Diese Zeit reißt viele Wunden

Montag, 28. Januar 2013

Quelle: Westend Verlag
Die Finanzbranche und speziell der Hochfrequenzmarkt haben die Kontrolle über Unternehmen an sich gerissen, daraufhin zur Steigerung des kurzfristigen Renditedenkens beigetragen, das nichts weiter als ein Kontrollinstrument ist, die Arbeit entregelt, die solidarische Sicherung zerstört und die Normalarbeitszeit quasi abgeschafft und somit die Privatsphäre der Menschen durchlöchert und treiben in letzter Instanz die Privathaushalte vor sich her. So jedenfalls lautet in nuce die These Friedhelm Hengsbachs zur Beschleunigungsgesellschaft. Ähnlich hatte es der ehemalige US-Arbeitsminister Robert Reich schon vor einigen Jahren formuliert. Für ihn waren die neuen Kommunikationstechnologien, die Zeitersparnis für jedermann versprachen und auch hielten, gleichermaßen auch Antreiber nicht nur marktimmanenter Prozesse, sondern hetzten als Impulsgeber letztlich auch die gesamte Gesellschaft vor sich her. Reich nannte das die Geburtsstunde eines Superkapitalismus, der nicht zuletzt auch die Demokratie gefährde. Hengsbach sieht das ganz ähnlich und fordert eine Rückkehr zur Gerechtigkeitsfrage.

In Die Zeit gehört uns analysiert Hengsbach das Phänomen Zeit und den Umgang mit ihr im Neoliberalismus. Er tut das als Ethiker, Soziologe und Philosoph.

Normierte Zeiteinteilungen und Handlungssequenzen waren stets zur Verfestigung der elitären Machtsphäre gedacht. Wie die Zeit zu ticken habe, wann etwas gemacht werden soll und wann nicht, das ist nicht nur einfach so in der Praxis und aus naheliegenden Gründen entstanden, sondern stets auch eine Frage der Machtverhältnisse, der ökonomischen Verteilung und der Produktionsarrangements gewesen. Die Zeit erhielt erst mit den Menschen eine Skala. Nun verröchelte sie nicht mehr ungemessen, sondern in Einheiten. Der Naturbezug und der Biorhythmus fand aber auch im Zeitalter der Uhr noch rudimentär Berücksichtigung, scheinen aber heute immer mehr ins Hintertreffen zu geraten. Der heutige Mensch der industrialisierten Welt lebt in der künstlichen Zeit, aber immer weniger in den in ihm schlummernden biologischen und evolutionär bedingten zeitlichen Prämissen. Die innere Uhr liegt immer weniger im Trend. So nehmen fest eingeplante wöchentliche Ruhezeiten ab, wird das Wochenende der Flexibilität am Arbeitsmarkt geopfert, werden Schicht- und Wechselschichtmodelle zum Standard und die Nachtarbeit zur Normalität. Der durch die Beschleunigungsdynamik entstandene Druck im Arbeitsleben erzeugte ein (noch) ungeschriebenes Gesetz der Allerreichbarkeit, dem sich Arbeitnehmer beugen sollen. Die Ruhe kann jederzeit gestört werden, wenn sie sich denn überhaupt je einstellt.

Die Deutsche Post garantierte letztes Jahr, dass Pakete, die bis zur Mittagsstunde des 22. Dezembers bei der Post abgegeben würden, auch wirklich an Heiligabend die Empfänger erreichten. Folglich stellte DHL auch am 23. Dezember 2012, einem Sonntag, Pakete zu. Diese Feiertagsarbeit gesellte sich zu den sowieso überlangen Schichten aufgrund des Weihnachtsgeschäfts. Vor vielen Jahren hätte die Bundespost vermutlich keine Garantie gegeben, allerdings freudlich darauf hingewiesen, Pakete zur Weihnachtszeit rechtzeitig zur Post zu bringen. Die beschleunigte Gesellschaft läßt eine solche Erinnerung zur Pünktlichkeit, die entschleunigen soll, gar nicht mehr zu. Der Paketzusteller ist auch dann pünktlich, wenn der Absender es nicht ist. Service nennt sich das. Und der geht zulasten der Angestellten.

