Zwischen Tannen und Genickbruch

Freitag, 27. Februar 2015

Als ich noch ein Kind war, hörte ich oft, wie man sich darüber unterhielt, dass Deutschland eine sehr kinderunfreundliche Gesellschaft besitze. Rasen betreten war oft verboten. Und Kinderlärm wurde mit wüsten Beschimpfungen honoriert. Seither hat sich viel verändert. Aber ich finde, es hat sich nur die Art der Kinderunfreundlichkeit gewandelt.

Ich erinnere mich noch, wie wir auf dem Rasen vor der Mietskaserne Fußball gespielt haben. Ach, wir haben ja nicht richtig Fußball gespielt. Wir haben einen Plastikball gestupst. Das runde Dinge machte mit uns, was es wollte. Zwei Tannen waren ein Tor. Das gegenüberliegende Tor lag nicht gegenüber, sondern in etwa 90 Grad versetzt. Die Stahlkonstruktion, auf denen Omas ihre Teppiche ausklopften, musste dafür herhalten. Ich stand im Tor zwischen den Bäumen. Dort stand ich immer. Später wurde ja auch auf Vereinsebene ein Torhüter aus mir. Kein besonders guter. Kurzsichtig zudem. Also ich stand zwischen den Tannen. Einige Meter dahinter war ein Balkon. Und nach einer Weile hing sich ein alter, abgehalfterter Typ in Trainingsanzug über das Geländer und fing an uns mit Beleidigungen zu überschütten. Wir sollten uns verpissen. Aber ganz schnell. Und mir drohte er mit der Faust, er würde mir das Genick brechen. Nachbarn hörten zu. Keiner sagte was. Eine alte Schabracke stimmte mit ein. Sie hatte ihren Führer gefunden. Der Trainingsanzug hätte schließlich völlig recht.

Vereinzelt mag es diese öffentlich zur Schau getragenen Gewaltphantasien verbitterter Leute noch immer geben. Wahrscheinlich nur noch selten. Früher war sie Standard. Man konnte als Erwachsener gegenüber Kindern so auftreten. Und wir Kinder fanden das schrecklich ungerecht. Da war ein bisschen Ohnmacht. Heute ist das grundsätzlich sicherlich anders. Keiner droht Kindern mehr Schläge an. Nicht vor aller Welt. Kinderlärm ist mittlerweile auszuhalten. Die Gesetzeslage macht Kindergeschrei zu einer Lärmquelle, die zumutbar ist. Rasen betreten ist noch immer ganz oft verboten. Aber keiner droht Genickbrüche an. Wer das so täte, wie der Trainingsanzug einst, der könnte mit einer Anzeige rechnen. Oh ja, dieses Land hat seine Einstellung gegenüber Kindern grundsätzlich verändert.

Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass sich diese Kinderunfreundlichkeit aus den Achtzigerjahren, die ich noch erlebte, nicht gegen ein gegenteiliges Gefühl ausgetauscht hat, sondern gegen eine neue Form von Kinderunfreundlichkeit. Die Gewalt ist weniger physisch (nur in Einzelfällen und versteckt), dafür aber zu guten Teilen psychisch.

Wir setzen die heutigen Kinder anders unter Druck. Pressen sie in Schema F. Speisen sie ab. Machen sie zu Rädchen. Vielleicht wiehern heute so wenige Trainingsanzüge mit Fluppe in der Schnauze vom Balkon, weil die Kinder auch immer weniger Zeit finden, um überhaupt auf zwei Tannen zu kicken. Wir tyrannisieren noch relativ junge Kinder mit Bildungswegen und Berufsabsichten, als ob eine Zwölfjährige schon wüsste, wohin ihre Lebensreise überhaupt geht. Der Plan soll früh stehen. Und wer ausschert, den haben die Lehrer im Visier. Dann tanzen Eltern an, die irgendwann glauben, sie hätten ihren Spross nicht im Griff, die mit ihm hadern und ihn noch enger an die Leine nehmen. Frau Lehrerin hat das ja quasi empfohlen. Man will nicht noch mehrere solche Gespräche mit Pädagogen, die einem stets ein latentes Gefühl davon vermitteln, wie sehr man als Elternteil versagt hat.

Unsere kinderfreundliche Gesellschaft ist nur kinderfreundlich, wenn man sie mit der Vergangenheit vergleicht. Auf ihre Art ist auch sie nicht freundlich zu Kindern. Sie überfordert sie mit Entscheidungen, die sie noch gar nicht treffen können und sollen. Man sagt, dass bestimmte Entwicklungen im Leben eines Kindes quasi unumkehrbar seien. Wenn es den falschen Bildungsweg nimmt zum Beispiel. Oder zu wenig lernt in den Anfangsjahren. Damit schürt man Hysterie. Und damit setzt man unter Druck, verstümmelt die Kindheit, nimmt der Sorglosigkeit die Substanz.

