Job befiehl, wir folgen dir!

Freitag, 29. Juli 2016

Kürzlich konnte man lesen, dass die Jungen Alternativen, das Jungvolk des Altersstarrsinn für Deutschland, keine Identitären mehr in den eigenen Reihen haben möchten. Parteibücher für Völkische soll es nicht mehr geben. Deren Ethnopluralismus, diese softe völkische Variante nach dem Credo »In Vielfalt getrennt und jedes Volk für sich«, soll offiziell keinen Platz mehr bei der AfD finden. Bei einer Demo in Wien seien noch »Einzelpersonen« aus der Partei gesichtet worden. Die beiden Bundesvorsitzenden der jungen Altersnativen missbilligen das ausdrücklich. Na also, eigentlich ist es doch wie bei allen Jugendverbänden, die überholen die Mutterpartei immer von links – nun ja, links von der äußersten Rechten -, sind aufgeklärter, idealistischer als die Ollen halt. Was also da nachkommt, hat nichts mehr von Gauleiter und Konsorten. Wenn die Jungmannen erst mal am Ruder sind, dann weicht der Panzerkreuzer vom Kurs ab.

Zugegeben, diese Einschätzung ist Unfug. Denn die Ablehnung völkischer Anschauungen erfolgt nun etwa nicht, weil man so aufgeklärt ist - man hat schlicht und ergreifend nur Angst vor Konsequenzen im Beruf. So rechtfertigten sich jedenfalls die Vorsitzenden. Man befürchte Nachteile zu erfahren, wenn man im Ortsverband »Deutschland den Deutschen« ruft und am nächsten Tag ein Geschäft mit einem Türken abwickeln muss. Wenn der Wind davon bekommt oder gar der Boss, dann droht die Arbeitsagentur und wer nimmt denn dann einen, der bekannt ist für seine identitärstiftenden Unsinn? Am Ende muss man in einer Dönerbude anheuern, schlimmer kann sich Jungvolk einen sozialen Abstieg gar nicht vorstellen. Aus diesem Grund schwört man nun lieber dem Völkischen offiziell ab, damit auch künftig der Job sicher ist. Diese Entscheidung beweist letztlich: Ja, das sind ganz sicher Rechtsextreme, aber eben auch Rechtsextreme, die den Neoliberalismus mitsamt seiner Arbeitsethik mit der Muttermilch aufgesogen haben.

Beim gemeinen Neonazi gäbe es so einen Pragmatismus nicht, der würde gleich klare Kante machen. Meist hat er ja eh keinen Arbeitsplatz, den er aufs Spiel setzen könnte. Aber falls doch: Das wird man doch nochmal sagen dürfen! Für die Wahrheit – das was er dafür hält -, ist er zu jedem Opfer bereit. Für die Bewegung leiden, Nachteile in Kauf nehmen. Deren Ehre heißt ganz bestimmt nicht Schläue. Keine Kompromisse eingehen. Das wäre nur undeutsch. Ein richtiger Deutscher, der steht zu seinem Wort. Und zu seiner Weltanschauung. Sich wegen eines Jobs zu verbiegen, das käme einem dieser Hautschädel gar nicht in denselbigen. Hat man als Deutscher nicht viel mehr zu verlieren als bloß einen Lohnerwerb?

Daran wird eigentlich ganz gut deutlich, dass wir es bei der AfD eben nicht mit einer klassischen Partei voller Neonazis zu tun haben, sondern mit einem durch und durch neoliberalen Haufen von marktkonformen Misanthropen. Erst kommt für sie die Arbeit, dann das Belügen. An dieser Haltung seitens der Jungen Alternativen wird erkennbar, dass wir da eine Partei am rechten Flügel des Parteienspektrums haben, deren Mitglieder sich eben nicht nur bei Sarrazin oder gar Mahler sozialisierten, sondern auch bei Friedman oder Sinn. Sie frönen ja nicht einfach dem Rassismus, sondern sind im Grunde ihres Herzens Freunde des Thatcherism oder der Reaganomics. Das sind ganz sicher keine Nationalsozialisten, wenn überhaupt, dann sind sie Nationalmarktkonformisten, Nationalkarrieristen oder was auch immer in der Art.

Wir haben es mit Neoliberalen mit rassistischer Folklore zu tun. Mit einem bürgerlichen Rechtsausleger, der sich des calvinistischen Ethos untergeordnet hat. Die spärliche Parteiprogrammatik, die es bislang gibt, bestätigt diese Einschätzung nur. Dienst ist für sie aber letztlich Dienst - und der Markt, er regelt alles, selbst die braune Seele. Der Rubel muss rollen. Am liebsten als D-Mark. Eine klassische Nazipartei träte wie gesagt anders auf. Ohne Rücksicht auf Verluste. Der Neoliberalismus, der hat letztlich alles im Griff, modelt alles synkretistisch um. Selbst die Rechten ordnen sich seiner Omnipräsenz unter.

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Das journalistische Schweigen der Angela M.

Donnerstag, 28. Juli 2016

Nach dem Amoklauf in München ist klar: Wir haben ein Terrorproblem. Das lässt sich nicht mehr leugnen. Eigentlich scheinen wir sogar zwei Terrorprobleme zu haben. Eines mit bewaffneten Parias. Und ein unbewaffnetes auf Sendung.

Ganz kurz habe ich das Zweite angeknipst, wollte mal gucken, ob München immer noch lief. Tat es! Vom Amoklauf, den man zu der Zeit noch als Terroranschlag verbuchte, hatte ich bereits aus den Netzwerken erfahren. Ich dachte mir, ein kurzer Blick in die Qualitätsmedien könne nicht schaden, um das Geschehen zu ordnen. Drüben in den Netzwerken tobte die Verwirrung, Gerüchte kochten über, Vermutungen hatten Konjunktur. Mit dem Zweiten sieht man besser. Kaum flimmerte dessen Programm über die Mattscheibe, hielt man mir einen Tweet der Familienministerin unter die Nase. Sie habe hier oder dort davon erfahren und sofort einen Kommentar bei Twitter abgesondert, sagte ein aktionistisches Kerlchen, wohl nicht mehr als der Sidekick des weißhaarigen Wortführers der Sendung. Wo und wie Schwesig vom Attentat erfuhr, hatte bitte genau welchen tieferen Sinn an jenem Abend?

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Desaster um das Bedingungslose Grundeinkommen

Mittwoch, 27. Juli 2016

Als die Idee einer Diskussionsrunde zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) entstand, war klar, dass es eine solche Runde wohl in sich haben wird. Dennoch bot sich bei der Aufzeichnung des Podcasts eine Überraschung, mit der ich so nicht gerechnet hätte.

Insgesamt fünf Gäste hatte ich eingeladen, um über das Pro und Contra des BGE zu diskutieren. Es ging mir – und auch den kritischen Teilnehmern des Podcasts – keineswegs darum, die Befürworter bloßzustellen. Vielmehr war es die Neugierde, die mich antrieb. Ich hatte einige Wochen recherchiert und jede Menge Artikel und Videos zum BGE gefunden. Dabei stellte sich heraus, dass es – wenn man etwas tiefer gräbt – eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle gibt, die sich teils kaum, teils erheblich voneinander unterscheiden. Die beiden Ansätze der Finanzierung des BGE über die Einkommenssteuer oder die Mehrwertsteuer (Konsumsteuer) bilden gewissermaßen nur die Spitze dessen, was sich Befürworter des BGE haben einfallen lassen.


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... wenn man trotzdem lacht

»Der Comedian macht es wegen dem Geld. Der Kabarettist macht es wegen des Geldes.«

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Tut Buße ohne Bußgelder

Dienstag, 26. Juli 2016

Eine marktkonforme Demokratie, ja genau das war es, was die Bundeskanzlerin einst anstrebte. Marktkonformes Abstimmen, marktkonforme Entscheidungsfindungsprozesse, marktkonforme Reformen, marktkonforme Verteilung. Also alles immer genau so, dass es dem fröhlichen Wirtschaften, ein netter Euphemismus für »Geld scheffeln« - was wiederum nur in vulgo nichts anderes wie »Profite maximieren« bedeutet -, dass es also diesem emsigen Anhäufen nicht im Wege steht. Nur ist es mit einer marktkonformen Demokratie offenbar gar nicht getan. Was hilft es denn, wenn die Wähler nichts mehr zu wählen haben, was Profite gefährden könnte, wenn sie also immer nur im Rahmen dessen votieren können, was noch was abwirft, wenn gleichzeitig die Strafverfolgung keinen Respekt vor der Marktkonformität hat? Doch keine Panik, Entwarnung wird gegeben, das Kabinett der Bundeskanzlerin hat begriffen, wo es leckt und handelt. Oder unterlässt Handeln.

Buße tun, das ist ne ganz feine Sache, für den Sonntag oder den Beichtstuhl, Buße tun in Geldmittel umgerechnet jedoch, wenn man was verbockt hat, das schaltet man jetzt lieber gleich ab. Um Wettbewerbsvorteile nicht zu gefährden. Marktkonform halt. Das Verkehrsministerium sieht davon ab, dem ganzen Stolz deutscher Automobilindustrie, dem Volkswagen-Konzern, einen Strafe aufzubrummen. Natürlich haben die beschissen. Kein Zweifel, dass das Kalkül war. Es behauptet ja nicht mal mehr einer, dass es ein Versehen gewesen sei. Man tat Buße, trat vor die Kunden und Bürger und war geständig. Buße tun geht, das ist marktkonform. Bußgelder überweisen geht nicht, das schmälert die Chancen. Vor Kunden und Bürgern moralisch zu büßen, Mensch, da sind wir doch ganz weit. Aber weil der Bürger in erster Linie als Kunde fungiert, darf die Moral nichts kosten. Damit wir auch morgen noch kraftvoll exportieren können.

Das ist Marktkonformität. Was ausfressen und nicht zahlen, damit das Unternehmen auch weiterhin in ruhigen Gewässern steuern kann. Kein Bußgeld einzufordern, um letztlich all die anderen europäischen und amerikanischen Autohersteller auszustechen, das ist eine ganz spezielle Form von staatlicher Bevorteilung, eine Subvention durch Unterlassung. Ein Marktriese kann das so handhaben, aber bescheißt der Bürger, dann gibt es einen Bußgeldbescheid. Schließlich ist keiner von uns marktrelevant. Uns kann man ersetzen. Aber Volkswagen, um Himmels willen Volkswagen, die verlieren den Markt, wenn sie plötzlich für ihre Schandtaten bezahlen müssten. Kulanz muss schon sein, für unsere Arbeitsplätze, den Wohlstand, die Exporthegemonie.

Marktkonforme Demokratie. Da sind wir doch schon drüber hinweg. Wenn man aus Geschäftsgründen Strafe »entbehrlich« macht, genau »entbehrlich«, so sagte das Verkehrsministerium wirklich dazu, dann ist das so demokratisch wie ein Ukas, wie ein Führerbefehl. Verwaltungsakte nach Geschäftssituation zu unterlassen, das ist marktkonform ja. Aber Demokratie ist es eigentlich schon nicht mehr. Das ist ja das ganze Problem, das dieser Begriff immer in sich trug. Er ist ein begrifflicher Widerstreit, ein hölzernes Eisen, eine kalte Wärme oder andersherum. Entweder Markt oder Demokratie. Beides geht nicht.

