Weihnachtsgeschichte, chemisch gereinigt

Mittwoch, 23. Dezember 2015

»Meister, da steht ein Mann mit einem Esel und einer Frau auf dessen Rücken, vor der Türe. Sie bitten um Einlass.«
   »Was sind das für Leute? Woher kommen Sie? Und sag mir, Schmul, wie sehen sie aus?«
   Schmul überlegte kurz und betrachtete dabei seinen Herrn. Sein unförmiger Körper lag auf dem Bett und bewegte sich kaum.
   »Es ist ein Galiläer mit seinem Weib. Meister, sie sehen aus, wie Menschen aussehen, wenn sie lange unterwegs sind.«
   »Ein galiläischer Eseltreiber also. Was klopft der an unsere Türe? Haben wir was zu verschenken? Ich kenne dieses Pack. Will Obdach für die Nacht und hat kein Geld dafür. Am Ende muss man froh sein, wenn sie nicht die Waschschüssel gestohlen haben.«
   Beide schwiegen.
   »Nun geh und frag den Mann, ob er schon Arbeit in unserem Land in Aussicht hat.«

Nachdem sich Schmul entfernt hatte, rappelte sich der alte Henoch auf. Ausgerechnet jetzt, nach diesem füllenden Mahl musste es zu Kompliziertheiten kommen. Mussten die Leute ihre Not immer dann feilbieten, wenn er zu voll war, um selbst handeln zu können? Erst gestern hatte er noch mit dem Kaufmann an der Ecke über die Menschen aus Galiläa und Samaria gesprochen, die jetzt nach Judäa kämen. Eigentlich sollten patriotische Bürger gegen diese Überfremdung eine Liga gründen, meinte der Mann. Henoch fand die Idee gar nicht so schlecht.

»Meister, Meister«, rief Schmul, »das Weib ist schwanger; ich habe es gesehen, sie trägt eine dicke Kugel vor sich her.«
   »Kann der Mann für sie aufkommen? Hat er Arbeit?«
   »Nein, er will auch nicht ewig bleiben, hat er gesagt. Wenn die Volkszählung vorbei ist, möchte er wieder zurück gehen nach Galiläa.«
   »Schon klar, das sagen die alle. Und am Ende sitzen sie um den Tempel herum und betteln für sich und ihre acht oder zehn Kinder. Wenn sie mal so fleißig wären eine Stelle zu finden, wie sie es in den Kissen sind!«
   Schmul schwieg einen Augenblick.
   »Aber Meister, wir können diese Leute doch nicht wegschicken«, sagte er schließlich. »Ein Zimmer haben wir doch noch frei. Wieso weisen wir es ihnen nicht zu?«
   »Können sie bezahlen? Ich nehme an, dass sie es nicht können. Sie wollen nur haben, können aber nichts geben.«
   »Ich weiß es nicht genau, Meister. Ich habe sie nicht gefragt. Soll ich sie fragen?«
   »Ja, Schmul, lauf zu ihnen und frag sie. Und ich bitte dich, verschließe die Türe, wenn du wieder zurückkommst zu mir. Ich möchte nicht, dass etwas wegkommt.«

Hennoch wartete bis Schmul aus dem Zimmer war und furzte laut. Er hatte viel über die Galiläer gelesen. Sie waren arm, sehr ländlich. Man erzählte sich, dass sie wenig arbeiteten und keinen Respekt vor dem Gesetz hätten. Ihre Frauen waren meist noch jünger als die, die man in Jerusalem in die Ehe schickte. Sittenlos soll es dort im Norden zugehen. Sicher, die Pläne der Römer, jeden in den Ort seiner familiären Herkunft zu schicken, waren nicht richtig. Sie brachten Unheil über das Land. Und Unruhe. Rissen Familien auseinander. Aber man hörte auch von Personen, die diese Reise nicht antreten mussten, weil sie sich mit den Römern gut stellten und als wichtige Personen des Handels anerkannt wurden, auf die man nahe von römischen Garnisionen nicht verzichten wollte. Konnte Hennoch etwas dafür, wenn dieser Eseltreiber mit seiner schwangeren Dirne den Römern nicht wichtig genug war?

»Meister, die volle Summe könnten sie nicht bezahlen«, unterbrach Schmul seine Gedanken.
   »Habe ich was zu verschenken, Schmul? Sag es mir. Habe ich was zu verschenken?«
   »Aber Sie verschenken doch nichts. Die Leute bezahlen doch etwas. Alles was sie haben. Sie haben ja nur nicht so viel.«
   »Schmul, du bist ein guter Mann, aber ein bisschen naiv. Geh und frag den Kerl, warum er mit den Römern nicht nicht gut genug stand, um in seiner Heimat bleiben zu dürfen.«
   »Aber Meister, was ändert das jetzt noch?«
   »Es gibt mir ein Bild seines Charakters. Vielleicht ist er ein grober Klotz, vielleicht hat er etwas verbrochen. Hast du denn nie gehört, wie es in Galiläa zugeht, Schmul?«
   »Ach, die Leute reden viel und sagen wenig. Der Mann sieht aus wie ein Judäer. Reicht Ihnen das nicht?«
   »Frag ihn und wenn die Antwort nicht zu negativ ist, werden wir sehen, was wir machen können.«

Letzte Woche im Tempel hatte ein Händler erzählt, dass er zwei Galiläer erwischt hätte, wie sie ihm ein Huhn gestohlen haben. Das fiel Hennoch jetzt wieder ein. Er stellte sie mit einer Axt in der Hand zur Rede. Die Männer lamentierten. Sie seien Flüchtlinge und hungrig. In ihrer Heimat waren sie Fischer und nun hätten sie nichts mehr. Der Händler sagte, er habe auch bald nichts mehr, wenn jeder faule Galiläer meine, er könne Hühner stehlen gehen. Er wurde wütend und drohte den beiden mit der Axt. Da schubsten sie ihn zu Boden und einer trat ihn in die Rippen. Das Huhn nahmen sie natürlich mit. Kriminelle, dachte sich Hennoch. Der ganze Abschaum kommt zu uns. Die anständigen Leute bleiben wo sie sind. Er hörte laute Stimmen. Sicherlich sind diese Galiläer jetzt frech geworden, glaubte er.

»Draußen sind noch weitere Leute aufgetaucht, Meister. Ein Mann und eine Frau. Er ist stark angetrunken und sie schimpft laut mit ihm.«
   »Kommen die Fremden jetzt schon betrunken an unsere Türe?«
   »So fremd sind die Leute nicht, Meister. Es sind Judäer aus Emmaus. Sie waren auf einer Hochzeit und bitten nun um eine Unterkunft.«
   »Gib ihnen das freie Zimmer.«
   »Der Mann ist betrunken. Die Frau ist rüpelhaft. Wollen Sie das wirklich? Das verspricht eine durchwachte Nacht zu werden.«
   »Ich werde ohnehin keinen Schlaf finden«, sagte Hennoch und konnte sich den nächsten Furz nicht verkneifen.
   »Und was sage ich dem Galiläer und seinem Weib? Ich habe ihnen Hoffnungen gemacht. Und vielleicht kommt die Frau heute noch nieder.«
   »Ich will diese stinkende Pack nicht im Haus haben. Und kein Kindergeschrei. Sag ihnen, dass es im Leben eben so zugehe. Man hat Hoffnungen und wird enttäuscht. Pech gehabt. Willkommen in Judäa!«

Schmul entfernte sich, hörte Hennoch nochmals hinter sich furzen und verzog sein Gesicht. Alleine von dem, was er heute von seines Meisters Abendmahl weggeworfen hat, könnte man zwei Flüchtlingsfamilien sättigen. An der Türe angelangt, ließ er den Besoffenen und seine Xanthippe hinein. Dem Galiläer überbrachte er die schlechte Nachricht, bot aber den Stall seines Onkels einige Häuser weiter an. Dorthin gingen sie dann auch und die Frau brachte einen Sohn zur Welt. Der Säugling plärrte wie es ein gesundes Kind tut und Hennoch lag wach in seiner Kammer und lauschte dem Geschrei und wurde grimmig. Wenn das mal nicht das Kind der Flüchtlingshure ist, dachte er sich. Wir Judäer sterben schneller aus, als wir schauen können. Wenigstens hat der Kerl sein Weib mitgebracht. Wieviele werden noch kommen, die keines im Gepäck haben? Und die besteigen dann unsere Frauen. Wir sind am Ende, sagte er laut ins Dunkle hinein und ließ einen fahren. Dann war es stille Nacht.

Diese kurze Geschichte wurde bereits vor einem Jahr an dieser Stelle publiziert. Der Autor konnte damals nicht ahnen, dass sie ein Jahr später mehr Aktualität bergen würde, als noch ihm Erscheinungsjahr.

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Ohne Zukunft

Dienstag, 22. Dezember 2015

Wieder ist ein Jahr vorbei. Privat war es für mich ein schwieriges Jahr - mit ausgesprochen gutem Ende. »You're riding high in April / Shot down in May / But I know I'm gonna change that tune / When I'm back on top, back on top in June.« So ist das Leben. Doch mir schwant Böses, wenn ich auf 2016 blicke. Ob wir da »back on top in June« sein werden? Schon dieses Jahr hat eine Dynamik angenommen, die uns Sorgen bereitet hat. Wir befinden uns in einer Eskalationsspirale. Die Positionen und Fronten verhärten sich. Es gleitet ab. Gibt Rückfälle in die Archaik vergangener Generationen, Anti-Aufklärung, Verschwörung als Leitansatz neuer politischer Bewegungen und Hate Speech als Einstieg in politisches Interesse. Kurzum, die Zukunft ist ungewisser denn je.

Der argentinische Autor und Journalist Martín Caparrós hat der »Zeit Literatur« neulich ein Interview gegeben. Es ging um sein neuestes Werk »Der Hunger« und das beschreibt, wie sich die Lebensrealität von Menschen aus Gesellschaften, die den täglichen Kampf gegen den leeren Magen als Normalität verstehen, gestaltet. In diesem Interview sagt Caparrós unter anderem: »... die Konturen der kommenden Geschichte und Weltgesellschaft sind noch unklar. Wir leben auf der Schwelle und sich auf der Suche nach einer Zukunft. Wir leben in einer Zeit ohne Zukunft. Und wir fragen uns irritiert, was eine Gegenwart ohne Zukünfte ist.«

Stimmt das? Nun, ich persönlich pflichte ihm bei. Wir sind in ein Szenario geschlittert, in dem die Optionen allesamt nicht sehr attraktiv scheinen. Das westliche Jahrtausend neigt sich dem Ende zu. Aber die westliche Omnipräsenz und Weltarroganz zappelt noch. Das ist nicht das Ende des Kapitalismus, wie das Optimisten meinen. Aber der Westen hat kein Recht auf unantastbaren Bestand mehr. Er erntet nun, was er gesät hat. Muss Menschen auffangen, die flüchten, weil sie Opfer westlicher Konzernpolitik sind, Opfer des industriestaatlich forcierten Klimawandels, Opfer europäischer Subventionspolitik. Muss Terror hinnehmen, weil der Widerstand gegen westliche Platzhirschpolitik anschwillt und man nicht mehr still hinnimmt und nur in eigenen Gefilden Guerillataktiken anwendet, sondern die entzündete Gewalt auch in die Metropolen der Unterdrücker trägt.