Dies ist nur eines der vielen kleinen und größeren Beispiele des beschleunigten Alltages. Wie die Beschleunigung Stress erzeugt und Arbeitsverhältnissen eine Flexibilität abringt, die unnatürlich ist und die dennoch diesem Sog der Schnelligkeit unterliegt und psychische wie körperliche Folgeschäden verursacht, läßt sich fast überall aus den gesellschaftlichen Verhältnissen explizieren. Es ist ein alter Hut, wenn man wie Hengsbach auch auf die Zunahme psychischer Erkrankungen durch Zeit-, Kosten- und Anpassungsdruck und Mobbing, als makaberes Ventil zum Druckablassen gegen das schwächste Glied einer Gemeinschaft, oder auf die Verdichtung von Burnout-Syndromen hinweist - aber ein Beleg für die Beschleunigung scheinen diese Zahlen durchaus zu sein.

Ausschnitt aus Dalís
"Die Beständigkeit der Erinnerung"
Hengsbach stellt fest, dass wieder mehr gearbeitet wird. Zudem vermische sich Freizeit und Arbeitszeit immer stärker. Was er leider nicht berücksichtigt: Die Wege zum Arbeitsplatz und zurück sind für viele Menschen heute lang und zeitintensiv. Der Mensch ist somit mit seiner Erwerbsarbeit oft viel länger beschäftigt als es die reine Arbeitszeit auf dem Papier vorgibt. Gestaltete sich das Leben von lohnabhängig Beschäftigten früher noch nach privaten und beruflichen Aspekten, so arrangiert sich ein solches Leben heute verstärkt mit den Notwendigkeiten, Vorgaben und Nachteilen einer Arbeitsstelle. Auch zwei Stunden An- und zwei Stunden Rückfahrt sind nach den Geboten der Flexibilität und den Maßgaben der Arbeitsämter noch zumutbar. Die Politik stellt sich nicht gegen diese Beschleunigung und versucht nicht mal die Symptome abzumildern. Stattdessen kippen immer wieder Ladenschlussgesetze und erschweren es den Angestellten im Handel, die ohnehin schwierige Gratwanderung zwischen Familie, Hobby, Entspannung und Beruf gelingbar zu machen. Andere Aspekte der allgemeinen Beschleunigung, wie der stetige Kosten- und Lohndruck, dem die Menschen ausgeliefert werden, tun das Nötige dazu, dass das zur Ruhe kommen fast nicht richtig mehr gelingen mag. Immer mehr Menschen klagen darüber, dass sie nach Arbeitsende nicht mehr abschalten können. Sie sind so in der Beschleunigung, dass ein Abbremsen nur schwer umsetzbar ist.

Der immer maroder werdende, stets neuerdings aufs Tapet kommende Kündigungsschutz und ganz generell der Sozialabbau, sind gleichwohl Folgen dieser Kultur der Beschleunigung. Das Schwinden von Normalarbeitsverhältnissen zugunsten von Teilzeit- oder Minijobstellen ist dem Mantra der Flexibilität geschuldet. Die herrschende Ökonomie ist eine Ökonomie der Kälte, weil sie in steter Eile ist, keine Zeit hat, um darauf zu sehen, was einer Gesellschaft wichtig zu sein hat und was nicht. Der Markt ist der gehetzte Exekutor der sozialen Kälte.

Dieser eilige Rhythmus, der über den Hochfrequenzhandel alle Teile der Gesellschaft erfasst hat, mag nicht kalkuliert gewesen sein. Da er aber nun mal in der Gesellschaft ist, hat er sich sicherlich nicht als Nachteil für die Eliten der Wirtschaft erwiesen. Sie haben Interesse daran, den Takt weiterhin so forsch anzuschlagen. Entschleunigung ist deren Ziel sicher nicht. Sie normieren unsere Zeit, füllen sie mit Gehetztheit, takten den Alltag und reißen viele Wunden in Personen und Gesellschaftsgruppen, zerstören soziale Gefüge und erklären mit Unschuldsmiene, all das sei notwendig, um den Wohlstand zu erhalten.

Man kann nur hoffen, dass Hengsbachs soziologisch-philosophischer Abriss des Phänomens Zeit und des gesellschaftlichen Umgangs mit ihr, kein zeitloses Werk wird, sondern zur Abhandlung über einen Zeitgeist, der sich irgendwann wieder gedreht hat.

Die Zeit gehört uns. Widerstand gegen das Regime der Beschleunigung von Friedhelm Hengsbach ist im Westend Verlag erschienen.