Wenn es dann der Markt ist, der obsiegt, dann ist es vielleicht nicht gleich eine Diktatur, aber schon ein Totalitarismus. Vielleicht ein softer, kein Stalinismus, kein Lagersystem, aber doch eine massive Beschneidung aufgeklärter Strukturen, ein System, in dem alte ethische und juristische Standards, wie die Bestrafung bei Vergehen, einfach nicht mehr gelten können, weil die höhere Mächte des Wettbewerbs und des Profits einen Befehlsnotstand ergeben, den man nur dadurch umgeht, Fünfe mal gerade sein zu lassen. Marktkonform läuft das so. Ist alles marktkonform, so beißt das Gemeinwesen die Zähne an den Marktmächten aus.

Mal sehen, falls es doch nach einer Abwahl dieser Kanzlerin aussieht, vielleicht kann Volkswagen ja verlautbaren lassen, dass ein jetziger politischer Wechsel auf dem Markt Verwerfungen mit sich brächte, die wir uns derzeit gerade nicht leisten sollten. Wählt also lieber gleich marktkonform. Ansonsten werden wir es büßen. Denn unsereins büßt immer noch, wo andere schon raus aus der Nummer sind.

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Verdammte Axt!

Montag, 25. Juli 2016

Nach dem »ersten islamistischen Anschlag auf deutschen Boden« ist man nun der Ansicht, dass sich alles geändert hätte. So liest und hört man das nun: Es habe sich alles geändert! Vor fünfzehn Jahren war ein »Nichts ist mehr so, wie es mal war« der analytische Höhepunkt nach den Anschlägen auf das World Trade Center. Seinerzeit brauchte es entführte Flugzeuge als Waffen, die ganze Hochhäuser zum Einsturz brachten, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Heute reicht eine Axt in der Hand eines traumatisierten Mannes aus, um zu so einem Schluss zu geraten. Wie bescheiden wir geworden sind bei der Auswahl der Mittel, die die Menschen in Angst und Schrecken versetzen sollen. Und trotzdem stimmt es, alles hat sich verändert. Der kritische Bürger ist so verängstigt, dass er sich Fragen zur Arbeit der exekutiven Staatsgewalt verbittet. Verdammte Axt, möchte man da schreien. Nicht die, die der Junge in der Hand hielt, die andere ist gemeint, die metaphorische, die man sprachlich anwendet, wenn man bildlich machen will, was mit so einem Gerät alles angerichtet werden kann, wenn man es zweckentfremdet. Verdammte Axt also, was hier schief läuft, dass ändert tatsächlich alles.

Es sind ja nicht alles »angry white men«. Jetzt sieht man, viele sind gar nicht wütend, sie sind einfach bloß Schisser. Und sie halten sich Sprachrohre. Diese stellen sich dann ins Frühstücksfernsehen und fordern eine Anti-Terror-Schulung für alle Bundesbürger. So wie es nach den Axt-Anschlag der Sat.1-Journalist Claus Strunz tat. So könne man die schweren Jungs schon vorher erahnen. Was der Mann fordert ist der Vorurteilsstaat; ein Gemeinwesen, das darauf basiert, allen und jeden im Alltag zu Misstrauen. Bärtigen mit Sonnenbräune allen voran. Es ist ja nicht so, dass wir jetzt in einem Idyll des alltäglichen Miteinanders lebten. Nun diesen ohnehin schwierigen Alltag mit Ressentiments und allzeitiger »Zivilcourage« anzureichern, das macht es aber ganz sicher nicht leichter. Was erlauben Strunz! Warum sagt man eigentlich strunzdoof zu einem? Das muss doch einen Ursprung haben. Wenn einer nach dieser verfluchten Axt in Würzburg im Fernsehen so einen Unfug salbadert, dann hat sich wirklich was verändert. Der Unterbietungslimbo dieser politisierten Klatschreporter scheint dem Ende entgegenzugehen. Die Stange liegt fast am Boden. Aber irgendein weicher Wurm drückt sich immer noch durch. Und liegt das Ding dann wirklich mal ganz unten, bohrt er sich eben durch das Erdreich. Kreaturen ohne Knochen und Rückgrat können das.

Strunz »sensibilisiert« Bürger, die ohnehin voll im Verrohungswettbewerb angekommen sind. Mag sein, dass Theorie und Praxis nicht immer kompatibel sind, wenn es darum geht, eines Gewalttäters Herr zu werden. Es kann schon sein, dass der zu Tode kommt. Sondereinsatzkommando-Kompetenz hin oder her; im Eifer eines Einsatzes ist vieles ergebnisoffen. Man darf nicht pauschal davon ausgehen, dass es sich die Polizei so einfach macht, wild auf einen Menschen zu ballern. Aber das Gegenteil anzunehmen, dass also grundsätzlich jeder polizeiliche Einsatz nur deshalb abgesegnet ist, weil er eben ein polizeilicher Einsatz ist, das ist mindestens genauso einfältig. Ja, schlimmer noch: So eine Haltung gefährdet demokratische Standards. Die Publikative, ja der öffentliche Raum an sich, kann und muss sich als demokratische Kontrollfunktion wahrnehmen, der die Arbeit polizeilicher Behörden kritisch zu begleiten hat. Wenn eine solche Frage einen Shitstorm erzeugt, wie im Falle Künasts - man kann nun darüber streiten, ob eine solche Rückfrage per Twitter angemessen ist -, sind wir wahrlich auf »einem guten Weg«, die Demokratie zu verabschieden. Solche Fragen sind keine Frechheit; erfolgten sie nicht, dann wäre es erst eine solche.

Die sozialen Netzwerke heißen auch hier nur so. Sozial ist daran nichts. Sie sind im Grunde eine Erweiterung der Christlich Demokratischen Union. Die heißt auch bloß so. Ist so christlich, wie die Netzwerke sozial. Grundsätzlich war für eine Mehrheit dort klar, dass der junge Mann den Tod verdient habe. Wer so wüte, der müsse damit rechnen. Letzteres stimmt sogar halbwegs. Aber hat er es verdient? Ist polizeiliche Arbeit ein Racheauftrag? Müssen Beamte rächen oder festnehmen, wenn möglich lebend? Da müsste man mal ernsthaft über die Definition von Polizeiarbeit sprechen. Manche lobten sogar ausdrücklich die amerikanische Haltung gegen Terroristen, da würde auch nicht lange gefackelt. Michael Brown, Freddie Gray und neulich Alton Sterling waren auch so Terroristen in den Augen der Staatsgewalt. Da hat man nicht lange gefackelt. Dummerweise waren sie schwarz.

Ausgerechnet jene Nation gilt für manchen da plötzlich als Musterbeispiel einer funktionierenden Polizeiarbeit, die ansonsten international scharf kritisiert wird für ihre rassistische Polizei. So geht die ganze Sache nämlich aus, wenn keiner mehr Fragen stellt, wenn Kleinstadtpolizisten ihre Verbrechen gegenseitig vertuschen und die Regionalpresse »keine Fragen mehr, euer Ehren!« druckt. Die asozialen Netzwerke scheinen nur so von Leuten besiedelt, deren Staatsverständnis lautet: Schlagt sie tot! Nicht etwa um zu schützen, oder das nur in zweiter Linie, sondern um zu rächen. Jemanden der nicht passt, den wollen sie tot sehen. Wo man früher mit Heugabeln und Fackeln auflief, da besorgt es diesen Leuten heute der Like-Button.

Übrigens waren das dann nicht selten dieselben Kollegen, die sich mächtig echauffierten, weil die Türkei die Todesstrafe einführen möchte. Dieser Diktator, der will einfach alle umbringen lassen, die ihm im Weg sind. Wenn er dann aber an postraumatisierter Belastungsstörung leidenden Marodeuren, die mit einem Beil auf Passanten losgehen, das Schafott verabreicht, dann werden sich diese Leute vermutlich auch mit der Todesstrafe abfinden. Verdammte Axt, es läuft wirklich alles schief und nichts ist mehr so, wie es mal war. Dieser Terror mit dem Terror, Strunzblödheit und Asoziale, deren Netzpräsenz als ständiger Rachefeldzug gepostet wird, das verändert alles.

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So sin' die, Cindy?

Freitag, 22. Juli 2016

Mit ergebenen Respekt hat man am Monatsanfang Frau Bessin aus ihrer Rolle als Marzahnerin verabschiedet. Ein bisschen Anerkennung für ihre Kunst schwang da auch mit. Als ob mit Cindys Abgang ein substanzieller Verlust an künstlerischer Potenz einhergehe. Wer war denn diese Cindy aus Marzahn überhaupt? Ilka Bessin war arbeitslos und strampelte sich mit dieser Figur aus dem Sozialhilfebezug frei, schon klar. Die Geschichte ist mittlerweile zum Tellerwäschermärchen der Republik emporgestiegen. Rosa Trainingsanzug, zu viel Rouge, unförmig und zugleich grobschlächtig - das sind die optischen und akustischen Parameter. Olfaktorische sind nicht übermittelt. Aber sonst so? Was hat diese Frau und ihre Stilfigur so beliebt werden lassen? Es war nichts weniger als der Klassismus, der eine an Einfluss und Partizipation einbüßende Mittelschicht dazu verleitete, sich für einen Augenblick abseits des Alltages als snobistische Elite gegen die Wehrlosen zu gerieren.

Cindy aus Marzahn sei zu politisch geworden, erklärte Bessin auf ihrer Abschiedstour durch die Gazetten, daher blieben zuletzt Zuschauer aus. Das ist so nicht ganz richtig. Cindy war immer politisch. Vielleicht nicht absichtsvoll aus sich selbst heraus, aber mindestens war sie der ungeschlachte Soundtrack der Agenda-Jahre, in denen Arbeitsminister lallend in Talkshows saßen und über die allgemeine Faulheit von Arbeitslosen schwadronierten und sich dann zur Krönung noch Superminister nannten. Super war da auch, dass es eine komödiantische Figur gab, die dieser Spielerei mit den Vorurteilen und Klischees ein geschminktes Gesicht gab. Dass die Person direkt aus dem langzeitarbeitslosen Milieu auf die Bühne watschelte, schien der ganzen Sache eine gewisse Brisanz und Aufrichtigkeit zu verleihen. Ja, da wusste aber mal eine, was sie erzählte. Vom langem Liegenbleiben, während andere zur Maloche aufbrachen. Oder vom eigentlich ganz knorke Leben, das man mit der Knete vom Staat so bestreiten kann. Bildungsfern trat sie sowieso auf, ihr Mirkokosmos war die kleine Phantasiewelt einer schlecht gepflegten Frau im Trainingsanzug, die sie sich auf der Couch räkelnd ersann. Chips standen immer parat, ach Leben, was bist du für ein fauler Lenz. Wenn sie kochte, schob sie eine TK-Pizza in den Ofen. Bei Plasberg in der Sendung saß mal ein Professor, der behauptete, dass Hartz-IV-Empfänger nur auf diese Weise kochten. Wo er diese Erkenntnis wohl nur her hatte?

Dass sie sich vor jedem Job drückte, verstand sich von alleine. Arbeitslose seien nun mal so. Sagte ja selbst der Superminister und sein Kanzler schwang als Bandleader eine ruhige Hand und suboptimalisierte die Angaben seines Ministers, diktierte jener Zeitung ins Blatt, die er einzig zum Regieren brauchte, dass es ein Recht auf Faulheit nicht gäbe. Nicht mit ihm. Nicht mit jener Zeitung. Es waren die satten Jahre des Boulevards, Jahre der sozialdemokratischen Dämmerung, ja ein Boulevard der Dämmerung in all seinen Facetten. Cindy rannte da bloß offene Türe ein.