In gewisser Weise stehen auch die Kinder heute zwischen zwei Tannenbäumen. Wartend auf einen Ball, so wie ich damals. Der Trainingsanzug sieht heute netter aus. Und er spricht gepflegter. Aber gut meint er es auch nicht mit ihnen. Er ist nur anders unfreundlich.

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Die Salafisten und die Mobster

Donnerstag, 26. Februar 2015

Die rechtschaffene deutsche Öffentlichkeit fürchtet sich seit vielen Jahren vor der Parallelgesellschaft gewaltbereiter Muslime. Sie entsteht aber nicht einfach aus dem Nichts, sondern ist ein Produkt von Diskriminierung. Ähnlich ging es den Italienern einst in den Vereinigten Staaten.

Salafisten und IS-Anhänger im Lande scheinen dem deutschen Angstbürger Bestätigung zu geben. Ja, es gibt muslimische Mitbürger, die sich in eine Parallelgesellschaft zurückziehen. Die sich abwenden von dem Kulturraum, in dem sie aufgewachsen sind. Ob sie diese Wahl aus freien Stücken treffen, ist eine völlig andere Frage. Welche Wahl hat man, wenn man fast sein gesamtes Leben lang diskriminiert wird und als Vertreter eines »minderen Volkes« zählt? Wenn man »Eseltreiber« und »Kümmel« genannt wird und ganz genau merkt, dass man auf »anständigen Wegen« wohl nie zu einer sozialen Stellung kommen wird, die man sich für sich gewünscht hat? Das ist der Rohstoff, aus dem man Parias macht. Und ein wenig erinnert die Situation der Muslime in Deutschland an die, die die Italiener vor vielen Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten vorfanden.

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Das Gemeinwesen und das Geld

Mittwoch, 25. Februar 2015

oder Wie die Kommentatoren der griechischen Angelegenheit Entpolitisierung betreiben.

Wie die Medien die Bemühungen der griechischen Regierung begleiten, zeigt nur, wie sehr das Primat des Politischen an Schubkraft eingebüßt hat. Für die meisten Kommentatoren ist Gemeinwesen nichts anderes als die Summe von Einnahmen und Ausgaben. Politik ist aber weitaus mehr als Pekuniäres.

Die Sphäre des Politischen ist im klassischen Sinne die Frage, wie man Gemeinwesen verwaltet und organisiert. Wie wollen wir alle zusammen leben?, ist die Grundfrage der Politik. Die griechische Regierung geht dieser Frage derzeit aktiv nach. Sie möchte nicht, dass die Menschen in ihrem Gemeinwesen keine Gesundheitsversorgung mehr haben, ohne Arbeitsplätze dastehen und in Agonie verfallen. So möchten die Griechinnen und Griechen nicht leben. Und die Politik nimmt sich dieses Wunsches an. Das ist im besten Sinne politisch. Denn noch bevor man das Finanzielle heranzieht, muss man sich doch fragen, wie man Zusammenleben organisieren will. Wenn man dann weiß, was man möchte, kann man über Geld reden.

Doch die Medien begleiten diesen Weg genau andersherum. Sie geben die schwäbische Hausfrau und den deutschen Finanzminister und erklären, dass man nur so leben dürfe, wie man es finanziell stemmen könne. Die Politik ist in ihrem Augen nicht mehr die Sphäre der Organisation des Gemeinwesens, sondern die Finanzverwalterin, die sagt, dass nur geht, was bezahlt werden kann. Noch bevor grundsätzliche Fragen entstehen, würgt man die Debatte schon mit der Unbezahlbarkeit ab. Das ist nicht mehr Politik - das ist ein Bekenntnis zu einem Staat, der nur gerade dann aktiv ist, wenn er es sich leisten kann. Unter dieser Prämisse lässt sich Zusammenleben nicht organisieren. So gestaltet man ein Gemeinwesen, in dem das Elend bewirkt, dass jeder gegen jeden steht.

Klar ist es ein Dilemma, in einer Welt des Geldes, die Sphäre des Politischen zunächst einmal völlig geldlos abwickeln und klären zu wollen. Aber unter den Zwängen des Geldes entwickelt man kein Gesellschaftskonzept. Man entwirft höchstens ein Bild von einer Gesellschaft, die sich gerade so entfalten kann, wie es die Zahlungsmittel zulassen. Klassische Politik ist das keine mehr. Aber politische Kommentatoren suggerieren genau das. Sicher muss man irgendwann über Geld reden. Aber ist es nicht wichtiger zunächst in sich zu gehen und sich zu fragen, was man gesellschaftlich will, welche Sicherheiten Bürger brauchen und was materielle Grundrechte sein sollen? Wer das vorher mit Kalamitäten abtut, der würgt einen demokratischen Grunddiskurs ab.