18 Kommentare:

Anonym 28. Januar 2013 um 09:06  

ANMERKER meint:
Sehr richtig Roberto, der Zeitgeist muss sich wieder drehen, anders gesagt, er muss gedreht werden, von uns gedreht werden, und zwar individuell und kollektiv.
Individuell kann jeder/jede etwas tun, wenn dem Diktat der allzeitigen Verfügbarkeit Riegel vorgeschoben wird: Ob wir ständig online sind liegt mehr in unserer Hand als wir uns eingestehen mögen, also: Öfter mal das jeweilige Onlinemedium aus(!), einfach aus - das geht tatsächlich und lässt sich positiv erleben - nur Mut. Kollektiv sollten wir in dem gesellschaftlichen Umfeld, in dem wir leben, zum Beispiel für die 30StundenWoche kämpfen. Die ist machbar, sowohl technisch als auch ressourcenmäßig. Klar bedeutet das Verzicht - für die Kapitalmafia auf Profit. Klar wird dadurch ein bisschen die Systemfrage gestellt.Aber es geht darum, dabei zu sein, beim Drehen des Zeitgeistes mitzuwirken - individuell und kollektiv!
Packen wir´s an!
MEINT ANMERKER

Hartmut 28. Januar 2013 um 11:04  

Diesem Artikel kann ich mich nur anschließen.

Weiterhin müssen wir wieder lernen unsere begrenzte Eigenzeit wahrzunehmen. Das Wertvollste (Kostbarste), was wir Menschen haben ist die Zeit oder besser gesagt die Lebenszeit.

Eines meiner Lieblingsbücher möchte ich zu diesem Thema noch empfehlen:

Die Kreativität der Langsamkeit - Neuer Wohlstand durch Entschleunigung - , Fritz Reheis

einige Jahre danach hat hat der selbe Autor "Entschleunigung - Abschied vom Turbokapitalismus -"
herausgegeben; auch sehr lesenswert.

Mit einer weisen Aussage des wohl bekanntesten Zeitforschers, Karlheinz A. Geißler, möchte ich diesen Kommentar schließen:

"Zeit kann man weder haben, noch sparen - man kann sie nur leben."

P.S. "Die Zeit gehört uns" habe ich (noch druckfrisch) zu Weihnachten geschenkt bekommen ein ganz tolles Buch ! :-)

Anonym 28. Januar 2013 um 11:11  

Der Beschleunigungswahn gilt ja nicht nur für die Arbeitswelt. Vorgestern habe ich einem Klavierkonzert von Bach gelauscht. Der Pianist, einer jener jüngeren Virtuosen, spielte technisch gewiss perfekt, aber die Geschwindigkeit! Bach, der zudem die moderne Klaviertechnik garnicht kannte, wäre schreiend aus dem Saal gelaufen. Irgendwie sind alle auf der Flucht...

Anonym 28. Januar 2013 um 11:37  

"The clock, not the steam-engine, is the key machine of the modern industrial age."
Lewis Mumford

Anonym 28. Januar 2013 um 11:48  

Unsere Lebenszeit wird uns gestohlen - das erkannte schon Momo von Michael Ende.

Ich fuhr letztes Jahr an einem Sonntag im Sommer auf einer Landstraße Richtung Bad Tölz. Plötzlich gab es einen Stau. Eine Herde von Kühen trottete ganz gemächlich über die Straße. Manche Autofahrer hupten ungeduldig. Eine Kuh blieb auf der Straße stehen und glotzte uns Autofahrer an, während sie gemächlich Gras kaute. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag: von wegen "dumme Kuh".

Wir Menschen sind die Idioten, keine Kuh würde sich hetzen lassen - die würde einfach keine Milch mehr geben und basta. Nur wir Menschen sind so blöd, uns unsere Lebenszeit rauben zu lassen, das hat Michael Ende schon richtig erkannt.

maguscarolus 28. Januar 2013 um 13:36  

Und dann ist zudem eine Bildung für die Menschen erforderlich, welche sie in die Lage versetzt, vorhandene Zeit so zu nutzen, wie denkende Menschen das von jeher getan haben.

So werden sie es auch merken, wenn ihnen ihre Zeit gestohlen wird.

Anonym 28. Januar 2013 um 13:48  

Gerhard Polt hat einen schönen Satz gesagt: "Ich habe noch nie Zeit gespart. Wenn ich Zeit habe, dann gebe ich sie immer gleich aus..."