Man exekutierte die Agenda 2010 und ihr trauriges Menschenbild mit Drohungen und Hetztiraden. Arbeitslosigkeit war fortan keine Tragik mehr, sondern ein persönlicher Makel. Das war ein anstrengendes Geschäft, da hatte man nichts zu lachen. Umso besser, wenn es jemand auf die Schippe nahm und der ganzen Dramatik eine komödiantische Wendung verlieh. Cindy spielte sich als Ikone einer heiligen Hetzjagd gegen Arbeitsscheue in die Herzen einer Zuschauerschaft, die nicht so ganz den hohen Anspruch hatte, um es mal lieb zu formulieren, um differenzierter mit ihrer Rolle umzugehen. So sin' die also, Cindy? Über ihre bühnenreife Zurschaustellung des Sozialschmarotzers lachten die Leute, mit dem wirklichen Arbeitslosen von nebenan feixten sie nicht mehr ganz so, den lehnten sie ab. Cindy hatte ihnen schließlich die Augen geöffnet, diese Leute waren einfach nicht lebensfähig, kosteten Geld, träumten nur, waren faul, verfetteten zusehends und lebten ein Luxusleben auf einem abgefuckten Sofa, von dem es kein Aufstehen zu geben schien. Lustig war das alles nur auf der Bühne.

Selbstverständlich hat das diese Frau nicht absichtlich getan, weil sie etwa eine sadistische Lust an der Verschlechterung der Lebensverhältnisse von Arbeitslosen hätte. Sie wollte halt raus aus der Sozialhilfe, wieder selbst Geld verdienen und der unwürdigen Behandlung seitens der Behörden entkommen. Das ist nachvollziehbar. Das Programm, mit dem ihr das gelang, war zwar ein laues Lüftchen, aber wie es mit so Luftnummern zuweilen ist, können sie sich als Phänomen des Zeitgeistes plötzlich zu mehr aufblasen. Anfang der Neunziger lachte man beispielsweise über »RTL Samstag Nacht«. Schaut euch heute mal eine Folge davon an, ihr werdet euch fragen, was mit jenem damaligen Zeitgeist los war, so lustlos und hanebüchen wirkt das für uns Heutige. Die samstägliche Luftnummer ging auf, die Menschen waren damals so drauf, sie mochten es aus unerklärlichen Gründen. Das heißt, es gibt sicher erklärbare Gründe, das soll aber ein Soziologe mit Medienkenntnissen aufgreifen, an dieser Stelle geht es nicht um Boning und Märchenman und seiner Augenklappe unterhalb der Nase und all diesen sinnentleerten Quatsch, es geht um Cindy. Wobei »sinnentleert«, das wäre schon mal ein Erklärungsansatz, die Menschen hatten ein Problem mit der Sinnsuche und Sinnstiftung. Wie dem auch sei, man fand Cindy wohl ziemlich originell, im Anbetracht der sozialpolitischen Stimmung im Lande sowieso, also förderte man sie bei denen, die den Boulevard steuerten. Wieder RTL, wieder die große Scheißzeitung, diese beiden Entitäten kommen immer dann vor, wenn es darum geht, dieses Land zu einem weichen Teig in Händen mächtiger Interessen zu machen.

Ohne Cindy hätte sich das Klima im Lande sicher auch nicht besser entwickelt. Das wäre der Ehre zu viel, eine Künstlerin, die vor allem das Publikum auf den billigen Plätzen unterhielt - das jetzt übrigens nicht mehr nur hinten, sondern auch mal ganz vorne saß - hat nicht die Machtfülle, um die Stimmung so zu beeinträchtigen. Andererseits war sie nichtsdestotrotz so eine Art weiblicher Nuntius jener traurigen Jahre, in der der Grundstein zum klassistischen Mainstream gelegt wurde. Durch Cindy fühlte sich eine Mittelschicht, die arg in Bedrängnis geriet, massiv an Teilhabe einbüßte, wieder auf der Erfolgswelle. Die Sozialschmarotzer, das waren die anderen. Sollte auch nur jemand ihres Publikums je arbeitslos werden, man würde sicherlich sofort einen neuen Job finden. Es lag schließlich an den Erwerbslosen selbst, wenn sie ohne Arbeit blieben. Cindy hat doch zwischen den Zeilen immer klar gemacht, dass es schon aufwärts ginge, wenn Arbeitsloser nur wollte. Es lag immer nur am schwachen Willen. Je stärker ihr Publikum die Mühlen der Prekarisierung in der Gesellschaft reiben hörte, desto mehr brauchte man Cindy. So ein Schicksal, konnte man sich dann einreden, bleibt mir erspart, ich bin viel besser als dieses Tagträumerpack.

Sie hört also als Cindy von Marzahn auf. Die Masche zieht nicht mehr. Auftrag erledigt, könnte man ihr nachrufen. Das Menschenbild der Agenda 2010 ist verstetigt. Der wandelnde Allgemeinplatz hat ausgedient. Der neue Snobismus, den sich die Mittelschicht angelegt hat, um sich gegen die Unterschicht ethisch abzugrenzen, braucht sie nicht mehr. Möglich, dass die Prekarisierungsmechanismen jetzt auch ihr Publikum erreicht haben, da bleibt Lachen ganz gerne im Hals stecken. Denkbar, dass es nicht an der angeblichen Politisierung lag, sondern an der Erkenntnis, dass es nicht sonderlich witzig ist, den Arbeitslosenalltag mittels Ressentiments zur Lachsalve werden zu lassen, wenn man selbst immer mit einem Bein im Nirgendwo steht. Solange es die anderen trifft, ist Hohn ein geiles Lebensgefühl. Aber wenn der Niedriglohnsektor an die Türe klopft, dann fühlt sich das gar nicht mehr so richtig richtig an.

Alles hat seine Zeit. Frau Bessin macht nun in Mode, sagt sie. Hoffentlich geht das gut. Zu wünschen wäre es ihr. Falls es nicht so doll läuft und sie letztlich doch wieder Stütze beantragen muss, wird man womöglich nicht ganz so belustigt mit ihr umspringen, so wie damals, als sie die Langzeitarbeitslose nur mimte. Das wirkliche Leben ist bitter. Auch wenn man sich ordentlich kleidet und nicht im quietschrosa Outfit zu Lidl dackelt, wirklich empathisch geht man mit Menschen ohne Job auch dann nicht um. Denn arbeitsscheu, das sind sie doch alle. Wie diese eine da, wie hieß sie noch gleich? Die hat das früher immer so schön gespielt. Na damals doch, ist Jahre her ... Mensch, eben wusste ich es noch! Ach ja – die Mandy! Die aus Kreuzberg.

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Film ohne Klasse

Donnerstag, 21. Juli 2016

Zola schickte seine Romanfiguren noch in den Streik. Da war Kunst Abbild und zugleich Ratgeber der Realität. Heute scheint sie solche Motivation zu verschmähen. Der Klassenkampf ruht, wir scheinen uns damit abgefunden zu haben.
klassenkampf

Letzte Woche haben wir uns »Zwei Tage, eine Nacht« in den DVD-Player gesteckt. Von dem Film der Dardenne-Brüder hatte ich schon gehört. Eine Anklage gegen die Härten des Neoliberalismus sei er. Cotillard soll darin grandios eine um ihren Arbeitsplatz bangende Arbeiterin spielen. Das trifft zu, in ihrer Rolle als Sandra trug sie den ganzen Streifen. Die Belegschaft der Firma, in der sie arbeitet, wird eines freitags vom Geschäftsführer vor die Wahl gestellt: Entweder die jährliche Prämie oder Sandra darf als Kollegin im Betrieb bleiben. Beides zugleich sei nicht finanzierbar. Die Kollegen stimmten ab, die Mehrzahl votierte für das Geld. Sandra war am Abstimmungstag nicht in der Firma, der Vorarbeiter agitierte gegen sie und so gelingt es ihr, eine neue Abstimmung für den Montag anzuberaumen. Nun hat sie ein Wochenende Zeit um eine Mehrheit zu erreichen, um ihre Kollegen umzustimmen.

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Wo Hitler recht hatte

Mittwoch, 20. Juli 2016

»... denn die Guten sind gefallen.« Das sagte Hitler. Und Hitler hatte recht. Stimmt doch, so viele Gute sind gefallen. Gute Mediziner. Gute Schlosser. Gute Lohnbuchhalter. Wahrscheinlich sogar Gute im ethischen Sinne. Gute Zuhörer. Gute Liebhaber. Gute Nachbarn. Wie könnte man dem widersprechen? Haben diese guten Leute später nicht gefehlt? Genau aus diesem Grund musste Deutschland ja Arbeitskräfte ins Land holen. Hände, die anpackten, die sich beschmutzten, um ein Wirtschaftswunder zu bewältigen. Es blieben echt zu viele draußen. Hitler hatte das ganz richtig erkannt. All die guten Leute. Fanden Mütter, Ehefrauen und Kinder auch. Sie weinten ihren Guten, die gefallen waren, viele bittere Tränen nach. Es waren ja sicherlich viele gute Söhne, Ehemänner und Väter unter denen, die nicht mehr zurückkamen. Der Führer hatte einfach recht, wenn er sagte, dass die Guten gefallen seien.

Problem an der Sache ist nur, dass das oben nur ein Nebensatz war, zumal einer, der nicht in einem Satz folgte, der da lautete »Es reicht jetzt, denn die Guten sind gefallen«. Und er redet auch nur von den Gefallenen, nicht von dem Schwund, verursacht durch seine Häscher, die manchen hohen Geist aus dem Land jagten oder in Konzentrationslager steckten. Ein Schwund, der später kompensiert werden musste. Durch eben jene Gastarbeit oder amerikanische Ingenieure. Die Guten waren ja nicht nur gefallen, sie wurden auch vertrieben, wurden vergast und fehlten dann ganz einfach. Dieser Nebensatz beendete genauer gesagt folgenden Satz: »Was nach diesem Kampf übrigbleibt, sind ohnehin nur die Minderwertigen, denn die Guten sind gefallen.« Hätte er mit dem Nebensatz begonnen und alles andere weggelassen ... Aber so?

Je länger man Menschen zuhört, desto weniger kann man sie leiden. Sartre hat das nicht gesagt. Aber er hätte es sagen können, der Satz klingt ganz schön nach existenzialistischer Ernüchterung, wie jene Hölle, die die anderen seien. Bei Rechten ist das ganz oft so. Man sieht ja nicht jedem an, dass er rechtem Gedankengut nachhängt, dann denkt man sich, »Och, der wirkt sympathisch« und man quatscht ein bisschen drauflos. Einige Nebensätze fallen, die man abnickt, er hat ja recht, stimmt ja wirklich, wenigstens so halbwegs, denkt man sich. Wenn nur da diese Hauptsätze nicht wären, die jetzt plötzlich aus ihm heraussprudeln. Die kommen stets etwas verspätet. Rechte haben ein Problem mit der Syntax, sie stellen grundsätzlich Nebensatzfetzen an den Anfang, haben da so eine yodaeske Ader. Bevor sie in medias Reich gehen, gibt es zunächst mal verbindliche Allgemeinplätze. Die Binse ist das Lockmittel, klar sind die Guten gefallen, übereinstimmt man dann. Das mit den Minderwertigen, das kommt immer erst am Satzende.

Jedenfalls ist das heute so, es gab ja eine Zeit, da hatte man noch Mut zum Hauptsatz, siehe Hitler seinerzeit. Das Problem ist einfach nur, dass diese Leute von der AfD und der Pegida oder wie all dieses sich erwachende Deutschland nennt, ja auch immer mal einen Treffer landen. Nicht alles ist ja immer grundsätzlich Unfug und galoppierender Irrsinn, auch wenn der Blick vieler der Vertreter dieser Zunft, etwas ganz anderes nahelegt. Es gibt stets einen Nebensatz, dem man beipflichten kann, bei dem man affirmativ nicken könnte, wenn man nur wollte. Wenn sie sagen »Wir brauchen mehr Arbeitsplätze«, dann haben sie gut gezielt, verdrießlich nur, wenn danach kein Punkt, wenn da nur ein Komma prangt, dem dann folgt »aber nur für Deutsche«. Irgendwas ist immer richtig, irgendwas kann man immer unterschreiben bei diesen Leuten. So arbeiten sie ja. Halbwahrheiten, eigentlich ja nur Viertelwahrheiten und der Rest ist Bullshit. Wer nur das Viertel wahrnimmt, der ist dabei, der läuft diesen Kraftausdruckskerlen nach.