Und genau das tun die Magazine, Zeitungen und Nachrichten derzeit. Die Griechen können nicht kundtun, dass sie wieder anders leben wollen, schon steht ein Kommentator bereit und sagt: »Halt, Freunde, schaut mal in euren Geldbeutel. Und? Seht ihr was?« Und das ist keine politische Begleitung der Prozesse dort, sondern ein Prozess der Entpolitisierung.

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... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 24. Februar 2015

»Seht, wie das Gesicht eures Feindes euch entsetzt, weil ihr erkennen müsst, wie sehr es eurem eigenen ähnelt.«
- Wolfgang Neuss -

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Sich herausputzen mit Runterputzen

Montag, 23. Februar 2015

Was verbindet den internationalen Konservatismus? Die Reduzierung allen Seins auf Erden auf pekuniäre Fragen? Auch. Aber nicht alleine sie ticken mittlerweile so. Der Konservative lebt in der Paranoia. Das ist die Konstante. Er fühlt sich verfolgt und verraten und steckt in einer Welt voller Feinde.

Für amerikanische Republikaner zum Beispiel gestaltet sich die Welt als eine Ansammlung von Feinden, die es der amerikanischen Nation mal so richtig geben wollen. Verrückte Moslems, ostasiatische Diktatoren, russische Administrationen oder einfach nur Verbündete, die nicht gleich springen, wenn the U.S.A. mit den Fingern schnipsen. Überall lauert das Böse, tummeln sich Gegner, die der one nation under God nicht die Butter auf dem Brot gönnen. Und das nicht aus guten Gründen, sondern irgendwie aus Boshaftigkeit und Neid. Und ganz ähnlich sehen es deutsche Konservative heute in ihrem kleinen Kosmos. Tsipras ist der Teufel. Und mit Podemos formiert sich ein weiterer Zugriff auf ein Deutschland, das umringt ist von Neid und Missgunst und Ländern, die nicht sparen wollen. Das Land ist umringt von Gefahren und Feinden. Man kann als Deutscher gar nicht mehr in Frieden im Zentrum Europas leben, weil ringsum Fronten entstehen.

Wenn nicht mindestens die Peripherie belagert wird, wenn nicht gewissermaßen Belagerungszustand herrscht, leidet das konservative Lebensgefühl. Es braucht den Feind ante portas. Oder am besten gleich einen ganzen Kontinent voller Feinde. Oder eine Welt. Viel Feind, viel Ehr'. Und Ehrenmänner und -frauen sind sie ja. Mindestens. Ehrenvolle Mitglieder dieser Gesellschaft. Ganz sicher.

Nur ein Umfeld voller Gegner schafft die Grundlage für die konservative Narkotisierung. Es sind nicht die tollen ökonomischen Werte, die der Konservatismus angeblich schafft und ihn deshalb so verdammt wählbar macht. Welche Werte wären das denn bitte? Prekarisierung? Sozialabbau? Sparpolitik? Es ist die Angst, die er schürt. Ein Leben in Umzingelung. Im Kessel. Ein Dasein in der Umklammerung. Nachbarn sind in diesem Weltbild keine Leute, mit denen man ein Ausfinden finden muss, sondern es sind die Leute, denen man mit Wut Abscheu und Ablehnung begegnet. Sie leben in einer Kolonie, in der sie die einzig anständigen Menschen sind und die belagert werden von gemeinen, dummen und irgendwie lebensunfähigen Nebenleuten. Und gegen die ist man ganz offen, denn das adelt einen selbst; es putzt einen heraus, wenn man andere runterputzt.

Der internationale Konservatismus ist im dauernden Kriegszustand mit allen, die um ihn herum leben. Davon zehrt er. Das ist seine Lebensgrundlage. Das macht ihn stark. Wer ihn wählt, schlägt sich selbst in die Fresse und glaubt, es waren die Bösen in der Welt, die die Faust geführt haben.

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Aus den Wahlstudios der Gleichgültigkeit

Donnerstag, 19. Februar 2015

An Wahlabenden wird regelmäßig deutlich, dass es eher weniger um politische Partizipation geht, sondern viel mehr um die Einhaltung eines Rituals, das wir Demokratie nennen, das aber irgendwas ist, was von ihrem ursprünglichen Gedanken übrig blieb.