Aldo 28. Januar 2013 um 14:18  

Auszeit
( Mein Vorschlag für Unwort des Jahres 2012)

Wie merkwürdig dieses Wort klingt, aus der Zeit sein, geht das überhaupt? Wenn ich aus der Zeit bin, dann weile ich auch nicht mehr unter den Lebenden. Auszeit ist ein Wort, das mir von meinem Sprachgefühl her überhaupt nicht gefällt, ich assoziiere damit, ein Außer-Atem sein, ein rastloses Atemholen, das keine Muße kennt, um innezuhalten, am Weg zu verweilen:“ To see a world in a grain of sand. And a heaven in a wild flower...“ William Blake hätte sich wohl im Grab umgedreht, wenn er für seine Pausen dieses Wort aus der abstrakten, quantifizierenden, also nur messenden Zeit benutzt hätte.
Woher kommt nun dieses Unwort? In einem Eintrag des Duden von 1999 werde ich fündig. Auszeit, so heißt es dort, ist „ eine Pause, Spielunterbrechung, die einer Mannschaft zusteht:“ ( Duden, 1999) (1)
Wahrscheinlich ist dieses Wort um die Jahrtausendwende in die Allgemeinsprache gelangt in Zeiten einer der größten gesellschaftlichen Umbrüche in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Stichwörter dazu sind die Agenda 2010, die Globalisierung, die neuen Technologien, die rapide Erhöhung der Arbeitsintensität, Minijobs, Leiharbeitsverhältnisse, kurz die Prekarisierung ehemals sicherer Arbeitsverhältnisse unter dem Vorzeichen zunehmender internationaler Konkurrenz zwischen den Staaten und einer damit einhergehenden „alternativlosen“ Austeritätspolitik in den meisten westlichen Industriestaaten.
In diesem sozioökonomischen Kontext muss Auszeit Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden haben, dabei Wörter verdrängend wie das Sabbatjahr oder das einst rebellische Aussteigen. Heute nimmt man sich eine Auszeit, um später wieder in das brutale Gesellschaftsspiel, das sich Arbeit nennt , zurückzukehren, nachdem man seine Akkus wiederaufgeladen hat. Mensch = Maschine. (Vgl dazu DLF) (2)

Auszeit ist in meinen Augen ein weiterer Baustein für eine Welt, in der das Diktat der bedingungslosen Jetztzeit gilt: „ das Prinzip der Gegenwart wütet gegenüber dem Prinzip Hoffnung und sämtlichen Illusionen der Vergangenheit. Wir leben in einer Gegenwart, die erstmals in der Lage wäre, sich zum Machthaber über sämtliche anderen Zeiten aufzuschwingen.“ ( 3)

Links/ Literatur

(1) Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. Mannheim, 1999

(2) http://www.dradio.de/dlf/sendungen/marktplatz/1775140/

(3) Alexander Kluge, Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit.Das Drehbuch zum Film. Frankfurt am Main 1985, S.10/11

Hartmut 28. Januar 2013 um 14:39  

Vor 30 J. war ich halb so alt, wie ich jetzt bin und damals hatten wir in der Nähe von Sligo(Irland) ein unvergessenes Erlebnis: Wir fuhren auf einer Landstraße nördlich von Sligo. Plötzlich sah ich eine Gruppe von ca. 50 Menschen mitten auf der Landstraße gehend. Obwohl im Urlaub, wollte ich gerade anfangen zu schimpfen - doch in dem Moment erkannte ich, daß am Anfang ein Sarg getragen wurde - es war also ein Trauerzug auf dem Wege zum Abseits gelegenen Friedhof. Wir fuhren noch ca. 10 Minuten hinter dem Trauerzug her, bis dieser seitlich abbog.
In diesen 10 Minuten wurde mir bewußt, welch kostbares "Gut" die Zeit ist. Seither habe ich mich viel mit dem Phänomen Zeit befaßt und auch viel darüber gelesen...

Daher möchte ich noch ein schönes Buch von Karlheinz A. Geißler mit 20 sehr interessanten Kurzgeschichten empfehlen:

Zeit -
verweile doch...
Lebensformen gegen die Hast

Anonym 28. Januar 2013 um 14:40  

Der Buchtitel "Die Zeit gehört uns" impliziert das kapitalistische Paradigma, dass Zeit ein Ding, ein handelbarer Wert ist. Nicht der Mensch, sondern der Kapitalismus gibt der Zeit die Skala. Arbeitszeit ist verkaufte Zeit und produktiv; Freizeit ist verdient und konsumtiv. Morgens ist nach dem Wecker, abends ist vor dem Wecker. Unser atomgenauer Zeitgeist.