Vor Jahren hat die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«, dieser von Arbeitgebern finanzierte Verein marktradikaler Hassprediger, ein fiktives Interview mit Ludwig Erhard geführt. Man war so stolz, weil der längst verstorbene Altkanzler im Wesenskern ja ein Anhänger der Agenda 2010 war. Man stellte ihm Fragen - idiotisch genug! - und legte ihm irgendwelche Zitate in den Mund, die er mal in seinem Leben gesagt oder geschrieben hatte, die aber natürlich in einem komplett anderem Zusammenhang das Licht der Welt erblickten. In dem Stil könnte man Jesus zu einem Botschafter des Sadomasochismus oder der Eisenbahn-Romantik machen. Man findet immer irgendwas, was man für seine Belange und Interessen verwerten kann. In dem Sinne war Hitler auch kein schlechter Typ, es sind reichlich galante Sätze von ihm überliefert. Wenn man nur den einen Teil hören will, dann kann jedermann ein akzeptabler Charakter sein. Auf die Art punktet die Rechte heute.

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Aus fremder Feder

Dienstag, 19. Juli 2016

»Ist dem Menschen etwas nicht recht, so kann er sich sehr scharfsinnig dagegen wehren und sehr kritisch erscheinen; paßt ihm aber etwas in seinen Kram, so kann er sich dagegen sehr leichtgläubig zeigen.«

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Auf leisen Sohlen

Montag, 18. Juli 2016

Die neue britische Premierministerin Theresa May steht auf Pumps, Slipper und Lackstiefel. Dieses Faible kennen die Briten schon lange, ihr Boulevard berichtet darüber bereits jahrelang. Großbritannien hat den größten Klatschpressesektor der Welt. Das zahlt sich hier aus. Jetzt erst erfährt der Rest Europas von Miss Mays Freude am schlanken Fuß. Vom britischen Faible für den schlanken Staat waren wir schon länger informiert. Im Thatcherism ging es los, mutierte zu New Labour und kam dann zu uns: Als Agenda 2010. Privatisierung, Deregulierung, Sozialabbau. Wir haben von den Briten gelernt, haben das angelsächsische Modell der rheinländischen Variante vorgezogen. Wir sollten nochmals ganz genau hinschauen, denn die importierte Postdemokratie höhlt aus. Und irgendwann wachen wir auf und quatschen über die Schuhe einer Politikerin, wo wir uns lieber mal im Klaren darüber werden sollten, uns die Auswirkungen des Neoliberalismus nicht weiter in unsere Schuhe schieben zu lassen.

Eine Stilikone sei die Frau. Ziemlich cool, ja ziemlich wild gar für eine Konservative. Der Boulevardpresse haben es seit Jahren ihre extravaganten Schuhe angetan. Das alles berichten jetzt auch deutsche Medien. Nun werden wir auch mit dieser Lady beglückt, mit ihrem Spleen besser gesagt. Dazu gleich noch Fotoserien. Man muss doch wissen, was demnächst über das internationale Parkett tänzelt. Nicht, was darin steckt, in dem Paar Treter, nein, an Material, an Eleganz und Chic. Politik im alten Verständnis ist öde, heute ist sie Ästhetik, ein optimischer Anreiz, ein Lackschuh ohne Inhalt, was wiederum nicht heißt, dass da nicht ein Fuß und daran eine Frau drin stecken müsste. Was hat May eigentlich für Vorstellungen? Man weiß so wenig. Gut angezogen ist sie wenigstens. Wenn einer nichts zu erzählen hat, sollte er sich was Nettes umwerfen, das hilft. Hunderttausende von erfolgreichen Bewerbern können nicht irren.

So ist es halt, wenn man die Demokratie aushöhlt und sie Stück für Stück den niederen Beweggründen der Angebotsseite, sprich dem Kapital, unterstellt und zeitgleich Journalismus den Klatschreportern in die Hände drückt, damit Journalismus nicht zu dem wird, was er eigentlich sein sollte: Ausleuchter. Man hat es gerne schattig in einem System, das darauf angelegt ist, Millionen von Menschen nicht anständig partizipieren zu lassen. Wir sollten da genau hinsehen. Die Briten betreiben ihre eigene Agenda 2010 schon seit Jahren, nur können sie wahrscheinlich solche Schlagworte nicht leiden, das macht die stiff upper lip nicht mit, sorry. Hätten sich diese Marotte auf der Insel je ausgebreitet, wäre wohl mit Antritt der Eisenlady 1979 die Parole einer Agenda 1990 herausgekommen. So betrachtet, liebe Deutschen, die Briten sind uns 20 Jahre voraus. Oder besser gesagt, sie sind so hintendran, weil sie vorneweg laufen. Bei denen steht das Chaos eines postdemokratischen Boulevardismus schon in welker Blüte.

Entdemokratisierung und Sozialabbau sind ja ohne Boulevardmedien nur schwer denkbar. Die machen den Menschen noch etwas von Demokratie vor, wahren den Anschein. Synchron dazu geht es den Menschen der Unter- und Mittelschicht immer schlechter. Der Boulevard lenkt ab, baut Feindbilder auf; Hetze gegen Arbeitslose, was wir hier Anfang des Jahrtausends hatten, gab es da bei den Briten schon Mitte der Achtzigerjahre. Die Zerschlagung der Gewerkschaften lief dazu parallel. Bei uns geht es langsamer voran, Preußen schießen nicht so schnell. Aber sie schießen. Großbritannien, schaut alle mal ganz genau hin, so geht das auch mit uns. Die Insel taumelt, das politische Führungspersonal scheint einem viertklassigen Theaterensemble entflohen, Labour revoltiert sich zurück in den Neoliberalismus, Schottland springt ab, rechtsnationale Gruppierungen erhalten Zulauf, Wayne Rooney spielt 2016 wie man 1979 Fußball ackerte, aber das größte Problem, so übermittelt man es den Leuten, das sind die leisen Sohlen einer Miss May.

Das ist die Lebensrealität in Systemen, die sich neoliberalen Schocktherapien unterziehen. So geht es voran. Inhaltlich belanglos, politisch ausgehöhlt, postdemokratisch verbrämt. Und dabei beständige Stimmen aus dem Off, uns totmoderierende Klatschonkel und -tanten, die den ganzen Verhau kommentieren, als sei letztlich immer noch alles im Butter. Die nächsten Kürzungen kommen bestimmt. Ökonomische Teilhabe kann nicht geboten werden. Aber am Schuhschrank dieser Frau, da können wir teilhaben. Ist er nicht ästhetisch gefüllt? Gut, über ihre Inhalte wissen wir nun immer noch nichts. Denen im Kopf. Was ihr Schrank inhaltlich hergibt, da sind wir im Bilde. Aber was im Kopf ist, das muss man auch nicht wissen. In der Postdemokratie braucht man gutes Schuhwerk, dann kann man die Berge hochsteigen, die man früher als Mensch in der Politik noch zu versetzen hoffte. Wenn man erstmal oben ist, sehen die Probleme da unten so klein aus.

Bei uns entwickelt sich das noch, manchmal blitzt es schon durch. Ganz so britisch ist es aber noch nicht. Ich sehe es schon kommen, im Wahlkampf 2033 kauft sich Merkel hübsche Pumps und dann tritt Nahles als ihre Gegnerin an, mit Lackstiefeln, auf denen Nieten silbrig glänzen. Dann wird die Wahl keine Angelegentheit von politischen Inhalten und gesellschaftlichen Anschauungen sein, sondern eine Mode- und Geschmacksfrage. Falls Boris Palmer dann Stilettos trägt, wird es für die zwei alten Damen des politischen Catwalks womöglich eine Niederlage setzen.

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Love and Peace and Heuchelei

Sonntag, 17. Juli 2016

Applaus für Flüchtlinge am Bahnhof, »Ich bin für Flüchtlinge!« als Statement in den sozialen Netzwerken und fast alle wollen einen Nationalspieler als den netten Jungen von nebenan.

Woher kommt diese Kuschel- oder Harmoniesucht? Und ist dieses Phänomen eine angemessene Reaktion auf die Engstirnigkeit von Gauleitern und montäglichen Spaziergängern? Verschleiert man damit nicht mehr als man aufdeckt? Unter Umständen ist es ja auch nur die andere Seite der Medaille, das nette Gesicht eines rassistischen Grundtenors. Und zugleich ist es ganz sicher Ausdruck individualistischer Imagekampagnen, die mit »Je suis [hier können Sie eintragen, was sie für den Augenblick zu einen guten und vorbildlichen Menschen macht]« ethische Tünche auftragen.

Wir sind indes auch was. Nous sommes Podcast. Im JackPod wollen wir künftig regelmäßig unseren Senf auf jede Wurst klecksen, die man uns vorhält. Und mit etwas Glück streifen wir sogar mal was Richtiges, Schönes und Wahres. Das soll vorkommen. Sogar bei uns. JackPod, der Jackpot für alle, die sich auch über kleine Gewinne freuen.

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Irgendwas mit Kartoffeln

Freitag, 15. Juli 2016

Gelegentlich muss man was gestehen. Die Leute lieben Geständnisse. Also gestehe ich. Nämlich, dass ich äußerst gerne und überdies regelmäßig Harald Martensteins Kolumne im »Zeit Magazin« lese. Ja genau, der Martenstein; der Frauenfeind und Rassist und was man ihm nicht sonst noch so andichtet hat im Laufe vieler Jahre. Selbstverständlich ist mir klar, dass er mit vielen Leuten und Gruppen aneckt. Mit Feministinnen und Genderagenten zum Beispiel. Manchmal auch mit Linken. Dabei ist er oft auch selber schuld. Er sucht ja die Offensive. Wer seine Ruhe haben will, sollte die Zettel mit seinen Texten in die Schublade stecken und nicht einer Redaktion schicken. Er möchte streitbar sein. Und das schätze ich, zumal er sich nie wirklich im Ton vergreift, er ist bekanntlich stolz auf seine humanistische Bildung. Und noch aus einem ganz anderen Grund schätze ich den Alt-Kommunisten und jetzigen Alt-Kolumnisten: Viele seiner Kolumnen sind echt grandios, sprachliches Gold, inhaltlich aussagekräftig und trotzdem oder deswegen genialisch und spontan. Manche hingegen sind dann wieder unterirdisch. Dann hört er sich gerne schreiben und quasselt nett verpackt völligen Quark über Sujets, die dasselbe sind.

Ich wollte Herrn Martenstein mal danken. Nicht für all die guten Texte. Ihn für seinen Esprit und sein Können zu belobigen, das übernehmen wahrscheinlich die Mehrzahl seiner Fürsprecher und Leser. Ich wollte mich mal lieber für die schlechten Texte, die er so fabriziert, dankend an ihn wenden.