Die Bürgerschaftswahl war zu Ende und die Berichterstatter und Statistiker stürzten sich auf ihr Fressen. Strahlende Sieger und grauenhaft schlecht abgeschnittene Verlierer wurden durch die Studios gereicht, um ihren Senf abzudrücken. Alles wurde beleuchtet. Wählerwanderungen. Themenkomplexe. Wieso wählte der Hamburger keine Christsozialen mehr? Lag es wirklich an der Themenauswahl? Fehlten die richtigen Köpfe? Zu allem eine Meinung, eine Einsicht. Nichts wird dem Zufall überlassen. Nur eines verwaist: Die Wahlbeteiligung. Sie kommt als Randthema vor. Als Stiefkind. Keiner möchte sich darüber unterhalten. Von zehn Hamburgern waren mehr als vier nicht wählen. Aber es wurde mal wieder nicht zum Thema. Lieber noch ein Schwenk zur AfD und ein bisschen Sensation.

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Das Wahlergebnis hinter dem Wahlergebnis

Dienstag, 17. Februar 2015

Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg wählten ...
  • ... 43,4 Prozent aller Wahlberechtigten keine Partei.
  • ... 24,5 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 8,6 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU.
  • ... 6,6 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
  • ... 4,6 Prozent aller Wahlberechtigten die Linke.
  • ... 4,0 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 3,3 Prozent aller Wahlberechtigten die AfD.
Der strahlende Wahlsieger SPD erreichte faktisch nicht mal ein Viertel aller Wahlberechtigten. Die AfD bleibt gesamt betrachtet nur eine Splitterpartei.

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Das Gebet ohne Gott

Montag, 16. Februar 2015

Und dann habe ich gebetet. Nach Jahren. Nach Jahrzehnten mal wieder. Ich faltete die Hände und tat es. Glaube ich an Gott? Wahrscheinlich nicht. Ziemlich sicher nicht. Aber ich wollte für einen Moment mein Schicksal in die Hände eines höchsten Wesens legen. Das tat gut. Das war menschlich. Man sollte niemanden verurteilen, der das Gebet sucht.

In letzter Zeit sitze ich in der Scheiße meines Schicksals. Private Nackenschläge prasseln auf mich ein. Kaum ein Tag ohne Sorgen. Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht. Nichts ist mehr so, wie es mal war. Mir fehlt daher die Kraft, die man zum Leben so braucht. Irgendwann wurde es zu viel. Ich hatte Sehnsucht nach einem, der mir die Last abnimmt. Und sei es nur theoretisch. Ach ja, da war ja noch der eine, an den sich so viele Menschen täglich wenden. Ob er auch ein Ohr für mich hat, fragte ich mich. Ich traute mich einfach. Es tat gut - es tat gut zu flüstern, seine Sorgen loszuwerden, zu versinken in einem Augenblick der Weltvergessenheit. Dazu das Ritual: Gefaltete Hände, sich hinknien, Demut zeigen, Kreuzzeichen. Ich glaube, so ein Ritual macht die ganze Sache rund, verleiht ihr einen Anstrich, der die alltägliche Plumpheit überwindet.

Mensch, ich bin Sozialist. Ich »dürfte« doch gar nicht den Dialog mit Gott suchen. Nicht weil ich einen Maulkorb trage, sondern weil ich ja quasi in die Luft hinausrede. Ins Nichts. Das ist mir ja durchaus bewusst gewesen, als ich es tat. Und ich tat es trotzdem. Wissen schützt vor Torheit nicht. Aber so töricht ist es letztlich gar nicht. Der Mensch hat ein Bedürfnis nach Schutz, nach Aussprache, nach einem, der ein Ohr für einen hat, ohne gleich mustergültige Ratschläge zu erteilen. Und wenn dieser eine Allmacht repräsentiert, der große Lenker ist, der alles zum Guten wenden kann, wenn es ihm nur danach ist, dann gibt es Situationen im Leben eines jeden Menschen, in denen er sich unterwirft. Aus Verzweiflung. Da kann man noch so aufgeklärt sein wollen. Noch so gebildet. Noch so atheistisch.

In uns ruht die Veranlagung zum Gebet. Es ist menschlich bedingt. Schwer zu unterdrücken. Auch wenn es den Einen nicht gibt, so haben wir das Bedürfnis nach Geborgenheit, wenn sie uns hienieden abhanden kommt. Der Atheist in seiner Arroganz sollte das nie vergessen.

Ich betete also. Doch es half nichts. Und geschah es doch. Und nur der Eine sah zu. Der und der andere. Sah zu und wer weiß was. Aber schön, lieber Gott, dass wir mal darüber gesprochen haben. Es tat für den Moment gut. Jetzt köpfe ich eine Flasche, das hält länger her als bloß einen Moment. Amen.