"Werd' ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön!"

Anonym 28. Januar 2013 um 15:12  

Seit der exzessiven Verbreitung von Handys/Smartphones hängen die meisten Nutzer an der Leine und unterliegen ständigem, selbst auferlegtem Stress. Ich kann das bei täglicher Bahnfahrt von 2h gut beobachten. Es wird oft nicht einmal mehr dem Klingelton vertraut. Da wird alle 5 Minuten nachgesehen ob sich was getan hat. Mir liegt dann immer auf der Zunge zu fragen ob das Handy keinen Ton hat! Besonders schlimm finde ich, wenn Mütter den Kinderwagen schieben und dabei auf dem Handy rumklimpern. So kann das Kind dann gleich sehen was/wer wichtiger ist. Aus meiner Sicht gibt es in dieser Sache einen extremen Gruppenzwang der ständigen inneren Stress auslöst, was leider nur wenigen wirklich bewusst ist. Aus meiner eigenen Umgebung höre ich, dass das vergessene Handy oder der leere Akku das Schlimmste ist was man sich vorstellen kann. Die beste Basis um Politik, weiter wie bisher, für die Wirtschaft zu machen. Irgendwie habe ich das dumme Gefühl, dass der Michel erst aufwachen wird, wenn ihm das Wasser bis Oberkante Unterlippe steht!

flavo 28. Januar 2013 um 15:35  

Ein treffliches Thema!
Die Zeit ist wohl viel sonderbarer als der Raum, wennglich auch dieser seine Sonderbarkeit hat.
Die Zeit hat viel Ernst mit sich. Man wird einmal zu der Einsicht kommen, dass die Zeit nun vorbei ist. Vielen ist der Moment dieser Einsicht zu spät, aber früher konnten sie es nicht erkennen. Unsere Einmaligkeit endet wie sie begonnen hat als zeitliches Dasein. Nicht nur endlich, sondern wir kommen nie hinaus aus der Zeit, immer haben wir eine Zukunft und eine Vergangenheit sowie eine Gegenwart, in der wir uns vollziehen. Dreidimensionale Zeitwesen.
Den Prekären werden zwei zermürbt und fragmentiert. Keine Linie zieht sich mehr durch das eigene Zeitband, welches geflochten worden wäre in der Sukzession der eigenen Existenzgestaltung. Nein, es ist ein rauschendes Wirrwar, immer gleich, ungewiss im Kommen und im Gewesen. Immer war alles und alles kann immer sein (vulgo Felxibilität). Ein Leben ohne Kontur. Keine weilenden Sinnknoten, die über länger Handlungsimpulse geben. Alles gehört zermürbt zu gleichkörnigem Existenzsand: heute nimmst du hier eine handvoll und morgen greifst du da hin. Aber lass ihn übermorgen schnell wieder aus. Du wirst keine Klumpen finden, bei denen du kräftiger zugreifen wirst müssen. Sollst du auch nicht: schau, dass du trockener kullernder Sand bist! Wie das Wasser, das überall hinein paßt. Nun, derart könnte man auch bürgerliche Asienromantik darin erkennen. Zahlreiche suchen ihr Heil darin. Geheilt werden sie vermutlich nicht. Aber dennoch, der Wunsch nach allhafter Fluidität wie im Mutterbauch drückt sich darin wohl aus. Unerfahren in real erfahrener fremdverursachten Zeitbrechung im Arbeitsleben findet man eine Harmoniebewegung in der neuen Flexibilität der Zeit. Heute dies, morgen das, heute braune Klöße, morgen in morgentlicher Schlaftrunkenheit der Blitz, eine Weltreise zu machen. Heute Abteilungsleiter, morgen Übernahme der väterlichen Kanzlei und Vorstand im Wohltätigkeitsverein. Heute Esprit, morgen mal ganz keck Gucci in Blau.
Zweifellos fehlt es auch hier an Linien. Während erster der fremdverschuldete Zeitbruch ist, ist dieser hier ein selbstverschuldeter und eingeredet notwendiger.

Anonym 28. Januar 2013 um 17:04  

Hm,

anderthalb Stunden Fahrzeit: Ältere haben schon mal Senkblasen, weibl. Arbeitnehmer ihre Periode: Die Toilette am Zwischenhalt einplanen, 0,50 bis 1,-- TEURO für den Toilettengang bezahlen (, macht zwischen 10,-- und 20,-- TEURO extra/ Monat), den Anschluss nicht bekommen: Dreiviertelstunde extra. Verspätungen der Bahn einrechnen.
Ohnmachtanfälle ob der überfüllten Bahnen. Überstunden ... und später am Abend ist die Bahnfrequenz niedriger. ...