Vor einiger Zeit erst wieder, da hat er zugeschlagen, der kolumnistische Mr. Hyde. Er hat was relativ Belangloses über Flüstervideos auf YouTube dargebracht, einen Text, der so viel Aussagekraft hatte, wie ein Kiesel im Schuh. Oder gehen wir mal einige Monaten zurück, da ging es um die Kolonialfrage und darum, ob ein neuer Kolonialismus vielleicht nicht doch ein kurzfristiger Ausweg aus der Krise mit den Geflüchteten wäre. Originell wollte er sein. Wenn man das erzwingen will, wird man meist bezwungen. Klar werden ihn seine Kritiker für diese letztere Kolumne fein säuberlich zerrissen haben, wobei wer zerreisst heute noch, heute hasst man vollen Herzens. Also wird er wohl den Hass gespürt haben. Da muss er durch, die Zeiten sind so und wer publiziert, muss aushalten können. Ich fand den Text letztlich auch miserabel. Trotztdem wollte ich mich bei ihm bedanken. Oder gerade deswegen. Moralisches und politisch Korrektes lasse ich hierbei mal ganz aus dem Spiel. Das Leben ist langweilig genug, man muss das aushalten können als Leser.

Ich sehe das so: Für mich gelten anderen Spielregeln, wenn ich einem schreibenden Mann ein Lob oder einen Tadel zukommen lasse. Die, die ihm ja sonst schreiben, werden wohl mehrheitlich nur lesen. Ich lese - und ich schreibe selbst, wie man hier - ob zum Leidwesen oder zur Freude - sehen kann. Oh, gewiss nicht vergleichbar mit Herrn Martenstein. Der Mann hat es wirklich zu einiger Meisterschaft gebracht, manchmal beneide ich ihn für das, was er fabriziert. Viele Kritiker werden es auch tun, geben es nur nicht zu, nicht wahr, Herr Biller? Ich gestehe heute also gleich nochmal, weil Geständnisse Aufsehen erregen: Ich beneide den Mann für seine Kunst. Punkt. Aber der Neid hält sich in Grenzen, gerade eben habe ich ihn schon wieder vergessen. Ich mache es viel bescheidener als Martenstein, nur mit Weblog und einer kleinen Kolumne in einer Zeitung. Der Mann ist mir voraus. Er ist ja auch ein alter Mann. Aber er ist mir voraus, weil er besser ist. Und sein Vorteil ist gerecht, Gleichmacherei in dieser Frage dulde ich nicht. Zwar verdiene ich was mit der Schreiberei, was heute auch nicht selbstverständlich ist. Aber mein Stundenlohn läge umgerechnet auf meine Schreibstunden, na ja, sagen wir mal: irgendwo bei einem Ein-Euro-Job. Ein bisschen mehr wird es wohl sein. Jammern gehört zum Handwerk. Unterstützung, ich betone das an dieser Stelle, wird immer gerne angenommen.

Als ich vor mittlerweile acht Jahren begonnen habe, regelmäßig und öffentlich zu publizieren, da war noch mein Anspruch, einen gewissen qualitativen und inhaltlichen Standard zu halten. Das gelang mir nie so richtig. Jedenfalls nicht durchgehend. Mal war ich besser, mal das glatte Gegenteil davon. Als junger Schreiber ärgerte mich der Umstand, dass ich kein Level kontinuierlich halten konnte. Lief es mal ganz gut, flachte das Niveau wieder ab. Gelesen wurde ich natürlich trotzdem, aber es reichte mir nicht und ich war manchmal richtig unglücklich. Nein, das ist kein drittes Geständnis. Nicht alles was man zugibt, muss gleich Geständigkeit sein. Irgendwann kam ich zu der Erkenntnis, dass das wohl normal sei. Wer viel macht, macht viel auch mal nicht so besonders fabelhaft. Am Fließband leidet die Qualität manchmal. Bei VW wie bei Bloggern und anderen Schreibhanseln. Wenigstens sind wir letzteren vor Rückholaktionen sicher. Ist der Text scheiße, regt sich kein TÜV auf und man kann munter weitermachen.

Dass meine These von der Normalität der Unbeständigkeit mehr ist als eine These, belegt Herr Martenstein regelmäßig wieder. Das macht mich froh. Wenn selbst Leute wie er, die es ja wirklich können, die wirklich was zu sagen haben, immer wieder mal Mist abliefern, dann heißt das, dass ich richtig liege mit meiner Einschätzung und mein schwankendes Niveau nichts ist, worüber ich mich ärgern müsste. Ich kann mir manches Tief durchaus leisten, wenn die Granden der Zunft sich ebenfalls Auszeiten leisten und sich nichts dabei denken.

Insofern wollte ich mich also mal bei ihm bedanken. Machen Sie weiter so! und so. Machen Sie weiter auch mal Quark! Umso mehr kann ich ihn mir leisten! und lauter so Koketterien, wollte ich ihm schreiben. Und dann habe ich es tatsächlich getan, mich genau so bedankt und er bedankte sich im Gegenzug auch und schrieb was von Kartoffeln und davon, dass die auch nicht alle gleich groß seien. Als ich die Antwort mit dieser traurigen Metapher las, war ich wieder mal sehr zufrieden, so einen lauen Vergleich hätte ich auch noch hinbekommen. Originalität ist halt Ermessenssache und von der Tagesform abhängig. Der Meister kann auch nicht auf Schnipsen Geniales liefern. Wieso sollte ich das also können müssen ...

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Ökonome Schreibtischtäter

Donnerstag, 14. Juli 2016

Ökonomen sollten das Leben da draußen kennen. Wer Thesen aufstellt und das wirkliche Dasein von denen da draußen beeinflusst, braucht Kenntnisse. Nicht nur statistische Mittel. Über unpraktische Schreibtischtäter.

Die Rente, die geht den Konservativen einfach nicht aus dem Schädel. Also nicht die Rente an sich, sondern das Hinausschieben selbiger. Für alle Arbeitnehmer. Da dachten die größten Optimisten, dass sich nach der Finanzkrise der Neoliberalismus erledigt hätte, immerhin begann der damalige FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher sogar zu glauben, dass die Linke doch recht habe. Es taute im Lager konservativ-journalistischer Hiobsbotschafter. Paradigmenwechsel? Jetzt durchschauen selbst die Frankfurter Allgemeinen die neoliberale Trickserei, hoffte man. Optimismus kam auf. Überall kritisierte man Privatisierung, Deregulierung und schlanken Staat. Das war der Chic jener Tage. All die ursprünglichen Apologeten sahen nun ein, dass dieses System versagt habe. Mensch, selbst der Prof aus dem Institut für Wirtschaftsforschung hatte doch schon immer gewarnt.

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Handeln und schuldig werden

Mittwoch, 13. Juli 2016

Ständig wieder, wenn ich mit bestimmten Leuten auf Willy Brandt zu sprechen komme, kräuseln sie deren Nasenflügel und sie werfen mir vor, ich wäre ein Romantiker. Hat der Mann in seiner Amtszeit nicht den Radikalenerlass angesegnet? Berufsverbote unter einen Sozi, fast so, wie bei den Nazis. Das ist ein alter Vorwurf von ganz ganz links. Es sind in der Regel dieselben Kollegen, die sich aber schrecklich darüber ärgern, dass einer wie der Höcke »unsere Kinder« unterrichten durfte. Als man ihm dieses Privileg entzog, jubelierten sie. Radikale haben in Schulen nichts verloren. Und diese Einschätzung ist richtig. Wer Schießbefehle verlangt und Flüchtlinge entmenschlicht, der sollte genausowenig einen solchen Dienst an der Allgemeinheit tun, wie Leute, die einst jubelten, als da Überlegungen reiften, wonach »der Typ in der Uniform [...] ein Schwein« sei, auf den »natürlich [...] geschossen werden« könne.

Der so genannte Radikalenerlass also. Brandt hat sich Jahre später, wenn nicht entschuldigt, so doch immer wieder gerechtfertigt. Vielleicht sei er ein Fehler gewesen, befand er mit zeitlichem Abstand. Wahrscheinlich war er von seiner Grundidee kein absoluter Fehler, sogar aus vielen Gründen nötig. Natürlich auch, um ganz praktisch zu bleiben, um schulischer und generell behördlicher Infiltration von Sympathisanten von brutalen Gewaltverbrechern keine Agitationsplattform zu gewähren. Man hatte es immerhin mit der Sympathisantenszene von Mördern zu tun, mit gnadenlosen Häschern, die paranoid genug waren, eine Mär zu erzählen, in denen sie als arme verfolgte Anstandsbürger vorkamen und die dann auch noch von vielen geglaubt wurde. Von vielen, die es glauben wollten. Nun gut, das führt jetzt zu weit. Es geht um den Radikalenerlass und nicht um das innerbetriebliche Klima dieser sich politisch färbenden Mörder, die letztlich doch sattsam apolitisch waren.

Vieles wurde vielleicht zu grob gehandhabt mit dem Erlass, nahm die Form von Kommunistenhatz an. Ein gewisser Herr Erdmann von gegenüber, der hat das auch schon mehrfach genau so bezeichnet: Kommunistenhatz. Oberflächlich betrachtet dürfte er nicht mal falsch liegen. Aber ein Berufsverbot, wie er es nannte, war er ja auch nur bedingt. Der Mann ist, wie so viele, die die Grundidee der Sozialdemokratie verächtlich abtun, ein Spezialist darin, die Dinge so hinzustellen, dass am Ende genau das rauskommt, was rauskommen soll. Solche stellen ihren Idealismus über alles und merken dabei nicht, dass ihnen der Bezug zur Welt, wie wir sie vorfinden, vollkommen abhanden kommt. Bedingt war es nur ein Berufsverbot, weil man ja arbeiten konnte und durfte. Selbst dann, wenn man in den Ruch kam, irgendwie Sympathisant gewaltbereiter Kreise zu sein. Nur durfte man halt nicht mehr für den Staat arbeiten, für den öffentlichen Dienst. Einen Staat, den man ja ohnehin ablehnte. Was soll daran denn bitte verwerflich sein?

Wenn ein Staat nur ansatzweise glaubt, er müsse sich und seine Bürger schützen, so muss er Personen, die sich radikal zu Gewalttätern bekennen, auch so gut wie möglich aus seinen Insitutionen heraushalten. Das ist das eine. Damals kam aber noch dazu, dass Brandt eine Entspannungspolitik mit dem Osten anstrebte und die Konservativen im eigenen Land glaubten, die Sowjets marschierten nun bald ein. Diesen Ängsten musste man begegnen, wollte man sich an der Macht halten, um weiter an der eigenen Marschroute festhalten zu können. Diese Entspannung brachte ja viele Verbesserungen für die Menschen, die Kontakte ins andere Deutschland pflegten. Hätte ein Bundeskanzler damals kaum oder jedenfalls nur unzureichend auf diese Machtprobe mit Terroristen reagiert, wäre das Tauwetter aufgrund eines Bonner Machtwechsels womöglich entfallen und wo das geendet hätte, bleibt als Antwort schuldig.

Realpolitik nennt man diesen ganzen Komplex. Es ist was ziemlich Widerliches, wenn man genau nachfragen will. Deswegen komme ich darauf zu sprechen. Vieles was realpolitisch ist, das ist mehr als unschön, manchmal ist es richtiger Dreck. Wahrscheinlich auch nicht ideal - und ideell schon gar nicht. Da sind wir wieder bei Toller, der wusste, dass man in der Verantwortung stehend nicht immer idealistisch bleiben könne. Der Handelnde macht sich schuldig. Brandt las in jungen Jahren Toller, so wird berichtet. Er haderte nachher wie der alte Meister aus der Münchner Rätezeit. Verantwortung, das ist wahrhaft ein Scheißgeschäft. Realpolitik bedeutet nicht immer im Einklang mit seinen Wertevorstellungen leben zu können. Dumm ist es auch gelaufen damals, nicht jeder Kommunist war für die RAF. Aber um bei Toller zu bleiben: »Muss der Handelnde schuldig werden, immer und immer? Oder, wenn er nicht schuldig werden will, untergehen?« Und untergehen, das ist keine Option, wenn man etwas bewirken will. Was nicht heißt, dass man allen Idealismen preisgeben darf.