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Die Globalisierung und ihre Gegner

Freitag, 13. Februar 2015

Jeder braucht wohl so seine Bezeichnung. Attac und die Demonstranten, die bei den G8-Gipfeln auflaufen, werden in vielen Medien plump als »Globalisierungsgegner« tituliert. Dieses Label ist eine Diffamierung. Denn es soll diese Gruppen als antiquiert skizzieren.

Ich kann mich noch gut erinnern, wie der Reformgeist der rot-grünen Jahre all jene als Modernisierungsverweigerer bezeichnete, die für die Reformen der damaligen Zeit nichts übrig hatten. Die Montagsdemonstrationen waren somit voller Leute, die sich der Modernisierung entziehen wollten, die also - anders gesagt – rückständig, altmodisch oder hinterwäldlerisch bleiben wollten. Diese Stigmatisierung war ganz schön dreist. Denn die Menschen, die gegen Hartz I bis IV waren, waren ja nicht gegen eine moderne Gesellschaft, sondern schlicht gegen Sozialabbau. Dass der irgendwie modisch sein sollte, mochten sie halt nicht glauben. Aus gutem Grund, wenn man das Gefüge des Sozialstaates heute mal so anschaut.

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Losigkeiten

Mittwoch, 11. Februar 2015

Wir leben in befreiten Zeiten. Befreit im Sinne von »frei von etwas sein«. Die Losigkeit ist das Markenzeichen unserer Tage. Und sie ist vor allem Einbildung. Denn lose ist gar nichts. Man kokettiert nur mit dem Zustand einer Losigkeit. So glaubt man sich seriöser und pragmatisch herausputzen zu können.

Die »lose Verfassung« des Neoliberalismus ist Mumpitz. Weder ist das System alternativlos noch ideologielos, es ist nicht klassenlos und schafft sicher keinen beispiellosen Wohlstand. Diese Losigkeiten sind Parolen, sind Werbesprüche aus der Marketing-Abteilung des neoliberalen Gesellschaftsentwurfs. Sie sind Schlagworte, die diesen seltsam »losen Totalitarismus« als etwas hinstellen, was er nicht war, nicht ist und vermutlich auch nie sein kann. Privatisierungen und Steuerbefreiungen, Freihandel und absoluter Markt schaffen sicherlich lose Zustände. Aber nicht in dem Sinne, in dem sich dieses System versteht. Es macht rechtlos, würdelos und arbeitslos. Es lotst uns in einen Zustand der Demokratielosigkeit und Sprachlosigkeit. Wir enden kraft- und saftlos in einer Konstellation, in der wir als lose Verfügungsmasse für nackte Wirtschaftsinteressen darben.

Das neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftskonzept ist eine Ideologie, die von sich behauptet, sie sei keine. Gibt sich als klassenlos, obwohl es die Klassengegensätze teils gravierend verschärft. Spielt sich als beispielloser Wohlstandsmehrer auf, obgleich viele immer weniger vom Kuchen kriegen. Alternativlos ist es nicht. Aber es versteht sich so, um sein Primat zu gewährleisten.

Bar eines bestimmten Zustandes zu sein - das suggeriert die Losigkeit dieses Systems. Aber bar im Sinne von »von etwas entblößt« oder »ledig einer Sache zu sein«, meint dieses Konzept nicht. Bar heißt hier »auf die Hand«, meint cash. Nichts anderes. Das sind die Werte und Ideale dieser Wirtschaftsform. Bar von Klassen möchte man gar nicht sein. Man nimmt es bar von den unteren Klassen. Das sind die Spielregeln. Die Losigkeiten sind PR, eine Marketingstrategie. Sie gaukeln eine heile Welt vor. Mehr nicht.

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Aus fremder Feder

Dienstag, 10. Februar 2015

»Unsichtbar wird die Dummheit, wenn sie genügend große Ausmaße angenommen hat.«

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Das Glück, vor dem Philosophieregal gelandet zu sein

Montag, 9. Februar 2015

Dann war ich arbeitslos. Ich war noch ein junger Mann und stand zum zweiten Mal ohne Job da. Die erste Arbeitslosigkeit war aber nur ein Witz. Eine neue Stelle hatte ich schon garantiert und so dauerte sie nur ein Monat übergangsweise. Jetzt aber hatte ich diese Stelle nach fünf Monaten wieder verloren. Man hatte mich dort gemobbt. Nun war ich desillusioniert und enttäuscht. Pegida gab es damals nicht. Ich war jung und hatte keine Ahnung. Ich wäre wahrscheinlich mitgelaufen.