Sobald 28. Januar 2013 um 18:12  

Warum kommen denn weniger größere gemeinsame gebündelte politische Aktivitäten zustande?
Weil die Leute im Netz hängen, um sich zu INFORMIEREN und AUSZUTAUSCHEN. Mit dem Ergebnis, dass am Ende des Tages keine Zeit bleibt, die Folgerungen in Handlungen umzusetzen.
Früher mussten die Leute zu Information und Austausch zusammenkommen und hatten dadurch viel häufiger Gelegenheit, handfeste Ereignisse zu generieren - Stoff auch für die größeren Medien und damit für ein größeres Publikum.
Mit der Verbreitung des Internets gehen die Wahlergebnisse für die LINKE immer weiter in den Keller - schon jemand gemerkt?

maguscarolus 29. Januar 2013 um 09:26  

Dass Zeit und Raum sich nicht von einander trennen lassen wird klar, wenn man den Sternenhimmel betrachtet und dabei grundsätzlich in die Vergangenheit schaut.

Anonym 29. Januar 2013 um 13:42  

Mir hat die Stoa ein wenig geholfen und die Augen geöffnet. Seneca und Marc Aurel.
Seit mind. 10 Jahren kein TV mehr.
Seit mind. 4 Jahren keine Tageszeitung mehr.
War auch gar nicht so schwer.
Den Internetkonsum versuche Ich freiwillig auf 1-2 Stunden zu halten. Sehr oft weniger.
Vieles weiss Ich Ich natuerlich nicht, dass stimmt. Wer sich gerade wieder getrennt hat oder wie nun im Moment der OB von Hamburg heisst usw.
Aber: Ist das wirklich fuer mich wichtig? Das Pärchen zerfällt eh zu Staub..... Und der OB ist eh nur eine Marionette und spielt seine Rolle als Handlanger des Kapitals und der Elite. Morgen kommt ein anderer.

Hartmut 29. Januar 2013 um 13:55  

zu Zeit und Raum möchte ich folgendes aus dem Buch von Harry Pross, Der Mensch im Mediennetz S. 102, zitieren:

"Es bleibt also dabei, daß die biologische Zeit unwiederbringlich fließt. Daß der Zugriff auf die Zeit anderer Menschen nicht ewig dauern kann, ist biologisch begründet. Schon der legendäre Arzt Hippokrates lehrte seine Schüler, die guten und die schlechten Tage ihrer Patienten in die Diagnose einzubeziehen. Lange und kurze Weile sind soziale Faktoren erster Güte, weil sie im körperlichen wurzeln. Die blitzartigen Signale dieses Wurzelgeflechts sind nur den Molekularbiologen sichtbar: Die über Jahrtausende gleichbleibende Praxis, sich der Lebenszeit anderer zu bemächtigen, läßt sich veranschaulichen, weil unsere Sprache gelernt hat, zeitliche Vorgänge mit räumlichen zu assoziieren. "Später" hat etws mit "spatium", "Raum", zu tun, "vorher","nachher","Zeit vergeht", "Zeit wird kommen", "Zukunft", "Gegenwart", "Vergangenheit", "Geschichte" sind ursprünglich räumliche Vorgänge."

Methusalem 30. Januar 2013 um 01:07  

Hat jemand hier mitgekriegt, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund bei seiner jüngsten Verstandsklausur, zu dem die Vorsitzenden der grossen Parteien eingeladen werden, anders als früher NICHT mehr die LINKE eingeladen hat?
Weil die Gewerkschaften bei den Verhandlungen nur Nachteile durch einen Bund mit der machtlosen LINKEn fürchten.
Den Gewerkschaftsmitgliedern ist auch nicht mehr eine Überwindung des Wirtschaftssystems zu vermitteln, für das die LINKE steht.
DGB-Chef Sommer will mit der LINKEn folglich nichts mehr zu tun haben, er erklärte sie für "untauglich", die LINKE sei nur ein historischer Klotz am Bein der Gewerkschaften, mit der man KEINE VERBESSERUNGEN FÜR DIE ARBEITER erzielen könne.

Noch Fragen?

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP