieser Krise werde ich mir weiterhin keine Sorgen um meine Rente machen. Bis dahin kann noch so viel geschehen.


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