Aber es gab die »Infostände« der NPD oder der Republikaner in der Innenstadt. Und als ich da vom Leben enttäuscht durch die Fußgängerzone lief, blieb ich halt mal dort hängen. Die Parolen klangen so schlüssig und endlich nannte mal jemand Namen: Türken, Roma und »die Besatzer«. Irgendwer musste doch die Schuld haben, dass anständigen jungen Männern wie mir so übel mitgespielt wurde. Ich dachte nicht daran, dass die Mobber an meinem letzten Arbeitsplatz gar keine Türken, Roma oder Besatzer waren. Es waren Kerle aus der bayerischen Provinz. Kerle, die gar nicht merkten, wie sie ihr Boss gegeneinander aufwiegelte, um Leistung aus ihnen herauszukitzeln. Ich war der Neue, ich bekam den Status eines dankbaren Opfers angeheftet.

Mensch, die Typen an den Ständen hatten echt Antworten. Und Durchblick. Jedenfalls dachte ich junger Kerl das kurzfristig. Ich war unerfahren und dumm. Wollte mein eigenes Elend mit leichten Antworten sedieren. Das war praktisch. Gebot kein profundes Nachdenken. Man musste einfach nur die Wut an sich heranlassen, dann hatte man zwar keine Lösung, aber wenigstens doch ein Erklärungsmuster - und Sündenböcke. Und das war schon viel für einen, der sich bis dato noch wenig Gedanken über die Gesellschaft, in der er lebt, gemacht hat. Dass ich eigentlich spanische Wurzeln hatte, störte mich nicht besonders. Irgendwann musste man als Ausländerkind doch anfangen sich zu integrieren - oder nicht? Und dass ich als Jugendlicher als einziger Nicht-Türke unter Türken in einem Fußballverein spielte und mich wohl fühlte, hatte ich vergessen.

Als junger Mensch sucht man nach Punkten, die stabil genug sind, um sich anzulehnen. Gewissermaßen sucht man sich selbst, seinen Stand, seinen Tritt. Besonders stabil waren die Antworten der Rechten aber dann doch nicht. Kurzfristig waren sie bequem. Langfristig landete ich in der Stadtbücherei. Als Arbeitsloser hatte ich Zeit. Das Philosophieregal war so schön bunt. Ich griff beherzt zu und las mich mal so durch. Kants Antworten waren dann komplexer als die, die die Republikaner so aus dem Ärmel schüttelten. Feuerbach war großartig. Locke brachte mich zum Nachdenken. Marx. Freud. Ein bisschen Adorno. Und dann Marcuse. Natürlich Marcuse!

Klar, ich habe die Leute, die bei Pegida mitlaufen, in den letzten Wochen schwer verurteilt. Wären da nur lauter junge Leute dabei gewesen, ich hätte gegrinst und gesagt, dass auch die mit ein bisschen Glück vor einem Bücherregal landen. Lasst sie mal Erfahrungen sammeln. Aber dort laufen ja viele Alte mit. Und dass die offenbar noch nie in einer Bücherei zu Gast waren, ist nicht nur traurig, sondern macht die Sache so unangenehm. Woher soll man denn die Hoffnung nehmen, dass die noch mal reifen? Außerdem war zu lesen, dass die Leute auf den Straßen gar keine resignierten Charaktere sind, sondern Menschen aus der Mitte der Gesellschaft.

Tja, so war das damals. Ich habe mich von diesen simplen Losungen befreit. Es hätte auch anders kommen können. Aber dann hieße diese Seite sicher nicht so, wie sie heißt.

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Gottes Tod und Teufels Beitrag

Donnerstag, 5. Februar 2015

Gott ist wohl wirklich tot. Der moderne Mensch begreift ihn heute als Figur, die in einem dicken Wälzer vorkommt. Als transzendentes Wesen in der Realität akzeptieren wir ihn schon lange nicht mehr. Nur der Teufel hat noch Konjunktur.

Dass Gott tot sei, hat Nietzsche schon in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts festgestellt. Man hat ihm später unterstellt, er hätte den Tod dieses Weltenlenkers beschworen. Aber das stimmte nicht. Er war nur Chronist und meinte zu erkennen, dass Gott als der beseelende Gedanke des Abendlandes schon lange keine Rolle mehr spiele. Die Natur- und die Geschichtswissenschaft hätten Gott unmöglich gemacht. Und mit ihm alle Moral, die sich von ihm ableitet. Im Wesentlichen hat sich da bis heute nichts geändert. Gott ist vielleicht sogar noch ein bisschen toter als zu Nietzsches Zeiten. Und so richtig ernsthaft spricht auch keiner mehr von ihm. Selbst Gottgläubigen scheint es manchmal ein wenig peinlich, über ihn zu sprechen und ihr Weltbild mit ihm zu begründen. Denn dass man ethisch sein soll, weil Gott es so will, ist heute kein Argument mehr. Also sagt man es auch nicht so deutlich.