Das alles geschieht und es geht weiter wie eh und je. Noch mehr Bomben, noch mehr tote Zivilisten. Was für eine Zukunft gibt das? Klar, alles hat Zukunft. Selbst der Apfel in der Schale, den keiner anlangt. Er wird runzelig, bräunlich, dann braun, bis er ganz weich und glitschig wird und einen grauen Pelz bekommt. Auch das Weitermachen wie bisher hat eine Zukunft. Aber es ist keine menschenfreundliche, keine lebenswerte Zukunft. Wir enden in Polizeistaaten, geben Bürgerrechte preis, bewahren uns unsere »Art zu leben« weiter, indem wir unterdrücken und Widerstand in den Ländern, die wir schröpfen, weiter als Auswuchs krimineller Banden oder ideologischer Verbohrtheit wahrnehmen, statt zu überdenken, ob das nicht Rebellion gegen uns Wohlständige am anderen Ende der Welt ist. Der Islam ist für diese radikalisierten Widerständigen nur der Überbau. Wie Religionen immer Überbau für Konflikte waren.

So gehen wir ins neue Jahr. Ohne Zukunft. Man betrügt uns und die Menschen in der Dritten Welt um eine, sagt uns aber das Gegenteil. Meine Zukunft heißt weiterschreiben. Solange es geht. Beim ersten Terrorakt auf deutschen Boden kommt der Ausnahmezustand. Sie werden ihn verlängern und künstlich nähren. Dann kommen sie in die Wohnungen von Terrorverdächtigen. Sie werden ohne richterlichen Beschluss eindringen. Zur unmöglichen Zeit. Brutal anrücken, Handgelenke verdrehen, Schultern auskugeln und Sachen beschädigen. Und wenn dann einer querdenkt, nicht den üblichen Verurteilungs- und Betroffenheitssermon absondert, sondern so wie ich anklingen lässt, dass es hausgemacht ist, nachvollziehbar, wenngleich natürlich nicht lobenswert, dann werden sie auch so einen besuchen. Mich auf den Boden drücken, meinen Laptop an sich reißen, Schränke durchwühlen und mich mundtot machen und behaupten, dass ich nicht nur ein »Terroristenversteher« war, sondern ein geistiger Brandstifter.

Sie haben Angst, weil sie ihre nett geplante Zukunft nie endender Ausbeutung in Gefahr sehen. So reagieren Systeme, die sich überlebt haben. Was nicht automatisch heißt, dass das was danach kommt, irgendwie besser wird. Die Hatespeaker freuen sich schon auf ihre Zukunft. Wenn ihr also nichts mehr lest von mir, dann wisst ihr was geschehen ist ... frohes Fest!

Lieber Leser, wenn Du magst, so darfst Du ad sinistram (auch weiterhin) unterstützen. Entweder per Paypal (siehe rechte Seitenleiste) oder über den gewöhnlichen Bankweg. Schreib mich einfach an, ich werde den Datenschutz flöten gehen lassen und Dir meine Kontodaten ungeniert mitteilen. Und falls Du magst, gibt es auch noch zwei Bücher von mir. Noch sind es zwei Bücher. Mehr demnächst in 2016. Für die bereits angedachten Zuwendungen bedanke ich mich recht herzlich.

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... wenn man trotzdem lacht

Montag, 21. Dezember 2015

»Zwei Dinge sind unendlich: Das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir nicht ganz sicher.«

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Leben in vollen Zügen

Freitag, 18. Dezember 2015

Schon wieder früh aufstehen; schon wieder dringlich zum Bahnhof. Ein Regionalexpress wartet dort auf mich. Die Linie 11 oder 21 der Straßenbahn führt mich hin. Einsteigen, sich hineindrängen, einen Stehplatz ergattern und verteidigen. Im Minutentakt rollen sie an, verladen uns Menschen, karren uns zum nächsten Punkt, der überregionale Mobilität garantiert. Der Express harrt dort seiner Dinge. Wenn er nicht zu spät ist. Falls doch, eine Regionalbahn folgt sogleich. Wenn die nicht zu spät ist. Der Express ist es aber nicht. Pünktlichkeit kann vorkommen. Ich betrete den Bahnhof von der einen Seite und zeitgleich rollt von der anderen Seite der Zug ein. Auf Bahnsteig 11. Wie gehabt. Die Bremsen pfeifen, die Türen poltern auf und Menschen aus der Provinz ergießen sich in die Adern der Metropole. Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Seelen. Sie umklammern Kaffeebecher. Mobiltelefone. Zeitungen. Im Zug gibt es wenigstens Sitzplätze. Nicht viele kehren der Metropole am Morgen den Rücken zu. Erst nachmittags und abends tun sie dies. Ich tue es dem entgegen.

Der Express rollt. Wackelt. Erzeugt Übelkeit. Er hält nur an wenigen Bahnhöfen, füllt sich jedoch wie ein Magen am Buffet. Andere Züge kommen entgegen. Die Verladung des Humankapitals ist noch nicht abgeschlossen. Sie geschieht in vollen Zügen. Die Großstadt giert nach ihnen, will sie verschlingen und in ihren Schluchten begraben. Will sie aus dem Regionalzug in S-Bahnen, U-Bahnen und Straßenbahnen pferchen, sie ihren Sklavenhaltern vor die Türe bringen. Und wenn sie fertig sind, wenn sie Erholungsphasen brauchen, folgen sie dem morgendlichen Ablauf rückwärts. Ich auch. Erst Regionalbahn, dann Straßenbahn oder S-Bahn und im Anschluss vielleicht noch ein Bus. Überall ist es so eng wie in dem Beförderungsmittel vorher. Gesichter starren einen an. Einer stinkt nach Schweiß. Ein anderer nach Scheiße. Man hat die Wahl. Hinteres oder vorderes Ende der Haltestange? Nahe bei ihm oder nahe bei jenem? Und dann rammt dir eine Frau ihr Fahrrad in die Wade und schielt dich an. Alle haben schließlich ein Ziel, wollen weiter, streben an einen Platz. Sogar Fahrräder mögen mobil sein.

Dann bin ich zurück, sperre die Türe auf und mir fällt ein: Ich will noch hinaus, muss was einkaufen, will flanieren am Fluss. Was spricht gegen ein Bier? Also zurück in die Hosenbeine, runter zur Straßenbahn, die schon freudig bei meinem Anblick bimmelt und eine Station weiter zur S-Bahn. Die bimmelt nicht, freut sich nicht, nimmt mich trotzdem mit. Mürrisch, aber pflichtbewusst. Drei Stationen, dann Ausstieg, ein Stockwerk hinab, die nächste U-Bahn, Linie U6 nach Norden. Sie kennt das Ende der Reise. Aber wenn es regnet, dann lege ich keinen Fußmarsch bis zum Endziel hin, dann steige ich in den Bus, wälze mich durch nasse Leiber und warte, stehe, hoffe auf baldige Ankunft.

Morgen dasselbe erneut. Immer und immer wieder. Dann wird die Straßenbahn spät dran sein, werde ich in den Bahnhof preschen und mich durch Menschen drücken, die eiligen Schrittes in ihr Lohnverhältnis peitschen. Einer mit Schlips strebt auf mich zu, er hat keine Augen für mich, mir steht er im Wege. Wir rempeln uns an. Ich benutze dazu den Ellenbogen. Arschloch. Alle sind wir aufgestachelt, wollen nicht aufgehalten werden, unseren Verpflichtungen nachgehen. Wer uns behindert, wird zu unserem Feind. Die Masse aus der Provinz ist schon da, kommt auf mich zu wie eine Springwelle. Ich werde gewinnen, meine Statur ist mir behilflich. Die Dicken sind die Fitten, sie haben evolutionäre Vorteile beim Pendeln.

Wir warten alle viel in vollen Zügen. Jeden Tag. An manchen Tagen so viel, dass es für zwei Tage reicht. Was da an Zeit erdrosselt wird. Pendeln hin, pendeln her. Unsere Art zu leben. Für sie ziehen wir in Kriege, beuten wir aus, bringen um. Ach, Mobilität, du Zeitenlauf. Und irgendwann werden sie uns fragen: »Na, habt ihr euer Leben genossen?« Und wir werden sie anlächeln und sagen: »Ja, in vollen Zügen.«

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Thorsten, Xavier und die rechten Leute von links

Donnerstag, 17. Dezember 2015

Dieses Deutschland gibt es eigentlich gar nicht. Sagen die Reichsdeutschen. Sie führen sich damit als »nicht staatstragend« auf. Die Linken mögen das Staatstragende gemeinhin auch nicht. Dieser gemeinsame Aspekt macht Linke anfällig fürs Rechte.

Kürzlich habe ich jemanden kennengelernt. Er heißt Thorsten, ist über Fünfzig und er wirkte sofort sympathisch. Es scheint, er ist ein Gute-Laune-Mensch selbst dann, wenn es keinen Grund dafür gibt. Wir fanden so ein bisschen ins Gespräch. Manchmal bestätigen sich Klischees, dachte ich mir nach einer Weile. Langer Bart und Pferdeschwanz waren also doch ein Beleg dafür, dass da eher »was Linkes« in ihm schlummerte. Wir philosophierten über Flüchtlingspolitik und darüber, wie der Westen durch seine globale Agenda nun mit Terror und Asylsuchenden konfrontiert würde. Er sagte, das sei die Saat, die wir selbst in den Boden gelegt hätten. Schlimm fand er außerdem die Hetze gegen Flüchtlinge und Ausländer ganz generell. Er habe nie Probleme mit Menschen aus anderen Ländern gehabt. Ich fand Thorsten angenehm. Für jemanden von hier, von der Bergstraße, in der der rechte Wahn quasi traditionell steppt (man denke nur an Weinheim, die NPD-Hochburg), hatte er absolut progressive und liberale Ansichten. An dieser Stelle hätten wir das Gespräch beenden sollen. Haben wir aber nicht. Er schob nach: »Die Flüchtlinge haben wir den Amis zu verdanken, sie wollen uns schwächen.« Und dann empfahl er mir eine Website.

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Der Griff nach der Weltherrschaft für Dummies

Mittwoch, 16. Dezember 2015

Mark Smith behauptet in seinem Buch »Boko Haram«, dass die Zustände in Nordnigeria einer Zeitbombe gleichkommen. Armut und Unbildung seien die Skills, die einen zu einem Kämpfer für diese Rotten werden lassen. Der Islam spiele dabei eher eine untergeordnete Rolle. Er nennt Boko Haram eine Rebellion gegen eine Politik, die Armut fabriziere. Weitestgehend dürfte diese Einschätzung auch für die Anhänger des IS-Kalifats gelten. Wenn man nichts hat und verbittert, wenn einem Schulbildung fehlt und Perspektiven fehlen, dann sind die einfachen Parolen und die Macht, die aus Heckler & Koch-Gewehren schmaucht, durchaus eine Option seinem Leben eine gewisse Stringenz zu verpassen. Hass ist ein Ventil und Religion kann der Überbau dazu sein. Wenn wir uns mal ansehen, was im waffenfreieren Raum Europa an Hass aufdampft, wenn man die Kommentare in Netzwerken liest, die so von kruder Konklusion und haarsträubender Rechtschreibung strotzen, dann weiß man: Da tobt sich die Unbildung aus. Und Armut dürfte bei vielen auch mitspielen.

Es ist natürlich eine völlig andere Armut als in Nordnigeria. Armut ist relativ und definiert sich am jeweiligen volkswirtschaftlichen Rahmen. Auch die Unbildung ist eine andere. In Nordnigeria gehen Kinder teils gar nicht zur Schule. Hierzulande, in Europa generell, natürlich schon. Das Niveau der Lerninhalte hat jedoch (wenigstens in Deutschland) massiv abgenommen. Bildung wurde über Jahre als Vorausbildung interpretiert. Fielen zu viele bei den Abschlüssen durch, setzte man die Ansprüche nach unten, um die Abschlussraten im akzeptablen Bereich zu halten. Was man nicht oder doch nur sehr selten machte, das war kostenfreie Nachhilfskonzepte anzubieten. Man senkte das Niveau und erhöhte nicht den Einsatz zur Niveauhaltung. Mit niedrigerer Qualität konnte man ja immer noch blendend »Bild« und RTL verstehen.

Pegida-Leute, Boko Haram- und IS-Kämpfer stammen wohl aus demselben »bildungsfernen Milieu«. Sie haben alle den Eindruck, dass sie zu kurz gekommen sind, hassen die Fremden und sind bereit, mit Gewalt ihren begrenzten Horizont zu verteidigen. Dialektik ist halt nicht das Metier von Leuten, die es nie gelernt haben, sozio-globale Erscheinungen vollumfänglich zu erfassen und auszuwerten. Dass Dinge zwei Seiten haben können, weisen sie ab, denn die eine Sicht auf die Dinge ist schon komplex genug. Keine dieser Gestalten möchte sich verwirren lassen. Weltbilder sind gefestigt. Falsch, durcheinander und von Aberglauben und Verschwörung durchsetzt, aber nicht zu ändern. Der Hass erlaubt keine argumentative Konfrontation. Alles was Gegenargument ist, wird als Propaganda der anderen Seite deklariert. Das ist die interkulturelle Ebene dieser Hassbewegungen.

Sie verstricken sind in ihren jeweiligen Kulturkreisen in Widersprüchlichkeiten. Mike Smith berichtet, wie der vormalige Kopf von Boko Haram nach seiner Festnahme Rede und Antwort stand und über den westlichen Lebensentwurf herzog, eine Rückkehr zu rein islamischen Tradition forderte. Einer der Polizisten sagte, dass er aber eine Jeans trage, ein Kleidungsstück des Westens also. Seine Antwort war exemplarisch: Die Hose sei aus Stoff und Stoffe kommen von Gott. Dieser Tage kursiert ein Foto eines fetten Neonazis der NPD Trier im Internet. Der Mann sitzt in einem Döner-Laden und stopft sich voll. Man bewegt sich bei den Bewegungen der Ungebildeten rund um den Globus eben im multikulturellen Bereich, den man zwar betritt und von dem man profitiert, den man aber gleichzeitig kategorisch ablehnt.

Was wir erleben ist der Griff nach der Macht der Dummies. Salopp formuliert. Natürlich ist diese »Analyse« nicht korrekt, weil sie verknappt und eindampft und nicht alles mit Dummheit zu erklären ist. Viele gebildete Menschen machen beim Hate Speech ja mit. Bei Pegida und AfD sind Leute mit hohen Abschlüssen. Und bei Boko Haram und im Islamischen Staat agieren auch Leute mit (ursprünglich) gesellschaftlich hohem Ansehen. Darüber wird zu schreiben sein. Mehr dazu an dieser Stelle im neuen Jahr. Aber die Knappen und das Fußvolk rekrutieren sich aus dem Pool der Unbildung, aus Personen, die nicht die intelligibelen Kapazitäten entwickelt haben, um die Einseitigkeiten des jeweiligen Weltanschauungsgebäudes, in dem sie sich eingerichtet haben, zu inspizieren.

Man hat es überall auf der Erde zugelassen, ein Heer ungebildeter und verdummter Figuren entstehen zu lassen. In Europa waren wir auf einem guten Weg. Den haben wir verlassen. In Afrika haben regionale Machteliten und westliche Konzerne die Bevölkerung kleingehalten und deren ohnehin vorhandenes Elend noch vergrößert. Nicht anders sieht es in den ehemaligen und noch aktuellen Kriegsgebieten im Nahen Osten aus. Und wenn man mal betrachtet, wer als Fußvolk beim Tea Party Movement in den Vereinigten Staaten neben den Schlachtrössern marschieren, dann ahnt man, dass auch dort Mangelbildung ihre Früchte trägt.

Tatsächlich ist es nun ein intellektuelles Projekt, diese Rotten zu bekämpfen. Man braucht Perspektiven für alle von ihnen. Armutsbekämpfung. Und es reicht eben nicht, wenn man diesseits in Schulen nur Fächer lernt, die man im Beruf braucht und jenseits nur etwas aus dem Koran beigebracht bekommt. Wir brauchen Bildungsuniversalismus. Was geschieht, wenn es bei Unwissenheit bleibt, sieht man momentan an allen Ecken und Enden dieser Welt. Die Dummen greifen nach der Macht.

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Zu Ohren gekommen

Dienstag, 15. Dezember 2015

Sie nennen es nicht »Krieg«. Das ist wohlbekannt. Sie nannten den Einsatz in Afghanistan auch nicht so. Erst ganz spät, als allen klar war, dass die Bundeswehr dort mordete, Zivilisten und Soldaten starben, da hat man zögerlich damit angefangen, die Ereignisse beim Namen zu nennen. Da wusste alle Welt aber schon, dass es ein Krieg war und die ministerialen Feldherrn der Regierung kamen wieder mal zu spät. Wielange es diesmal dauert, bis sie das K-Wort in den Mund nehmen, weiß man nicht. Natürlich umschiffen sie es. Denn mit Worten beginnt die Realität und was nicht gesagt wird, wird nicht bewusst. Man kann Worte verdrängen, um die unbequeme Wahrheit eine Weile zu verdrängen.

Sie nennen es »Auslandseinsatz der Bundeswehr«. Das klingt neutraler, da ist für jeden Empfänger des Begriffs was dabei. Ein Auslandseinsatz kann ja alles sein. Auch Monteure gehen ja hin und wieder in den Auslandseinsatz. Und der zielt nicht auf Menschen, sondern handwerkt an Schrauben und Muttern herum. Auch an das mag man denken, wenn man davon hört. Bei diesem Einsatz im Ausland fallen jedoch Bomben auf Dächer. Sie zertrümmern Balken von Häusern und bringen Gebäude zum Einsturz. Trümmer bohren sich in Waden und Schenkel, spitze Metallstreben in den Bauch, Messer und Blechgeschirr werden zu Geschossen und stecken in Schädeln. Das vermutet man hinter Auslandseinsätzen nicht sofort. Die Bewohner solcher Häuser denken sich im letzten Reflex, dass es dem IS-Mörder, der drei Häuser weiter zu Tisch sitzt, ganz recht geschieht. Sie sind blöderweise die Kollteralschaden – auch so ein Wort, das ausblendet. Und das dummerweise an einem Ort, den die Alliierten als »IS-Stellung« enttarnt haben und an dem die Kollateralschäden immer lebten.

»IS-Stellung« ist ein weiteres dieser Worte. So eine Stellung kann alles sein. Im Regelfall denken wir an eine Zeltstadt, in der nur böse Männer leben und das Schießen und Morden lernen. Aber so eine Stellung kann eben auch alles andere sein. Eben einige Zelte, ein Höhlensystem, ein Dorf, in dem sich IS-Kämpfer gelegentlich sammeln, ein Gemeindehaus in einem Stadtteil, das von diesen Männern als Treffpunkt oder Lager verwendet wird. In fast jeder möglichen dieser Stellungsmodelle gibt es Zivilisten. Menschen, die gar nichts mit diesen Brigaden zu tun haben. Die sich fürchten und die Nähe zu diesen Mördern lieber meiden wollten. Nur daran denken wir nicht, wenn wir von einer IS-Stellung hören. Wir denken ja an ein Fleckchen Erde, auf dem nur diese miesen Typen darben.

Krieg, der keiner ist. Krieg, der Auslandseinsatz ist. Krieg, der Stellungen ausradiert. Ich hätte diesen Text auch mit »Es geht wieder los« überschreiben können. So läuft er unter der Kategorie, die sich mit Wortkonstrukten im Alltag befasst. »Es geht wieder los« deswegen, weil wir das alles schon hatten. Als dieses Weblog zur Welt kam, steckten wir noch in Afghanistan fest und Kollegen und ich strampelten uns ab an der feinen Rhetorik der Kriegsherren. Jetzt geht es wieder los. Sie machen wieder die Sprache zu ihrem Kriegsgerät. Im Krieg ist die Sprache immer das erste Opfer. Um die Wahrheit niederzumähen. Aber keiner mäht freilich nieder. »Gefechte« nennt man das in der Kriegssprache. Aber keiner ficht mehr mit der Klinge, so wie es im Wort steckt. Man hält rein in die Menge und trifft, was immer in der Schusslinie steht. Frauen, Alte, Kinder – Kollateralschäden wie gesagt. Bei Gefechten. In Stellungen. Beim Auslandseinsatz. Ohne Krieg. Es geht wieder los.

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Der Antifaschismus, der bloß einer ist, weil er seine Ruhe will

Montag, 14. Dezember 2015

Das Hannoveraner Hotel, das der Alternative für Deutschland neulich die Zimmer stornierte, erhielt Anerkennung und Likes. Ist ja auch nachvollziehbar, denn das Hotel hat damit einer Veranstaltung dieses rechtspopulistischen Vereins in seinem Räumlichkeiten einen Strich durch die Rechnung gemacht. Einige Tage später las man, dass die AfD gar nicht das Geld hat, um Rechnungen zu begleichen. Glück gehabt, wieder einen Zechpreller vereitelt! Aber um bei der Sache zu bleiben: Anerkennung und Likes muss es für Zivilcourage schon geben. Sie kommt doch so selten vor. Und es ist wahrlich eine gute Entscheidung der Hotelführung gewesen. Trotzdem darf man das Handeln von Unternehmen nicht überhöhen. Es ist mitnichten »antifaschistisches Gedankengut«, das sie zu solchen Entscheidungen treibt. Die Gründe sind doch oft viel profaner. Moral erlaubt der Markt ja auch gar nicht, denn cancelt ein Hotel die Zimmer, stehen schon drei andere in der Warteschleife, die gerne solche Funktionäre bewirten.

Zivilcourage alleine ist das nicht. Man hat als Unternehmen gerne seine Ruhe. Droht aber ein Medienhype, ein Shitstorm, die öffentliche Ächtung und die Ablehnung in Wort und Schrift, muss man den Webmaster Überstunden machen lassen mit Entkräftungen oder die Website und den Facebook-Auftritt gleich temporär unerreichbar machen. Und das ist dann schlechte Presse, ein eklatanter Imageschaden. Man kann mit Zimmer für Petry und Kollegen Geld verdienen. Aber es ist eine kurze Einnahmequelle, die sich vielleicht nach dem Parteiereignis negativ ausschlägt. Möglich, dass das Hotel dann gemieden wird, weniger Buchungen erfolgen. Dann lieber unliebsame Gäste vor die Tür setzen und mit einiger Sicherheit wissen, dass es weitere Gäste gibt. Nebenher erzeugt das positive Schlagzeilen und mancher wird das Hotel wohl aufsuchen wollen, wenn er in Hannover ist. Dorthin kommen ja nicht viele. Aber ein moralisches Hotel ist doch eine feine Sache. Greengewasht und moralingestärkt. Damit hat man ein Alleinstellungsmerkmal.

Man darf dem Hotel nicht Kalkül unterstellen. Es klang in den Zeilen zuvor sicher ein wenig so, aber ich möchte das eigentlich nicht. Nur weiß ich eben auch, wie man sich auf dem Markt positionieren muss, wenn man überleben will. Man wägt Entscheidungen eben ab. Und in politischen Zeiten kann man nicht mehr unpolitisch dienstleisten. Man will aber auch nicht zu politisch sein, denn es geht um Geld und nicht um Anschauungen. Mit letzterem begleicht man seine Ausstände nicht und Personal hätte auch lieber Bares als Wahres. Wir haben alle unsere Sachzwänge auf der Sollseite unserer Girokonten. Natürlich kann man ein moralischer Unternehmer sein. Aber jede Entscheidung lebt nicht von der Moral alleine. Sie hat andere Seiten, die man mit in die Kalkulation aufnehmen muss. Zivilcourage ist ein Faktor, der sich nebenbei auch noch in gute Presse wandeln lässt. Aber es gibt noch andere Faktoren und die sind auch Motivation für eine Entscheidung.

Es gibt ohne Zweifel in Deutschland einen »Antifaschismus«, der nur einer ist, weil er seine Ruhe haben will. Wenn der Shitstorm entbrennt, weil ein Moderator im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein braunes Hemd trägt und man darin ein Bekenntnis zum braunen Mob wittert, die Sendeanstalt sich daraufhin in aller Form entschuldigt und verspricht, sie würde auf die Klamottenwahl ihrer Angestellten künftig besser achten, dann ist das keine beseelte Zivilcourage gegen rechte Umtriebe, sondern gelinge gesagt nur Feigheit und Heuchelei. Man handelt so, weil man Ruhe im Laden haben will, schlechte Presse vermeiden muss, um weiterhin interessant für Werbekunden zu bleiben. Würde ein Shitstorm länger anhalten und den Sender in Misskredit bringen, dann könnten bald schon Werbekunden abspringen. Die wissen zwar auch, dass an den Vorwürfen nichts Essentielles dran wäre, aber darum geht es nicht. Man würde ihnen nämlich unterstellen, dass sie mit einem Sender kooperieren, der ja bekanntermaßen rechtslastig ist. Und weil man schlechte Presse vermeiden und Ruhe haben möchte, legte man eine Zusammenarbeit zunächst mal auf Eis.

Das ist vereinfacht gesagt die Grundlage des Antifaschismus, wie wir ihn heute kennen. Es geht um Ansehen. Nicht um Anschauung. Man mag die Stille, in der man Geschäfte betreibt, um Geld zu scheffeln, um Produkte unter die Leute zu bringen. Wenn die Leute missmutig werden, dann muss man ihnen entgegenkommen und sie besänftigen. Dann sagt man »Sorry für das braune Hemd, guckt weiter unsere Sendungen mit Werbeblöcken« und hofft das Beste. Man darf gespannt sein, ob Lindt standhaft bleibt gegen den total verblödeten Mob, der dem Unternehmen unterstellt, einen Islam-Adventskalender ins Sortiment aufgenommen zu haben. Ausgeschlossen erscheint es nicht, dass man einlenkt, um weiter als Marke interessant zu bleiben.

Wer am Markt steht und unter Wachstumsdruck agiert, der kann sich mutige Zivilcourage gar nicht leisten. Der muss fast schon zwangsläufig auf Feigheit setzen. Manche mutige Tat, wie das Stornieren von Hotelzimmern, ist letztlich nicht so arg mutig. Es ist die Konsequenz aus Abwägungen und eine persönlich getroffene Marktanalyse, die einem in Aussicht stellte, dass das Geschäft schleppender geht, wenn man die Bande ins Haus holt. Formiert sich heute ein Mob gegen »Die Linke« und droht mit Boykott des Hotels, falls dort eine Parteiveranstaltung stattfinden sollte, wird man auch da abwägen. Und »Die Linke« dürfte nicht mal sauer sein, wenn man sie wieder von der Gästeliste streicht. Sie weiß nämlich, dass Markt und Moral nicht zusammengehen. Es geht immer nur ums Geschäft.

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Aufstieg in die deutsche Schicksalsgemeinschaft

Freitag, 11. Dezember 2015

In der Straßenbahn hört man viele Geschichten. Und viele Ansichten. Ich belauschte neulich eine alte Spanierin, die mit einer jungen Spanierin schwatzte. Sie seien früher anständig gewesen, als sie nach Deutschland kamen, hätten sich angepasst. Die Flüchtlinge, die sie »bichos« nannte, was in etwa »Vieh« oder aber »kleine Plagen« heißt, hätten davon keine Ahnung. Es ende in einer Katastrophe, wenn man so viele »bichos« ins Land lasse. Dann war da noch eine Frau, die gebrochen Deutsch sprach. Die Straßenbahn bremste scharf, jemand war auf die Gleise gelaufen. Zwei Fahrgäste fielen hin. Und die Frau fing zu schimpfen an. Es seien immer die ausländischen Zugführer, die so einen schlechten Fahrstil hätten. Deutsche Fahrer nicht. Die Türken seien die schlimmsten. Einige widersprachen ihr. Ein junger Kerl sagte, sie solle ihr Maul halten. Immerhin. Dann noch das: Ein Türke und einer, der wohl aus dem ehemaligen Jugoslawien war, unterhielten sich über Syrer und Araber. Schlechte Menschen, brutale Gemüter seien das. »Wolle nix Arbeit«, sagte der eine. »Wasche sich nix, Kurac«, sagte der andere.

Sie alle erinnerten mich an Stephen, den alten House Negro in Tarantinos »Django Unchaind«, der seinen weißen Herrn in rassistischer Ablehnung der Schwarzen fast noch übertraf. Dass einer seiner Herkunft ein freier Mann sein konnte, war ihm so zuwider, dass er sich radikaler als der herkömmliche Massa aufführte. Stephen ist nicht nur gut vom Drehbuchautor erfunden. So in etwa werden die schwarzen Hausangestellten historisch geschildert. Sie waren so eng an ihren Besitzern dran, dass sie plötzlich deren Sichtweisen annahmen und sich mit ihnen solidarisierten. Sie trugen feine Kleidung und hoben sich so von ihren Kollegen auf dem Feld ab, die ja immer recht ärmlich aussahen. Die Schwarzen des Hauses litten unter einem Stockholm-Syndrom. Das gab es per definitionem damals noch nicht. Aber die Symptome existierten ja bereits. Man war seinen Peinigern näher als denen, die mit einem litten. Und man verstand plötzlich die Zwänge, die ein Sklavenhalter so hatte. Man musste ja schließlich die Baumwolle einbringen, wettbewerbsfähig bleiben. Ehe man sich versah, war man voller Verständnis.

Dass Field Negros immer auch gegen die House Negros kämpfen mussten, empörte auch Malcolm X. Sie hatten sich angepasst und wollten nicht für ihre Rechte kämpfen, sondern erklärten ihre Pflichten zu ihrem Recht. Das gestaltete die Emanzipation der Schwarzen so schwierig, fand er. Analytisch betrachtet hatte er wohl recht. Die Hierarchien innerhalb einer Gruppe, die eigentlich gar keine Abstufungen kennen dürfte, weil sie ja alle im selben Boot der Ungerechtigkeit ruderten, machten die gesellschaftliche Eingliederung schwer.

Und nun haben wir scheinbar auch Ausländer im Lande, die am Stockholm-Syndrom leiden. Jahrelang waren sie die Angriffsfläche deutscher Überheblichkeit. Spanier, Osteuropäer, Türken, Jugoslawen. Über jede Gruppe wusste man Verachtenswertes zu berichten. Alle blieben sie hier und nahmen Frauen und Arbeit weg. Zurück ging ja keiner von denen. Angepasst waren sie alle nicht. »Knoblauchfresser!« »Olivenöl kommt mir nicht ins Haus!« Als nach der ersten Welle der Gastarbeiter aus Südeuropa dann die Türken kamen, adelte man die Südeuropäer etwas. Sie waren ja doch nicht ganz so schlimm wie die Muselmanen. Und als dann die Jugoslawen kamen, sagte man: »Die Türken sind wenigstens fleißig, die Jugos aber viel zu heißblütig und daher unpassend für uns. Außerdem saufen sie wie die Löcher.« Später kamen Polen, Bulgaren, Russen und man sagte: »Ach, ihr Jugoslawen, ihr Kroaten und Serben oder wie ihr euch nennt, seid ja anständige Leute. Aber die Russen ...« Und als die Araber kamen, waren einem die Osteuropäer schon wieder näher. Hackordnung. Hierarchie.

Das ist Integration in Deutschland. Man wird nicht akzeptiert, weil man Mensch ist, weil man da ist, sein Leben hier bestreitet. Man rückt erst ins Akzeptable auf, wenn es jemanden gibt, der noch weniger akzeptabel erscheint. Es ist wie eine Diät, die einem Dicken, der kein Gramm abgenommen hat, neben einen noch Dickeren stellt und ihn dann für seine Disziplin lobt. Man braucht immer noch einen fetteren Fettsack, um schlanker zu wirken. Und so wird man zu jemanden, wenn jemand anderes in die Rolle als Nichts aufrückt. Dann fraternisiert man sich mit dem jetzt akzeptablen Fremden und mobbt die neuen Fremden, bis auch sie von jemanden abgelöst werden, den man als noch fremder einstuft. Das ist ja Aspekt des deutschen Wesens. Man definiert sich selbst immer über andere. »Geht es mir besser als dem Nachbarn? Eigentlich geht es mir ja schlecht, aber dem Nachbarn noch schlechter, also geht es mir wieder gut.« Deutscher Patriotismus war ja auch nie die Besinnung auf spezifische Eigenarten, sondern die Ablehnung und Abgrenzung von allen fremden Einflüssen, von den welschen Schlichen, die nur darauf warteten, das Deutsche zu unterminieren. So läuft Hierarchiebildung hierzulande. Man steigt nicht durch Kompetenz oder Respekt auf, sondern weil man andere für noch kompetenzloser hält und sie damit respektloser behandeln kann als die »Vorgänger«.

Und das geht an den Aufrückern natürlich nicht spurlos vorüber. Sie tragen nichts nach, rücken freudig auf und beteiligen sich an der »deutschen Schicksalsgemeinschaft«. Natürlich haben sie das Gefühl, dass sie es endlich geschafft haben. Endlich werden sie angenommen. Dass es eine andere Gruppe trifft, nimmt man lässig hin. Wer in der Schusslinie steht, hat kein Problem damit, jemanden in die Flugbahn der Kugeln vor sich zu stellen. Das ist kein moralisches Dilemma in diesem Augenblick. Man will ja sorgenfrei leben, sich nicht mehr ärgern, sich auch irgendwie eingebettet fühlen. Und sei es auf Kosten anderer. Nachvollziehbar ist es schon. Widerlich kann man es trotzdem finden. Undurchdacht. Wer akzeptiert wird, weil andere geschmäht werden, der ist ja nicht willkommen im eigentlichen Sinne. Den nimmt man nur hin, weil man andere noch weniger hinnehmen möchte. Eigener Aufstieg durch Abstieg anderer.

Das ist, wie schon erwähnt, das House Negro-Prinzip. Die Schwarzen in den Herrenhäusern waren nicht mal akzeptierter. Wer da gegen die Regeln seiner Herrschaften verstieß, dem drohten gleichwohl drakonische Strafen. Aber für die Sklaven im Haus fühlte es sich kuscheliger an. Kein Vorarbeiter, der einem in den Ohren lag mit Drohungen. Keine Peitsche im Blickfeld. Man wähnte sich zeitweilig akzeptiert, endlich in einem guten Umfeld integriert. Aber letztlich war man auch nur Sklave, eine Ware und ein Gegenstand mit organischer Ausstattung.

Die Spanierin aus der Straßenbahn mag Flüchtlinge nun »bichos« nennen. Möglicherweise war sie vor vielen Jahren selbst »bicho« und man mied sie. Sie sollte sich nicht täuschen. Wenn die Spanier griechisch werden, wenn sie den Sparkurs Brüssels und Berlins vielleicht bald ablehnen, weil Podemos das Ruder übernimmt, dann wird man den Spaniern nachsagen, dass sie sich griechisch benehmen. Und dann liest die gute Frau täglich in der Zeitung, was für Faulpelze und Dummköpfe Spanier gemeinhin seien. Dann muss sie raus aus dem Herrenhaus, wieder aufs Feld. Und dann sind es die Syrer, die man für ihren Fleiß lobt und die sitzen dann in der Straßenbahn und richten über die faulen Völker dieser Erde.

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Lieber angemessene Steuersätze als angebliche Geschenke

Donnerstag, 10. Dezember 2015

Wieder mal eine Berühmtheit, die in Aussicht stellt, einen Teil des persönlichen Vermögens abzutreten. Und wieder mal Medien, die in der Mehrzahl so tun, als sei dieses »Versprechen« ein Gnadenakt. Was uns fehlt ist Steuerdisziplin und kritischer Medienverstand.

Was war das mediale Stimmengewirr letzte Woche aus dem Häuschen. Der Zuckerberg wollte angeblich seinen Reichtum aufgeben. Nun gut, nicht ganz, aber einen Großteil seiner Milliarden wollte er wohl spenden. Im hessischen Radio bemühten sie einen Mediziner und spürten der Frage nach, ob denn die Geburt eines Kindes, wie bei den Zuckerbergs geschehen, einen positiven Einfluss auf die Spendenbereitschaft habe. Der Mediziner bejahte und brachte mal wieder das fabelhafte Hormon Oxytocin ins Spiel. Das zählen sie immer auf, wenn sie rational nicht weiterkommen im Qualitätsjournalismus. Es ist quasi die hormonelle Generalvollmacht zur Erklärung in menschelnden Fragen. Die Moderatorin war voll in ihrem Element und sagte »Ah« und »Oh« - und ich fluchte indes, denn die brachten »Kuschelhormon« und Zuckerbergs geplante Stiftung in einem Satz unter und verdrängten ganz galant, dass Stiftung immer auch bedeutet, seinen Reichtum nicht durch Steuerzugriff stiften gehen zu lassen. Zuckerberg ist nicht der frischgebackene Vater mit hormoneller Spendierhose, sondern Geschäftsmann, der die Kontrolle über sein Geld nicht einfach abtritt. Doch die redeten über Oxytocin und nannten das Information, während die »Giving Pledge«-Bande sich aufmacht, die gesellschaftlichen Gestaltungsrahmen an sich zu reißen.

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Der Rechtsruck und seine tiefe Sinnkrise

Mittwoch, 9. Dezember 2015

Der New Conservatism ist in der westlichen Welt im politischen Aufschwung. In Europa gewinnt er Wahlen oder rückt als neue Kraft (in Form von »patriotischen Alternativen«) in die Parlamente ein. In Südamerika stellt er wieder Regierungsoberhäupter und in den Vereinigten Staaten schickt er populistische Hardliner ins Präsidentschaftsrennen. Der Rechtsruck ist spürbar. Und doch steckt der New Conservatism in einer herben Sinnkrise, was sich an Personal und Gefolgschaft deutlich ablesen lässt. War er in den angelsächsischen Achtzigern und Neunzigern (und mit einiger Verspätung auch in den Zehnern des 21. Jahrhunderts in Mitteleuropa) noch am neoliberalen Glaubensbekenntnis ausgerichtet, so fehlt ihm heute Orientierung und Sinnstiftung. Er wird von einer geschmacklosen Bewegung des modernen Konservatismus zu einem esoterischen Zirkel und einer Teepause für Leute mit verschwörungstheoretischer Konditionierung. Der New Conservatism ist in dieser neuen Form gefährlicher denn je.

Donald Trump dreht am Rad. Sein Mitkonkurrent um den Posten als republikanischer Präsidentschaftskandidat, Ben Carson heißt der Mann, ist vielleicht noch schlimmer. Er hat einen komischen Weltblick. Zuletzt sagte er, dass der Holocaust nur geschehen sei, weil in Deutschland die Waffengesetze so streng seien. Hätten Juden Waffen gehabt, hätten das alles verhindert werden können. Als Schwarzer weiß er außerdem, dass man es schaffen kann, wenn man nur will. Es gibt keine Ausgrenzung; es gibt keinen Rassismus. Hierzulande nennt sich dieser Wahn Pegida oder AfD. Auch sie glänzen durch krude Thesen und kuriose Annahmen. Die Leute aus deren Kielwasser sind für solche Gedanken offen. Berühmtes Beispiel ist Xavier Naidoo, der schon in der Bibel das Auto als potenzielle Erfindung herauslas. Die Front Nationale wittert auch überall Verschwörung und Niedertracht. Wie die CSU und andere Konservative auch. Ja, man könnte das auf alle neuen (und neue alten) Konservativen ummünzen. Das ist das ganz neue am neuen Konservatismus: Er macht seine Hirngespinste zum Programm.

Dahinter stecken natürlich auch die Restbestände bürgerlicher Moral, die so viele Jahre lehrte, dass es die Anständigen und Aufrichtigen schaffen würden. Und eine Weile sah es ja auch so aus. Wer arbeitete, erlangte ein Häuschen in einer Vorstadt und das Leben ging seiner angenehmen Wege. Oh Wirtschaftswunder, oh Hochkonjunktur! Da hatte die bürgerliche Moral, die immer ja auch ein Abziehbild religiöser Moralvorstellungen mit ökonomischer Untermalung war, einen Präzedenzfall für »Wohlstand durch Anstand« geschaffen. Aber all das ist in Schieflage geraten. So einfach klappt es nicht mehr. Und nun wittern diese anständigen Damen und Herren natürlich Verrat, Verschwörung, Unterwanderung. Das sind ja auch die einfachsten Erklärungsmuster. Wenn es die Anständigen zu nichts mehr bringen, dann nur, weil es die Unanständigen auf sie abgesehen haben. Dass es eine Systemfrage sein könnte, blenden sie als Quintessenz aus. Denn gerade sie haben dieses System ja gewollt und postuliert und immer wieder verteidigt.

Ja, man hat an den Neoliberalismus geglaubt. An den harten und heiligen Kapitalismus. An Fressen und Gefressenwerden. Den Markt und seine Mechanismen. An Yuppie-Style und Leistungsträgerschaft. Scheiße war dann nur, dass diese Ökonomie und Glaubensschule nicht ohne Umgereimtheiten über die Bühne ging und sich in eine Krise manövrierte. Es gibt halt eben doch Grenzen der Maximierung, Geld macht nicht nur Geld, sondern auch Not und das trifft dann auch die, die sich vermeintlich anständig wähnen. Man schwört dem Bekenntnis freilich nicht ganz ab, aber man reichert es eben mit Erklärungsmustern an, damit das Weltbild intakt bleibt. Das haben Menschen in Glaubenskrisen immer getan. Gott sei zwar gut, aber er lässt Kinder sterben, zweifelte man. Man schwor diesem Gott nicht ab, sondern verklärte solche Tragiken zu Prüfungen. Der New Conservatism hat diese Flexibilität in seine Agenda aufgenommen. Jetzt sind eben Flüchtlinge, Muslime, sinkende Arbeitsmoral, Linke, Homosexuelle, Gewerkschafter und alle möglichen anderen Gruppen die Prüfung, die das ansonsten gute System für die Neocons bereithält.

So bleibt das Weltbild noch einigermaßen intakt und Gut und Böse verschmelzen nicht. Alles bleibt wohl geordnet. Die Nöte und Schattenseiten der Gierökonomie werden hierzu verschwörerisch betrachtet. Mit kruden Thesen gerät die Welt nicht zu einem komplexen Vorgang mit Abermillionen von Dynamiken, die ergebnisoffen in Ereignissen kulminieren, sondern sie verbleibt als ein Raum, in dem alles ganz einfach nach dem Muster »Ursache-Wirkung«, nach »Wenn-A-dann-B« - und das innerhalb gewisser ideologischer Kritierien – funktioniert. Denn nach so einfachen Regeln hat der Neoliberalismus die Welt beschrieben. Als stupiden Markt eben, auf dem alles kalkulierbar sei. Aber nichts davon traf zu. Jetzt braucht man eben Erklärungen, die das Vakuum ausfüllen, benötigt man etwas Putz, um die Lücke im Gedankengebäude dieser ökonomischen Lehre zu stopfen. Einen Synkretismus aus Angebotsökonomie, chicagoboyeskem Sozialdarwinismus und irrationalen Impulsen, Wahnvorstellungen und krankhaft anmutenden Welterklärungsversuchen, in denen für allerlei Atavismen Platz ist. Sei es nun Rassismus, Frauen- und Schwulenverachtung, Kulturimperialismus, Chauvinismus und der gute alte Hass auf Minderheiten oder Randgruppen.

Dieses Gedankengut ist im Aufwind. Die Massen feiern Trumps irre Auftritte, Carson wird von seiner Partei bevorzugt. Die AfD könnte in den Bundestag rutschen und die Front Nationale wird mehr und mehr ein Machtfaktor. Das klingt für den New Conservatism nach Sieg, klingt so, als hätte er sich durchgesetzt. Als habe die Wahrheit endlich obsiegt (»Lügenpresse« Lügenpresse!«) und die Lebenslügen des Liberalismus (nicht des Neoliberalismus, der ja nie eine freiheitliche Weltsicht war) seien endgültig vom Erdboden getilgt worden. Mag sein, dass sich diese obskure Weltanschauung gerade durchsetzt und die erkalteten Herzen der Menschen weiter herunterkühlt. Aber man sollte sich notieren, dass die Neocons in einer tiefen Sinnkrise stecken. Politisch haben sie weniger zu bieten denn je. Daher probieren sie es nun überall auf der emotionalen Schiene, ersetzen den letzten Rest der Rationalität durch Wahnwitz und Irrsinn und bringen Gefühle wie Wut, Stolz und Hass auf die Agenda. Das ist kein Aufschwung – das ist Crisis; eine Krise, die sich wie ein Aufschwung anfühlt.

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Aus fremder Feder

Dienstag, 8. Dezember 2015

»Gerade die Betonung des Gebotes: Du sollst nicht töten, macht uns sicher, daß wir von einer unendlich langen Generationsreihe von Mördern abstammen, denen die Mordlust, die vielleicht noch uns selbst, im Blute lag.«

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Frontschweine wie wir

Montag, 7. Dezember 2015

Man ist doch ein klein wenig bescheidener geworden. Jetzt liegt der Verteidigungswall der deutschen Interessensgrenze nicht mehr, wie noch vor etwas mehr als einem Jahrzehnt, am fernen Hindukusch, jetzt liegt er gewissermaßen direkt an der europäischen Peripherie. In Syrien. Und die Bundeswehr ist verfassungsgemäß als Verteidigungsarmee mit dabei. Sie verteidigt dort nicht weniger als unsere Freiheit, unsere Art zu leben. Sie ist dort auch für mich unterwegs – so jedenfalls sagen es die Befürworter des Einsatzes, wenn man die uniformierten Damen und Herren nicht mit einem solidarischen »Hurra!« verabschiedet. Sie bringen damit die Undankbarkeit ins Spiel und wollen so die Kriegsgegner diskreditieren. Denn da schickt man extra Personal nach Syrien, damit wir leben können wie immer sie es von uns wollen, und dann sind wir nicht mal mit dem Herzen dabei. Für die Falken ist das selbstverständlich eine Schande. Also möchte ich an dieser Stelle mal meinen Dank aussprechen: Vielen herzlichen Dank, dass ihr nun so geschickt daran arbeitet, mich zu einem Opfer terroristischer Anschläge zu machen. Dankeschön, dass wir nun alle Anschlagsziele desillusionierter Hardliner sein dürfen.