Das ist es, was man als linker Mensch in Deutschland jetzt begreifen sollte. »Wir« brauchen die Verantwortung. Regierung vor sich hertreiben aus der Warte der Opposition, das war eine Weile in Ordnung. War ausreichend, als es nur gegen den Merkelismus ging. Aber mit dem massiven Rechtsruck hat sich alles gewandelt. Jetzt muss man handeln, um eben nicht schuldig zu werden. Idealistisch aus der Opposition zu wettern, reicht nicht mehr aus. Idealismus auch als Partei zu bewahren, die die Regierungsarbeit nicht scheut, das wäre im Sinne des Wortes ideal. Aber jetzt brauchen wir ein Bewusstsein zur Realpolitik und die Gewissheit, dass nicht alles so gelingen kann, wie wir es uns ausmalen. Was nicht heißt, dass die Agenda 2010 entschuldigt ist, als realpolitischer Kompromiss gewissermaßen. Denn genau das war sie ja nicht.

Die Linke braucht einen Radikalenerlass. Sie sollte sich die Radikalen selbst erlassen. Nicht so, wie es die Schröderianer gemacht haben. Die haben alles aufgegeben, keine letzte Grenze mehr gehabt. Grenzen müssen sein, manches ist nicht verhandelbar. Wer aber verändern will, der muss auch manchmal etwas tun, was einem nicht schmeckt. So ist Demokratie. Man wägt ab und holt das Beste raus. Mit Reinheit macht man sich schuldig. Siehe Brandt und wie er Europa veränderte.

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... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 12. Juli 2016

»Wenn alle Stricke reißen, dann kann man sich nicht mal mehr aufhängen.«

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Vom Storch gebissen

Montag, 11. Juli 2016

Gleich am Morgen, da der Brexit den Untergang des Abendlandes einläutete und uns die Berichterstatter nahelegten, lieber gleich für einen finalen und somit erlösenden Asteroideneinschlag zu beten, holte man die Gesichter deutscher Pro-Brexit-Stimmen an die Mikrofone. Auch die »heute-Nachrichten« kündigten Reaktionen deutscher Brexit-Befürworter per Einspieler an und plötzlich stierte einen Frau von Storch an, die irgendwas von erfreulichen Entwicklungen palaverte. In diesem Augeblick war klar, dass der Brexit den Untergang des Abendlandes, wie wir es kennen, verursacht hatte. Nicht wegen seiner selbst willen, nicht weil er von den Briten beschlossen wurde, nein, weil er dazu führte, die mediale Präsenz der Storch in eine mediale Existenz zu überführen. Der Brexit ist nicht nur der Ausgang Britanniens aus der EU, sondern vor allem der Ausgang der Qualitätsmedien aus ihrer eigenen Restqualität.

Einen Austritt aus einer Wirtschaftsunion, den kann man überleben. Umso leichter, wenn man eh nie so hundertprozentiges Mitglied eines solchen Bundes war, immer so mit einem Bein in der Sezession herumstocherte. Tragisch sind weniger die ökonomischen Folgen, die kann man, sofern gewollt, auffangen und abmildern. Ökonomie ist ja kein Naturgesetz, nichts Unabwendbares. Rahmenbedingungen kann man modellieren. Wirtschaftsräume sind immer auch künstliche Modelle. Man kann sie steuern, sofern der politische Wille hierzu existiert. Es ist ja auch nicht so, dass mit dem Austritt die europäische Idee zunichte gemacht wurde. Diese Idee darbt doch schon lange - und das ohne, dass jemand per Austritt der Idee den Garaus gemacht hätte. Zwischen Austerität und Renationalisierung ist dieser Brexit nichts, was auf irgendeine Weise eine neue Erkenntnis gebracht hätte. Tragisch ist viel mehr nur, wie man sich dazu entschloss, welche Weltanschauung einen solchen Austritt verursachte und zu guter Letzt, welche Figuren jetzt plötzlich zu Vertretern einer Gegenposition werden.

Befremdliche und eigenbrötlerische Gestalten, deren einziger sozialer Reflex eine Sozialphobie sein mag, die sie auf Kosten der Staatskasse therapieren. Leute wie Frau von Storch, die paranoid und am Rande der Debilität unversehens in eine Art von Austrittsexpertentum gehievt werden. Die besagte Frau machte im Laufe des letzten Jahres von sich reden, weil sie der Kanzlerin eine Flucht nach Südamerika unterstellte oder aber die Abschaffung der deutschen Nationalmannschaft. So einer, nett formuliert, groteske Person, erteilt man just an dem Tag das Wort, an dem laut Einschätzung der Qualitätsmedien sich das Abendland abgeschafft hatte. Diese Einschätzung konnte man erst teilen, als man der Storch diese Möglichkeit einräumte. Einen Austritt der Briten kann man abfedern, Norwegen ist auch nicht in der EU und Norweger sind nicht dafür bekannt, in großer Zahl am Hungertuch zu nagen. Aber den Eintritt solch absurder Staturen in den Pool derer, die man hierzulande nicht mehr nur in den Medien präsent hat, sondern eine gewisse Form medialer Existenz genehmigt, weil man sie mehr oder weniger als Kapazitäten hinstellt, wenn auch ungewollt, einen solchen Eintritt kann man kaum abdämpfen.

Vom Storch gebissen zu werden, das meint sprichwörtlich nichts anderes, als schwanger zu sein. Und schwanger gehen wir sicher in diesem Lande. Schwanger mit einem Sinn für Ausgeburten, denen wir nicht dann das Wort erteilen sollten, wenn es ernst wird. Am Ende glauben sie nämlich noch selbst, dass sie wichtig wären. Nehmen sich noch ernster, wie es viel zu viele eh schon tun. Immer dann, wenn man von Storch ans Mikro holt, macht man diese Paranoikerin zu einer Stimme, die man hören sollte. Wer sie sich aber mal anhören sollte, so könnte man vermuten, das wäre ein einfühlsamer Dr. Psych.

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Ach, die rubbeln sich nur einen!

Freitag, 8. Juli 2016

Frohen Ramadan wünschte sie alle Moslems. Dazu eine Sure, irgendwas vom Allerbarmer. Die Frau ist Linke, in einem Ortsverband organisiert. Für sie mögen diese Glückwünsche ein Zeichen sein. Gegen den Fremdenhass und die AfD und so. Also postete sie das bei Facebook. An mehreren Tagen, wie ich nachher entdeckte. Stets ein warmer Wunsch und eine Sure. Das kann man machen, aber irgendwas störte mich dabei. Was, wusste ich noch nicht so genau. Genauso wie bei diesem Artikel neulich in einem alternativen Blatt. Da lobte man ein afrikanisches Straßenfest. Die Schwarzen tanzten und boten Gerichte feil. Die Besucher kosteten die Folklore aus. Alles habe bestens geklappt. Und man hätte nun auch gesehen, wie reibungslos das Zusammenleben funktionieren könne, wenn nur alle es wollten. Überhaupt erwiesen sich die Afrikaner als ausgesprochen liebenswerte Menschen. Übrigens die Syrer von gegenüber seien auch nett. Auch bei dem Geschwafel fühlte ich mich unwohl, als ob jetzt jeder von einem Menschen mit linker politischen Vorstellung erwartete, dass er auf Tuchfühlung zu gehen habe. Will ich aber nicht müssen. Ja, muss ich auch nicht müssen. Überhaupt, dieses Anbiedern hat für mich auch nichts mit Respekt zu tun. Es ist alles nur mehr oder weniger fürs Ego.

Und dann noch das ganze Tamtam mit dem Boateng und seiner unaufhörlichen Nachbarschaft. Herr Nachbar hier, Herr Nachbar dort, Herr Nachbar klärt auf der Linie und wie irre vernachbarschaftlichen sie sich mit dem Kerl. Plötzlich will jeder den Deutschen mit dunklen Teint als Nachbarn haben, als sei jemand ausgerechnet dann ein besonders begehrter Mann von obendrüber, nur weil er ein bisschen afrikanischer aussieht als andere. Was sind wir tolerant und gut und weltoffen, nicht wahr!

Vor einigen Wochen entdeckte ich einen hübschen Text von Micky Beisenherz. Kuschelrassismus nannte er darin dieses Phänomen. Solidarisierung erfolge nicht, weil man es als inneren Reichsparteitag oder wahlweise inneren Nürnberger Prozess spürt, sondern als egozentrische Botschaft. Indem man sich als exemplarisch tolerant und unverklemmt positioniert, grenzt man sich von all diesen Trotteln ab, die heute so laut schreien wie nie zuvor oder wie eben vor vielen Jahren auf eben jenem Reichtsparteitag. Nun gut, der äußeren Variante davon natürlich. Spätestens seit dem äußeren Nürnberger Prozess wurden sie verschwiegener. Bis neulich. Tja, vor Jahren mussten sich Nazis im Untergrund bewegen und heimlich dönermorden. Subunkultur war mal, heute bekennt man wieder laut, was damals still bestellt wurde. Einer der Mörder hieß dann passenderweise Mundlos. Und exakt so geben sich die Maulhelden heute nicht mehr. Dagegen muss man was tun. Also macht man es kuschelrassisch.

Das was Beisenherz vom Stapel ließ, ist es auch, was ich in mir als ablehnenden Affekt bemerke, wenn ich diese Boatengismen und dieses sich Anbiedern an die Fastenzeit oder andere Phänomene dieses Kalibers verfolge. Mir stösst diese Tour zunächst auf, weil ich dahinter aufgeblähte Egos spüre, die sich mittels Kuscheleien als moralisch bessere Menschen aufhübschen. Es tut ja so verdammt gut, ein besserer Mensch zu sein als die schlechteren. Man netzwerkt sich tolerant und weitherzig, was bin ich nicht für eine hervorragende Person, seht nur her, wie gut sich das anfühlt. Aber Grundgehalt hat diese Haltung nicht. Sie ist so eine Form negativer Dialektik, ein Liberalismus, der sich nicht aus Denken rekrutiert, sondern als Gegenformation zum Gedankenlosen; man künstelt Weltoffenheit, besonders nur deshalb, um im eigenen Inneren eine schöne Wärme zu verspüren, eine Wärme, die einen als moralisches Subjekt besserstellt und damit einem Akt innerer ethischer Selbstbefriedigung gleichkommt. Politisch gewichtig ist dieses Aufkommen moderner Onane aber sicher nicht. Die rubbeln sich nur einen darauf, als tolerante Deutsche angeguckt zu werden.

Das klingt hart, aber etwas anderes kann ich darin nicht sehen. Nicht falsch verstehen, wer Ramadan pflegen will, bittesehr, der soll das tun. Meinen Segen hat er. Faste und sei glücklich. Aber ich sehe in so einem Verhalten, das zum Trotz gegen die Stimmen der Verblödung jetzt mit Glückwünschen aufläuft, wirklich gar nichts von politischen Format. Eigentlich im Gegenteil. Da fährt man nur auf der Befindlichkeitsschiene. Und mit Befindlichkeiten zu hantieren, das ist so eine Sache, wenn man politische Einschätzungen abgeben will. Man soll sie im Blick haben, aber nicht zur Grundsteinlegung einer Schlußfolgerung gebrauchen. Da sollte man stoischer sein. Und ignoranter.