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... wenn man trotzdem lacht

Mittwoch, 4. Februar 2015

»Wenn vor Jahren schon die Zahl der Brücken veröffentlicht wurde, die in den nächsten Jahren einstürzen werden, und diese Brücken dennoch einstürzen, ist damit nichts gegen die Statistik gesagt, sondern einiges über die bedauerliche Tatsache, daß die richtigen Zahlen nie von den richtigen Leuten zur rechten Zeit gelesen werden.«

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Großartiger Kooperationsgeist

Dienstag, 3. Februar 2015

Auch ein Nachruf.

Ausgangssubstanz für Agent Orange war 2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure. Der US-Konzern Dow Chemical bezog sie von der deutschen Firma Boehringer. Bei der Herstellung der T-Säure fällt giftiges Dioxin (TCDD) an. Damit man es in der Forstwirtschaft überhaupt einsetzen kann, muss man es aufwändig von dem Gift reinigen. Aber Dow Chemical war daran nicht interessiert. Denn aus der Mischung der dioxinhaltigen Substanz mit 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure entsteht das Entlaubungsmittel Agent Orange. Und das sollte in Vietnam für Durchblick sorgen. Für einen herbstlichen Dschungel, der sein Blattkleid abwirft.

Bei Boehringer wusste man in etwa, wofür die T-Säure geordert wurde. Innerhalb von 1962 bis 1970 warf man 57.000 Tonnen Agent Orange auf Vietnam und Laos. Der Kontakt mit dem Dioxin führte zu schweren Erkrankungen der Haut und des Nervensystems. Menschen erblindeten und langfristig wuchs in dieser Weltregion die Krebsrate an. 3 Millionen Menschen sollen unmittelbar an den Folgen des Gifteinsatzes in Vietnam gestorben oder erkrankt sein. 4,4 Millionen erlagen den Folgen nach 1970. Und das sind nur alte Zahlen von 1997. Fehlgeburten bestimmten fortan die Fertilität. 50.000 gab es alleine zwischen 1975 und 1985. Kinder ohne Beine oder Arme oder mit offenem Rücken. Die gesamte Grausamkeit des letzten Jahrhunderts schien in dieser Episode der Menschheitsgeschichte zu kulminieren.

Dow Chemical lobte noch Jahre später den »großartigen Kooperationsgeist« des deutschen Partners. Ein Mitglied der Geschäftsführung von Boehringer notierte sich 1967: »Solange der Vietnamkrieg andauert, sind keine Absatzschwierigkeiten zu erwarten.« Man wusste also durchaus, wo die T-Säure angewandt wurde. Aber Geschäft war Geschäft. Und was der Endverbraucher mit dem Produkt anstellte, war schließlich und endlich seine Sache. Wer Feuerzeuge verkauft, kann doch auch nichts dafür, wenn der Käufer damit ein Mehrfamilienhaus in Flammen setzt.

Ein Mitglied aus der sechsköpfigen Geschäftsführung, die für den Giftgas-Deal verantwortlich war, schied schon Ende 1966 bei Boehringer aus. Zwei Jahre vorher war er bereits Präsident des Evangelischen Kirchentages geworden. Fortan widmete er sich verstärkt der Politik. Der Mann hieß Richard von Weizsäcker. Später in seinem Leben sprach er von der Kultur des Erinnerns und das war fürwahr keine kleine Sache damals in den Achtzigern. Das gebührt Anerkennung. Aber die Erinnerungen, die man sich über ihn so erzählt, streifen selten Agent Orange.

Ist das ein Nachruf? Klar. Aber über Tote sollte man bekanntlich nichts Schlechtes sagen. Einverstanden. Jedenfalls nicht unmittelbar nach dem Tod. Das ist pietätlos. Aber andererseits ist es auch fern jeglicher Pietät, wenn man den Verstorbenen so einseitig zeichnet, wie sie es jetzt tun. Natürlich hat der Mann als Bundespräsident einige kluge Dinge gesagt. Besseres als der, der heute in dem Bett ratzt, in dem von Weizsäcker mal schlief. Aber er war ein Kind des letzten Jahrhunderts. Und daher verbandelt in die Irrungen und Wirrungen der Welt. Hatte den Puls ganz nah am Geschäft mit dem Tod. Daran sollte man auch mal erinnern. Dieser großartige Kooperationsgeist war auch ein Stückchen seines Lebens. Ein Heiliger ging nicht von uns.

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Was der Mensch dem Menschen antut

Montag, 2. Februar 2015

Anja Reschke von den »Tagesthemen« hatte grundsätzlich recht. Auschwitz sollte als Mahnung nie enden. Was damals geschah, muss weiterhin in den Köpfen der Menschen präsent bleiben. Man darf nicht so tun, als gehe es uns ach so moderne Menschen nichts mehr an, was unser ruppiger Generationenvorgänger da angestellt hat.

Sie hätte vielleicht mehr über die Qualität des Gedenkens sprechen sollen. Das habe ich hier schon ziemlich oft getan. Ich glaube, seitdem es diese Plattform hier gibt, war das ein Thema. Mit ein wenig »Nie wieder!« kriegen wir das Bewusstsein nicht mehr in die Köpfe. Es reicht nicht, wenn an Tagen, da sich Ereignisse von damals jähren, der gute Anzug aus dem Kleiderschrank geholt wird und man Demut vor der Geschichte zeigt. Wenn wir es ernst meinen, dass Auschwitz sich nicht wiederholen darf, dann fängt der Kampf um Menschenrechte und Menschenwürde im Alltag an. Dort wo Bundespolizei besonders nach Schwarzfahrern fahndet, die genau das sind: Schwarz. Zum Beispiel. Oder wenn rechte Parteien mit dem Slogan »Gas geben!« werben und exakt diese Parteien jetzt mit der Mittelschicht durch Deutschlands Straßen marschieren ... »die Reihen fest geschlossen [...] mit ruhig festem Schritt.«

Reschke sagte weiter, sie schäme sich für die Bilder, die aus den Konzentrationslagern kommen. Das finde ich gut. Sie schäme sich als Deutsche. Das finde ich albern. Man sollte sich als Mensch dafür schämen, was sein Artgenosse so alles mit seiner eigenen Spezies anstellen kann. Ob es Teil heutiger deutscher Identitäten sein muss, dass man sich dafür schämt, wage ich stark zu bezweifeln. Gut, das sagen die modernen Bürger, die natürlich nicht rechts sein wollen, es aber verkappt sind, ja auch. Reschke hat auch ordentlich Zunder bekommen, weil sie den Deutschen mal wieder einen Schuldkomplex einflüsterte - aber so meine ich das gar nicht. Ist die strafrechtliche Verfolg homosexueller Männer in der Adenauerzeit denn etwa auch deutsche Identität? Die Spießigkeit und ihre Enge von damals - auch Identität? Die Spiegel-Affäre und Ohnesorg? Alles Teil deutscher Selbstwahrnehmung für Leute, die 1988 geboren sind?

Es geht auch überhaupt nicht mehr darum, was Deutschen der Welt angetan haben. Aber was der Mensch dem Menschen antut, darüber sollte man immer und immer wieder sprechen. Sich zu erinnern hat heute nichts mehr mit Schuld zu tun. Und in gewissem Sinne muss niemand, der weit nach dem Krieg in Deutschland geboren ist, seine Identität an die Shoa heften. Aber er sollte sie kennen, moralisch verinnerlichen und immer daran denken, was geschehen kann, wenn man die Würde des Menschen aus den Augen verliert. Geschichtliche Ereignisse werden im Laufe der Zeit generalisiert und bleiben dann von den Basisdaten enthoben. Das ist normal. Keiner macht heute mehr den Spaniern persönlich Vorwürfe für ihre limpieza de sangre. Man sagt nur: Seht her, wohin das führt, wenn vermeintliche Fortschrittsmenschen auf vermeintliche Primitive treffen. So endet der Mist dann. Lernt daraus.

Ich halte es auch für dringend notwendig, dass man Geschichte nach einer gewissen Zeit von Vorwürfen und Rollenverteilungen entblättert, um daraus einen ethischen Imperativ machen zu können. Reschke hat ja richtig erkannt, dass Auschwitz nicht als ethische Schule aufgebraucht sein sollte, dass es in unserer gesellschaftlichen Verantwortung liegt, auch weiterhin auf die damaligen Geschehnisse hinzuweisen. Aber das deutsche Schamgefühl sollte es heute nicht mehr anfachen. Nicht aus Vergessenheit oder weil das Damalige jetzt plötzlich verzeihlich wäre, sondern weil die Zeit reif ist, die Dinge mit etwas mehr Abstand zu betrachten. Ein Abstand natürlich, den die Patrioten auf den Straßen jetzt anders definieren. Sie wollen den Völkermord auf Abstand halten. Und genau das meine ich nicht. Wir müssen ihn immer wieder heranholen. Aber ohne Rollenmuster. Denn die Tore zu Auschwitz können überall sein. Mit der Singularität der Ereignisse entzieht man dem Stoff die Substanz, die dazu führt, doch ein klein wenig aus der Geschichte zu lernen.

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