Schaden vom deutschen Volk abwenden? Mir war so, als sagten Bundeskanzler immer mal so etwas in der Art. Ist das nicht der »hippokratische Eid« bei der Einführung in ihr Amt? Aber uneingeschränkte Solidarität ist nun wichtiger. Und so wird Schaden in Kauf genommen. Ich lebe ja nun in Frankfurt. Dreh- und Angelpunkt der europäischen (Finanz-)Wirtschaft, betrete mehrmals die Woche den Hauptbahnhof, einen der zentralen Verkehrsknoten des Landes. Ich möchte nichts beschwören, aber das ist sicher ein potenzielles Angriffsziel für Terroristen, die sich rächen wollen. Ja, mit diesem Entsenden von 1.200 Soldaten und schwerem Luftgerät, versetzt man mich und Hunderttausende andere in den Ausnahmezustand. Merkel, von der Leyen und wie sie alle heißen, sind ja aus der Schußlinie. Sie schicken Soldaten an die Syrienfront und uns an die Heimatfront. Aber die Entscheider sind fein raus. Sind ja nur wir, die Angst haben müssen, in stetiger Bereitschaft leben und uns mental auf einen etwaigen Ernstfall vorbereiten. In den Ministerien ist man sicher vor Angriffen, auf Bahnhöfen sicher ein Ziel.

Man darf doch nicht kuschen vor denen, die mit Gewalt und Terror drohen, oder etwa nicht? Das ist schon richtig. Einschüchtern darf man sich nicht lassen. Angst ist ein ausgewiesen schlechter Ratgeber. Man muss aber die Konfrontation auch nicht auf die Spitze treiben. Und wenn man ohne Strategien einfach mal bombt und Drohnen über die kargen Landschaften dort drüben fliegen lässt, mal hier was Ziviles trifft, mal dort einem Kind den Vater nimmt und einem Mann die Frau, dann löst man die ohne Zweifel bestehende Notlage nie und nimmer auf. Man verschärft die Gewaltbereitschaft, lässt zu, dass sich eigentlich unbeteiligte Menschen mit den Schergen solidarisieren.

Und was ich persönlich am schlimmsten finde ist, dass ich als potenzielles Opfer einer etwaigen terroristisch gearteten Rache, durchaus nachvollziehen kann, was diese Menschen zu ihrer brutalen Haltung zwingt. Sie sind keine Lämmchen. Aber eben auch nicht böse geboren. Die Weltregion, in der sie leben, ist seit Jahrzehnten das Schachbrett von Drittländern, von Industrienationen, die ihren Einfluss geltend machen, Kriege vom Zaun brechen, intrigante Schliche anwenden und sich Destabilisierungen vorbehalten. All das geschieht unter Ausgrenzung und Beschuss und der Tod ist eine tägliche Möglichkeit. Wenn man heute im Mittleren Osten aufwacht, weiß man nicht, ob man die Strohmatte, von der man sich rollt, am Abend wieder unter sich spüren darf. An jeder Ecke lauert das Ende. In so einem Klima werden Menschen nicht gerade zu Samariter. Sie verhärten ihre Herzen und beim Anblick von Blut wird ihnen nicht etwa übel wie unsereins. Sie sind es ja gewohnt. Irgendwann sagt man sich dann wohl: »Wenn ich Angst um mein Leben haben muss, vor Drohnen und Kollateraltod, warum nicht auch die satten Menschen aus dem westlichen Teil dieser Erde? Ihnen soll es mal genauso gehen wie uns. Vielleicht vergeht denen dann die Lust auf das Hegemonialdasein.«

Bei diesem Gedanken komme ich ins Spiel. Und all die anderen, die sich mit mir Zug und Straßenbahn teilen, die sich eine überteuerte Brezel am Hauptbahnhof kaufen und im Zentrum des Hauptumschlagplatzes des internationalen Handels leben. Diese Regierung schickt nicht nur 1.200 Soldaten an die Front, sondern Millionen von Menschen in Großstädten gleich mit. Wir bezahlen vielleicht mit unserem Leben und müssen uns anhören, sie leisteten Kriegskomplizenschaft doch nur für uns, damit wir weitermachen, damit wir weiter für kleines Geld große Geschäfte ermöglichen können in unseren Betrieben. Damit Deutschland Exportmacht bleibt und wir die fröhlichen Profiteure des Aufschwungs mit 8,50 Euro Stundenlohn in der Tasche. Am Ende haben viele vielleicht gar nichts mehr von diesem Wohlstand, weil sie der Krieg vor der Haustüre ereilt. Dann gewährt man ihnen einen offiziellen Trauerakt und macht sie zu Märtyrer der Freiheit. Ist das eine Alternative zum Leben? Sollte mir dergleichen je widerfahren, dann bloß kein Lametta und kein Lob, denn ich hätte weiterleben wollen. Und wenn sie dann sagen, ich sei für die Freiheit gestorben, dann lügten sie, denn ich stürbe nur dank dieser Eliten, die ihren Geltungsdrang auf meine Kosten befriedigt haben würden.

Ja, wir sind jetzt alle Frontschweine. Man sagt es uns nur nicht. Behauptet glatt das Gegenteil. Frontschweine wie all die Menschen in Syrien und Umland, die auch jeden Tag um ihr Leben fürchten. Im Ersten Weltkrieg sind die Frontsoldaten am Weihnachtsfest aus ihren Gräben gekrochen und haben ein Fußballspiel veranstaltet und dabei festgestellt, dass der Feind ja auch nur lachen und sich freuen wollte. So will es jedenfalls die Legende. Weihnachten ist bald. Aber einen Graben zwischen den Kanonenfutter der Heimatfronten gibt es nicht. Wir können nicht herauskriechen aus dem Erdloch, wie müssen uns verkriechen in einem. So gut es geht. Wir hier, die dort. Morituri te salutant.

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ad sinistram lo vult

Sonntag, 6. Dezember 2015

Nein, ich will euer Geld nicht. Nicht ich persönlich. Dieses ad sinistram will es. Es hat mich nur vorgeschickt, mal ganz freundlich bei euch anzufragen. Dieses ad sinistram hat gesagt, ich soll euch von meinem schweren Leben erzählen, von finanziellen Nöten. Ich sagte »Hey, ich bin nicht reich und habe echt manchmal Engpässe, aber so schlimm ist es ja dann doch noch nicht« und dieses ad sinistram sagte nur »Stell dich nicht so saublöd an«. Also stehe ich vor euch, liebe Leser und mache, was mir dieses ad sinistram aufgetragen hat. Es ist gewissermaßen mein Sachzwang. Ob ich will oder nicht. Dieses ad sinistram sagt, dass man so handeln müsse, auch wenn man anders wollte – denn wenn man es nicht tut, tun es die anderen und dann ist man raus aus dem Geschäft, wird wettbewerbsunfähig und muss Personal entlassen und ist dem Untergang geweiht. Ich sagte »Wir haben doch gar kein Personal« und dieses ad sinistram guckte mich nur an und verzog spöttisch das Gesicht. Da verstand ich: Ich stehe kurz vor meiner Entlassung. Dieses ad sinistram sagte ferner, dass die Aktionäre es so verlangten und ich traute mich nicht zu erklären, dass wir gar keine Aktionäre hätten.

Daher also: Meine Not ist groß und die Sachzwänge, versteht ihr? Ich muss wettbewerbsfähig bleiben und meine Aktionäre erwarten ein gutes Ergebnis. Ich will euer Geld nicht, aber ich muss es nehmen, wenn ihr mir was geben solltet. Selbst wenn ich wollte, ich könnte nicht anders. So sind die Regeln, sagt dieses ad sinistram. Fressen oder sterben, sagt es. »Du investierst so viel Zeit, so viel Kreativität und Herzblut und dann sind die Texte umsonst abrufbar«, sagt es. Und ich glaube, an diesem Argument könnte etwas dran sein.

Es ist doch letztlich wirklich so, dass ich gar kein Geld wollte. Und dieses ad sinistram ist ja auch nur so ein plumper Trick, um mich nicht in beschämender Art und Weise an Euch wenden zu müssen. Man schiebt immer einen Strohmann vor oder tut so, als sei man im Befehlsnotstand. Man sagt, dass die Sachzwänge so seien, denn wer unter Zwang handelt, der ist entschuldigt. Letztlich ist die Sache mit dem Geld ganz anders. Ich brauche es wirklich nicht, aber alle anderen wollen es dauernd von mir. Egal wo, alle halten sie die Hand auf. Das ist der Grund, weshalb ich mal bei euch anfrage. Man ist gezwungen das Spiel mitzuspielen. Es gibt ja Leute, die behaupten, man könne sich aus diesem Kreislauf herausziehen, quasi selbstversorgen und Ansprüche herunterschrauben. Letztere habe ich nicht. Mal gut zu essen, das ist kein Anspruch, das sollte Menschenrecht sein. Und ich habe weder Lust noch Talent noch ein Fleckchen Erde, um mir selbst Karotten anzubauen. Farmer wollte ich nie werden. Asket auch nicht. Und wenn beides nicht in Betracht kommt, dann muss man dem Geldkreislauf eben beitreten. Müssen Selbstversorger und Asketen auch, sie geben es nur nicht zu. Aus dem Dilemma entkommt hier unten keiner.

Ich nehme aber alles, was ihr nun für mich erübrigen könnt und wollt, aber auch ungewollt an. Nicht weil ich gierig wäre, sondern weil ich es nicht so dicke habe, meinen täglichen Schrieb auch ein wenig finanzieren muss und weil all die Menschen da draußen immer mal Scheine von mir wollen. Mit Bereicherung hat das nichts zu tun. Nur mit der Hoffnung, noch ein Weilchen mitmachen zu können. Seht es so: Alles was ich kriege, verteile ich wieder. Dieses ad sinistram ist aber letztlich auch nur so ein Wirtschaftsunternehmen. Ist dem Finanzamt nachweispflichtig. Und in der Spirale ist es ganz einfach: Lohnt sich etwas oder macht es nur Mühe? Aber nicht alles, was lohnenswert ist, hat mit Geld zu tun. Aber andersherum ist auch alles nicht besser, nur weil es nicht lohnenswert ist.

Solltet ihr also einige Groschen erübrigen können, dann könnt ihr die auf mein PayPal-Konto überweisen. Hierzu bitte den Button an der rechten Innenseite benutzen. Oder ihr schreibt mich an unter dem Stichwort »ad sinistram lo vult« und ich teile euch offenherzig meine Kontodaten mit. Außerdem könntet ihr eines meiner zwei Bücher erstehen. Ein drittes Buch wird 2016 erscheinen, dazu im neuen Jahr mehr. Und wer Interesse hat, der kann auch Werbefläche bei mir kaufen. Viele Wege führen zur Unterstützung. Wie auch immer, ich bedanke mich schon jetzt und mache weiter, immer weiter, solange sie mich lassen.

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»Links«!

Freitag, 4. Dezember 2015

Mein Frauenbild ist ausgesprochen beschissen. Angeblich. So sagt man. Oder teilte mir besser gesagt neulich ein Leser mit. Er interpretiere einige meiner eher literarisch gehaltenen Texte und erkenne darin Machismo, die Kopfgeburten eines patriachalisch überkommenen Linken. Er merke das an flapsigen Sprüchen und despektierlichen Beschreibungen die Frauenwelt betreffend. »Warum machst du das denn? Hast du das denn nötig, Mensch?«, fragte er. »Das sind Texte, die ich in meiner literarischen Einfalt so gestaltete und auch wieder ganz anders gestalten könnte. Hier liegt eine Verwechslung zwischen mir und meiner Kunst vor«, antwortete ich. »Meiner Kunst«, sagte ich tatsächlich - och, manchmal kann ich echt ein Großkotz sein. »Du machst dich angreifbar als linker Schreiber«, konterte er. Ich antwortete ausführlich mit den Worten: »Okay«. Dann hakte ich den Dialog ab. Ich mag Moral, mochte sie immer. Ohne sie geht es zwischen Menschen nicht. Aber was da links oder sagen wir lieber »links« geschieht, hat mit ethischer Gepflogenheit nichts mehr zu tun. Das ist Langeweile, Bevormundung und der miese alte Stalin ist der Vater einer solchen Denke.

Wenn die Knalltüten jetzt schon anfangen, einem zu sagen, wie man sein Handwerk in die Tastatur tippen soll, dann wird aus Moral dröger Moralismus, der nichts weiter als die Vorstufe eines Inquisition auf gutmenschlicher Basis ist. Oho, ich habe das freche G-Wort verwendet, den »Gutmenschen« bemüht, diesen Kampfbegriff der Hohlbirnen, nicht wahr. Und ihr Scheißer, die ihr die moralisch unanstastbare Schreibe von mir fordert, könnt gar nichts dagegen machen. Ich liebe die Freiheit des Künstlers. Aber ruhig, denn ich komme vom Grundgedanken dieses Textes ab. Zurück also zu jenem Tag, da man mich für mein Patriachat in Textform kritisierte.

Am selben Tag nämlich, da man mir die Leviten las, keine zwei Stunden später, juckelte die Ditfurth auf ihrem Account herum. Jetzt waren alle Gegner des Freihandelsabkommens rechts, erklärte sie in trockenem Ton. Sie sog sich Argumente aus den Fingern. Das ist seit einigen Monaten ihre neue Häkeldecke. Ich schätze die Frau wirklich – und ich schätze wirklich, dass es das mit ihr war. Nochmal einen Tag später las ich Anmerkungen eines arg linken Menschen auf Facebook. Er wähle »Die Linke« nicht, weil sie eine »institutionelle und strukturelle Entität im Subkontext kapitalistischer Mechanismen [sei], deren Motorik darauf ausgerichtet sei, die systematische Asymmetrie zu perpetuieren«. Puh, das klang durch und durch nach Erkenntnis und Erleuchtung. Wie dumm ich doch neben so einen Schlaumeier aussehe. Dieser Mensch wollte wahrscheinlich nur ausdrücken, dass »Die Linke« für ihn irgendwie »auch die Rechte mit netteren Merkmalen« sei. Kann man so sehen. Wir sind ja Demokraten. Jedem Tierchen sein Bläschen oder so ähnlich. Und da war ich wieder an dem Punkt, an dem ich mich fragte: Was sind Linke eigentlich für merkwürdige Gestalten?

Ich meine, die Rechten sind so schön im Geldverdienen und Profitmaximieren vereint, sodass sie sich zu ihrem Feindbild merklich abgrenzen und sich auf ihren einzigen Gegner stürzen: Dem linken Gedankengut. Aber das »linke Potenzial der Gesellschaft« kämpft mit sich selbst. Was für eine Vergeudung! Alle anderen sind ja immer nicht links genug, haben es noch nicht begriffen, müssen beschult werden und sind, wenn sie nicht lieb nicken und Einsicht zeigen, natürlich der wahre Feind. Schön ist es da, dass ich mich als Linker nicht alleine am Kopf kratzen muss ob des Verhaltens »meiner linken Gesinnungsgenossen«. Der Mensch, den sie Che2001 nennen und der nebenbei auch noch Blogger ist, hat hierzu sogar einen Roman geschrieben.

Genauer gesagt einen »Schelmenroman aus der autonomen Szene«. So die Tagline. Richtig heißt das Ding »Wahnsinn und Verstand«. Ja, genau richtig, der Titel. Es unkt so viel Wahnsinn zwischen all dem Verstand hervor, dass es einer Tragödie gleichkommt. Aber gut, andererseits unterhalten all diese linken Trips ungemein. Es geht in dem Buch um allerlei. Um Linke, die links sind, weil es modisch ist; um Linke, die link sind; um Linke, die es ernst meinen und locker bleiben; um Linke, die es noch ernster meinen und stalinistisch und gleichzeitig mccarthyistisch (die Synthese, wir kennen unseren Hegel) werden; um Linke, die es sind, weil rechts weniger Flair und Lifestyle herrscht. Um eine verrückte Szene halt. Je fundamentalistischer die Charaktere darin geschildert werden, desto mehr entfernen sie sich von dem, wozu sie eigentlich mal antreten wollten. Wenn darin feministische Linke über die eingeschränkte Penetration beratschlagen, die nur mit der Eichel stattfinden sollte, weil der ganze Schaft im Unterleib einer Frau ja einer Erniedrigung der Frau seitens des Mannes gleichkommt, dann denke ich an manche Kreatur, die ich heute so in den sozialen Netzwerken ertragen muss. Was seid ihr alle für traurige Figuren im Weltentheater, wenn ihr jedes Vergnügen zu einem Akt hochgradig politischer Korrektheit in eurem Sinne machen wollt. In einer Welt, in der solche Fundis das Sagen haben, wollte ich noch weniger leben, als in der, die wir heute schon haben.

Der Mensch hinter »Wahnsinn und Verstand« beschreibt die Linke als einen bunt gemischten Haufen von Personen, in denen es auch (nicht nur!) einen Haufen Spinner gibt. Als Linker bin ich mit vielen Linken vernetzt. Bei Facebook zum Beispiel. Und was ich da lesen muss, könnte von den Romanfiguren aus dem Buch stammen. Der Autor hat seine Geschichte ja in die Neunzigerjahre gesteckt. Ich nehme an, dass er Erlebnisse verarbeitete. Damals gab es noch kein Facebook. Hätte es das schon gegeben, würden die Posts mancher Protagonisten des Buches in etwa genauso klingen, wie all der hexenjägerische Müll, den es auf meiner Chronik so gibt. Ach, ist das Leben leicht geworden. Früher musste man als »linke« Pissnelke noch diese schwierige zwischenmenschliche Ebene erklimmen. Heute reicht ein Statement und ein Klick und die Aktivierung von Gleichungesinnten, um den Scheißesturm zu eröffnen und sich im Niemandsland der Nichtigkeit zu verfransen.

Ich bin echt ein Fan davon, nicht auf Menschen treffen zu müssen - jedenfalls was das anbelangt. Bei Demos gegen Nazis tummeln sich so viele Spinner von »links«, dass es einem echt schlecht wird. Dann packt einer neben dir ein veganes Würstchen aus und knabbert Paprika und glupscht dich überlegen an, weil du einen Döner verschlingst und dazu nicht etwa Tee trinkst, sondern ein kühles Export. Das kann er ja machen, aber dann schwingt immer der moralische Rigorismus mit und so einer langweilt mich nach drei Sätzen. Du stehst neben diesen Kollegen, hast dieselben Ziele und fühlst dich schlecht, weil du ja nicht moralisch unbedenklich bist. Da ist mir Facebook lieber. Ich betrete es halt einfach nicht, wenn mich die Inhalte dort nerven. 

Ich will moralisch gar nicht einwandfrei sein. War ich wahrscheinlich auch nie. Ich möchte schreiben, wie es mir beliebt. Und wenn sie einen Sänger zu Kontesten schicken, der politisch gesehen einen an der Klatsche hat, dann mag mich das ärgern, aber ich habe absolut keine Lust inquisitorischer Mönch der allgemeinen Hexenjagd zu sein. Schön, wenn sie einen solchen Barden zu Fall bringen, aber sympathisch ist mir die Bande nicht. Sie versteigt sich in Nichtigkeiten. Außerdem bin ich nicht moralisch genug für solche Inszenierungen. Was da von »links« kommt, von diesem Surrogat des ursprünglichen linken Gedankens, ist einfach unerträglich für die, die wirklich links stehen. Die Welt ist eben nicht unschuldig durchwandelbar. Toller wusste das: » Muss der Handelnde schuldig werden, immer und immer? Oder, wenn er nicht schuldig werden will, untergehen?« Die Antwort gab er selbst. Ohne sich schuldig zu machen, klappt es hienieden nicht. Ja, er war wirklich ein Toller. Mir ist ja ein Linker, der einen Sportwagen schön findet und Hummer isst, wesentlich lieber als so ein Steinzeitkommunist. Wir brauchen mehr Genuss für alle und nicht mehr Entbehrung und moralisches Zurückstecken.

So, das war jetzt keine Rezension für »Wahnsinn und Verstand«. Eigentlich wollte ich ursprünglich eine schreiben. Und dann kam dieser Text dabei heraus. Ich eigne mich nicht als Kritiker im klassischen Sinne. Man sehe es mir nach und lese mal beim Che2001. Auch in seinem Blog. Wer in Buch und Blog moralische Bedenklichkeiten findet, kann ja protestieren und ihm dern Spam-Ordner randvoll füllen. Demokratie bedeutet eben auch, sich zum Deppen machen zu dürfen.

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Als Sidney Poitier schwieg und warum wir es auch tun sollten

Donnerstag, 3. Dezember 2015

Wir sind so aufgeregt. So schrecklich nervös und sprunghaft. Schreien herum und rufen nach sofortigen Lösungen. Geht es denn keine Spur leiser und reflektierter. Nach den letzten Terroranschlägen wurde mal wieder klar, wie wir gesellschaftlich ticken: Wie eine Zeitbombe.

Der Trubel war einschüchternd. Noch Tage nach den Pariser Anschlägen konnte man gucken wohin mal wollte, immer dasselbe Thema, immer wieder wilde Kommentare und spekulative Stellungnahmen. Alles voller Aufregung, Verdächtigungen, Schuld-zuweisungen, dann neue Skandale und neue Terror-Warnungen. Und da noch ein Fachmann mit noch einer tragischeren Erkenntnis. In den sozialen Netzwerken tobte der Kulturkampf - Humanismus Null, Hass Drei. Alle Welt schien aufgeschreckt, war laut und hatte sofort Meinung, Zukunftsprognose und Erkenntnis parat. Ich konnte die Kakophonie aus Lautstärke und Rechthaberei, aus Angstmache und Krach nicht mehr ertragen und machte mir Netflix an, wollte irgendwas Belangloses ansehen und klickte auf eine Dokumentation zum Oscar, schöne alte Aufnahmen von dazumal. Darsteller, die ich als Kind noch gesehen hatte, weil die Sender noch Klassiker ausstrahlten. David Niven, Humphrey Bogart, Bette Davies und Sidney Poitier. Letzterer war Thema, weil er der erste schwarze Preisträger seit Jahrzehnten war. Und generell der erste Schwarze, der als Hauptdarsteller gewann.

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Fundamentalismus muss bezahlbar bleiben!

Mittwoch, 2. Dezember 2015

Der Wahabismus der Saudis unterscheidet sich vom Weltbild der IS-Terroristen nicht? Ja, das stimmt wohl. Trotzdem sind sie unsere Handelspartner, Leute auf die wir uns gerne verlassen. Und warum behandeln wir die einen so und andere aus der gleichen Bande anders? Ist das nicht heuchlerisch? Ach wo! Wo denkt ihr hin? Man muss sich Mätzchen eben leisten können. Wer bezahlen kann, der darf Schrullen haben. Ja, der darf sich sogar wie das letzte Arschloch benehmen. Aber Leute, die nichts in der Tasche haben, die einem nichts bieten können, dürfen nicht einfach dasselbe tun. Das ist doch ein altes Bürgergesetz. Wer die Musik bestellt und bezahlen kann, der darf sich auch einen Rap aus Wehgeschrei-Samples mit unterlegten Steinigungsrhythmen wünschen. Wer sich Musikanten einlädt und sie dann nicht entlohnen kann, der hat keinen Anspruch auf gesonderte Wünsche. So handhaben wir es in unserer kleinen Spießerrepublik im Inneren – und so machen es die Krämerseelen internationaler Gremien, in denen wir mitmischen, eben auch in ihrer äußeren Darstellung.

Hätten die Chinesen ihren Kapitalismus weiterhin als Kommunismus getarnt, würden wir jetzt an dieser Stelle viel und laut über die chinesischen Zustände wettern. Wir würden uns über den Charakter dieser Diktatur unterhalten. Embargos und Boykotte anempfehlen. Nicht nur im kleinen Kreis, wie das heute geschieht. Nein, die Ächtung wäre ein gesellschaftlicher Gestaltungsauftrag, man würde es Woche für Woche wiederholen, so wie damals bei den teuflischen Sowjets. Aber das Reich der Mitte hat Zaster und Geschäftsgrundlagen. Das ändert alles. Und so ziehen wir sogar hin und wieder vor China den Hut, was die für unglaubliche Wachstumszahlen haben! Und welche Visionen, welcher Monumentalismus, denen gehört die Welt! Da schicken wir gerne mal demokratisch legitimierte Vertreter des Volkes in diese Diktatur, von der die dann behaupten, dass sie ja durchaus streng und manchmal auch hart ist, aber doch nicht diktatorisch. Man müsse das differenziert sehen. So wie beim Islamischen Staat und dessen hirnverbrannter Auslegung des Islam.

Ach Quatsch, Irrtum, ich meinte natürlich: So wie bei Saudi-Arabien und seiner hirnverbrannten ... Der IS ist ja mittellos. Er hat zwar Geld für Waffen und schmuggelt wohl Öl hierzu, aber so richtig Kasse lässt sich mit denen nicht machen, auch wenn sie im Grunde derselben Interpretation des Islam anhängen. Die hat nebenbei betrachtet nichts mit dem religiösen Alltag der Mehrzahl der Muslime zu tun. Welcher Türke ist schon Wahabit? Welcher katholische Pfarrer würde schon den evangelikalen Dschihadismus seiner Christenkollegen aus Übersee teilen? Oder die christliche Motivation eines Herrn Breivik als seiner Glaubensausrichtung ebenbürtig betrachten? Die Saudis allerdings, die haben was zu bieten. Sagenhaften Reichtum. Schwarzes Gold. Der Scheich der Vereinigten Emirate hat dem spanischen König vor vier Jahren zwei Ferraris geschenkt. Der olle Wahabit und Steinewerfer ließ sich nicht lumpen. Er mag zwar brutale Strafen befürworten und den Koran wie eine Waffe auf seine Untertanen richten. Aber hey, dafür ist er großzügig und verkauft uns Schmierstoff für die Wirtschaft. So ein ordinärer IS-Lord hat ja nichts, was er in Geschenkpapier und Schleifchen hüllen könnte. Und wer nichts hat, der darf auch heilige Bücher nicht dergestalt vergewaltigen, dass sie zu Kriegsgrundlage taugen.

Nehmen wir doch den Lagerfeld oder den anderen da, diesen Designerkerl, der auch Parfums mit seinem Namen ausstattet und sich von dem Geld die Lefzen ans Ohr tackern lässt. Die beiden treten auf wie Clowns. Sie sehen dumm aus ihrer selbstgemachten Wäsche, lispeln sich durch die Gazetten, geben Unsinn von sich, haben merkwürdige Spleens und womöglich noch viel mehr, von dem wir nichts wissen wollen. Aber was geschieht gemeinhin? Die Menschen lächeln. Sie finden die Kollegen knuffig. Schrullig. Ja, das sei liebenswert. Wahrscheinlich stecke hinter aller peinlichen Affektiertheit doch ein netter Typ, ein guter Mensch. Man mache mal dasselbe als Obdachloser oder als Bettler. Man sei mal kauzig und lebe seine Spleens frei Schnauze aus, ohne das nötige Kleingeld zu haben. Die Leute zeigen einem den Vogel. Wenn sie nett sind. Und nicht alle sind nett. Denken werden sich Nette wie Arschgeigen allerdings dasselbe: Blöder Hund, kann nichts, hat nichts – und wenn man sieht, wie er sich gibt, dann ist das auch kein Wunder. Wenn man dicke Bündel von Lilanen einstecken hat, kann man sich manches leisten. Dann kann man angeschickert über den Kuhdamm laufen und als alter Casanova jungen Dingern an den Hintern tatschen und ist abends ein netter Zeitvertreib in einer der Sendungen, in denen das schwere Leben der Schönen und der Reichen im Zentrum steht. Wer hat, der kann sich ein Recht auf Spinnereien und ideologische Hardlinerei erkaufen.

So läufts nun mal. Jetzt auf die Saudis zeigen und überrascht feststellen, dass sie ja quasi identisch mit der Lebensplanung des IS sind, das ist doch der typische Unsinn von ertappten Spießern. Wir haben ja nichts gewusst und so. Doch, natürlich. Das haben sie immer. Aber solange die Fundamentalisten Geld und Erdöl haben, dürfen sie auch wahabitieren und trotzdem an den Tafeln der hiesigen Mächtigen sitzen. Botschaft an die IS: Ihr könnt so bleiben, wie ihr seid – was euch jetzt noch fehlt ist ein wenig Reichtum. Ihr nehmt nur nicht teil am freien Markt. Und das ist euer Problem. Deins auch, Kim Jong-un. Schaff Bedürfnisse für unsere Märkte und du bist willkommen bei uns.

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... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 1. Dezember 2015

»Do schaun S' hin, Fräulein«, sagt der Karl Valentin, »da horchen S' zu.« So ganz kann er sich für das »Du« wohl noch nicht entschließen, und manchmal sagt er gar »Du, Fräulein«.
Die Liesl sperrt Augen und Ohren auf. Spielt das Lehrmädel vom Valentin. Sie zählt innerlich Haß- und Wutworte der drei Bayern gegen die Fremden mit. Es juckt sie, diese Worte durcheinanderzumischen und auszusprechen, sie noch giftiger, noch absurder zu machen.
Nicht einmal Raubtieren, denkt sie, bringen die Menschen heute eine solche Abwehr entgegen wie den Fremden.
[…]
Diese Drohgebärden! Einer der drei hebt wütend den Arm mit dem Bierkrug, als wolle er auf den Afrikaner einschlagen, aber er hält inne und führt den Krug an den Mund, säuft, spuckt aus. Einer schickt Boxhiebe beim Reden durch die Luft, die dennoch ins Schwarze treffen. Absichtsbewegungen, zu Ersatzhandlungen geronnen.
[…]
Die drei Bayern haben jetzt genug Haßworte und Bier strömen lassen und entfernen sich von dem »Buschmann« um ihr Zuhause, ihre feste Burg, aufzusuchen, wo ihnen das Fremde nichts anhaben kann. Aber ihre Worte verschwinden nicht. Ihre Gesichter, ihre Stimmen, ihre Gestalten hängen noch im Raum, vor allem aber am Valentin und an der Liesl, sind an ihnen haftengeblieben und nehmen den Weg nach innen. Sie gehören hinfort zu ihrem künstlerischen Mobiliar.
Die Liesl juckt's, ein wenig zu spielen. Sie nimmt eine Lehrerinnenhaltung ein, eindeutig in ihrer Dominanz, und fragt: »Was haben wir in dieser Unterrichtsstunde gelernt? Karl! Wir haben über die Fremden gesprochen. Aus was bestehen die Fremden?«
Der Valentin ist nur kurz überrumpelt, dann denkt er nach, nimmt eine Schülerhaltung ein und sagt: »Aus Frem und aus den.« Der Valentin hat eine klare Frage flugs durch die Gehirnwäsche der Silbentrennung in zwei fremde Silben verdreht.
Der Liesl als Examinierenden fällt nur ein kleines Lob und eine Replik ein:
»Gut – und was ist ein Fremder?«
Der Valentin, der sich gern Worte raussucht, die einen Doppelsinn haben, hat rasch die Antwort:
»Fleisch, Gemüse, Obst, Mehlspeisen und so weiter.«
»Nein, nein, nicht was er ißt, will ich wissen, sondern wie er ist.«
Worauf der Valentin einmal durchschnauft, in eine renitente Körperposition geht und widerborstig entgegnet:
»Ja, ein Fremder ist nicht immer ein Fremder.«
Das Weiterführende dieses Gedankens verschlägt der Liesl kurz den Atem, dann funkeln ihre Augen vor Vergnügen. Aber sie bleibt in ihrer Rolle und fragt:
»Wieso?« Sie weiß im selben Augenblick, wohin ihn diese Frage führt, ja, sie hat ihn unbewußt dahin geleitet (oder er sie?).
Der Valentin will nicht auf halbem Wege stehenbleiben:
»Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.«
Jetzt kontert die Liesl mit einer für ihre Neugierde und ihren Wissensdurst typischen Frage, eingeleitet durch ein Lehrerinnenlob:
»Das ist nicht unrichtig. - Und warum fühlt sich ein Fremder nur in der Fremde fremd?«
Dem Valentin obliegt es, ihr nun auf unmißverständliche Weise klarzumachen, daß er ihrer Fragerei haushoch überlegen ist. Er wirft sich in die Hühnerbrust:
»Weil jeder Fremde, der sich fremd fühlt, ein Fremder ist, und zwar so lange, bis er sich nicht mehr fremd fühlt, dann ist er kein Fremder mehr.«
[…]
»Sehr richtig! - Wenn aber ein Fremder schon lange in der Fremde ist, bleibt er dann immer ein Fremder?«
Diese in heiterem Ton hervorgebrachte, fast triumphierend herausgeschmetterte Frage, bei der sich ihr Busen dehnt, ringt dem Valentin eine kurze Besinnungspause ab. Für eine Weile erblickt sie sein ratloses Blinzeln, dann sieht sie: Er hat's (und zieht gleichzeitig einen Zettel hervor, macht sich Notizen):
»Nein. Das ist nur so lange ein Fremder, bis er alles kennt und gesehen hat, dann ist ihm nichts mehr fremd.«
[…]
»Es kann aber auch einem Einheimischen etwas fremd sein?«
Jetzt stehen dem Valentin wieder Material in Hülle und Fülle zur Verfügung, und er holt aus:
»Gewiß, manchem Münchner zum Beispiel ist das Hofbräuhaus nicht fremd, während ihm in der gleichen Stadt das Deutsche Museum ...«
»... sehr fremd ist«, vollendet die Liesl und resümiert: »Damit wollen Sie also sagen, daß der Einheimische in mancher Hinsicht in seiner eigenen Vaterstadt zugleich noch ein Fremder sein kann. - Was aber sind Fremde unter Fremden?«
»Fremde unter Fremden sind: wenn Fremde über eine Brücke fahren, und unter der Brücke fährt ein Eisenbahnzug mit Fremden durch, so sind die durchfahrenden Fremden Fremde unter Fremden ...«
- Barbara Bronnen, »Karl Valentin und Liesl Karlstadt« -

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