Überhaupt ist die Ignoranz so ein Benehmen, dass viel zu schlecht wegkommt. Ihr Ruf ist ausgesprochen negativ, obgleich Ignoranz doch die Keimzelle einer halbwegs friedlichen Massengesellschaft ist. Man muss den Ramadan nicht feiern, kann ihn ignorieren und ihm damit außerhalb des eigenen Sichtfeldes alle Freiheiten zugestehen, die er benötigt. Viele sagen gemeinhin auch, dass Toleranz ein verlogenes Wort sei, weil damit im weitläufigeren Sinne gemeint sei, man müsse etwas ertragen. Und wer nur erträgt, der sei ja gewissermaßen immer noch leidend an der Sache, der müsse sich auf die Lippen beißen. Was ist daran bitteschön so schlecht? Toleranz reicht doch. Ich kann dem anderen alle Freiheiten lassen, muss aber deshalb nicht gleich Suren rezitieren. Ich bin solidarisch mit Muslimen, muss aber deshalb nicht der große Islamversteher sein. Einem Schwulen nichts Schlechtes zu wünschen, das ist doch schon liberal. Ihm nur das Beste zu wünschen, gelingt mir nur, wenn ich ihn persönlich kenne, nicht aber als Grundsätzlichkeit und schon gar nicht, als solidarischer Aufruf zur Gay Pride.

Man kann diese Gedanken falsch verstehen, wenn man will. Wie schnell ist man heute ein Nazi! Neulich fiel mir ein Buch vor die Füße, etwas über das jüdische Leben nach dem Krieg und der Shoa. Plötzlich entdeckten viele Deutsche eine unbegreifliche Liebe zum Judentum, alles was jüdisch war, galt in den Fünfzigerjahren in aufgeklärten Kreisen plötzlich als ausgesprochen interessant. Man war plötzlich philosemitisch, weil man überkompensierte. Als Gegenreaktion. Einige jüdische Stimmen aus jener Zeit kamen in dem Buch auch zu Wort. Dieser positive Antisemitismus, wie sie es nannten, ekelte viele Juden auch wieder an. Beisenherz hätte das Kuschelrassismus genannt und dasselbe damit ausgedrückt. Diese ablehnende Reaktion halte ich für nachvollziehbar. Ich sehe das nicht anders. Nein, Muslime sind keine besseren Menschen, auch wenn sie jetzt Opfer islamophober Idioten sind. Boateng ist kein Botschafter des Multikulturalismus und bei den Syrern gibt es gute und sicher auch viele schlechte Charaktere.

Die geschätzteste aller denkbaren Frauen, sie saß letztens am Frühstückstisch neben mir und sah von der Zeitung auf. Sie nerve dieses Getue von einigen Journalisten und Kommentatoren, die nur rein das gute Wesen »der anderen« thematisieren. Wie eindimensional kann man eigentlich sein? In letzter Konsequenz, so sagte sie, kotzen mich alle Menschen an. Wir lachten. Sie übertrieb, ich bin der Misanthrop in unserer Beziehung, aber sie traf für meinen Geschmack den richtigen Ton. Darin schlummerte nämlich eine Empfehlung: Toleriert alle durch gesunde Ignoranz, nur so schaffen wir das. Dann erzählte ich ihr vom Kuschelrassismus und von der Linken, die Suren als Mittel der Solidarität benutzte und wir schüttelten den Kopf. Dann lachten wir abermals. Wir aßen hier und andere fasteten. So what! Die Welt ist wie sie ist, jeder macht wie er will. Aber ich bitte darum, dass ich dazu keine Reden schwingen, nicht Fastenlob aussprechen muss, wo mir nicht danach ist. Solidarität geschieht nicht immer mit Statements. Den anderen machen zu lassen, ihn zu ignorieren und damit kundzutun, dass man seine Kreise nicht stören möchte, das reicht manchmal als solidarische Bezeugung schon völlig aus.

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Aus, aus, aus - das Spiel ist aus!

Donnerstag, 7. Juli 2016

Durchhalten. Noch drei Tage, dann ist der Zirkus so oder so vorbei. Das, was man mal ein internationales Turnier nannte und was heute nur noch ein Event von ahnungslosen Schreihälsen mit zu viel nationalem Testosteron ist.

Kurz vor der EM war ich erstmal bei Penny. Der aus dem Off dudelnde Haussender war schon in Stimmung, holte Experten ans Mikrofon. Keine Fußballer. Einen Caterer! Der stand den Kunden fachlich zur Seite. Zu einem Fußballspiel, sagte er, brauche man Bratwürste und Kartoffelsalat, den man übrigens hübsch mit Petersilie garnieren sollte. Aha. Ein Mordsratschlag, für dessen Ausführung man schon vom Fach sein muss. Und natürlich gab es auch Bier im Sortiment, extra für das Turnier. Zwei Tage später brachte ein bekanntes Magazin auf seiner Internetpräsenz einen EM-Hack, »So kühlen Sie Ihr Bier in zwei Minuten«. Das ist es, so schoss es mir wieder mal in den Sinn, was Fußball heute ist. Ein Event, das mit dem eigentlichen Sport rein gar nichts mehr zu tun hat. Wie wir in der Postdemokratie die Demokratie überwunden haben, so haben wir im Postfußball alles hinter uns gelassen, was substanziell je mit dieser Sportart zu tun hatte.

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Erst wenn wieder Linke Gauck beschimpfen

Mittwoch, 6. Juli 2016

Natürlich habe ich Joachim Gauck gegönnt, dass er bei einem seiner Auftritte beschimpft wurde. Aber doch nicht von diesen Leuten! Er war und ist auch nicht mein Präsident. Nie gewesen. Als Linker konnte ich nie nicht anders, als diesen Mann und seine neoliberalen Predigten ablehnen. Der treue Leser weiß, dass ich diesen Bundespräsidenten seit Beginn seiner Amtszeit verabscheute. Er war, ganz so wie Albrecht Müller damals seine kleine Streitschrift nannte, »der falsche Präsident«. Jedenfalls für diese Zeit. Dass er nun aber von diesen Bürgern dieser frivolen Rechtsruck-Kultur beschimpft wird, das zeigt leider auf, wie es mit der Deutungshoheit im Lande bestellt ist. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, damit es wieder linke Kehlen sind, die diesen Mann mit Buh-Rufen zum Pfeffer wünschen. Erst wenn wieder Linke den Bundespräsidenten beschimpfen, hat dieses Land noch eine Chance auf eine Zukunft im sozialen Ausgleich.

Vieles von dem, was diese Bürger voller Sorgen da tun, hat man links der Mitte vorher schon als Thematik erfasst. Dass die Qualitätsmedien nämlich ihrem Bildungsauftrag nicht nur nicht gerecht werden, sondern ihn gleichwohl ausnutzen, um lukrativen Kampagnenjournalismus zu betreiben, war links schon seit Jahren Sache. Nun also hat die Rechte sich desselben Themas angenommen und nennt diesen Themenkomplex ganz schlicht »Lügenpresse« und so ist man zwar als Linker versucht, dieser Einschätzung einer lügenden Presse beizupflichten, ohne damit aber letztlich dasselbe zu meinen. Denn die Lügenpresse ist ganz anders geartet, tangiert nicht diesselben Vorwürfe wie linke Medienkritik. Letzterer ging es in all den Jahren um die Verquickung von Journalismus mit Wirtschaftsinteressen. Den Leuten, die »Lügenpresse, Lügenpresse!« skandieren, ist es jedoch viel mehr ein Anliegen, die Auswüchse einer großen Weltverschwörung zu sehen, die im Körper einer Dunya Hayali über den Äther flimmert.

Dasselbe ist es ja beim Thema Sozialstaatlichkeit. Die sorgengeplagten Bürger wollen einen Staat, der auffängt, eben keinen schlanken Staat. Ihr politischer Arm, die Altersnativen, sind da ein wenig gegenteiliger Ansicht, aber das muss ja jetzt nicht kümmern. Die Sozialstaatlichkeit, die diese Leute befürworten ist allerdings eine ethnische Solidargemeinschaft. Keine ethische. Eine Ethno-Sozialromantik, die den Deutschen absichert, den türkischen Arbeitnehmer aber eine Rückreise ins Land seiner Väter und Mütter ans Herz legt, falls er dann doch mal den Arbeitsplatz verliert. Einzahlen darf er natürlich bis dahin. Aus Dankbarkeit, sich hier ein Leben aufgebaut haben zu dürfen. Joe Bageant skizzierte vor einigen Jahren, wie die rechte Tea Party dazu überging, linke Demonstrationskultur für sich in Anspruch zu nehmen, bunte Happenings und lustige Stimmung um ihre drakonische Reaktion zu bemänteln. In etwa so ist es auch in Falle der »Medienkritik«, der »Sozialstaatlichkeit« und der Ablehnung von gewissen Polikern von rechter Seite. Man hat das ehemals linke Unwohlsein in der Mediokratie aufgegriffen, es aber natürlich von hinten her aufgezäumt und mit rechten Affekten versehen.

Natürlich kann man, wie diese aufgebrachte Menge aus Sachsen, einen Groll gegen diesen Bundespräsidenten hegen. Genauer gesagt, wäre es eher viel verwunderlicher, wenn man ihm gegenüber keine ablehnenden Gedanken pflegte. Die Frage ist aber letztlich auch hier, welche Art von Ablehnung das ist. Die, die dessen neoliberales Pfaffentum kritisiert, seine moralische Attitüde, die zum Beispiel Managern als warmen Ratschlag Mäßigung mit auf dem Weg gibt, ohne die strukturelle Habgier des Systems auch nur in einem Nebensatz zu erwähnen? Oder richtet sich die Wut gegen dessen Kriegstreiberei und die Doppelmoral, wonach heutige Protestbewegungen in seinen Augen einfach nur dumm seien, während er sich als der führende Kopf der Bürgerrechtsbewegung in Ostdeutschland hofieren lässt? Ein Kopf übrigens, der er nie war, dessen Vorzüge er aber gerne in Anspruch nimmt. Oder ist es einfach nur dieser plumpe Hass auf einen Mann, den man als Kopf eines Regimes ablehnt, einer Gruppe von Volksverrätern, die den Multikulturalismus als Waffe gegen das Deutsche verwenden? Pfeift man den Mann aus, weil er ein Judenpräsident in einer Judenrepublik ist, der das Auschwitzer Märchen erzählt?

Man kann in vielen Dingen zur selben Reaktion kommen, ohne denselben Ansatz zu haben. Fast täglich spürt man dieses Dilemma jetzt und manchmal fällt es schwer, die Falle zu wittern. Viel zu schnell stolpert man, weil man das Resultat ja teilt, aber dabei vergisst mal draufzuschauen, wie man zu so einem Resultat kommt. Dann spürt man, wie man sich die Hände reibt, weil sie den Gauck auspfeifen und niederschreien und merkt im selben Augenblick, dass man diesen Mann, den man ablehnt, trotzdem in Schutz nehmen muss von diesen irrlichternden Hassbürgern. Sie mögen den Präses weghaben wollen wie man selbst, aber wenn man bei Sinnen bleibt, dann muss man sich sagen: Nicht unter diesen Aspekten, nicht weil er angeblich jüdische Politik predigt oder so einen Unsinn.

Für den Bundespräsidenten selbst sind nicht die Eliten das Problem, wie er neulich feststellte, sondern es liege am Volk. Gut, diese plärrenden Sebnitzer, die fühlten sich echt problematisch an. Andererseits waren es die Eliten, die sie zu einem Problemfall machten mit ihrer ewigen Verzichtspolitik.

Worauf es jetzt hinzuwirken gilt, das ist ein Paradigmenwechsel. Eine linke Deutungshoheit muss möglich sein. Darauf muss politisch hingewirkt werden. Wenn ein Bundespräsident wieder ausgebuht wird, weil er den Katechismus des Neoliberalismus unter die Leute bringt, wenn man seine Kriegsrhetorik zum Gegenstand von Pfiffen und Stinkefingern macht, wenn seine Heuchelei dazu führt, dass sie ihm einen unwürdigen Empfang bereiten, dann ist das schon mal ein guter Anfang für einen Linksrutsch. Erst wenn wieder Linke einen wie diesen Gauck beschimpfen, dann hat dieses Land wieder eine Chance, sich von dem Teil des Volkes zu befreien, das sich tatsächlich wie ein Problem aufführt.

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Aus fremder Feder

Dienstag, 5. Juli 2016

»Angst vor der Angst zu haben, Angst vor der Verzweiflung zu haben bedeutet, den Erpressungen, die wir nur zu gut kennen, den Weg zu ebnen.«
- Viviane Forrester, »Der Terror der Ökonomie« -

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Der Lohn der Abgehängten

Montag, 4. Juli 2016

Der Mindestlohn heißt in Deutschland Mindestlohn, weil er mindestens zwei bis drei Euro von der Summe entfernt ist, von der man ansatzweise ein würdiges Leben bestreiten könnte. Er ist also folglich mindenstens um zwei bis drei Euro zu niedrig angesetzt. Gut, zwei bis drei Euro abzüglich vierunddreißig Cent. Die kommen ab Beginn des nächsten Jahres drauf auf dieses unzureichend ausgeführte sozialpolitische Projekt. Langsam kommen wir der Menschenwürde also schon näher.

Zunächst muss man ja hervorheben, dass die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes durchaus ein gute Entwicklung ist. Ein Türöffner. Dass es ihn jetzt gibt, ist ein begrüßenswerter Fortschritt. Dass es ihn so, auf diese unzureichende Weise gibt, das hingegen ist eine Entwicklung, die vielen Arbeitnehmern keinen Fortschritt erlaubt. Bemessen hat man den Stundensatz Pi mal Daumen nach jenem Warenkorb, der ja zur Festlegung des Regelsatzes schon lächerlich wirkte. Wie der Warenkorb von 1971 oder 1977 vielleicht, aber nicht wie einer, den man heute auf Kassenbänder schmeißt. 2016 ist leider weniger günstig. Und 2017 wird, trotz ganzer vierunddreißig Cent mehr in der Stunde, auch nicht unbedingt preiswerter. Aber wir nähern uns an. Wenn also heute zwei bis drei Euro pro Stunde für ein würdiges Leben fehlen, es aber alle zwei Jahre Erhöhungen in der genannten Größenordnung gibt, dann könnte schon in 15 bis 20 Jahren ein Lohnniveau erreicht sein, von dem Menschen einigermaßen akzeptabel leben können.

Könnten. Konjunktiv. Im Jahr 2031 oder 2036 hätten sie dann 2016 davon leben können. Nicht üppig, aber wenigstens so, dass es manchmal auch Spaß macht. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Der auf diesen bundesrepublikanischen Mindestlohn angewiesene Arbeitnehmer weiß das zu gut. Sein menschenwürdiger Lohn ist greifbar, sofern die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht zu stark einbricht. Wenn er ihn dann irgendwann erlangt, dann kommt er um Jahre zu spät. Dann kann er davon träumen, wie es wohl gewesen wäre, hätte er schon vor zwei Jahrzehnten mit diesem Budget haushalten dürfen. Dieser Mindestlohn, das ist der Lohn der ewig Abgehängten, kein Fortschritt in seiner jetzigen Ausführung, sondern ein über Jahre angelegter Hohn für all jene, die schon im Hier und Jetzt von ihrer Hände Arbeit über die Runden kommen wollen.

Eine virtuelle Mittelschicht, könnte man die darauf angewiesenen Arbeiter und Angestellten nennen. Virtualität sind sie ja eh gewohnt. 41.000 Euro durchschnittliches jährliches Bruttogehalt beziehen sie, 83.000 Euro haben sie an durchschnittlichem Vermögen und alle zwei Jahre verreisen sie im Durchschnitt einmal für durchschnittlich fünf Tage. Virtuell ist das Leben der ökonomisch Abgehängten in Deutschland. Ein virtuelles Einkommen als Auskommen, das hat gerade noch zur Komplettierung gefehlt.

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Auf der Überholspur

Freitag, 1. Juli 2016

Es geht aufwärts mit mir. Mein Name ist kein Hemmnis, kein Hindernis mehr. Ich könnte mit ihm sogar Teil der AfD werden, ohne dass sich jemand der Herkunft meines Nachnamens widmen würde. Das war aber vor etlichen Jahren noch anders. Mein Vater hätte mit demselben Namen niemals einen Aufnahmeantrag für die NPD geschickt bekommen. Natürlich nicht. Selbst der deutsche Durchschnittsbürger, der unverdächtig etwaiger solcher Mitgliedschaften war, hatte immer auch ein Interesse daran, sich darüber zu erkundigen, ob denn mein alter Herr nach Renteneintritt wieder zurück ginge nach Spanien. Fast vierzig Jahre in diesem Lande und die Leute hatten sich noch immer nicht an sein Dasein gewöhnt. Jetzt ist das anders, ich als zweite Generation bin nun akzeptiert, aufgenommen im Volkskörper. Werde nicht gleich aussortiert auf dem Stapel mit den Bewerbungsunterlagen in Personalbüros. Dafür danke ich. Nicht diesem weltoffenen Volk hier, nein, ich danke Kashib, Szymon und Metodi. Ihr Lieben, ihr seid die Streben der Leiter meines Aufstiegs.

Auf euch trete ich, um aufzusteigen. Auf euch und auf all die Afrikaner, die es jetzt so bei uns gibt. Wenn ich sage, dass ich auf euch trete, dann ist das nicht wörtlich, nicht verächtlich gemeint. Mehr so als billige Leiter-Metapher. Ich kann es nun auf der Leiter selbst zum Leiter schaffen, wenn ich das denn möchte. Irgendein Kashib ist immer da, dem ich weisungsbefugt sein darf. Jetzt loben sie mich explizit für meinen schönen Namen, keiner wundert sich mehr, dass ich trotz dieses Namens mit bayerischen Akzent spreche. Als Abkömmling eines Spaniers, na hört mal, da gehöre ich doch zu Europa, zum kultivierten Kreis. Ach, die Spanier, das waren doch immer grundanständige Leute. Vergessen die Zeit, da sie meinen Vater unterstellten, er würde nur deutsche Frauen schänden und gute deutsche Arbeit qualitativ unzureichend verrichten. Und dann wollte er nicht mal nach Hause zurück - nach Hause, womit nicht die Wohnung gemeint war, für die er die Miete aufbrachte, sondern ein Land, dem er vor Jahren den Rücken gekehrt hatte. Der gierige Wirtschaftsflüchtling. Aber damals waren solche Wirtschaftsflüchtlinge noch willkommen, denn auf den Feldern Russlands war die Arbeitskraft liegen geblieben, die ein Wirtschaftswunder halt mal braucht. Sie waren genauer gesagt eigentlich gar nicht willkommen, sie wurden nur benötigt. Und sollten dann auch bitte wieder abreisen, wie anständige Gäste das zu tun pflegen.

Kind von so einem war ich. Auch nicht besser als er. Die guten Seelen hatten wohl eher Mitleid mit Gastarbeiterkindern. Die armen Kleinen, so entzweigerissen zwischen Deutschland und ihrer Heimat. Ich wurde hier geboren, aber meine Heimat hatte mir zu fehlen. Überhaupt waren nicht alle schlecht, viele ausgesprochen freundlich, selbst zu meinem Vater. Aber zwischendrin gab es so gut wie immer Vorurteile, die durchschimmerten. Die dachten beispielsweise ernstlich, dass mein Vater aus einem Land käme, in dem es so gut wie keine elektrifizierten Haushalte gab. Andere glaubten, dass er nie Bildung erfahren hatte. Einer seiner Kollegen behauptete mal, dass Mallorca keine spanische Insel sei, sondern ein unabhängiges Inselreich. Er wettete sogar darauf. Zwei Kasten Bier hat das dieser Koryphäe deutscher Nachkriegsbildung gekostet. Ich fand immer, er kam viel zu billig davon. Nicht weil er so unwissend war, sondern weil er so arrogant war, seine Unwissenheit immer noch als etwas Höherwertiges anzusehen als das Wissen eines Ausländers. Deutsche Inkompetenz war halt immer noch mehr als fremde Kompetenz.

Zu viel habe ich von damals schon notiert. Über dieses dumpfe Lebensgefühl. Im Laufe der Jahre schrieb ich kontinuierlich darüber. Man unterschätzt, wie solche Erlebnisse und Familienerzählungen prägen. Über Jahre hinaus. Auch wenn alles rum ist, wenn man es abhaken könnte. Es sind letztlich meine prägenden Jahre gewesen, Sozialisierungsjahre, in denen ich den Grundstein meines Charakters und meiner Anschauungen legte. Aus jener Zeit weiß ich zum Beispiel, dass Integration in Deutschland ein fast unmöglicher Akt ist. Ich würde auch tatsächlich nie auf die Idee kommen, dieses Land als meine Heimat zu bezeichnen. Man kann sich in seiner Stadt wohlfühlen, kann ein gutes Umfeld haben, aber sobald es sich ins Nationale sublimiert, bin ich raus, spüre ich sofort einen Würgereiz. Aber in der letzten Zeit mache ich trotzdem neue Erfahrungen. Integration klappt letztlich doch. Nicht aus Anstrengungen heraus. Nicht etwa weil sich die Anpassung von Ausländern auszahlte und ebensowenig, weil die deutsche Gesellschaft entspannt genug wäre, Integration als einen Akt der Kommunikation zu verstehen und auch nicht - wie sie es dann wirklich tut - als einen Hammer, der lustig alles Überstehende in das knochenharte Stück Holz klopft, das gemeinhin als hölzerne Volksgemeinschaft verstanden wird.

Nein, weil man sich immer dann ins Konzept einpassen kann, wenn es welche gibt, die eine völlig neue Herausforderung darstellen. All die vielen Leute, die aus dem arabischen oder afrikanischen Raum zu uns kommen, die haben dem Spanischstämmigen einen Aufstieg beschert. Jedenfalls auf der Gesinnungsfront. Weil als Europäer, als ein Europäer wohlgemerkt, der nicht aus dem wilden Osten kommt, da bin ich den Urwüchsigen gleich sympathischer. Wie das Hemd einem näher als der Rock ist, so ist der Spanier einem näher als der Syrer. Ich bin das Hemd; Rock waren wir früher. Man hat Leute wie mich umgenäht, sodass man sie obenrum tragen kann.

Auf meinen Namen spricht mich kaum noch einer an. Mit so einen Namen ist man fast Deutscher. Das ist der Trost, den ich euch spenden will, ihr Neubürger und Arbeitssklaven aus dem Osten, irgendwann habt ihr es auch geschafft und ihr rückt auf, weil es eine neue Klasse von Menschen gibt, auf die man verächtlich herabschaut. Wer das dann sein soll, wird die Zeit weisen. Vielleicht die Amis oder Papuas und ihre außergewöhnlichen Essgewohnheiten. Oder wir rücken dann alle schön zusammen und sehen uns als eine Gemeinschaft an, weil die nächsten Aliens, die zu uns kommen, dann nicht nur fremd dem Wortsinne nach sind, sondern tatsächlich als Aliens, als Außerirdische zu uns kommen. Bis dahin dauert es noch ein wenig. Solange fröne ich meines Aufstieges. Dieses Land ist gut zu mir, weil es andere gefunden hat, zu dem es schlecht sein kann.

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